Nobelpreis für Chemie 2013 – meine Prognose: Einzelmolekülmikroskopie (mit Update: Physik und Medizin)

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2010 habe ich ja richtig gelegen mit meiner Nobelpreis-Prognose, aber seitdem war meine Trefferquote leider nicht mehr so dolle. Zum Glück gilt das für alle anderen auch, nicht zuletzt für Thomson Reuters, die dieses Jahr immerhin eine spektakuläre Vorhersage dabei haben: Sie tippen auf einen zweiten Nobelpreis für Barry Sharpless, dieses Mal für die Klick-Chemie. Das kann schon mal vorkommen, aber dieses Jahr wohl nicht – zumal es durchaus unterschiedliche Meinungen (und heftige Diskussionen) darüber gibt, ob die Klickerei überhaupt mehr ist als gutes Marketing.

Aus der Biochemie kommen auch dieses Jahr einige heiße Kandidaten. Ganz nach vorne gehören mit Franz-Ulrich Hartl und Arthur Horwich zwei Wissenschaftler, die mit ihren Untersuchungen über Chaperone das das letzte grundlegende große Proteinchemie-Thema ohne Nobelpreis, die Proteinfaltung, abdecken. Das zweite große Biothema sind die Kernrezeptoren, die Kandidaten hier sind nach allgemeiner Ansicht Pierre Chambon und Ronald Evans. Das sind auch so Leute, die schon seit Jahren durch alle Listen geistern. Nun ging der letzte Chemie-Nobelpreis ja an die G-Protein-gekoppelten Membranrezeptoren, und ich vermute, dass deswegen diesmal ein etwas konventionellerer Chemie-Preis dran ist.

Das könnte zum Beispiel wegen ihrer besonderen Relevanz für die Industrie die Polymerchemie sein. Front runner ist da Krzysztof Matyjaszewski, der Entwickler der Atom Transfer Radical Polymerisation (ATRP), einer speziellen Variante der “lebenden” Polymerisationen. Bei so einem Preis würde man wahrscheinlich versuchen, möglichst viel des gesamten Feldes abzudecken, deswegen ist ziemlich unklar, wer da Nummer 2 und 3 sein könnten. Vielleicht Ezio Rizzardo, der auch in radikalischen Polymerisationen macht.

Am ganz anderen Ende der Skala, nämlich in der theoretischen Chemie, stehen auch ein paar Kandidaten bereit, und zwar die Leute, denen wir all die tollen Computermethoden verdanken. Zu allererst Martin Karplus, aber auch einige andere, die gemeinsam die modernen Molekulardynamik-Methoden entwickelt haben. Kenn ich alle nicht, da müsst ich mich überraschen lassen.

Im Grunde steht aber mal wieder ein Preis für Analytik an, und da gibt es ein paar mögliche Themen, zum Beispiel NMR, und Ashutosh bringt noch die Oberflächenplasmonenresonanz ins Spiel, mit der man Affinitäten von Molekülen zueinander messen kann.Die kenn ich ja noch von früher.

Bei Lichte betrachtet sind das alles eher halbherzige Spekulationen, denn gerade in dieser Ecke gibt es ganz klare Favoriten, von denen ich dieses Jahr auch denke, dass sie den bekommen, schon weil ihre Methode große Bedeutung in den Life Sciences gewonnen hat. Ich tippe also beim Nobelpreis für Chemie 2013 auf W.E. Moerner, Richard Zare und/oder Michel Orrit, für die Entwicklung der Einzelmolekülmikroskopie.

So, das ist mein Tipp. Jetzt seid ihr dran.

UPDATE: Florian Freistetter hat jetzt seine Prognose für den diesjährigen Physik-Nobelpreis veröffentlicht. Die interessanteste Frage scheint zu sein, ob das komplette CERN einen bekommt oder nur die Theoretiker wie Higgs (natürlich) und z.B. Englert. Florian sagt, das CERN wird es, ich tippe dagegen. Meine gesammelten drei Nobel-Tipps kann man in diesem Tweet nachlesen: Bei Medizin tippe ich auf die Entdecker der Oncogene.

10 Kommentare

  1. Warum nicht etwas Utopisches:DNA-Origami

    Das sind ja alles unheimlich praktische Dinge (Biochemie/Medizin, Diagnostik), die da einem Kandidaten zum Cheminobelpreis verhelfen sollen.
    Warum eigentlich nicht einmal etwas Ungewöhnliches, leicht phantastisch/utopisches wie Paul Rothemund‘s DNA-Origami und seine Verwendung von DNA für Berechnungen, DNA-Computing genannt.

    DNA-Origami zu prämieren wäre medial jedenfalls sehr geschickt. Zeitschriften könnten ganze Seiten mit Bildern von DNA-Origamis abbilden.
    Zudem wäre es eine gute Möglichkeit um Chemiker als Tausendsassas darzustellen. Nun, Paul W.K. Rothemund kommt wohl als Chemie-Nobelpreisträger nicht in Frage, weil er gar kein klassischer Chemiker ist, sondern nach eigenen Angaben liegen seine Interessen in einem Zwischenbereich: “My interests lie at the interface of computer science, biology, and chemistry. By this I do not mean the application of computer science to solve problems in biology or chemistry such as the protein folding problem. Rather, I am interested in how processes in biology and chemistry can actually act as computers and execute molecular algorithms.”

  2. Thomson-Reuters…

    …hat DNA-Nanotechnik tatsächlich auf der Liste und schlägt als Preisträger Alivisatos und Seemann vor, wenn ich mich Recht erinnere.

    DNA-Origami für sich genommen wird wohl keinen Preis bekommen, dazu ist das zu sehr brotlose Spielerei. Ich glaube aber generell, dass es für das Feld allgemein noch zu früh für einen Nobelpreis ist.

  3. DNA-Nanotechnik: Irgendwann Nobelwürdig

    Die DNA-Nanotechnik hat ein ganz neues Feld im Grenzbereich Nano-/Mikro geschaffen, was der Chemie (ist es noch reine Chemie?) ganz neue Anwendungsbereiche eröffnet.
    Der gerade jetzt in den Wissenschaftsmedien angekommene Artikel DNA nanotechnology opens new path to super-high-resolution molecular imaging berichtet über ein DNA-PAINT genanntes Verfahren bei dem mit Fluoreszenzstoffen verknüpfte DNA sich an Zielmoleküle anheftet und über ein Blinken dann optische Mikroskopie von einzelnen Molekülen ermöglicht.

    Momentan streiten sich die Leute noch über den potenziellen Nutzen von DNA-Nanotechnik, z.B. hier (Zitat):
    “DNA nanotechnology, the design and self-assembly of artificial nucleic acid-based structures or systems, has developed with breathtaking pace in recent years. The technology offers an unparalleled ability to control structure and function at the molecular level and the sizes of the structures are expanding towards the micrometer domain. The question is whether the technology offers solutions to any real-life problems, or if it will remain an academic discipline.”
    Es werden dann folgende kürzlich entwickelte Anwendungen genannt:
    1) “a DNA robot that could recognize diseased cells and induce apoptosis in them”
    2) “Others have used DNA origami structures as carriers for the anti-cancer drug Doxorubicin”
    3) “Anderson’s lab at Massachusetts Institute of Technology used a DNA tetrahedron to investigate the performance of 28 different cancer-targeting ligands”
    4) “Langecker et al. created an artificial DNA-origami membrane channel”

  4. Michael Grätzel – für die bahnbrechende Entwicklung von Farbstoffsolarzellen (DSSC – dye sensitized solar cells) und anderen Devices auf der Basis von nanokristallinem Titandioxid.

    Mit dem Durchbruch von Perovskit-ssDSSC in den letzten Monaten wurden die Wirkungsgrad-Rekorde der Technologie pulverisiert. Mit nun 15% sind die Wirkungsgrade absolut vergleichbar mit anderen Dünnschicht-Technologien. Aufgrund des geringen Materialaufwands und der potenziell sehr niedrigen Kosten bedeutet das möglicherweise eine starke Veränderung in der Photovoltaik-Industrie.

    Auch andere Anwendungen der nanokristallinen Schichten wie zum Beispiel in der Energiespeicherung, fotochromen Devices oder bei der katalytischen Wasserspaltung haben einen potenziell sehr hohen Einfluss auf massgebliche Technologiefelder.

  5. Grätzel stand ja mal sehr hoch im Kurs, so vor drei, vier Jahren. Ich habe aber den Eindruck, dass sein Stern zumindest im Bezug auf die Nobel-Chancen ein Bisschen im Sinken begriffen ist. Für ihn ist es irgendwie einerseits zu früh, andererseits zu spät: Die Technik ist noch nicht so relevant, dass sich ein Nobel aufdrängt, andererseits ist da so viel wichtiges von anderen Leuten gemacht worden, dass er vielleicht rausfällt.

    Ich hatte ihn andererseits Jahrelang auf der Rechnung, und viele andere auch, insofern darf man ihn sicher nicht abschreiben. Hab grad wieder an ihn gedacht, weil neulich ein Perovskit-Paper in Nature war. Diese woche kommt auch wieder was mit von Perovskit abgeleiteten Quasikristallen, das Feld ist auf jeden Fall heiß.

  6. Off toppic:

    Hi Lars,

    die neuen ‘Zwei-Wort-Captchas’ (oder wie die diese Dinger auch immer heißen) machen zumindest Smartphone- Kommentare fast unmöglich!:

    Was soll dieser völlig übertriebene Anti-Spam-Sicherheitswahn?

    Gruß

    Geoman

    • Weil wir Tonnen über Tonnen von immer ausgereifterem Spam bekommen. Deswegen. Dass man übers Smartphone Probleme bekommt, haben wir registriert. Da gucken wir beizeiten mal drauf.
      L.F.

  7. Hallo, da kann man dem Herrn Grätzel ja nur dazu gratulieren.Der Nobel Preis ist eine einmalige und sehr hochwertige Auszeichnung für eine wirklich einmalige Erfindung bzw. ein Verdienst. Viele Grüße

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