Vom (Mis-)Marketing der Wissenschaft II – Beispiel Philosophie

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Das Philosophie-Special, das gerade in der Zeitschrift Spektrum der Wissenschaft läuft, könnte eine gute Möglichkeit sein, in der leider oft zur Kämmerlein-Wissenschaft degradierten Philosophie mal ordentlich Großreine zu machen. Dazu müsste das Ziel sein, philosophische Inhalte einigermaßen zugänglich und verständlich darzustellen. Im Interview mit Julian-Nida-Rümelin in der März 2011-Ausgabe bemühte sich der Autor Reinhard Breuer, allgemein verständliche Fragen zu stellen wie „Wie ist die Rolle der Philosophie in der Zukunft?“ oder „Was sind die wichtigsten Fragen der Philosophie heute?“. Breuer hätte genauso gut fragen können „Wie beurteilen Sie das epistemologische Problem der Zugänglichkeit von Qualia?“. Welcher (womöglich durchaus interessierte und neugierige) Nicht-Philosoph hätte da das Heft nicht, in einem Zustand von pikiert bis schockiert schnell beiseite gelegt?

 

Wissenschaft und Journalismus – eine heikle Ehe

Primär ist es die Aufgabe der Wissenschaftsjournalisten, komplexe Inhalte verständlich zu formulieren. Sollte dies aber nicht auch das Ziel von Wissenschaft (im eigenen Interesse) sein, die sich außerhalb ihres fachlichen Rahmens präsentiert? Damit sind wir wieder bei der Ausgangsfrage: wie wissenschaftlich sollte Wissenschaft in den Medien sein? (Siehe (Mis)-Marketing I)

Grundsätzlich bestimmt natürlich die Art des Mediums das Niveau. Dabei gibt es einen Unterschied zwischen: „komplexer Inhalt einfach dargestellt“ und „komplexer Inhalt komplizierter als nötig dargestellt“. Erfahrungsgemäß neigen viele Fachleute zu Variante 2. Sie scheinen Gefangene ihres Metiers zu sein, die aus wissenschaftlichem Ehrgeiz oder persönlichem Perfektionismus ihr Fachgebiet nicht mal zum Wohle der Verständlichkeit konkretisieren können. Schade um den Inhalt!

 

Schöne Wörter allein machen den Inhalt auch nicht fett

Die Philosophie ist für solche Kompliziertheiten besonders anfällig, da sie oft mit Abstrakta hantiert. Deshalb ist auch ihr Bild in der Öffentlichkeit zuweilen bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Man denke nur an das beliebt missbrauchte Wort „philosophieren“ und seine eigentliche Bedeutung.

Ein Image baut sich freilich nicht von selbst ab oder auf. Dazu müssen die Vertreter entsprechende Werbung betreiben oder Gegenbeweise starten.

Auf die Frage, welche Rolle die Philosophie in der Zukunft haben kann, antwortet Nida-Rümelin mit Hegelianismus und Phänomenologie und erklärt dabei nicht annähernd, was gemeint ist. Dabei wäre es durchaus kein Hexenwerk, den Unterschied zwischen Praktischer und Analytischer Philosophie verständlich zu erklären und ein paar mögliche Anwendungsbeispiele zu nennen. Praktische Philosophie findet zum Beispiel überall dort statt, wo es um Fragen geht, die das richtige Leben im Hinblick auf ein bestimmtes Ziel betreffen. Das kann den Umgang mit Atomenergie, PID oder die Erderwärmung betreffen. Philosophie klinkt sich immer dort ein, wo es Probleme gibt und zeigt zunächst mehrere Aspekte auf, die es zu bedenken gilt.

Rümelin sagt lieber „die Philosophie kann einen Beitrag leisten zur Handlungs- und Weltorientierung“ leisten. Der renommierte Philosoph benutzt einige dieser positiv konnotierten Wörter wie „Orientierung“, „Qualitäts-“ und „Integrationswissenschaft“. Damit verschanzt er sich endgültig im Elfenbeinturm; allein mit wohlklingenden Worthülsen ist noch nicht viel gesagt – obschon bei Rümelin natürlich klar ist, dass mehr dahinter steckt.

 

Einfach ist einfach einfacher

Zugegeben, wenn’s konkret wird, tut sich die Philosophie (wie vermutlich einige andere Fachgebiete) oft schwer. Als Uni-Professor und international anerkannter Philosoph gilt es sicherlich zumal ein gewisses standing zu wahren. Die Inhalte der Spektrum Verlagsgesellschaft sind außerdem – wie bereits erwähnt – nicht vergleichbar mit der Sendung Mit der Maus, in der es darum geht, Sachverhalte auf ein Grundgerüst an Fakten herunter zu brechen.

Und dennoch plädiere ich für die Entkryptisierung von Wissenschaft zum Wohle aller Beteiligten – zumindest wenn es darum geht, zu zeigen, was der eigene Fachbereich zu bieten hat. Mag es auch so klingen, dies ist ausdrücklich kein Plädoyer für Populärwissenschaft Ausrufezeichen – wenngleich der Grat zwischen einfach und populär oft nur sehr schmal ist.

Meinen Beobachtungen zufolge haben viele Wissenschaftler eine unerklärbare Allergie gegen das Wörtchen „einfach“. Möglicherweise weil es mit „unvollständig“ oder gar „falsch“ assoziiert wird. Information einfach zu vermitteln bedeutet jedoch keineswegs, die wissenschaftliche Wahrheit falsch zu zeichnen. Denken wir an die Brennweite zurück: das Motiv bleibt dasselbe, egal ob die Brennweite länger oder kürzer ist. (Siehe (Mis)Marketing I)

 

Das Produkt Philosophie

Der Philosophie scheint es leider allzu oft an gesundem Selbstmarketing zu mangeln. Rümelin zählt dabei vermutlich noch zu den gemäßigten Philosophen, die zwischendrin durchaus den Schreibtisch verlassen und die Weltgeschehnisse im Blick zu behalten versuchen.

Bestimmt könnte die oft dröge daher schleichende Philosophie dennoch schmackhafter gemacht werden. Dazu bedarf es meines Erachtens nicht einmal einer ausgeklügelten Strategie. Ein löblicher Anfang wäre schon, die Dinge beim Namen zu nennen und sie nicht in pompösen Begriffswolken verschwimmen zu lassen. Das Produkt Philosophie ist ein gigantisches, es spricht für sich und bedarf daher keiner künstlichen Überzeugungskraft. Dafür sprechen auch die meisten Beiträge des Philosophie-Specials. Daher ist es völlig unnötig, die elegante Wissenschaft in graue Stoffe zu einzupacken. Wer würde schon zu Waschpulver greifen, das braun ist, oder Duschgel benutzen, das nach Hundekot riecht?

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Bachelor-Studium "Philosophie, Neurowissenschaften und Kognition" in Magdeburg. Master-Studium "Philosophie" und "Ethik der Textkulturen" in Erlangen. Freie Kultur- und Wissenschaftsjournalistin: Hörfunk, Print, Online. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Abteilung Philosophie, Fachbereich Medienethik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg.

38 Kommentare

  1. Philosophen denken mit Philosophen

    Was für mich den Philosophen von anderen Wissenschaftlern abhebt, ist die starke Beschäftigung mit dem, was andere Philosophen schon gedacht haben – das gilt mindestens für den Ausschnitt der Philosophie, den ich bisher kennengelernt habe.

    Typische Fragestellungen – wie beispielsweise die Frage nach dem Freien Willen oder danach was Realität ist – sind schon x-Mal von x Philosophen behandelt worden.
    Und werden nun von dem Philosophen, dessen eigene Darstellung ich gerade studiere, wieder neu beantwortet, was er aber nur verantworten kann, wenn er alle schon gegebenen Antworten in seine Überlegungen miteinbezieht. Ich erlebe das ambivalent. Einerseits bereichert mich dieser Gang durch die ganze Philosophiegeschichte, andererseits befremdet es mich hin und wieder, wenn die früher gegebenen Antworten im Lichte der neuen Betrachtungsweise beinahe als abwegig erscheinen.
    Nicht selten habe ich den Eindruck mitgenommen, ein Philosoph beschäftige sich vor allem mit den Denkfehlern der Vorgänger.

    Die wenigen philosophischen Texte, die ich bisher las, litten zum Glück nicht an Kryptisierung, eher an fast zu grosser Abgeschlossenheit/Abgerundetheit. Doch das ist wohl nur der Eindruck eines Laien, der noch nicht in der Lage ist, die Schwachpunkte der Argumentation des Autors auf Anhieb zu erkennen, da er zu wenig bewandert ist.
    Aus dem Elfenbeinturm der kontrollierten Umgebung eines selbstfabrizierten Textes herauszukommen und sich beispielsweise in einem Interview zu bewähren, scheint mir für Philosophen besonders schwierig. Denn im Interview – mehr noch als im Gespräch – drohen Ungenauigkeiten, was dann eben den Rückzug und Rückgriff auf Worthülsen begünstigt. Nehmen wird das Interview mit Nida-Rümelin im Spektrum der Wissenschaft vom März 2011. Dort werden sehr viele Fragen angesprochen, weil es aber ein Interview ist, wird kaum etwas vertieft und reflektiert, sondern dem Leser einfach an den Kopf geworfen. So toll tönen dann gewisse Aussagen nicht mehr, wenn man sie genau durchliest. So antwortet Nida-Rümelin im Zusammenhang mit dem Buch “Das geistige Auge – Von der Macht der Vorstellungskraft” auf die Frage Was hat sie daran interessiert? mit: Ich habe argumentiert, dass Bedeutungen ohne Absichten und Intentionen nicht verständlich sind. Dieser eine Satz und dann die nächste nicht damit zusammenhängende Frage. Doch was bedeutet der Satz und inwieweit sind Absichten und Intentionen etwas verschiedenes? Was ist überhaupt die Funktion einer solchen Einsatz-Antwort in einem Interview? Ein Interview ist für einen Philosophen mit Sicherheit eine schwierige Disziplin und selbst eine “einfache” Darstellung hat ihre Tücken, vor allem wenn der Philosoph/Autor es zulässt, dass der Leser die verwendeten Begriffe nach eigenem Gusto interpretiert.

  2. Danke,

    Für die implizite Klarstellung nämlich, daß Philosophie kein Selbstzweck ist. Wer sie den Nichtphilosophen nicht nahebringen kann, hat im Grunde schon den Bezug zur eigentlichen Quelle der Philosophie verloren.

  3. Danke!

    Vielen Dank für diesen Artikel. Als Physiker habe ich schon lange das Gefühl, ein Großteil der Philosophen mache das Verstehen komplizierter als nötig. Freut mich, dass auch Philosophen das Unbehagen teilen.

    Eine Frage habe ich aber: Was ist so schlimm an Populärwissenschaft, dass man um Himmelswillen nur einfach aber nicht populär schreiben dürfe? Was ist denn der schmale Grad? In meinem Sprachgebrauch ist Populärwissenschaft einfach die Beschreibung von Wissenschaft “so einfach wie es geht, aber nicht einfacher”.

  4. Wo ist der Schock?

    Ich kann an der Frage Breuers zur Zukunft und Gegenwart der Philosophie nichts Schockierendes erkennen; im Gegenteil, von einem renommierten Philosoph würde ich in einem Interview über die Rolle der Philosophie sogar eine Antwort auf diese Frage erwarten.

    Philosophie klinkt sich immer dort ein, wo es Probleme gibt und zeigt zunächst mehrere Aspekte auf, die es zu bedenken gilt.

    Na ja, manche Probleme werden ja erst durch philosophisches Nachdenken gefunden; und wenn sie sich dann empirisch untersuchen lassen, dann spaltet sich dieser Zweig schnell von der Philosophie ab.

    Umgekehrt dürfte es sehr viele wissenschaftliche Probleme geben, die keinen Philosophen auf den Plan rufen (bsp. Aktiviert Resveratrol in Säugetieren das Protein SIRT1, dessen Verwandter Sirtuin die Lebensdauer von Hefe verlängert?).

    Der Philosophie scheint es leider allzu oft an gesundem Selbstmarketing zu mangeln.

    Ich stimme insoweit zu, als es tendenziell mehr Geisteswissenschaftlern weniger auf ihre Außendarstellung anzukommen scheint als (im Mittel) ihren naturwissenschaftlichen Kollegen.

    Eine Zurückhaltung, seine Ergebnisse in der Öffentlichkeit nicht über Wert zu verkaufen, finde ich aber auch begrüßenswert.

  5. antikes Philosophiemarketing

    Philososphiemarketing betrieben ja schon die antiken Sophisten (als “Konzertredner”) und zur Selbstinszenierung neigende Vorsokratiker wie Empedokles, die Kyniker großteils auch. Da wäre zuerst mal die Frage zu stellen, warum es damals klappte und heute nicht mehr funktioniert. Als ich kürzlich umzugsbedingt von meinen Büchern getrennt war, kam ich noch nicht mal auf die Idee, mir solche Popularisierungsheftchen, wie Sie eins beschreiben, zu holen, sondern ich hab mir einfach ein paar antike Texte im Original geholt (also auch als Übersetzungsdenksport). Notfalls hätte ich mir sogar etwas von französischen Phänomenologen durchgelesen, aber so weit kams dann glücklicherweise doch nicht. Erzählen Sie uns doch einfach bitte, welche Themen und Texte Sie warum und in welcher Hinsicht interessant finden!

  6. “Eine Zurückhaltung, seine Ergebnisse in der Öffentlichkeit nicht über Wert zu verkaufen, finde ich aber auch begrüßenswert.”

    Mag sein, bei uns Nichtphilosophen kommt diese Bescheidenheit leider all zu oft als Hochmut rüber. Man hat den Eindruck, dass einige Philosophen einfache Ausdrücke meiden, um zu verhindern, dass ihr Forschung trivial wirken könnte. “Der Laie”, so die scheinbare Meinung einiger Philosophen, “ist ohnehin nicht in der Lage, komplizierte philosophische Sachverhalte nachzuvollziehen. Deshalb brauchen wir uns um verständliche Sprache nicht zu bemühen.”

  7. @ Joachim: Aneinander vorbei

    Mag sein, bei uns Nichtphilosophen kommt diese Bescheidenheit leider all zu oft als Hochmut rüber. Man hat den Eindruck, dass einige Philosophen einfache Ausdrücke meiden, um zu verhindern, dass ihr Forschung trivial wirken könnte.

    Von Leuten, die schwafeln, um damit zu verbergen, dass sie eigentlich keine Ahnung haben, halte ich ebensowenig wie von Leuten, die aus dem Schatten eines Fragments eines Mosaiksteinchens gleich die ganze Welt erklären.

    Ich habe auch nie Behauptet, dass sich die Zurückhaltung, von der ich sprach, in der von dir angesprochenen Hybris äußert. Im Gegenteil finde ich diesen Gedanken ziemlich absurd. Bescheidenheit und Hochmut schließen sich meines Erachtens gegenseitig aus.

    Im Übrigen kenne und schätze ich auch einige Naturwissenschaftler, die sich zurückhaltend äußern; die werden aber seltener von Journalisten befragt und wenn doch, dann häufiger von einer Redaktion torpediert – man muss ja an die Quote denken, nicht wahr? (Ich verweise hier nur auf meine persönlichen Erfahrungen, nicht auf eine wissenschaftliche Studie.)

  8. @Stephan Schleim

    “Ich habe auch nie Behauptet, dass sich die Zurückhaltung, von der ich sprach, in der von dir angesprochenen Hybris äußert.”

    Stimmt, die Behauptung stammt von mir 😉

    Ich dagegen schreibe nicht über Leute, “die schwafeln, um damit zu verbergen, dass sie eigentlich keine Ahnung haben”, sondern über durchaus gute Philosophen, die sich schlicht weigern, ihre Gedanken auch mal mit Laien zu Teilen und dazu die eine oder andere Grundlage zu erklären.

  9. @Joachim: lebenspraktische Philosophie

    “Man hat den Eindruck, dass einige Philosophen einfache Ausdrücke meiden, um zu verhindern, dass ihr Forschung trivial wirken könnte.”
    Im Gegenteil! Wirklich gute Philosophie hat in vielen Fällen Konsequenzen der folgenden Art:

    “Ach nee, siehste – hab ich ja immer gesagt. Mensch, das war doch klar – irgendwo. Aber ok … ich meine, auf DIE Begründung wäre ich nie gekommen.”

    … und zwar einfach deshalb, weil Philosophie de facto von der abstrakten Welt unseres Geistes und der sozialen Beziehungen zwischen Personen handelt. Ohne irgendeine Konsequenz der o.g. Art würde sie von etwas anderem handeln.

  10. Gedanke

    Die Philosophie-Serie ist eine gute Idee. Aber wenn sich Philosophen zu unterschiedlichen Themen Gedanken machen – dann wäre es doch ganz gut gewesen, gleich zu Anfang darüber zu schreiben, was aus ihrer Sicht ´Gedanken´ überhaupt sind.
    (Jetzt muss man bis August warten 🙁 )

  11. Hallo zusammen

    es freut mich, dass die Diskussion schon so gut angelaufen ist.

    @ Joachim:

    Was ist so schlimm an Populärwissenschaft?”

    Ich habe nichts gegen P. an sich, allerdings kommt es auf den Kontext an. In einem Buch von David Richard Precht kann ich damit leben, mich von einer flapsigen Formulierung zur nächsten zu hangeln. In Spektrum der Wissenschaft hingegen erwarte ich, dass komplexe Zusammenhänge einfach dargestellt werden (mit besagten Ausnahmen, die explizit nur die Nurds ansprechen sollen).

    @ Stephan:

    Ich kann an der Frage Breuers zur Zukunft und Gegenwart der Philosophie nichts Schockierendes erkennen

    – muss ja auch nicht, im Gegenteil, ich unterstütze sogar Breuers Fragestellung, da er mit ihnen meiner Ansicht nach genau dort ins Detail gehen wollte, wo Philosophie in real life etwas zu sagen hat (entgegen vieler Behauptungen, das sei gar nicht der Fall).
    Allerdings schockieren die Antworten eines Mannes, der meiner Ansicht nach auch einiges zu sagen und gute Ansätze hat. Diese gehen jedoch leider flöten, wenn man kein Profi ist, das finde ich schlicht schade.

    manche Probleme werden ja erst durch philosophisches Nachdenken gefunden…

    da stimme ich völlig zu.

    …und wenn sie sich dann empirisch untersuchen lassen, dann spaltet sich dieser Zweig schnell von der Philosophie ab.

    – was aber nicht heißt, dass philosophische Fragestellungen dann perdu sind. Gerade in Wissenschaften, wo mit empirischen Befunden gehandelt wird, ist es doch wichtig, dass weiterhin kritisch gefragt wird: was machen wir da eigentlich? Zu welchem Zweck? Und mit welchem Ziel?

    Umgekehrt dürfte es sehr viele wissenschaftliche Probleme geben, die keinen Philosophen auf den Plan rufen

    es gibt wohl in jeder Wissenschaft Fragestellungen, die man nicht im großen Kontext diskutieren muss. Die Frage ist: wann ist es wirklich relevant, wann gar nötig?

    Eine Zurückhaltung, seine Ergebnisse in der Öffentlichkeit nicht über Wert zu verkaufen, finde ich aber auch begrüßenswert.

    Mit „Selbstmarketing“ meine ich nicht, das Produkt „auf Teufel komm raus zu pushen und besser zu machen als es ist. Ich befürworte hingegen, die positiven Aspekte ins Licht zu rücken und schmackhaft zu machen – sofern, wie gesagt – das Ziel tatsächlich ist, etwas zu verkaufen. Philosophie kann freilich auch „l’art pour l’art“ sein, also nur um ihrer selbst Willen betrieben werden. Sobald aber jemand in die Öffentlichkeit tritt (was in einem Interview in einer renommierten Zeitschrift ja eindeutig der Fall ist), dann und nur dann ist es doch erstrebenswert, sein „Produkt“ wie ein neugeborenes Baby zu behandeln, das man stolz den Verwandten präsentiert. Hinter einem öffentlichen Auftritt (auch ein Artikel ist in diesem Sinn ein öffentlicher Auftritt) steht doch das Ziel, zu zeigen, was man hat!

  12. @Stephan Schleim

    Geschockt wäre ich in der Tat auch nicht, aber ich muß gestehen, daß ich als 99%iger Laie die Frage nach der Zukunft der Philosophie auch eher begähnenswert finde.

    Nein, halt, sagen wir es anders: Ich würde zuvor ein oder zwei ganz andere Fragen erwarten. Z.B. die, welche Rolle Philosophie denn überhaupt bisher ganz konkret schon im Alltag der Menschen spielt. Das oben erwähnte Interview steigt an einem Punkt ein, an dem diese Frage schon als geklärt vorausgesetzt wird. Und wird noch dazu in den Antworten mit Fachbegriffen – also Insiderwissen – gespickt.

    Als Leser kommt da zumindest bei mir der Eindruck auf, daß ich sowieso nicht zur Zielgruppe gehöre und gar nicht unbedingt gewünscht ist, daß auch ich als Laie einen Nutzen aus dem Artikel/Interview ziehe. Also wende ich mich ab.

    Stößt man nun immer häufiger auf derartige Umstände, dann kommt eben mittel- und langfristig der Eindruck auf, daß die Philosophie eine Wissenschaft aus einem Paralleluniversum ist, deren Experten entweder in einem Elfenbeinturm sitzen und den Mangel an Dialogen mit dem Fußvolk gar nicht bemerken, oder sich schlicht selbst genug sind.

  13. @Ute Gerhardt: Skalenproblem

    “Stößt man nun immer häufiger auf derartige Umstände, dann kommt eben mittel- und langfristig der Eindruck auf, daß die Philosophie eine Wissenschaft aus einem Paralleluniversum ist, deren Experten entweder in einem Elfenbeinturm sitzen und den Mangel an Dialogen mit dem Fußvolk gar nicht bemerken, oder sich schlicht selbst genug sind.”

    Meine Vermutung ist, daß das eine Art optischer Täuschung ist: Wenn sie daran denken, daß Computer im Grunde quantenmechanische Maschinen sind, deren Entwicklung Jahrzehnte dauerte, dann sind sie zufrieden. Vielleicht sollten Philosophen das auch mal mit Problemen des Alltags machen?

    Das wäre doch mal einen post Wert. 🙂

  14. @Elmar D.

    Natürlich ist das eine “optische Täuschung”. 🙂 Aber eben eine, die sich mit ein bißchen Einfühlungsvermögen vermeiden ließe.

    Genau da sehe ich die Aufgabe der Wissenschaftsjournalisten. Sie sprechen quasi beide Sprachen, leben in beiden Universen und können zwischen beiden vermitteln. Wobei es allerdings wohl eine Gratwandereung für die Journalisten ist. Leute vom Kaliber eines Lars Fischer, der beide Seiten gleich gut versteht, sind da eher selten, so daß sich doch wieder eine der beiden Seiten mißverstanden fühlt. Wie man das verbessern könnte, weiß ich allerdings leider auch nicht.

  15. @ Gerhardt: Rolle der Philosophie

    Na, nun muss ich gleich gähnen:

    Z.B. die, welche Rolle Philosophie denn überhaupt bisher ganz konkret schon im Alltag der Menschen spielt.

    Gesellschaftsvertrag, Menschenrechte, Demokratie, Ethik, die Abspaltungen in Einzelwissenschaften wie die Psychologie usw.

    Wer nicht weiß, auf welchem philosophischen Fundament unsere Gesellschaft gebaut ist, der hat meines Erachtens nicht genau genug hingeschaut; oder in der Schule eine mangelhafte Allgemeinbildung erhalten.

    (Und wenn Sie mir nicht glauben, dann vielleicht den Kollegen aus der Rechts- oder Politikwissenschaft, Soziologie oder Psychologie, Hirnforschung und so weiter und so fort die tagtäglich Philosophen zitieren.)

  16. @Stephan Schleim

    So einfach kann man es sich natürlich auch machen, aus der ganzen Sache eine Holschuld des Bürgers zu konstruieren. (Wer finanziert die Forschung auch in den Geisteswissenschaften doch gleich nochmal? ^^)

    Ganz so einfach ist es aber nicht. Philosophie wird in der Tat an vielen Schulen gar nicht als Fach angeboten. Mein Kurs brach damals nach einem Jahr zusammen, weil außer mir und einem anderen Schüler alle anderen das Handtuch warfen. Und wenn man die Problematik mal auf alle anderen Wissenschaften überträgt, nicht nur die Philosophie, ist es kaum möglich, alles in der Schule zu vermitteln oder sich alles selbst anzueignen.

    Mit dem Argument “Dann haste eben nicht genug nachgedacht oder in der Schule nicht aufgepaßt; selber schuld!” wird doch dem Argument der Arroganz nur Vorschub geleistet. Das ist keine Grundlage für einen Dialog auf Augenhöhe.

  17. @Leonie Seng: Populaerwissenschaft

    Klar, wenn Populaerwissenschaft als “von einer flapsigen Formulierung zur nächsten zu hangeln” definiert wird, dann kann ich auch darauf verzichten. In meinem Wörterbuch ist gute Populärwissenschaft das, was Spektrum der Wissenschaft macht: “komplexe Zusammenhänge einfach” darstellen. Das andere wäre dann schlechte Populärwissenschaft.

  18. @ Gerhardt: Phil. nicht im Apple Store

    Mein Punkt ist doch, dass man Philosophie nicht erst studieren muss, um etwas über ihre gesellschaftliche Relevanz zu lernen. Ich hatte auch keinen Philosophiekurs aber mehrere Jahre Geschichte, Sozialkunde, Deutsch usw. und in der Oberstufe noch Ethik. Dort habe ich durchaus etwas über einige der Beispiele gelernt, die ich oben erwähnte (vielleicht sind Ihnen dort schon einmal Namen wie Rousseau, Montesquieu, Rawls, Kant oder Hume begegnet).

    Übrigens haben viele der Philosophen, an die ich oben dachte, keine gesellschaftliche Bezahlung erhalten, sondern waren reich geboren, wurden direkt von ihren Studierenden bezahlt oder haben eben ein Dasein in Armut gefristet.

    Der Nutzen der Philosophie erschließt sich einem anders als der Nutzen des neuen iPhones; und er wird auch nicht im marketing-optimierten und schrillen Apple Store beworben, sondern kann im bescheideneren Bibliotheksgebäude (das zudem von öffentlichen Kürzungen bedroht ist) gefunden werden.

    Umgekehrt frage ich mal nach dem alltäglichen Nutzen der Astrophysik. Beschweren Sie sich darüber auch, wenn da ein SdW-Titel erscheint? Mal davon abgesehen, dass ich das Thema faszinierend finde und gerne mit Astrophysikern diskutiere, spielt es für mein Leben nicht die geringste Rolle, ob es nun dunkle Materie und/oder Energie gibt und empfinde ich es sogar als intellektuelle Zumutung, dass das Universum zum größten Teil aus etwas bestehen soll, das noch kein Mensch messen konnte, sondern das man annimmt, damit die Theorien stimmen.

    Wenn mir aber ein Unrecht passiert, dann kann ich u.a. dank der Mitarbeit mancher Philosophen in einem Rechtsstaat die Chancen erhöhen, auch Recht zu kriegen (was natürlich nicht immer klappt). Usw. usf.

    P.S. @ Leonie, danke übrigens für die Klärung; stimme weitgehend zu.

  19. @Joachim:

    “ein Großteil der Philosophen mache das Verstehen komplizierter als nötig” – das Problem, zu viel zu denken, gibts auch in der angewandten Mathematik, wie Persi Diaconis hier beschreibt.

  20. Liebe Leonie Seng,
    es ist ja erfreulich, dass nun auch die Zeitschrift Spektrum der Wissenschaft das “Produkt Philosophie” ihren Lesern “schmackhafter” machen möchte und so mag man auch gern des Lobes voll für die Auflage eines “Philosophie-Specials” sein; allerdings scheint mir der Befund einer bisher nur “dröge daher schleichenden Philosophie” einer, mit Verlaub, perspektivischen Verzerrung geschuldet zu sein, da ein erweiterter medialer Rundblick über die Elfenbeintürme hinweg genügte, um eine zunehmende Akzeptanz philosophischer und dabei verständlich präsentierter ‘Meta-Reflexionen’ zu Themen aus Politik, Wissenschaft, Kultur und Alltag wahrzunehmen.
    Wenn auch nur im ‘Nischen-TV’, so doch insgesamt mit Millionen-Publikum, zeigen Sendungen wie “Scobel”, “Arte Philosophie”, Kluges dtcp.tv, das “Phil. Quartett” und etliche andere, dass da “was geht”. In den ‘Holzmedien’ findet man philosophische Essays regelmäßig im SPIEGEL, der “Zeit” oder der SZ (Habermas hat dort gerade erst Merkels Politik zerlegt) und im Web gibts auch außerhalb der “brainlogs” ein paar Dutzend lesbare und ganz ordentlich rezipierte Philo-Angebote.
    Der außerordentliche Erfolg von Prechts “Wer bin ich…” spiegelt m.E. das steigende Interesse an verständlich aufbereiteter Philosophie (auch wenns viele wohl nur aus sozialprestigigen Gründen im Regal stehen haben).
    Und es dürfte klar sein, dass (um auf das “Marketing” zu kommen) jede gut gemachte Erweiterung des medialen Philo-Angebots die Hemmschwellen und Berührungsängste sowohl auf akademischer als auch auf Publikums-Seite abbaut und, sagen’s wir mal etwas pathetisch, die allgemeine Reflexionsbereitschaft in unserer Gesellschft ein klein wenig erhöht – und das kann ja nicht schaden…

  21. @S. Schleim

    Ich dachte, wir unterhalten uns hier über die Profs und Studenten, die noch am Leben sind und deren Tätigkeit vom Steuerzahler zumindest subventioniert wird? Den von Ihnen genannten Philosophen würde ich aus naheliegenden Gründen heute in der Tat keine Anstrengungen mehr abverlangen wollen, sich verständlich auszudrücken. *g*

    Ich wüßte übrigens auch nicht, wo ich mich darüber beschwert hätte, daß irgendwelche Publikationen erscheinen. Ich sagte nur, daß ich sie, wenn sie zu kompliziert werden, einfach nicht mehr lese. Das ist im Endeffekt dann aber ein Problem des Verlages, nicht meins. (Und somit sind wir dann schon wieder beim Thema Geld.)

    Was die Astrophysik angeht, wird der Bezug zum Alltagsleben vielleicht deutlicher, wenn wie in Ottawa mal wieder ganze Kraftwerke von einem Sonnensturm außer Gefecht gesetzt werden, oder der nächste Komet sich “völlig unvorhergesehen” im heimischen Vorgarten niederläßt, statt wie weiland Shoemaker-Levy 9 auf einem Nachbarplaneten. (Das wurde doch sogar im Fernsehen übertragen; sowas muß man doch einfach wissen, sogar ganz ohne Schule? ^^)

    Spaß beiseite: Ich glaube, wir sehen hier ein prima Beispiel, wo es wohl unter anderem auch hakt: Viele Wissenschaftler halten bestimmte Grundlagen für so selbstverständlich, daß sie a) versäumen, sie denen nahezubringen, die eben nicht darüber verfügen und – wenn es blöd läuft – auch noch b) der Ansicht sind, das sei doch wohl auch unter ihrer Würde.

  22. @ Gerhardt: Fernseh-Meteoriten

    Und ich dachte, es ginge hier u.a. um den praktischen Nutzen der Philosophie für den Alltag (mit Ethik, Fragen nach dem guten Leben und Glück haben wir noch gar nicht angefangen; wieder kann ich nur einen Besuch in der Bibliothek oder im Buchhandel empfehlen).

    Was ist das für ein Meteor? Tut mir leid, ich habe schon zu Schulzeiten aus Überzeugung damit aufgehört, fern zu schauen.

    Ansonsten sehe ich da beinahe so etwas wie einen Konsens am Horizont auftauchen; und schließlich sind hier bei den SciLogs ja gerade Leute, die es anders machen wollen als diejenigen im Elfenbeinturm.

  23. Philosophie als Produkt

    Sehr geehrte Frau Seng,

    folgende Anmerkungen möchte ich mir erlauben.

    1. „Philosophie“ ist eine extrem heterogene Angelegenheit. Sie reicht von einem „Alltagsphilosphieren“, in dem bisweilen nicht mehr als Vorurteile oder Banalitäten gewälzt werden (Beispiel en masse), über eher prätentiöse, vorzugsweise literarische, soziale Distinktions-Dienstleistungen für Intellektuelle (Beispiel Sloterdijk), über spezialisierte akademische, historische oder systematische Ausarbeitungen (Beispiele Cassirer, Carrier) bis hin zu subtilen, umfassenden, eigenwilligen Analysen oder Synthesen (Beispiel Schmitz).

    2. Die Auffassung, dass Philosophie bei der „Orientierung“ im Leben helfen solle, verführt dazu, zu glauben, sie müsse leicht zugänglich sein oder zumindest so erscheinen, wenn sie Wert haben solle, weil ja schließlich jeder sich orientieren will. Das scheint mir ein Missverständnis. Die Art und Weise der sprachlichen Formulierung sagt per se nichts über Zugänglichkeit aus. Wittgenstein ist mindestens so schwierig wie Kant oder Heidegger oder ein anderer Philosoph, der eine spezifische Terminologie erschafft und benutzt. Ferner ist die Terminologie in der Regel vom Gehalt unabtrennbar und ihm nicht äußerlich, da sich Fragestellungen und Begriffsumfänge aus ihr heraus ergeben; vor allem soll sie die Vieldeutigkeit der Umgangssprache reduzieren. Diese Form von Zirkularität kann leer laufen und Wortgeklapper sein, muss es aber nicht; im Gegenteil ist sie unvermeidlich. Daher liegt in ihr nicht notwendigerweise etwas Verwerfliches; komplexe naturwissenschaftliche Theorien weisen ebenfalls dieses zirkuläre Moment auf. Ich will keineswegs leugnen, dass immer wieder die philosophische Sprache unnötig aufgeblasen ist. Allerdings scheint es mir ein Trugschluss, zu glauben, die Dinge würden notwendigerweise besser verständlich, wenn sie einfacher formuliert werden; der Preis kann sein, dass sie dann auch vieldeutiger werden und zum Gerede einladen. Nicht umsonst haben Philosophen, die sich hauptsächlich auf die Umgangssprache stützen, es öfters für nötig gehalten, dann wieder mittels „X mit Index 1“, „X mit Index 2“ usw. die Bedeutungen des Wortes „X“ aufzuschlüsseln.

    3. Es gibt m.E. genügend philosophische Themen, die sich nicht zugleich einfach und adäquat darstellen lassen, es sei denn, man nimmt in Kauf, den Leser darüber zu täuschen, dass er in Wirklichkeit nicht viel versteht. Man muss sich halt die Mühe machen, sich in die Sache einzuarbeiten. Das ist in der Naturwissenschaft nicht anders. Selbstverständlich kann man Relativitätstheorie, Quantenmechanik, Superstringtheorie oder Quantenschleifengravitation auf einfache Weise nahezubringen suchen. Jeder, der von der Materie wirklich etwas versteht, indem er erstens mit dem Formalismus hinreichend vertraut ist und zweitens in der Lage ist, diesen Formalismus in einen größeren (theoretischen, praktischen und „philosophischen“) Kontext einzubetten, weiß jedoch, dass er dem Leser oder Zuhörer bestenfalls eine Idee von Verständnis suggeriert. Das ist in der Philosophie ähnlich. Allerdings sind die Konsequenzen andere, indem bei der Naturwissenschaft in der Regel die Hemmschwelle größer ist, sich dann auch wirklich für kompetent zu halten, als bei der Philosophie, wo jeder Dilettant glaubt, sinnvoll urteilen zu können. In der Naturwissenschaft kommt dann so etwas wie „Intelligent Design“ als Wissenschaft zustande, in der Philosophie ist der analoge Unsinn jedoch schwerer zu erkennen.

    4. Sie mögen diese Zeilen für arrogant halten. Das „Nahebringen“ von Wissenschaft ebenso wie von Philosophie erfordert jedoch meines Erachtens primär Anstrengungen seitens des Rezipienten und nicht seitens des „Anbieters“, wenn es nicht illusionär sein soll. Die Tendenz, Alles und Jedes in Häppchen möglichst mundgerecht serviert zu bekommen, scheint mir schwer zu leugnen und findet ja auch im Leseverhalten ihren Niederschlag; sie ist aber für ein Verständnis immer komplexerer Zusammenhänge auch in der Philosophie m.E. nicht hilfreich. Es gibt Unmengen popularisierter Wissenschaft und Unmengen popularisierter, mehr oder weniger banaler Philosophie. Und es gibt Unmengen von „Marketing“. Dieses Marketing lässt die Sache, auf die es sich bezieht, oft keineswegs unberührt, sondern trivialisiert und nivelliert sie. Ich bezweifle daher, dass die Forderung daher so einseitig ausfallen sollte wie mir die Ihrige erscheint.

    5. Selbst stelle ich mir immer wieder den Anspruch, sowohl in meinem engeren Fachgebiet als auch darüber hinaus schwierige Materien für Nichtspezialisten verständlich darzustellen, und das gelingt mir zuweilen auch. Genau deshalb aber weiß ich, wo die Grenzen liegen und ich dem Zuhörer letztlich nur ein Verständnis suggeriere, das er gar nicht gewonnen haben kann. Für die Philosophie gilt nach meiner Erfahrung Ähnliches. Man sollte daher anerkennen, dass es solche und solche Auffassungen und Themen von Philosophie gibt, und man sollte in Rechnung stellen, dass die Forderung nach „Verständlichmachung“ an die Philosophie ein zweischneidiges Schwert ist. Aus der Perspektive des Naturwissenschaftlers liegt m.E. die zusätzliche Gefahr darin, Philosophie einerseits auf ebenso abstrakte wie für die Praxis überflüssige Wissenschaftstheorie zu reduzieren und solcherart auszuhöhlen, andererseits ihr den Status der täglichen oder bedarfsweisen „Lebenshilfe“ zuzuweisen, in dem sie dann zu einem Satz banaler küchenpsychologischer Werkzeuge verkommt.

    Mit freundlichen Grüßen

  24. Einfach heißt konkret

    Sehr geehrter Herr Jörres,

    ich danke Ihnen für die ausführlichen Zeilen! Natürlich kann man die Philosophie nicht auf ein zwei Gedanken oder Ausdrücke beschränken. Ich hatte ehrlich gesagt auch schon ein mulmiges Gefühl, wie locker mit dem Ausdruck „Philosophie“ in der Diskussion zu meinem Blogeintrag umgegangen wird. Im Gespräch mit einem Redakteur zu genau diesem Punkt wurde mir klar, dass ich nur deshalb so ungezwungen von „Philosophie“ gesprochen habe, da ich mich in meinem Beitrag ja explizit auf das Interview mit Nida-Rümelin und die darin enthaltene Darstellung der Philosophie beziehe.

    Es geht mir freilich nicht darum, die Philosophie einfacher zu machen, als sie ist. Dies hoffte ich in meinem Beitrag deutlich gemacht zu haben. Gerade wer die Philosophie zu schätzen weiß, kann keine Vereinfachung des Inhalts anstreben. Gegen eine Vereinfachung im Ausdruck kann ich mich aber nach wie vor nicht wenden. Statt des Wörtchens „einfach“ mag das Adjektiv „konkret“ hier angebrachter sein. Konkret hieße im Fall des Interviews, Substantive auszubuchstabieren und zu sagen, welche Handlung, welcher Vorgang oder welche Tatsachen damit gemeint sind.

    Dabei liegt mir der Gedanke fern, Philosophie müsse für Alle Welt und Jedermann verständlich sein. Dies sollte das Beispiel der Sendung mit der Maus signalisieren. Philosophie ist selbstverständlich eine Wissenschaft (wie vermutlich jede), die man sich erarbeiten muss. Der Aufwand mag dabei je nach Wissenschaft, Begabung und Erfahrung mehr oder weniger Aufwand erfordern. Gerade in einer bewusst wissenschaftlich orientieren Zeitschrift darf man meiner Ansicht nach durchaus auf Eingemachtes, das heißt Spezielles stoßen (siehe auch Artikel I zu diesem Thema). Gleichzeitig würde ich es begrüßen, wenn Philosophie öfter konkret würde. Allein um das Vorurteil, Philosophieren sei nur Schall und Rauch, abzubauen.

    Besten Dank für Ihr Interesse.
    Mit freundlichen Grüßen

    Leonie Seng

  25. Philosophen

    Sehr geehrte Frau Seng,

    vielen Dank für Ihre Antwort. Vermutlich ist es wieder einmal so, dass bei Diskussionen, die im Generellen und Abstrakten bleiben, mehr an Differenz da zu sein scheint als sich dann erweist, wenn es um konkrete Beispiele geht.

    Als Anregung vielleicht noch dies. Es liegt heute nahe, Philosophie auf praktische Philosophie oder Ethik zu fokussieren oder gar zu reduzieren. Das hat natürlich damit zu tun, dass man einen unmittelbaren „Nutzen“, eine Daseinsberechtigung aufzeigen möchte. Auch Nida-Rümelin zeigt bisweilen Tendenzen in diese Richtung. Ich halte das für einen Irrweg. Philosophie umfasst alles Nachdenken über die Welt, und nicht nur das über das richtige Handeln. Andererseits liegt es bei der Dominanz naturwissenschaftlicher Methoden, welche die „Geisteswissenschaften“ ja nicht nur bereichern, sondern manchmal auch zu okkupieren oder erdrücken scheinen, nahe, sich auf Wissenschaftstheorie oder moderne Philosophie des Geistes o. ä. auszurichten. Die Erfahrung hat mich inzwischen dazu gebracht, mein Interesse eher auf „geisteswissenschaftliche“ Philosophen zu richten (soweit ich die Zeit dazu habe).

    Gerade für Naturwissenschaftler scheint mir diese andere Perspektive lehrreicher als sich immer um sich selbst zu drehen. Hier hat Sokal ebensoviel Gutes bewirkt wie Unheil angerichtet, indem er gängige Vorurteile bestätigte. Aber ein Derrida hat nicht einfach nur – gemessen an „wissenschaftlichen“ Kriterien – fabuliert, sondern gute und originelle Gedanken gehabt. Oft sind es halt die Jünger des Meisters, die erst den Unsinn produzieren. Da nach meiner Erfahrung gerade Naturwissenschaftler – und ich denke, Ihre Zeitschrift ist primär dahin orientiert – dazu neigen, anderes als unfundiert abzutun und beispielsweise eigenwillige Terminologien gleich zum Anlass zu nehmen, die ganze Sache lächerlich zu machen – wäre es da nicht auch eine interessante Aufgabe, die andere Seite einmal nahezubringen?

    Ich möchte daher dazu ermuntern, gerade auch „wissenschaftsferne“ Philosophen nach und nach in einer fairen Weise vorzustellen. Nehmen wir ein Extrem: die (Technik-)Philosophie Heideggers. Man muss sie nicht überzeugend finden, aber sie scheint mir allemal bedenkenswert, nicht nur aus ihrer eigenen Perspektive heraus. Man kann sich streiten, ob Stegmüller seinerzeit in seinen „Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie“ immer die Essenz der jeweiligen Philosophien erfasst hat. Dennoch ist Stegmüllers Artikel über Heidegger ein bemerkenswertes Beispiel dafür, wie ein primär wissenschaftstheoretisch ausgerichteter Philosoph einen ganz anders gearteten Philosophen zu verstehen sucht.

    Mit freundlichen Grüßen

  26. Wissenschaft/Philosophie als Irritatoren

    Hier ist ein schönes Interview von Martin Rees, in dem die Nähe aktueller Wissenschaft zu traditionell philosophischen Themen gut sichtbar wird.

    Auch die “Marketing”-Frage wird angesprochen, mit dem Hinweis u.a. auf die ursprüngliche “Verunsicherungsfunktion” von Philosophie und Wissenschaft als “Irritatoren”. Damit greift Rees auf deren antike Ursprünge zurück, wo ja nicht nur Sokrates “störte” (und zwar im öffentlichen Raum). Noch im Mittelalter wurde Studenten etwa in Hugos “Didaskalikon” die Irritationsfunktion von Wissenschaft und Studium als geistiger Fortbewegung von den Sicherheiten ihrer gewohnten Umwelt nahegelegt. Vermutlich hat sich das erst nach dem 2. Weltkrieg durchgehend geändert, als das Studium zum Hauptinstrument der Statussicherung für höhere Mittelschichten wurde. Im angelsächsischen Raum gibt es im Gegensatz zu Deutschland etwas anarchischen Überbleibsel der Aristokratie im Wissenschaftssystem und eine höhere soziale Mobilität, was sich in den Unterschieden der Beziehung zw. Wissenschaft/Philosophie und Öffentlichkeit auswirkt.

  27. Philosophie als Bastelanleitung

    Das Marketingproblem löst sich von selbst, wenn man daran erinnert, dass “Philosophie” ja eigentlich immer asl Bestandteil, nicht wie heute immer als Gegensatz, praktischer Anwendungsbezüge galt. So wurde Ende des 19. Jhdt.s, Anfang des 20.Jhdt.s u.a. Hegels “Phänomenologie des Geistes” als Konstruktionsplan und -anleitung interpretiert, ebenso wie einige andere Sachen. Hatten nicht auch Descartes Zirbeldrüsenmeditationen konkrete Ziele, für deren Erreichen er sogar Zeitpläne aufstellte? Hier und hier Besprechungen neuer Literatur über “a kind of philosophical curiosity that made the early 20th century so much more intellectually dynamic, so much more open-minded and eclectic, so much more magical than either philosophy or science is today.” Beispielsweise machten sich ausgesuchte Mitgieder einer viktorianischen Geheimgesellschaft nach Lektüre von Darwins Büchern Winifred Coombe Tennant und Gerald Balfour and Werk: “The task of the ‘spirit-child’, was to deliver humanity from chaos. Scientifically programmed to perform its role, the child would develop into an extraordinary human being, who would bring peace and justice to the world.” Alas, the secret saviour, Henry Coombe-Tennant, turned out to be an ordinary sort of chap, though he did have an interesting life – Eton, Cambridge, Welsh Guards, MI6 and work for Kim Philby”. Wenn man nun durch Berlin spazierend die seltsame Nähe des neuen BND-Komplexes zum vom Geist des 19. Jhdt.s geprägten Naturkundemuseum bemerkt, fragt man sich, ob vielleicht einige gegenwärtige Zirkel an diese viktorianische Vorarbeiten anzuknüpfen versuchen? (Das mit dem Klonen hatte KT aber irgendwie falsch verstanden.)

  28. @T: Philosophie als Basis von Exerzitien

    Die Suche nach Welterklärungen gab es schon bevor die Philosophie ein akademisches Fach wurde und sie lebt weiter – beispielsweise als Versuch sein eigenes Leben mit einer Bastelanleitung in einen grösseren Zusammenhang zu bringen.
    Anstatt das Leben einfach zu leben, kann man es vom Kopf her denken und sich durch Ideen leiten lassen – und Ideen sind nun mal die Heimat der Philosophen. Solch ein ideen/ideal-gesteuertes Leben wird schnell zum Hochseilakt und der Mensch, der es zu leben versucht, zum Artisten. Die höheren Sphären, in die ein solcher Mensch vorstossen will, verlangen nach Exerzitien – und weil diese der Wiederholung bedürfen und wie ein Computerspiel zu immer höheren “Spielebenen” führen, wird schliesslich das ganze Leben zum Trainingslager. Die Ansprüche werden dann oft auch auf leibliche Kinder übertragen: “The task of the ‘spirit-child’, was to deliver humanity from chaos. Scientifically programmed to perform its role, the child would develop into an extraordinary human being, who would bring peace and justice to the world.”

    Mit all dem beschäftigt sich das Buch Du musst dein Leben ändern von Peter Sloterdijk.

  29. Verständliche Philosophie

    Zwei Empfehlungen: “Logische Propädeutik – Vorschule des vernünftigen Redens” und die daran anschließende “Philosophische Anthropologie” von Wilhelm Kamlah, einem Philosophen, der sich seinerzeit ausdrücklich gegen Heidegger gewendet hat mit dem Akzent, dass Philosophen sich verständlich ausdrücken sollten; sein erstgenanntes Taschenbuch, heute noch bei Metzler verlegt, ist praktisch eine Einführung in solches Philosophieren mit eingestreuten Bemerkungen zur traditionellen Art davon.

  30. @Martin Holzherr:

    Das passende Matisse-Zitat: “Man muss sicher auf festem Boden gehen können, ehe man mit dem Seiltanzen beginnt.” Welche Übungsfelder hat Szloterdijk eigentlich im Sinn?

  31. @T: Sloterdijk’s Übungsfelder…

    für den Planeten der Übenden gehen vom Bizarren, Singulären bis zu den Massenphänomenen der Moderne.
    Zum Bizarren und Singulären kann man den armlosen Geiger (den gab’s wirklich) zählen oder auch einige imaginierte Figuren Kafka’s: Den Hungerkünstler beispielsweise oder den Affen, dem die Menschwerdung auf dem Weg der Nachahmung gelingt (aus Ein Bericht für eine Akademie.
    Zu den Massenphänomenen im Zusammenhang mit Training und Exerzitium gehört der moderne Sport als neu-olympische Bewegung – eine verspätete Wiedergeburt aus der Antike -, es gehören aber auch Phänomene wie Scientology dazu. Die Church of Scientology, ein psychagogischer Konzern mit Religionsanspruch zeigt auch, dass Übungssysteme auch Kontrollsysteme sein können.

    Beides – der modernen Sport und scheinreligiöse Organisationen wie Scientology – haben ihre asketischen Vorbilder – den Sport der Griechen und die Religion – entspiritualisiert, was für die Moderne charakteristisch ist.

  32. @Martin Holzherr:

    Ihrer Beschreibung zufolge ist Sloterdijk’s Buch also einfach nur Mist? Wie stellt er sich denn “Übungen” konkret vor – in der Antike waren das ja die Philosophie selbst und Mathematik, woran auch Descartes und Valery anknüpften.

    Eine lustige aktuelle Version des erwähnten viktorianischen Spiritismus ist übrigens hier beschrieben.

    @Leonie Seng: Kalmah ist ist ja nun wirklich ein bischen angestaubt. Gibt’s keine interessante aktuelle philosophische Lektüre?

  33. @Ingo-Wolf Kittel:

    Zur “philosophischen Anthropologie” finde ich Gehlen weitaus interessanter, wobei mir seine kriminelle Vergangenheit durchaus bewußt ist. Gehlen liefert gute Anknüpfungspunkte an laufende, paläoanthropologische und neurologische Forschungen. Wenn man sich Gehlens Buch dazu zusammen mit neuen archäologischen Funden anschaut, kann man den Schluß, daß seine “philosophische Anthropologie” ihr Thema auf interessante Weise verfehlt hat, kaum vermeiden (mit hoffentlich noch funktionierenden links).

  34. @T: Vertikalspannung

    Ihrer Beschreibung zufolge ist Sloterdijk’s Buch also einfach nur Mist?

    Sloterdijk’s tritt in seinem Buch “Du musst dein Leben ändern” als Vermittler auf. Er portiert keine neuen philosophischen Gedanken, sondern beschreibt ein gesellschaftliches und geisteswissenschaftliches Phänomen: Viele Menschen der Moderne/Postmoderne lassen ihr Leben von neuen Vertikalspannungen antreiben. Sie streben also nach Höherem, jedoch orientieren sie sich nicht wie die Generation vor uns an tradierten religiösen Glaubenssystemen, sondern haben eine säkularen Ersatzantrieb gefunden, in dem die alten Begriffe Spiritiualität, Frömmigkeit, Ethik und Askese eine säkulare Entsprechung haben.
    Zentraler Bestandteil dieses neuen Bestreben nach Höherem, sind Übungssysteme. Dabei kann es sich um so einfache Dinge wie sportliches Training oder die verinnerlichte Maxime des “Lebenslangen Lernens” handeln. Jedenfalls steckt dahinter die Überzeugung, dass der Mensch sich in einem autoplastischen Prozess selbst bildet, ja selbst erzeugt.

  35. @Martin Holzherr:

    Tja, wie soll ichs sagen … vielleicht sollte dieser Sloterdijk sich mal einen Termin in einer “existenziellen Detektei” holen? Ein paar gute Bekannte bieten sowas seit kurzem in Berlin an und einen Philosophen hatten sie auch schon. (Der war/ist aber auf Interpretationen der Quantenmechanik spezialisierter Wissenschaftsphilosoph)

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