Krebs, die WHO und ein Hauch von Agenda

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Untersuchungen, was Krebs verursacht oder verhindert, gibt es haufenweise. Schließlich ist Krebs ebenso häufig wie gruselig. Natürlich möchten wir alle wissen, wo die Gefahr lauert. Das einschlägige Expertengremium der Weltgesundheitsorganisation ist nun zu dem Schluss gekommen: verarbeitetes Fleisch ist definitiv krebserregend, unverarbeitetes immerhin mit einiger Wahrscheinlichkeit auch.

Aber ist das, was die WHO da treibt, auch hilfreich? Kein Stück, im Gegenteil. Hart gefragt: verfolgt die Weltgesundheitsorganisation hier im Mantel wissenschaftlicher Evidenz eine wesentlich weiter gefasste Agenda? Eine derartige Interpretation hat Joachim Müller-Jung gerade in der FAZ wohlwollend durchdekliniert.

Als Krebsprävention getarnte Konsumkritik?

Seltsam jedenfalls ist sie schon, die übersichtliche farbcodierte Stufenskala, auf der mehrere Hundert möglicherweise krebserregende Einflüsse fein säuberlich sortiert sind. Das konzeptionelle Problem ist ja ausführlich angesprochen worden: Die WHO-Klassifikation zeigt keineswegs, wie gefährlich etwas ist, also welchen Einfluss ein Faktor auf das allgemeine Krebsrisiko hat. Die höchste Kategorie zeigt lediglich an, wie gut der Zusammenhang zwischen Krebs und einem möglichen Auslöser belegt ist.

[Anmerkung: Die Farbcodierung geht anscheinend gar nicht auf die WHO zurück. Zumindest kann ich nicht mehr nachvollziehen, wie ich darauf kam. Betrachtet die Farbverweise im Rest des Textes bitte als metaphorisch]

Evidenz ist ja eine tolle Sache, aber die Fragen der meisten Menschen sind andere: Kriege ich Krebs? Kann ich meine Chancen verbessern, verschont zu bleiben?

Die Evidenzskala der WHO verführt deswegen zu der falschen Schlussfolgerung, dass in Kategorie 1 die gefährlichsten Krebsmacher lauern – und jenen, die diese Denkfalle durchschauen, hilft sie bei den Fragen auch nicht wirklich weiter. Dass 50 Gramm verarbeitetes Fleisch das Risiko von Darmkrebs um 18 Prozent erhöhen, ist ebenfalls nur ein Teil der eigentlich gesuchten Information. OK, Darmkrebs ist Mist, aber ich will ja gar keinen Krebs.

Kurz überschlägig eine Beispielrechnung. In den USA ist das Risiko, im Laufe eines Lebens an Darmkrebs zu erkranken, etwa 4,5 Prozent. 18 Prozent davon sind 0,9 Prozent Risiko, die man durch Verzicht auf jene 50 Gramm Fleisch einspart. Nur: Über 40 Prozent der US-Amerikaner bekommen in ihrem Leben Krebs, knapp ein Viertel stirbt daran. Das heißt, in der Gesamtschau reden wir über ein Vierzigstel des gesamten Krebsrisikos und sogar einen etwas kleineren Anteil des Sterberisikos.[1] Hier gibt es eine ähnliche Rechnung.

Das sieht bei Lungenkrebs, einer der häufigsten invasiven Tumorerkrankungen, natürlich ganz, ganz anders aus. Und das ist genau das Problem hier: Man nimmt alle möglichen Krebsarten, die häufig oder selten vorkommen und mal ziemlich tödlich und mal gut behandelbar sind, und ramscht sie unter Code Red zusammen.

Soll die Warnfarben-Masche unabhängig vom realen Risiko die Menschen aufrütteln, ihr Konsumverhalten zu überdenken? Fast alle Menschen werden die Faktoren der Kategorie rot erstmal intuitiv als die gefährlichste verstehen und aufmerken. Im Sinne einer Konsumkritischen Agenda mag das wünschenswert sein, doch aus Sicht der Krebsprävention ist das eine Katastrophe. Denn nun liest man – zu Recht – überall: Alles halb so wild. Das und dass irgendwie alles Krebs verursacht, das ist die Botschaft, die hängen bleiben wird.

Vermischt, verwischt, vernebelt

Während auf diese Weise eine Reihe wirklich gefährlicher Faktoren auf den Level von Bratwürsten runterverharmlost werden, passiert in den tieferen Kategorien das Gegenteil: Ein Haufen Dinge, bei dem die WHO weder in der einen noch der anderen Richtung Aussagen machen kann, landet in der Kategorie Warngelb: möglicherweise krebserregend.

Auch ein Schockeffekt, ebenfalls durch tatsächliche Daten praktisch nicht gedeckt. Irgendwo hat irgendwann mal eine Studie die Möglichkeit aufkommen lassen, diese Dinge könnten was mit Krebs zu tun haben. Und man hat es nicht widerlegt bekommen. Mehr sagt die Einstufung in Kategorie 2B nicht aus – sie tut aber so. Ich will mich darüber nicht im Detail auslassen, Ed Yong hat das schon hinreichend getan.

Verarscht werden am Ende alle. Jene, die letztendlich gelassen abwinken ebenso wie jene, die wirklich Sorge haben und sich möglichst gut schützen wollen. Und auch für diejenigen, die diese irreführende Darstellung durchschauen, bietet sie keine wirkliche Hilfe. Die Weltgesundheitsorganisation verwischt und vermischt, bis nur noch ein Gefühl drohender Gefahr übrig bleibt. Und die Frage: Warum?

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[1] Es gibt genug gute Argumente, weniger oder kein Fleisch zu essen. Sie jetzt bei der Verteidigung eines schwachen Arguments zu verheizen, halte ich für wenig klug. Ich mein ja nur…

20 Kommentare

  1. Ich versteh’s nicht ganz: versteckte Agenda? Die Infografik schreibt doch in Großbuchstaben, dass sie Evidenzgrade und nicht Risikohöhe darstellt.

    Anlass war vielleicht, dass die meisten Menschen die großen Lebensstil-Risikofaktoren für Krebs nicht kennen, sich stattdessen um Konservierungsmittel, Genfood, und “Stress” sorgen. Zumindest die Amerikaner. Siehe die aktuelle AICR-Umfrage, http://www.aicr.org/cancer-research-update/2015/02_04/cru_New-Survey-Low-Awareness-of-Key-Cancer-Risk-Factors.html .

  2. Die Graphik ist nicht von der WHO, sondern von Compound Interest, eine Webseite, die sich auf schöne chemische Übersichten spezialisiert. Wäre nett gewesen, wenn das irgendwo gestanden hätte…
    Sonst fasst der Text ziemlich genaub zusammen, was ich auch denke.

  3. @Peter Köhler: Auch wenn es in Großbuchstaben da steht, die Ampel-Farbpalette schreit eine andere Botschaft – und diese werden die Gesundheits-Gurus, wie “Food Babe” und co., verbreiten, um damit Geld zu machen.

    • Ich lasse das ganz bewusst offen, weil ich es nicht weiß und da auch nicht spekulieren will. Joachim Müller-Jung sieht in der FAZ eine allgemein konsumkritische Strategie der WHO am Werk, und das wäre meiner Ansicht nach auch nicht abwegig.

      • Okay, aber was ist denn daran das Problem. Die WHO ist doch dafür da in der Internationalen Union Gesundheit zu propagieren, damit verfolgt sie doch ohnehin schon eine Agenda, oder etwa nicht? Und dazu passt dann doch, dass sie zu einem geringeren Fleischkonsum anregen will. Ich gehe mal davon aus, dass die WHO nicht vom Weltverband der Gemüsebauern finanziell unterstützt wird.

        • Nee, aber wenn’s nach dem Prinzip Cui Bono geht, dann hat bspw. die Tabaklobby die Meldung gut abgefeiert. Steck dir noch ‘ne Kippe an, ist auch nicht gefährlicher als Mettwurst.

  4. “Soll die Warnfarben-Masche unabhängig vom realen Risiko die Menschen aufrütteln, ihr Konsumverhalten zu überdenken?”, ” Ein Haufen Dinge, bei dem die WHO weder in der einen noch der anderen Richtung Aussagen machen kann, landet in der Kategorie Warngelb: möglicherweise krebserregend.”
    Dieser Artikel bezieht sich aber stark auf die Wirkung der Warnfarben. In den Veröffentlichung des IARC habe ich keine Warnfarben entdeckt. und die klangen auch nüchtern und haben erklärt, was die Einstufung bedeutet. Man kann hier natürlich vorwerfen, dass sie intelligenter kommunizieren müssten und nicht die falsche Interpretation nahelegen, dass Würste genauso gefährlich wären wie Tabakrauch. Dann liegt das Problem in dem Transport der Information vom IARC zum Konsumenten und dabei ist das IARC nicht alleine, da es auch auf die mediale Aufbereitung und die weitere Rezeption ankommt, die nicht in der eigenen Hand liegt.
    Ich hatte aber durchaus das Gefühl,dass die Veröffentlichung gut aufbereitet wird, also es wird in vielen Artikeln darauf hingewiesen, dass das Risiko klein ist im Vergleich zu anderen Faktoren. Doch was kommt dann beim Leser an? Da war ich zum Teil wirklich erstaunt, dass unter einem Artikel, der klar sagt, dass das Risiko durch Wurst eher klein ist, Leserkommentare sagen, dass damit Panik gemacht wird und weiteres.
    Meine Meinung nach spielen hier zwei Probleme rein. Das eine ist Überforderung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen: Was bedeuten 18% höheres Risiko? Dies wird verstärkt durch eine generelle Skepsis gegen wissenschaftliche Ergebnisse, wenn sie nicht mit der eigenen Ideologie übereinstimmen.
    In diesem Umfeld ist die Klassifizierung für PR nicht gut geeignet. Hier sollte die WHO Abstufungen vornehmen, um die Missverständnisse zu verhindern. Warum sie das nicht macht: keine Ahnung. Aber sie kommuniziert auch nicht so extrem, wie dieser Artikel nahelegt, indem Warnfarben unterstellt werden. Das IARC hat klar kommuniziert, dass mögliche Warnungen abgewägt werden müssen. Laut deren Aussage ist deren Einstufung gar nicht als direkte Risikokommunikation gedacht. Dann wäre das ein Problem der medialen Aufarbeitung, die unterstellt es wären Warnungen veröffentlicht worden.
    Das IARC selber hat ein Q&A veröffentlicht in dem es erläutert: http://www.iarc.fr/en/media-centre/iarcnews/pdf/Monographs-Q&A_Vol114.pdf

    • Ich habe jetzt noch einmal recherchiert und muss zugeben, da habe ich den gleichen Fehler gemacht wie die Kommentatoren weiter oben: Die Farbskala geht anscheinend tatsächlich nicht auf die WHO zurück.

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  6. So wie ich Wissenschaftler kenne, ist einfach Ungeschick in der öffentlichen Kommunikation doch hundertmal wahrscheinlicher als die unterstellte “hidden agenda”, auf die es keinerlei konkrete Hinweise gibt. Das ist so ähnlich, wie wenn Klimaleugner dem IPCC eine “hidden agenda” unterstellen. Im übrigen: ich habe nur einen kurzen Radiobeitrag zu der WHO-Einstufung gehört, und der war vollkommen klar darüber, was sie bedeutet. Es wurde klar gesagt, dass nun zwar der Zusammenhang klar belegt ist, der Effekt aber sehr klein ist.

    • Wie der Kommentator libertador schon bemerkte: Man guckt eben genauer hin, wenn so ein Ergebnis nicht zur eigenen Ideologie passt. In früheren Fällen war es nämlich keineswegs so, dass die Abstufung nach Evidenz deutlich gemacht wurde.

      Ich glaube auch nicht, dass es sich um bloße Unfähigkeit in der Kommunikation handelt. Irgendjemand muss das Konzept hinter den Einstufungen ja mal durchdacht und implementiert haben. So wahnsinnig “hidden” ist die Agenda der WHO auch nicht – sie befürwortet ja öffentlich und völlig zu Recht weniger Konsum und einen generell anderen Lebenswandel gerade in den westlichen Ländern. Dass diese Ideen in das Design dieser Krebseinstufungen eingeflossen sind, ist jetzt nicht so abwegig und auch keine ehrenrührige Unterstellung. Es ist halt nur in die Hose gegangen.

  7. So wie ich das verstehe, kann man kompakt sagen:
    Sehr wahrscheinlich erhöht verarbeitetes Fleisch das geringe Risiko, an Darmkrebs zu erkranken relativ stark.

    Nun gut, beim Aufschreiben wirkt die Aussage doch nicht so kompakt. Aber neben dem relativen Risiko auch das absolute Risiko anzugeben, kann in der Tat nicht schaden. Wurde das in der Studie wirklich an keiner Stelle erwähnt?

  8. Speziell dann wird es schwierig, wenn die Politik die Einstufungen als Grundlage für Verbote nutzt… siehe z.B. bei Gyphosat.

    Hier könnte die WHO sicherlich erklärend einschreiten.

  9. Die WHO hat eine Agenda, aber sie verbirgt sie nicht. Zudem ist die weltweit geschätzte Zahl von ca. 30.000 zusätzlichen Fällen von Dickdarmkrebs pro Jahr überraschend niedrig. Seit vielen Jahren verfolge ich die Diskussion um die erhöhte Inzidenz von Dickdarmkrebs in Industrieländern mit fleischreicher Ernährung und staune über diese niedrige Zahl.

    Die beiden miteinander verglichenen Gruppen, die hart arbeitende und trotzdem knapp und weitgehend vegetarisch ernährte Bauern als auch chronisch überernährte und körperlich untätige Büroarbeiter mit einschließen unterscheiden sich in derart vielen Lebensumständen, dass ich hinsichtlich der Ermittlung der Ursachen ziemlich skeptisch bin. Es würde mich nicht wundern, wenn die tatsächliche Zahl bei 0 oder auch bei 60.000 Fällen oder höher liegen würde.

  10. Diese ganzen Beispielrechnungen die das 18% erhöhte Krebsrisiko angeblich veranschaulichen sollen gehen alle an der Realität vorbei.
    In Deutschland isst jeder Mensch im Schnitt alleine 83g Wurst pro Tag (plus nochmal die gleiche Menge unverarbeitetes rotes Fleisch – siehe Wikipedia).
    Männer essen im Schnitt ca. doppelt soviel Wurst und Fleisch wie Frauen. Und in den USA kommt im Vergleich zu Deutschland auch nochmal ein Faktor 2 drauf.
    Greift man sich die Risikogruppe “Männer” in Deutschland heraus, dann reicht das Spektrum vom Vegetarier mit 0g Wurst pro Tag bis zu sicher mehr als 200g Wurst pro Tag für Viel-Fleisch-Esser (in den USA nochmal entsprechend mehr) – da ja modarate Fleisch-Esser (=Durschnitt) auf mehr als 100g Wurst pro Tag kommen.
    Das bedeutet, dass das tatsächliche Risiko zwischen Vegetarier und Viel-Fleisch-Esser deutlich grösser als 100% ist (in den USA vielleicht sogar 200%).

    Ich denke wir reden uns das Risiko klein, nur weil wir selbst betroffen sind.

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