Neandertaler goes east – aber wie weit? Und was passierte mit ihm?

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Wie wir aus einer Vorabveröffentlichung in Nature erfahren, hat der renommierte Paläoanthropologe Svante Pääbo vom MPI für Evolutionäre Anthropologie nachgewiesen, dass Knochenfragmente aus der Okladnikow-Höhle im Altai-Gebirge von Neandertalern stammen. Das bedeutet, dass diese Vormenschen-Art mindestens 2000 Kilometer weiter östlich verbreitet war als bisher angenommen.

Pääbo untersuchte für seine Arbeit Skelettreste, die bereits in den 80er Jahren gefunden worden waren, aber wegen ihres schlechten Erhaltungszustandes nicht sicher zugeordnet werden konnten. Aus den Bruchstücken extrahierte Pääbo Erbgutreste, die er systematisch auf Neandertaler-DNA untersuchte. Erstmal kam haufenweise Genmaterial moderner Menschen zum Vorschein, was keineswegs überraschend ist, schließlich haben Dutzende Forscher an den Knochen rumgegrabbelt, seit sie ausgebuddelt wurden. Schließlich ließen sich trotzdem Fragmente mitochondraler DNA (mtDNA) identifizieren, die eindeutig vom Neandertaler stammen.

Damit ist klar, dass die Neandertaler einige Millionen Quadratkilometer mehr besiedelten als man ihnen bisher zugetraut hatte. Und: Die Wahrscheinlichkeit, dass ausgerechnet diese Funde den östlichsten Vorposten ihrer Ausbreitung darstellten, ist nicht besonders groß.

Das wirft zwei Fragen auf: Wie weit kamen die Neandertaler, und was passierte mit ihnen?

Ein Blick auf eine Karte der Mongolei zeigt, dass sich das Altai-Gebirge ungefähr in ost-westlicher Richtung erstreckt. Das ist eine für die Ausbreitung von Arten günstige Konstellation, denn die Klimazonen der Erde erstrecken sich ebenfalls in dieser Richtung. Ein nord-südlich verlaufendes Gebirge wirkt daher für Klimazonen-gebundene Arten wegen der die Klimazone zerschneidenden Hochgebirgsregion als Sperrriegel. Der Altai bildet dagegen eher einen Korridor für die Migration des zumindest der Fundlage nach den Bergen nicht abgeneigten Neandertaler.

Wie auch Pääbo in seiner Arbeit schreibt, eröffnet das die Möglichkeit, dass der Neandertaler sogar bis hinein nach China verbreitet war, also zumindest in den letzten 100.000 Jahren[1] seiner Existenz die von ihm bevorzugte Klimazone quer durch ganz Eurasien besiedelte. Ein derartiges Verbreitungsgebiet ist schwer mit einer der beiden populären Thesen zu seinem recht plötzlichen Aussterben vor etwa 30.000 Jahren zu vereinbaren: Der moderne Mensch sei es gewesen, der ihn verdrängt, vielleicht gar ausgerottet habe.

Die These stammt aus einer Zeit, als die meisten bekannten Hominiden-Fundstellen außerhalb von Afrika in Zentraleuropa, besonders Deutschland und Frankreich, lagen. Das Bild, das diese Fundstellen ergaben, war ausgesprochen suggestiv: Vor etwa 30.000 Jahren wanderte der moderne Mensch in Europa ein, und ungefähr zum gleichen Zeitpunkt verschwand der Neandertaler.

Die These ist natürlich recht umstritten, weil in den Wissenschaften, gerade in den Altertumswissenschaften, die Dinge selten das sind was sie zu sein scheinen.[2] Außerdem ist in vielen Fällen bis heute nicht ganz klar, inwieweit Neandertaler-Merkmale auch wirklich auf Neandertaler hindeuten. Die nach wie vor nicht ad acta gelegte These von der, ähem, genetischen Vermischung legt beredtes Zeugnis von derartigen Unsicherheiten ab.

In dieser Hinsicht ist die Entdeckung von Pääbo ein ausgesprochener Glücksfall. Es gibt kaum etwas, was einen Wissenschaftler auf Rekordjagd aufhalten kann, zumal für die Entdeckung des nächsten „östlichsten Neandertalers“ mit ziemlicher Sicherheit eine Veröffentlichung in Nature winkt. Wir können also getrost davon ausgehen, dass in den nächsten paar Jahren Paläoanthropologen gleich rudelweise über den bis dato noch wenig beackerten Altai herfallen und uns der Antwort auf die Frage nach dem Schicksal der Neandertaler ein ganzes Stück weiterbringen werden.

 

[1] Es wird vermutet, dass die Neandertaler sich vor etwa 125.000 Jahren im Zuge einer zwischenzeitlichen Erwärmung, als das Kaspische Meer deutlich kleiner war als heute, nach Osten ausbreiteten.

[2] Ein Satz, den man sich besonders im Hinblick auf die derzeitige Klimadebatte hinter die Ohren schreiben sollte.

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