Das Netz verändert die Wissenschaft

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Viel wurde darüber geschrieben und geredet, wie das Internet und speziell Wissenschaftsblogs die Wissenschaft grundlegend verändern werden. Tatsächlich war der Einfluss des Netzes bisher lediglich graduell, durch bessere Vernetzung und besseren Zugang zu Daten. Einen echten game-changer dagegen hat das Netz nicht hervorgebracht: Speziell die experimentelle Wissenschaft funktioniert nach wie vor so wie das aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewohnt sind, nur eben mit e-Mail.

Ein aktuelles Beispiel zeigt allerdings, dass das nicht so bleiben muss. Im Blog Totally Synthetic des Chemikers Paul Docherty hat sich ein Kommentator über dieses merkwürdige Paper mit dem Titel "Oxidation of Secondary Alcohols by Sodium Hydride" mokiert. Das ist schon auf den ersten Blick eine ausgesprochen dubiose Behauptung. Natriumhydrid ist ein starkes Reduktionsmittel. Auch bei genauerer Betrachtung scheint die Publikation eherfragwürdig zu sein, und so entwickelte sich eine rege Diskussion über seltsame Reaktionsgleichungen und andere unglaubwürdige Ergebnisse.

Bis es Paul Docherty zu bunt wurde und er einfach mal versuchte, das Ergebnis der chinesischen Autoren zu reproduzieren. Das komplette Experiment protokollierte er live in seinem Blog mit, man kann den kompletten Vorgang samt anschließender Analytik bei ihm nachlesen. Das Ergebnis: Die Chinesen haben wohl unsauber gearbeitet, und statt ihr Resultat kritisch zu überprüfen einfach auf Teufel komm raus publiziert.

Jedenfalls hat Dochertys Experiment einige der Aussagen im Paper als falsch entlarvt. Das Natriumhydrid zum Beispiel reagiert komplett ab, wie sich das mit einem Alkohol gehört. Am wahrscheinlichsten ist wohl, dass eine Verunreinigung wie Luftsauerstoff das ungewöhnliche Ergebnis verursacht hat.

Das ist – chemisch gesehen – keine Überraschung. Viel interessanter ist der Vorgang selbst, denn diese öffentliche Überprüfung ausgewählter Forschungsergebnisse hat das Potential, eine ausgesprochen ärgerliche Lücke zu schließen. Eine aktuelle Untersuchung bestätigt die Erfahrungen aus der eigenen wissenschaftlichen Arbeit: Ein beträchtlicher Teil aller wissenschaftlicher Veröffentlichungenerweist sich im Laufe der Zeit als falsch oder revisionsbedürftig.

Das liegt schon in der Natur von Wissenschaft, es hat allerdings den großen Nachteil, dass die Änderungen nur schwer nachzuvollziehen sind. Sie vollziehen sich nämlich schleichend auf den Seiten der Fachjournale, die man als Außenstehender nur sehr lückenhaft mitbekommt. Dadurch findet dieser Aspekt, der Wissenschaft im eigentlichen Sinne ja erst ausmacht, praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Bei Paul Docherty dagegen konnte man diesen Vorgang live verfolgen. Man kann nur hoffen dass das Beispiel Schule macht.

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