Ebola und die unknown unknowns von Erkältungsviren

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Vor ein paar Monaten erschien in Spektrum ein längerer Artikel über eine bemerkenswerte Entdeckung – Forscher vom Robert-Koch-Institut identifizierten schon 1982 Antikörper gegen Ebola in westafrikanischen Blutproben. Das ist vorsichtig gesagt unerwartet, und es wäre sicher nicht schlecht gewesen, wenn man das schon Mitte 2014 gewusst hätte. Den Artikel solltet ihr euch durchlesen, schon weil man sich da fragen muss, wie viel lebenswichtige Forschung sonst noch so in den Papierbergen der Journals auf Nimmerwiedersehen verschwindet.

Mich fasziniert dabei allerdings ein weiterer Aspekt – und zwar wie groß der Anteil der Leute ist, die damals schon mit Ebola in Kontakt gekommen sein müssen. Was bedeutet das, wenn vor 30 Jahren in Westafrika eine von 20 untersuchten Personen Antikörper gegen Ebola im Blut hatte? Das deutet darauf hin, dass der Erreger dort seit Jahrzehnten einigermaßen regelmäßig präsent ist und sein angeblich neues Auftreten in den letzten Jahrzehnten vor allem das Ergebnis verbesserter Diagnose war.

Alles nur Diagnose?

Diese Idee ist nicht neu – tatsächlich hatte schon 2012 eine Autorengruppe genau diese Vermutung in den Raum gestellt, und zwar für Ebola und für Lassafieber. Sie beriefen sich auf Antikörpertests, nach denen hochgerechnet etwa 15 Prozent aller Krankenhausbesuche in einigen Staaten auf Lassafieber zurückgehen müssten. weit mehr als offizielle Zahlen hergaben.

Ein möglicher Grund für die Differenz ist, dass man einfach nicht so genau hinguckt, weshalb die Menschen nun Fieber kriegen. Im Anfangsstadium ähneln die Symptome von Lassa und Ebola ja sehr vielen anderen Infektionskrankheiten, und wenn nicht gerade Patienten sterben wie die Fliegen, übersieht man einen Ausbruch vielleicht auch mal. Wenn diese Hypothese stimmt, dann wären die meisten der neu aufgetauchten Krankheiten “Emerging Diagnoses”, ihre Häufigkeit steigt vor allem durch verbesserte Überwachung und Detektionsmethoden.

Ein Indiz dafür, dass das nicht völlig abwegig ist, bietet auch die vor ein paar Jahren entdeckte Seuche MERS in Saudi-Arabien. Die nämlich scheint weitaus häufiger zu sein als gedacht und entsprechend wohl auch schon vor ihrer Entdeckung verbreitet. Die Gesundheitsbehörden hatten diese Krankheit vermutlich übersehen, weil die meisten Fälle zu leicht sind um aufzufallen (es gibt allerdings auch Interpretationen, die nicht ganz so freundlich zu den saudischen Gesundheitsbehörden sind).

Auf jeden Fall sollte man das Thema im Blick behalten, denn es hat potenzielle Auswirkungen auf die Frage, wie man zukünftigen Epidemien am besten begegnet. Bisher war der Fokus quasi definitionsgemäß auf Emerging Diseases – frisch vom Tier übergesprungene Krankheiten oder solche, die sich aus einem sehr kleinen Verbreitungsgebiet plötzlich recht schnell ausbreiten. Das muss aber nicht zwangsläufig so sein.

Wir kennen nur einen kleinen Teil der Virenvielfalt beim Menschen. Zum Beispiel machen wir nicht gleich eine Genanalyse eines Erregers, wenn uns eine Erkältung zwei, drei Tage mit Fieber ins Bett schickt. Zugleich geht etwa ein Fünftel der Erkältungen auf Coronaviren zurück, und die kennen wir durchaus als potenzielle Gefährder. Siehe SARS. Unglücklicherweise wissen wir recht wenig darüber, was genau den Unterschied zwischen einer Erkältung und einer tödlichen Epidemie wie SARS macht. Wir gehen normalerweise davon aus, dass so ein Virus schon eine deutliche Veränderung im Erbgut bräuchte, um von einem zum anderen zu kommen.

Wo war das Pandemie-Gen?

Aber muss das so sein? Bei Ebola war es im Grunde genau andersherum: Man kannte den Erreger bisher als sehr tödliches Virus, das aber (abgesehen von einem Fall, den man durchaus als ernste Warnung hätte betrachten können) nur sehr begrenzte Ausbrüche auslöste. Ziemlich unschön, aber eigentlich kalkulierbar – und deswegen hat sich auch lange Zeit niemand wirkliche Sorgen um den Ausbruch in Westafrika gemacht. Weshalb sich der Erreger diesmal so anders verhalten hat, ist nicht klar. Irgendwelche entscheidenden genetischen Veränderungen, die man bei einer Epidemie durch einen bisher nicht zu Epidemien fähigen Erreger erwarten würde, sieht man bei Ebola nicht.

Nebenbei wirft Ebola damit auch ein etwas neues Licht auf die große Kontroverse in der Seuchenforschung, und zwar die so genannten Gain-of-Function-Experimente. Um die gab es ja ein großes Bohei, als die Arbeitsgruppen der Herren Fouchier und Kawaoka gefährliche Vogelgrippeviren gezielt zwischen Säugetieren übertragbar machten.

Killerviren aus dem Labor machen viele Menschen natürlich nervös, aber die Rationale damals war eben unter anderem, dass solche Veränderungen im Erbgut aus einer unauffälligen, vielleicht lokal verbreiteten Krankheit eine hochgefährliche Epidemie machen. Das scheint bei Ebola aber gerade nicht passiert zu sein. Im Moment sieht es tatsächlich so aus, als wenn es im Grunde Pech gewesen wäre. Die höhere Bevölkerungsdichte damit zu tun, und ganz sicher die schlechte Situation der betroffenen Gesundheitssysteme.

Auf jeden Fall ist da nichts wirklich Neues im Spiel. Es entstand keine neue Variante des Virus, und wie das eingangs zitierte Paper zeigt, ist Ebola auch nicht neu in der Region. Wir wissen über Krankheitserreger nach wie vor viele wichtige Dinge nicht und sind uns dessen nicht einmal bewusst. Herauszufinden, was wir alles nicht wissen, ist nach wie vor das wichtigste Ziel der Seuchenforschung. Es sind diese – danke Donald Rumsfeld – unknown unknowns, hinter denen sich die größten Gefahren verbergen.

3 Kommentare

  1. “es wäre sicher nicht schlecht gewesen, wenn man das schon Mitte 2014 gewusst hätte.”

    Offensichtlich hat ‘man’ hat es doch gewusst, für andere ‘man’ war es einfach das unbekannte Bekannte.

    • Ja, das ist allgemein die spannende Frage: Wie kommen solche Informationen zum richtigen Zeitpunkt an die Leute, die sie brauchen, statt in der allgemeinen Paperflut unterzugehen?

  2. Pingback:Markierungen 01/14/2016 - Snippets

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