Das Nördlinger Ries, Einschlagskrater der Herzen (oder: Dann hat es Bumm gemacht)

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Meteorite, Planeten, Sternenstaub (und was sonst so runterfällt)
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Und endlich mal was über das Nördlinger Ries. Weil gerade ein Paper von mir zu dem Thema akzeptiert wurde, und auch weil gerade mal wieder das zweijährliche Paneth-Kolloqiuim, eine Tagung im Ries, ansteht. Also ein passender Anlass, ein paar Worte über den in die schwäbische Alb gestanzten Krater zu verlieren.

Empfehlenswertes Schriftwerk ist ein Interview mit Prof. Dieter Stöffler (leider hinter Paywall), der sehr grundlegende wissenschaftliche Arbeit am Ries geleistet hat, und ein kürzlich erschienenes, sehr ergiebiges Werk von Dr. Martina Kölbl-Ebert, From Local Patriotism to a Planetary Perspective, Impact Crater Research in Germany, 1930s-1970s.

Anfang der 60er Jahre. Ein amerikanischer Tourist namens Eugene Shoemaker (genau der) hat bei einem Besuch Nördlingens, einer ruhigen Stadt im Niemandsland zwischen Baden-Württemberg und Bayern, einen Heureka-Moment. Der bald frisch promovierte Eugene Shoemaker (Thema der Dissertation: Impaktmechanik des Barringer Meteoritenkraters in Arizona) nutzte die Teilnahme an einer Tagung in Dänemark für einen Trip durch Europa, wohl schon mit der Suche nach weiteren Einschlagskratern im Hinterkopf. Es gab in dieser Zeit durchaus Spekulationen in dieser Richtung für das Ries auch unter hiesigen Geowissenschaftlern, aber was fehlte war halt ein handfester Beweis. Beim Besuch im auch historisch interessanten Nördlingen (tolle Stadtmauer) fiel Shoemaker ein für die Region typisches Baumaterial auf, aus dem die St.-Georgskirche mit dem markanten Kirchturm, dem Daniel, bestand. Das Baumaterial bestand aus Suevit, und dieser erinnerte ihn irgendwie an Gesteine aus dem Krater in Arizona.

Das Nördlinger Ries, ein ungefähr 25 km durchmessendes, vor 15 Millionen Jahren in die schwäbische Alb geprügeltes Loch, galt bis dahin als – wenn auch sehr exotischer – Vulkankrater.

Im selbigen Jahr war Shoemaker Mit-Autor in einer Veröffentlichung in Science. In diesem Paper wurde das Mineral Coesit präsentiert. Dieses entsteht aus gewöhnlichem Quarz bei sehr hohem Druck. Diese Eigenschaft macht es zu einem Kennzeichen von Meteoriteneinschlägen. Shoemaker organisierte noch vor Ort eine Probe des Suevit und schickte diese in die USA zum Erstautoren der Studie, E.Chao. Dieser brachte es fertig, tatsächlich Coesit in der Probe zu finden, und Shoemaker konnte diese Entdeckung sogar noch am Ende seiner Reise, auf der Tagung in Kopenhagen präsentieren. Das war auch nach heutigen Maßstäben sehr flott. Konnte man den eher kleinen Krater in Arizona noch als statistischen Zufall in der Erdgeschichte hinstellen, so war das große Ries schon ein anderes Kaliber. Später im Jahr hielt Chao dann selber noch einen Vortrag in Deutschland auf der Jahrestagung der Deutschen Mineralogischen Gesellschaft, also mitten in der Höhle des Löwen.

Man kann nicht behaupten, dass die hiesigen Erdwissenschaftler über die Idee sehr begeistert waren. Dinge in der Erdgeschichte hatten gefälligst sehr laaaangsam statt zu finden. Außerdem verlangte die dominierende Philosophie des Aktualismus, dass geologische Prozesse in der Vergangenheit ausschließlich mit aktuellen, in der Gegenwart beobachteten Vorgängen erklärt werden mussten. Außerdem wurde zu der Zeit die Erde als ein geschlossenes geologisches System angesehen, da war für äußere Einflüsse halt kein Platz.

Zudem ging es in der hiesigen Wissenschaft noch etwas provinziell zu. Es kam es bei vielen nicht an, dass zwei Amerikaner ihnen etwas über ihren Hausvulkan erzählen wollten, den man über Generationen erforscht hatte und genau zu kennen glaubte. O-Ton eines Tübinger Geologen: “Da kommt so ein Amerikaner und hat auch noch einen chinesischen Namen” (es gibt auch derbere Versionen). Das lag einigen schwer auf der Seele.

Die Geowissenschaften waren auch, wie andere Forschungszweige, während des Dritten Reichs und dem Krieg praktisch isoliert gewesen. Oder isolierten sich selber weltanschaulich (Stichwort ‘Deutsche Geologie’), und waren so von Entwicklungen im Rest der Welt abgeschnitten. Außerdem war Englisch auch in der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht so weit verbreitet, weshalb eben gerade Angelegenheiten wie die junge Impaktforschung erst mit fast zwei Jahrzehnten Verzögerung wahrgenommen wurden. Gerade in den USA war man inzwischen zu dem Schluss gekommen, dass es sehr wohl Einschlagskrater auf der Erde gab, und mit dem Barringer Krater in Arizona hatte man einen geradezu visuell mustergültigen, eindeutigen Meteoritenkrater.

Die deutsche (Geo-)Wissenschaft an sich war noch bis in die 60er Jahre deutlich provinzieller, es war für Geologen nicht selbstverständlich, einfach mal so auf einen Geländetrip im Revier einer Nachbaruniversität zu gehen (geschweige denn  in einem anderen Bundesland…) Eine vorherige Anmeldung wurde durchaus erwartet. Das Steinheimer Becken gleich um die Ecke vom Ries ist ein weiterer, zeitgleich entstandener Krater. Dummerweise liegt das Becken  im (heutigen) Baden Württemberg, während das Ries überwiegend bayerisch ist – eine zusammenhängende Untersuchung der beiden Strukturen fand also zunächst gar nicht statt.

Hinzu kamen persönliche Animositäten (Uni Tübingen vs. Uni München). Und dann noch die (heute nicht mehr existierende) akademische Trennung von Mineralogie und Geologie, die ein zusätzliches Kommunikationshindernis verursachte (das ist kein Scherz, noch zu meinen Studentenzeiten an der Tübinger Mineralogie gab es durchaus noch richtige Abneigung gegen ‘die Geologen’, und anders herum war es auch nicht besser). Also ein perfektes Rezept für absolutes nicht-gelingen. Dass irgendwelche winzigen Mineralpartikel, die nur mit einer sehr abstrakten Technik (Röntgenbeugung) festgestellt wurden, ein derart gewaltiges Ereignis erklären sollten, wollte manchen Geologen nicht in den Kopf.

Hinzu kamen Probleme im physikalischen Verständnis eines Impakts, da war einfach noch nicht so viel getan worden.  So wurden Einschlagsgeschwindigkeiten (und damit die freigesetzten Energien) von extraterrestrischen Körpern um Größenordnungen über- oder unterschätzt. Das Bild unseres Sonnensystems war auch noch recht einfach – Astronomen waren eher an ferneren Objekten interessiert, und Geowissenschaftler eben halt an Geo.

Auch fehlte meteoritisches Material im Ries – im Krater von Arizona, der als eine Art Modellkrater diente, wurden Überreste des Boliden gefunden. Ist aber kein Wunder – bei großen Impakten wie dem Ries überlebt das Projektil ganz einfach nicht in fester Form, man findet nur noch chemische und isotopische Spuren im Impaktgestein. Tatsächlich wurden ein paar Jahre später auch im Ries wohl deutliche Spuren des Impaktors gefunden.

Zunächst aber herrschte ein erbitterter akademischer Schlagabtausch, in den auch weitere Institutionen hineingezogen wurden. Noch Jahrzehnte später merkte man den Beteiligten die Verbitterung und Vehemenz noch an. Einer der Impakt-Forscher der ersten Stunde hat noch anno 2000 während einer Würdigung für sein Lebenswerk in seiner Dankesrede hämisch grinsend eine Liste mit den Namen seiner Erz-Feinde von damals vorgelesen (bis ihn der Gastgeber aufforderte, das doch bitte zu unterlassen).

Insgesamt aber setzte sich die neue Sicht des Nördlinger Ries als Einschlagskrater recht schnell durch. Die lokale Rivalität vor Ort wurde dann aber von einer (zeitweisen) Rivalität zwischen der Gruppe um Chao und der Tübinger Gruppe um von Engelhardt ersetzt. Letztere legte eine beeindruckende Zahl an wissenschaftlichen Veröffentlichungen vor, in denen einiges an fundamentaler Arbeit in mineralogischer Hinsicht geleistet wurde. Es ging darum, wie sich Druck und Hitze der Stoßwelle auf die Minerale des Gesteins im Einschlagsort auswirken – mit anderen Worten, die Suche nach ‘Markern’, mit denen man andere Einschläge erkennen konnte (siehe unten).

Schon 1970 wurde das Ries gar für das Training der Astronauten der Apollo 14 Mission verwendet – auch wenn selbige vom Krater eher enttäuscht waren. Sie erwarteten ein schönes, klar definiertes Riesenloch wie in Arizona. Natürlich gab es einen Riesenauflauf in Nördlingen (auch von den Medien), und die bayerischen Kollegen kamen sich einmal mehr von ihren Tübinger Kollegen, die die wissenschaftliche Seite leiteten, übergangen vor.

Das Ries ist für viele auf den ersten Blick etwas enttäuschend, die Erwartungen sind gerne etwas übergroß. Ein 25 Kilometer großer Krater hört sich ja schon mal spektakulär an. Aber ohne das geübte Auge des Geowissenschaftlers wirkt die Struktur erst mal wie ein flacher Topf in einer (nun ja) gebirgigen Gegend. Kein Wunder, der Krater ist natürlich schnell mit Sedimenten aufgefüllt worden, die Feinheiten, die anderswo deutlich sichtbar sind, enthüllen sich erst bei genauerem Hinsehen.

(Bilder entfernt)

Und was macht das Nördlinger Ries so interessant? Es sind die sehr gut erhaltenen Auswurfsmassen. Bei einem Meteoriten/Kometeneinschlag dringt der Körper tief in den Untergrund ein. Dabei wird natürlich zum einen Material schlichtweg verdampft und aufgeschmolzen. Zusammen mit stark zerschlagenem Gestein aus dem Untergrund wird das alles ausgeworfen, und legt sich wie ein Leichentuch über die zerstörte Umgebung. Eine sehr umfangreiche Übersicht über Impakte und die involvierten Prozesse findet sich hier.

Im Falle des Ries-Einschlags geht man von einem etwa 1-1.5 Km großen Asteroiden aus, welcher mit 15-18 Kilometern pro Sekunde (!) einschlug. Es ist immer noch nicht klar, um was es sich handelte – Der Körper ist durch die hohen Energien schlichtweg verdampft oder aufgeschmolzen. Es gibt Hinweise auf achondritisches Material, aber nix genaueres. Die Temperaturen reichten bis zu 35000°C, was selbst das stärkste Gestein nicht auch nur annähernd aushält. Die freigesetzte Energie lag bei bis zu 10 hoch 21 Joule (eine Megatonne ist etwa 10 hoch 15 Joule…)

Beim Einschlag im Ries wurde Material in Form von Glas (Tektite) aus aufgeschmolzenen Oberflächensedimenten einige hundert Kilometer weit geschleudert (Moldavite). Kalksteinblöcke (‘Reuter Blöcke’) regneten in bis zu 400 Km Entfernung vom Himmel. Und das war erst der Erstkontakt des Asteroiden mit der Oberfläche. Selbiger bohrte sich über einen Kilometer in den Untergrund und erzeugte einen vorläufigen Krater von etwa 1.5 Km Tiefe. Dabei wurden sagenwirmal ca. 90 Kubikkilometer Gestein ausgeworfen.

Charakteristisches Impaktgestein ist der Suevit, eine Mischung aus Glas, entstanden aus aufgeschmolzenem Grundgebirge, pulverisiertem Gestein und zertrümmertem Gestein. Impaktgesteine sind im Nördlinger Ries sehr leicht zugänglich – der Suevit wird nach wie vor als Baustoff verwendet, weshalb man leicht Proben in Steinbrüchen nehmen kann. Deshalb wurden Proben aus dem Ries auch dazu verwendet, die Auswirkungen der massiven Schockwellen bei einem großen Impakt auf Gestein im Detail zu studieren. Diese Schockwellenmetamorphose, bei der die Minerale im Gestein im festen Zustand ihre Struktur verändern, erlaubt die Identifikation von Impakten (Einschlägen), denn nicht jedes Loch in der Landschaft ist ein Einschlagskrater – “Die Natur liebt runde Strukturen” (von Engelhardt). Außerdem lässt sich so die Intensität der Schockwellen aus dem Gestein ermitteln, wozu systematisch in Laborexperimenten Gesteinsproben beschossen wurden.

Der Ries-Einschlag erlaubt auch eine Einschätzung, was so ein 1 Km großes Objekt bei einem Einschlag anrichten würde. Die Decke der Auswürfe erstreckt sich mindestens 45 Kilometer vom Krater, wo sie immer noch mehrere Meter dick ist. Und das war eigentlich nur ein mittelgroßer Einschlag, erdgeschichtlich gesehen. Deshalb ist die Studie dieser Strukturen so wichtig, gerade in der Frühzeit der Erde (und der anderen planetaren Körper) haben solche Prozesse eine entscheidende Rolle gespielt. Die Untersuchung von gut erhaltenen Kratern wie dem Ries ermöglicht es also, die Vorgänge im Detail nach zu vollziehen, was für die Interpretation von Untersuchungen extraterrestrischer Gesteine zentral ist. Die Mondgesteine sind da sicher das prominenteste Beispiel, die Ergebnisse der Schockwellenmetamorphose, in deren Verständnis das Ries sehr zentral war, wurden umgehend auf die Untersuchung der Apollo und Luna Proben angewandt, eben um die Entstehung der Mondkrater zu klären. Dank der Arbeit am Ries kamen dann auch schon 1969 einige der ersten Mondproben nach Tübingen, muss schon toll gewesen sein, damals zum Höhepunkt der Mondforschung direkt involviert zu sein.

Und es gibt da noch eine interessante populärkulturelle Verbindung.

Es hat zum einen im Ries einst, wie einst Gerd Müller sang, ordentlich bumm gemacht. Und genau dieser versetzte, seit Anfang der 60er als Jugendspieler des TSV 1861 Nördlingen, die Torwarte der Region in Angst und Schrecken (180 Tore in der A-Jugend Saison 62/63) . Irgendwie eine erstaunliche zeitliche Überlappung von Sport, Populärkultur und Wissenschaft.

 

 

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Mein Interesse an Planetologie und Raumforschung begann schon recht früh. Entweder mit der Apollo/Sojus Mission 1975. Spätestens aber mit dem Start der Voyager-Sonden 1977, ich erinnere mich noch wie ich mir mein Leben in der fernen Zukunft des Jahres 1989 vorzustellen versuchte, wenn eine der Sonden an Neptun vorbeifliegen würde. Studiert habe ich dann Mineralogie in Tübingen (gibt es nicht mehr als eigenständiges Studienfach). Anstatt meinen Kommilitonen in die gängigen Richtungen wie Keramikforschung zu folgen, nahm ich meinen Mut zusammen und organisierte eine Diplomarbeit über Isotopenanalysen von Impaktgestein aus dem Nördlinger Ries Einschlagkrater. Dem folgte dann eine Doktorarbeit über primitive Meteorite in Münster. Nach 10 Jahren als PostDoc in verschiedenen Ecken der Welt arbeite wieder am Institut für Planetologie in Münster, an Labormessungen für die ESA/JAXA Raumsonde BepiColombo, die demnächst zum Merkur aufbrechen wird. Mein ganzes Arbeitsleben drehte sich bisher um die Untersuchung extraterrestrischer (und damit verwandter) Materialien: Gesteine aus Impaktkratern, die ganze Bandbreite Meteoriten (von den ganz primitiven Chondriten bis hin zu Marsmeteoriten). Zu meiner Forschung gehören auch Laborexperimente, in denen Vorgänge im frühen Sonnensystem nachgestellt wurden. Mein besonderes Interesse ist, die Laboruntersuchungen von extraterrestrischem Material mit Fernerkundungsdaten (im Infrarot) zu verknüpfen. Das vor allem mit Daten aus der planetaren Fernerkundung durch Raumsonden, aber auch mit Beobachtungen junger Sonnensysteme durch Teleskope.

11 Kommentare

  1. Tipp: Ein Besuch im RiesKraterMuseum lohnt sich – als Leckerbissen gibt es dort zusätzlich ein Stück echtes Mondgestein zu sehen.

  2. Glückwunsch zum Paper! 🙂 Mein Ries-Besuch ist schon ca. 20 Jahre her. Eigentlich müsste ich wirklich nochmal hin.

  3. Ich muss es leider zugeben: mein “Namensvetter” im Süden stellt für mich immer noch einen weißen Fleck auf der Landkarte dar. Ich glaube, das muss ich dringend mal ändern. Danke für den Beitrag!

    • Ist auf jeden Fall eine Reise wert – wie erwähnt, alle 2 Jahre findet mindestens eine interessante Tagung statt. Das Rieskrater Museum ist prima, und es ist einiges von Interesse in der Region – Steinheimer Becken und Solnhofen (!)
      Die Riesenschnitzel sollten auch nicht unerwähnt bleiben.

  4. In der Tat, das Ries lohnt eine Reise. Idealerweise verbunden mit fachkundiger Führung durch die geologischen Besonderheiten. Am allerbesten verbunden mit einem Workshop zum Thema Impakte inklusive geologischer Exkursion. Und am aller-aller-besten das Ganze noch bei wunderbarem Wetter. Ich hatte das Glück, vor 5 Jahren den aller-aller-besten Fall zu erwischen. Hier mein Bericht von damals.

  5. Pingback:Wenn es dann doch nicht Bumm gemacht hat. Von Impakten, die wohl doch keine waren. » Exo-Planetar » SciLogs - Wissenschaftsblogs

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