Chemie-Nobelpreis 2009: das Ribosom

BLOG: Fischblog

Wissenschaft für alle
Fischblog

Nun geht also auch der Chemie-Nobelpreis an ein molekularbiologisches Thema, und erstaunlicherweise gibt es erhebliche Parallelen zum Medizin-Preis. Beide haben den Informationsfluss vom Erbgut zu den Proteinen zum Thema, der im Zentrum der Molekularbiologie steht. In beiden Fällen geht es um Moleküle, die genetische Information von Nukleinsäuren auslesen und als Bauplan für ein anderes Molekül verwenden: Die Telomerase ist nichts anderes als eine spezialisierte DNA-Polymerase, die einen Nukleinsäurestrang (RNA) als Matrize für die Produktion eines zweiten Stranges (DNA) benutzt.

Das nun prämierte Ribosom erfüllt seine Funktion an anderer Stelle des Informationsflusses auf sehr ähnliche Weise. Es übersetzt die Sequenz der Nukleinsäure RNA in eine Abfolge von Aminosäuren eines Proteins. die Aufklärung des genauen Mechanismus ist eine wissenschaftliche Glanzleistung allerersten Ranges, die viele Forscher lange Zeit für unmöglich hielten.

Das Ribosom ist, anders als die Polymerasen, kein reines Proteinkonstrukt, sondern ein seltsamer Hybrid aus Proteinen und mehreren Nukleinsäuresträngen. Diese Bestandteile bilden zwei verschieden große Untereinheiten, die in der Zelle normalerweise getrennt vorliegen. Eine in der Zelle herumschwirrende mRNA (quasi eine Abschrift eines Gens) dockt zuerst an die kleine Untereinheit an, indem  sich ein bestimmter, immer gleicher Teil der mRNA an die komplementäre Sequenz der ribosomalen RNA heftet. An diesen Komplex lagert sich wiederum eine Transfer-RNA (tRNA) an, die an einem Ende eine Erkennungssequenz trägt und am anderen Ende mit einer Aminosäure verknüpft ist. Erst dann kommt die große Untereinheit hinzu und komplettiert das Ribosom.

Es gibt etwa zwei Dutzend verschiedene Transfer-RNAs, die jeweils eine andere Aminosäure tragen und am anderen Ende eine für diese Aminosäure spezifische Codesequenz aus drei Basen besitzen. Dieses Codon kann mittels Watson-Crick-Basenpaarung an eine komplementäre Basensequenz in der mRNA andocken. Die Transfer-RNAs werden so eine nach der anderen durch das Ribosom geschleust und fügen ihre Aminosäuren an die wachsende Proteinkette an, die wird im Ribosom von tRNA zu tRNA weitergereicht und mit jedem Schritt um eine Aminosäure länger wird. Der Vorgang gehört zu den komplizierteren Mechanismen der Molekularbiologie. Wer es genau wissen will, sei an ein Lehrbuch verwiesen oder an die Darstellung des Nobelkomitee (pdf):

Quelle: Nobelprize.org / Nobel Foundation

Noch Fragen? 😉

Der Aufklärung des genauen Mechanismus standen zu Beginn der 80er Jahre enorme Schwierigkeiten im Weg.  Das begann schon mit der räumlichen Struktur der beteiligten Moleküle. Um ein Molekül in der nötigen Auflösung zu “sehen”, braucht man Kristalle von ihm. Einen solchen Kristall kann man mit Röntgenstrahlen durchleuchten und erhält ein Muster, das zustande kommt, weil in der regelmäßigen Anordnung des Kristalls die Atome vieler Moleküle gemeinsame Schichten bilden und so die Röntgenstrahlung beugen. Ada Yonath gelang es 1980 erstmals, brauchbare Kristalle der großen Untereinheit herzustellen und ein Beugungsbild zu erzeugen.

Damit fing der Ärger aber erst an. Bei einfachen Stoffen mit einer Handvoll Atome ist so ein Beugungsbild leicht zu interpretieren, doch komplex gefaltete Moleküle mit zigtausenden Atomen erfordern großen Aufwand. Die damaligen Beugungsbilder erreichten nicht die nötige Auflösung, um die Struktur atomgenau darzustellen. Erst in den Jahren danach gelang es Yonath, mit immer ausgefeilteren Methoden, die Bildqualität soweit zu verbessern, dass prinzipiell die Auflösung einzelner Atome in Reichweite war. Allerdings sind Beugungsmuster nicht eindeutig, eine Schwierigkeit, die man als das Phasenproblem bezeichnet.
Das Phasenproblem gelöst zu haben ist die zentrale Leistung von Thomas Steitz, der so lange die Informationen aus verschiedenen Messmethoden kombinierte, bis er aus den gesammelten Daten der großen Untereinheit die typische Elektronendichte einer Alpha-Helix rekonstruieren konnte. Dieses sehr typische Strukturmotiv demonstrierte, dass man durch geschickte Kombination verschiedener Verfahren die große Untereinheit tatsächlich prinzipiell atomgenau auflösen kann. Im gleichen Jahr, 1999, publizierte Ramakrishnan die Struktur der kleinen Untereinheit mit einer Auflösung von 5,5 Angström. Im Jahr 2000 präsentierten die drei Preisträger dann das komplette Ribosom mit einer Auflösung von 3 Angström, etwa das Dreifache eines Atomdurchmessers.

Ein weiterer Punkt ist die Frage nach der Genauigkeit, mit der die mRNA durch das Ribosom ausgelesen wird. Das ist das Fachgebiet von Ramakrishnan, der im Detail den Kontakt der tRNA-Codesequenz mit der RNA-Matrize untersucht hat. Es stellte sich heraus, dass die klassische Basenpaarung nicht allein für die Erkennung zuständig ist, sondern das Ribosom selbst eine strenge Kontrolle ausübt, und zwar durch eine veränderte Konformation der kleinen Untereinheit, die durch die Bindung der tRNA erzwungen wird. Für diesen Mechanismus sind spezielle Basen in der ribosomalen RNA zuständig, die in den Ribosomen nahezu aller Lebewesen identisch sind. Diese Kontrolle ist quasi die eigentliche Funktion des Ribosoms.

Die Entschlüsselung der Struktur hatte weitreichende Folgen. Quasi als Nebenaspekt liefert die genaue Erforschung des Ribosoms neue Ansatzpunkte für Antibiotika: Etwa die Hälfte aller antibakteriellen Medikamente beeinflussen das Ribosom. Die Arbeiten der Preisträger haben aber nicht nur unser Wissen über die Zelle enorm erweitert, sondern auch die Sicht auf das Leben selbst verändert. In den hochaufgelösten Abbildungen erkannte man, dass das katalytisch aktive Zentrum, an dem die Peptidbindungen des neuen Proteins geknüpft werden, kein klassisches Enzym darstellt – es gibt dort in der Nähe nur RNA. Das deutete darauf hin, dass das Ribosom ein Ribozym ist, eine katalytisch aktive Nukleinsäure. Eine biochemische Anomalie, und das bei einer der wichtigsten Reaktionen überhaupt.

Es ist diese erstaunliche Entdeckung, die dazu führte, dass die RNA-Welt-Hypothese lange Zeit die Debatte um die Entstehung des Lebens dominiert hat. Interessant ist auch der Katalysemechanismus selbst. Bei der näheren Untersuchung stellten Forscher fest, dass das Ribosom die Aktivierungsenergie der Reaktion nicht verringert, sondern erhöht – das genaue Gegenteil eines normalen Katalysators. Ironischerweise hat man hier wiederum feststellen müssen, dass das Ribosom eben doch kein reines Ribozym ist, und der ganze Vorgang wesentlich komplizierter als gedacht. Und was ich von der RNA-Welt halte wisst ihr ja.

2 Kommentare

Schreibe einen Kommentar