Die Glas-Eier der Urzeitkrebse

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Einige Wassertiere legen Eier, die dank eines chemischen Tricks im ausgetrockneten Zustand lange Zeit überleben können. Wie das im Detail funktioniert ist allerdings erst zum Teil bekannt.

ResearchBlogging.orgDie in Deutschland unter der Bezeichnung Urzeitkrebse bekannten Kiemenfüßer der Gattung Triops tragen diesen Namen zu Recht. Sie sind bereits aus der Obertrias vor 220 Millionen Jahren bekannt und gelten als die älteste bekannte Tierart überhaupt. Zu dieser Zeit begann der Superkontinent Pangäa zu zerfallen, und es ist nicht ganz abwegig zu vermuten, dass die Vorfahren dieser Wesen schon in den ersten Pfützen des entstehenden Proto-Atlantiks planschten.

Ihre evolutionäre Langlebigkeit dürfte unter anderem damit zu tun haben, dass sie in der Lage sind, Dauerformen auszubilden und so harte Zeiten zu überstehen. Ihre Eier können vollständig austrocknen und noch nach Jahren im Kontakt mit Wasser wieder zum Leben zurückkehren. Diese Stabilität verdanken sie einem chemischen Trick: Unter der festen Hülle lagern die Embryonen in kleinen harten Glaskugeln.

Natürlich ist es kein Fensterglas, sondern ein biologisches Glas, das kürzlich Stuttgarter Biologen in den gelb-braunen, oft eingedellten Kügelchen nachgewiesen haben. Die Eier sind so widerstandsfähig, dass sie vermischt mit Sand in Plastiktüten vertrieben werden und – im Fall der ähnlichen Art Artemia – in Tütchen dem Magazin Yps beilagen. Ihr dürft jetzt eine Träne der Nostalgie verdrücken.

Wasser
Der Mechanismus, der den Eiern samt der enthaltenen Embryonen diese Widerstandkraft verleiht, ist ganz bemerkenswert. Zuerst einmal trocknen die Eier aus, denn so lange biologisches Material feucht ist, können Pilze und Bakterien eindringen und sich der energiereichen Biomoleküle bemächtigen. Die Trockenheit behindert jedoch nicht nur Fressfeinde, sie ist auch ein großes Problem für die Eier selbst. Ihre Zellen bestehen zu etwa vier Fünfteln aus Wasser, das während der normalen Entwicklung als Lösungsmittel fungiert, in dem die chemischen Reaktionen des Lebens ablaufen. Zusätzlich hat es allerdings auch eine Reihe wichtiger struktureller Funktionen. Es verleiht den Zellbestandteilen Volumen, trennt die Bestandteile voneinander und hält vor allem die Strukturen von Proteinen und Membranen stabil.

Insbesondere die Struktur von Proteinen basiert ganz entscheidend auf der Anwesenheit von Wasser, beziehungsweise dem hydrophoben Effekt. Teile des Proteins werden von Wasser abgestoßen, sie sammeln sich im Inneren des Moleküls, während an seiner Außenseite die Wasserliebenden Gruppen zu liegen kommen. Verschwindet das Wasser, zum Beispiel durch Verdampfung im Vakuum, verlieren die Proteine ihre Struktur. Der Aufbau der Membranen, die Außenhülle, Kern und Organellen der Zelle bilden, hängt ebenfalls davon ab, dass sich unpolare Gruppen in ihrem Inneren sammeln, und dazu brauchen sie das polare, wässrige Umgebungsmilieu.

Ohne Wasser also reißen Membranen, denaturieren Proteine und die gesamte Struktur bricht zusammen. In dem als Anhydrobiose bezeichneten Dauerzustand passiert das jedoch nicht, und tatsächlich beherrschen verschiedene Organismen, darunter auch Nematoden und die berüchtigten Bärtierchen, diese Form der Trockenstarre. Sie ersetzen dazu das Wasser durch einen Stoff, die all diese Funktionen erfüllt, gleichzeitig aber so stabil ist, dass sie den mechanischen Zerfall der Zellstrukturen, die unter diesen Bedingungen ja nicht aktiv gewartet oder repariert werden können, verhindert. Dieser Stoff ist biologisches Glas.

Glas
Gläser sind Festkörper, die gewisse Eigenschaften von Flüssigkeiten haben. Vor allem bilden sie keine Kristalle, weswegen Fensterglas auch durchsichtig ist. Für die Zelle ist das der entscheidende Punkt, denn wachsende Kristalle nehmen ihre Form ohne Rücksicht auf biologische Strukturen ein und zerreißen Membranen und Organellen – auch der Grund weshalb Lebewesen beim normalen Einfrieren sterben[1] und gefrorene Früchte matschig werden. Das reicht allerdings noch nicht aus. Um die Funktion des Wassers in der Zelle zu ersetzen, muss das Glas aus Substanzen bestehen, die den chemischen Eigenschaften des Wassers ähnlich sind. Das betrifft vor allem seine Polarität und sein Netzwerk aus Wasserstoffbrücken, mit dem es die Struktur von Proteinen und Membranen stabilisiert.

Beim Yps-Urzeitkrebs Artemia, dessen Anhydrobiose gut erforscht ist, übernimmt deswegen der Zucker Trehalose diese Aufgabe. Zucker bestehen aus Kohlenstoffringen, die mit Hydroxygruppen besetzt sind, quasi halben Wassermolekülen. Sie sind deswegen polar, was sich in ihrer Wasserlöslichkeit äußert, und können lokal ähnliche Wasserstoffbrücken bilden wie Wasser selbst. Außerdem weigern sich viele Zucker extrem hartnäckig zu kristallisieren – die Tischkanten von Zuckerchemikern erkennt man deswegen an den Bissspuren, für die Urzeitkrebse erweist sich das jedoch als vorteilhaft.

Ganz so einfach ist es natürlich nicht – eine ganze Reihe anderer Faktoren und Moleküle haben ihre Rollen zu spielen, damit Anhydrobiose funktioniert. In anderen Studien tauchten spezielle kleine Proteine auf, die Biomoleküle synergistisch mit Trehalose stabilisieren und darauf hindeuten, dass der Zucker allein nicht ausreicht.

Triops
Hengherr und Kollegen haben deswegen jetzt bei drei Triops-Arten und – zum Vergleich – dem Wasserfloh Daphnia nach einer ähnlichen glasigen Matrix mit viel Trehalose gesucht. Ob in den winzigen Eiern nun Glas oder irgendetwas anderes ist, kann man allerdings nicht direkt sehen. Stattdessen nutzen die Forscher die Dynamische Differenkalorimetrie, mit der man bestimmen kann, welche Wärmemengen ein Material aufnimmt oder abgibt. In diesem Verfahren zeichnen sich zum Beispiel Phasenübergänge als Stufen in einer Kurve deutlich ab. Gläser haben ebenfalls so einen Übergang, an dem das Material von einer elastischen und viskosen Masse in den eigentlichen glasigen Festkörper übergeht. Im Grunde ist das so etwas wie ein Gefrierpunkt, mit dem Unterschied dass das Material auf beiden Seiten dieses Überganges im physikalischen Sinne flüssig ist.

Bei den Eiern von Triops tritt dieser Glasübergang auf, bei Daphnia nicht, und Triops-Eier sind entsprechend lagerfähiger. Der Glasübergang hat für Triops allerdings außerdem eine ganz konkrete Bedeutung. Unterhalb dieser Temperatur fällt die überlebensrate der Eier mit steigender Temperatur langsam ab, bis auf etwa 40 Prozent. Überschreiten die Eier die Glastemperatur von etwa 70 bis 80 Grad, schlüpfen anschließend nur noch aus wenigen Prozent der Eier lebende Krebse. Das zeigt einerseits, dass der Glaszustand für die Lagerfähigkeit der Eier von großer Bedeutung ist, zum anderen demonstriert es aber auch dass es nicht allein die Stabilisierung durch Wasserstoffbrücken die Eier lebensfähig hält – offenbar ist die mechanische Stabilität des Glases als Faktor unverzichtbar.

Trehalose
Der zweite Befund allerdings ist zumindest ein wenig überraschend, denn die untersuchten Triops-Arten enthalten mit 0,5% der Trockenmasse sehr wenig Trehalose. In anderen Krebsen oder Nematoden, die Anhydrobiose betreiben, bestehen zehn bis zwanzig Prozent der Trockenmasse in ruhenden Eiern aus diesem Zucker, bei Triops liegt der Gehalt mindestens eine Größenordnung niedriger.

Das heißt allerdings nicht, dass der Zucker und die von ihm vermittelten Wasserstoffbrücken keine Rolle spielen – die beteiligten Forscher halten eine Rolle der Trehalose sogar für wahrscheinlich, wohl in Form einer gemeinsamen Wirkung mit kleinen Proteinen. Sicher ist damit allerdings, dass der Zucker nicht der Hauptbestandteil des Glases ist, und dass mit hoher Wahrscheinlichkeit ein anderer Bestandteil bei Triops die Funktion übernimmt, die Trehalose beim Yps-Urzeitkrebs Artemia ausfüllt.

Hengherr, S., Heyer, A., Brümmer, F., & Schill, R. (2011). Trehalose and Vitreous States: Desiccation Tolerance of Dormant Stages of the Crustaceans Physiological and Biochemical Zoology, 84 (2), 147-153 DOI: 10.1086/658499

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[1] Beim schockgefrieren in flüssigem Stickstoff bleiben die Kristalle klein genug, dass das nicht passiert, so dass man Spermien oder Bakterien auf diese Weise einfrieren kann, aber die meisten Organismen haben keinen Zugriff auf flüssigen Stickstoff und müssen mit anderen Methoden Vorlieb nehmen.

9 Kommentare

  1. Wow, dass es wirklich etwas Glas-artiges ist, was die Trehalose da macht, das ist erstaunlich! Im Paper wird auch wirklich explizit von „glass formation“ gesprochen, damit ist das nicht nur eine Analogie … Als Frostschutzmittel sind freie Zucker und Aminosäuren etwa bei Pflanzen auch beliebt, aber in der Anhydrobiose wird das ja echt auf die Spitze getrieben.

    Gläser sind Festkörper, die gewisse Eigenschaften von Flüssigkeiten haben. Vor allem bilden sie keine Kristalle, weswegen Fensterglas auch durchsichtig ist.

    Das verstehe ich jetzt nicht ganz, aber um Missverständnisse auszuräumen, verweise ich mal auf das folgende YouTube-Video: Warum Glas transparent ist, beantwortet Phil Moriarty von Sixty Symbols.

  2. Kristalle

    Die meisten nichtmetallischen Kristalle, wie zum Beispiel von Kochsalz, Bergkristall, oder Rübenzucker, sind durchsichtig.

    Pulverisiertes Glas ist genau so wie Staubzucker weiss und undurchsichtig, das liegt an der Lichtbrechung durch die vielen Material-Luft-Grenzflächen.

  3. Der entscheidende Punkt

    sind die Grenzflächen. Wenn du versuchst, nen echten silikatischen Festkörper als Fensterglas zu verwenden wird er milchig, wegen der Grenzflächen der Kristallite.

  4. Fensterglas

    Man könnte natürlich einkristallinen Quarz als Fensterscheibe züchten, aber das dürfte prozesstechnisch eher aufwendig werden…

    Tatsächlich gibt es in der Technik einkristalline Fensterscheiben aus Kaliumbromid für Hochtemperatureinsätze, ist aber eher nix für Häuslebauer. Schon weil die sich bei Regen auflösen würden.

  5. Neben Trehalose kommen auch andere Zucker und Zuckeralkohole in Organismen vor, die besonders resistent gegenüber extremen Umweltbedingungen sind. Kein Wunder also, dass genau dieselben Stoffe in der Biomedizin etwa für die Kryokonservierung genutzt werden. Spannend ist hier das Thema, wie man solche Verbindungen in die Zellen hineinbekommt ohne sie großartig zu schädigen. Da gibt es zwar schein einige Methoden (Mikroinjektion, porenformende Proteine, gesteuerte Endozytose, etc.), doch diese sind immer nur zelltypspezifisch und nicht universell anwendbar. Hilfe kann da etwa ein Methode leisten, die “regulatory volume decrease” (kurz RVD) genannt wird und deren genauer Mechanismus vor einigen Jahre erst aufgeklärt wurde. Man hat nämlich beobachtet, dass bestimmte Zellen, wenn man sie in einem hypotonem Medium inkubiert, eine Volumenregulation betreiben und dabei spezifische Ionenkanäle aktivieren. Über diese können die Substanzen, wie beispielsweise monomere Zucker, in die Zelle aufgenommen werden. Das gute daran ist, dass die Zellen weder in ihrer Vitalität noch in ihrer Proliferationsfähigkeit beeinflusst werden.

  6. ich kann mich noch sehr gut an das yps heft erinnern. bei mir haben die dinger sogar mehrere monate gehalten und wurden richtig “gross”.

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