Eine Heilung für HIV-Infektionen?

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Derzeit geht die Neuigkeit um, bei einem zweijährigen Kind sei eine Infektion mit dem AIDS-Virus geheilt worden. Die Meldung basiert auf einem Fallbericht aus den USA, den gestern Infektionsforscher auf einer Konferenz in Atlanta vorgestellt haben und den das NIAID auf seiner Webseite vermeldet. Das sind natürlich willkommene Neuigkeiten, zumal das nach meiner Kenntnis erst das zweite mal ist, dass Ärzte überhaupt eine HIV-Erkrankung geheilt haben.

Allerdings darf man die Bedeutung des Erfolges auch nicht überschätzen. Was die Amerikaner da beschreiben, ist ein Sonderfall, der für den Großteil der HIV-Infizierten erstmal keine Bedeutung hat. Das Kind kam im Herbst 2010 in einer Klinik im US-Bundesstaat Mississippi zur Welt. Dabei stellten die Ärzte bei der Mutter eine bis dahin unbekannte HIV-Infektion fest und beschlossen, das Kind sofort zu testen und begannen, dem Vernehmen nach ohne die Ergebnisse abzuwarten, mit einer aggressiven Therapie gegen das Virus.

Normalerweise geben Ärzte in so einem Fall als Prophylaxe zwei antivirale Medikamente, wenn ich mich recht erinnere, eine einzelne Dosis Nevirapin und zusätzlich eine Weile lang AZT, um die Wahrscheinlichkeit einer Infektion durch die Geburt zu reduzieren. Wie sich zeigte, hätte das in diesem Fall nicht funktioniert, weil das Baby schon eine recht hohe Virenlast hatte. Wahrscheinlich war es schon im Mutterleib infiziert worden.

Stattdessen haben die Ärzte schon 30 Stunden nach der Geburt mit HAART begonnen, der Standardtherapie gegen HIV, die die Virenlast im Blut schnell drastisch senkt. Das geschah auch in diesem Fall. Der ungewöhnliche Teil kam später. Nach etwa einem Jahr brach die Mutter aus unbekanntem Grund die Therapie ab, so dass das Kind keine antiviralen Medikamente mehr erhielt.

Funktionale Heilung

Fünf Monate später tauchten Mutter und Kind wieder in der Klinik auf, und das Ärzteteam rechnete damit, beim Kind die volle Dosis AIDS-Viren vorzufinden, wie das halt so ist, wenn man HAART absetzt: Das Virus vermehrt sich während der Infektion nicht nur klassisch in den Immunzellen, sondern bildet Reservoirs in Blutzellen und Lymphgewebe, wo es inaktiv und außer Reichweite der HAART-Medikamente abwartet. Wenn die antiviralen Medikamente dann abgesetzt werden, kommt HIV aus diesen Reservoirs und erneuert die Infektion.

Nur, das scheint bei dieser Patientin nicht geschehen zu sein. Das Baby war auch ohne HAART nach klinischen Standards HIV-negativ, nur hochsensible Methoden detektierten Spuren des Virus-Genoms. Die Forscher bezeichnen das als “funktionale Heilung”, was ich mit “völlig sicher sind wir uns aber nicht” übersetzen würde. Sie geben denn auch zu bedenken, dass man nicht sicher sein kann, dass da nicht doch noch was nachkommt. Trotzdem ist das ein bemerkenswerter Erfolg.

Die Sache mit dem Reservoir

Jetzt rätseln alle, woran das liegt. Die meisten Forscher vermuten, dass das Virus schlicht keine Zeit hatte, ein Reservoir aus ruhendem Virusgenom zu etablieren. Das scheint mir plausibel zu sein, zumal es in der wissenschaftlichen Literatur Hinweise darauf gibt, dass man die Größe des Reservoirs durch möglichst frühe antivirale Medikamente deutlich einschränken kann. Bei Erwachsenen ist es, andererseits, allerdings noch nie gelungen, die Entstehung des Reservoirs ganz zu verhindern. Im Gegenteil, einige Patienten, bei denen das Reservoir schlicht nicht nachweisbar war, haben nach dem Absetzen von HAART trotzdem wieder Viren im Körper gehabt. Es scheint klar zu sein, dass hier noch etwas anderes am Werk ist als der frühe Zeitpunkt der Behandlung – möglicherweise funktioniert das Immunsystem von Neugeborenen anders. Da kann man im Moment nur spekulieren.

Das bedeutet wiederum, dass die Bedeutung dieser Heilung sehr begrenzt ist. Das zentrale Problem einer HIV-Infektion ist ja nun mal, dass das Virus bei den Infizierten schnell bis sehr schnell ein Reservoir etabliert und genau deswegen nicht mehr loszuwerden ist. Jetzt hat man immerhin eine Möglichkeit gefunden, diesen Vorgang zu verhindern, aber eben nur bei einer spezifischen Gruppe von Patienten und womöglich auch nur unter besonderen Bedingungen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass diese Forscher die allerersten sind, die bei infizierten Säuglingen früh eine HAART ausprobieren. Vielleicht funktioniert es nur bei Frühgeburten, man weiß es nicht.

Echte Heilung oder doch eher nicht?

Die New York Times zitiert sogar einen Virologen, der deswegen in Frage stellt, ob man das Ergebnis tatsächlich als wirkliche Heilung bezeichnen kann. Das halte ich nun für etwas übertrieben, schließlich hatte das Baby anscheinend eine echte, etablierte Infektion mit hoher Virenlast, und die war nach der Therapie weg. Die Umstände mögen etwas speziell sein, aber für mich ist das geheilt im Sinne der Definition.

Jetzt hoffen Mediziner natürlich, dass man diesen Erfolg systematisch wiederholen kann, dass man in Zukunft alle infizierten Neugeborenen mit einer aggressiven Therapie direkt nach der Geburt HIV-negativ bekommt. Man wird sehen ob sich diese Hoffnung erfüllt. Ich bin aus den oben genannten Gründen ein bisschen skeptisch.

Außerdem muss man sich vor Augen halten, dass es bereits Möglichkeiten gibt, die Übertragung des Virus von der Mutter aufs Kind weitgehend zu verhindern, nämlich eine angepasste antiretrovirale Therapie während Schwangerschaft und Geburt. Das ist momentan Standard. Der Hauptgrund, weswegen trotzdem noch überproportional viele Neugeborene HIV-infiziert sind, ist schlicht, dass noch zu viele werdende Mütter keinen Zugang zu solchen Methoden haben. Und an dieser Versorgungsproblematik wird auch eine eventuelle neue Behandlung für Säuglinge nicht grundsätzlich etwas ändern. Es ist also noch ein bisschen früh zum Jubeln.

4 Kommentare

  1. Impfung

    Wir wissen, daß Einzelfälle weder statistisch, noch medizinisch relevant sind. Also bleibt nur, zu versuchen, aus den Einzelfällen was zu machen.

    Die Frage, die sich mir stellt: wir wissen ebenso, daß Neugeborene von der Mutter einen Immunschutz mitbekommen, der nach und nach durch den eigenen Schutz des Kindes ersetzt wird. Hat nun schon einmal jemand versucht, mit Blutderivaten der (HIV- infizierten) Schwangeren einen Impfstoff herzustellen?

    Und weiter, wäre es (bei Erfolg) evtl. möglich, aus dem Blut Infizierter generell einen Impfstoff zu entwickeln, der möglichst kurz nach der HIV- Infektion angewandt, das Immunsystem vor dem Ausbruch von AIDS schützen kann?

  2. HIV- T-Zell-Gentherapie (CCR5) inPaseI

    HIV könnte schon bald durch extrakorporale Gentherapie von dem Patienten entnommenen T-Zellen behandelt werden. T-Stammzellen, die dem Patienten entnommen werden werden genetisch so manipuliert, dass sie das Oberflächenprotein CCR5 nicht mehr exprimieren. CCR5 dient als Andockstelle für HIV-Viren. T-Zellen ohne CCR5 Oberflächenprotein sind immun gegen HIV-Angriffe, weswegen Personen ohne CCR5 natürlicherweise immun gegen HIV sind.
    Werden die T-Zellen eines HIV-Patienten extrakorporal gentmodifiziert, so dass sie kein CCR5 mehr ausbilden, sind diese modifzierten T-Zellen gegen das Eindringen von HIV geschützt und verdrängen im günstigsten Fall die übriggebliebenen CCR5-T-Zellen.

    Erste Studien an Patienten sind erfolgsversrpechend. Es gibt verschiedene Ansätze. Hier wird über die Verwendung von Zink-Finger-Nuklease für die Ausschaltung von CCR5 berichtet.
    Über eine Phase-I-Studie mit dieser Methode wird hier berichtet.

    Hier wird über Versuche an 21 HIV-Patienten mit dieser Methode berichtet. Allerdings scheint nach einem Jahr nur ein geringer Prozentsatz der modifzierten T-Zellen noch vorhanden zu sein. Ein Patient, der nur ein CCR5-Antigen exprimiert (anstatt 2) scheint nach der Therapie auch ohne HIV-Medikamente virusfrei zu sein.

  3. Es kann angenommen werden, dass die defizitäre Zugänglichkeit von Medikamenten in vielen Ländern für die Infektionen der Säuglinge verantwortlich ist. Man sollte aber auch darauf hinweisen, dass vielen Müttern der eigene HIV-Status gar nicht bekannt ist, da dieser nicht in allen Ländern in der Schwangerschaft verbindlich erhoben wird.

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