Wozu Modellorganismen?

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Zwischen Molekularbiologie und Medizin
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Modellorganismen sind Tiere und Pflanzen, die in der Forschung und Wissenschaft benutzt werden, um biologischen und medizinischen Fragestellungen nachzukommen und zu beantworten, da Experimente mit Menschen verboten sind. Sie zeichnen sich in der Regel dadurch aus, dass sie leicht gezüchtet werden können, günstig in der Kostenhaltung und leicht manipulierbar sind, um so z.B. Funktionen von Genen zu untersuchen. Viele Meilensteine der Wissenschaft wie z.B. der Ablauf des Zellzykluses, der in der Hefe untersucht wurde, die Gliedmaßenentwicklung der Fruchtfliege Drosophila melanogaster oder auch der Vorgang der Befruchtung, der mittels Seeigeln beschrieben wurde, wurden auf diese Weise "entdeckt". Das Tolle daran ist, dass sich die zu den Wirbeltieren führende Evolutionslinie zwar von den Modellorganismen, wie Fadenwürmern und Insekten vor gut 600 Millionen Jahren getrennt hat, trotzdem aber ca. 50% unserer Proteine Homologien zu diesen Tieren aufweisen. Dies bedeutet, man könnte die Proteine funktionell untereinander tauschen und sie würden im "fremden" Körper der gleichen Funktion nachkommen. Dies führt dazu, dass die Untersuchungen von Zellwachstum, Zellspezialisierung, Zellinteraktion, aber auch die Funtkion von Genen und Proteinen, die mit Hilfe der Modellorganismen untersucht werden auf den Menschen übertragen werden können. Dies geschieht zwar nicht 1:1, aber viele Mechanismen und Vorgänge ähneln sich sehr stark und helfen dabei, Details aufzudecken. Im folgenden möchte ich ein paar Beispiele nennen.
Der Zellzyklus ist ein Vorgang in unserem Körper mit dem Zellen ihr Erbmaterial verdoppeln und sich schliesslich teilen. Dies ist  einer der essentiellsten Schritte in unserer Entwicklung, denn er lässt uns wachsen und ersetzt unsere Zellen, wenn diese absterben oder kaputt sind. Die Proteine, die am Zellzyklus beteiligt sind, tauchten zum ersten mal vor rund einer Milliarde Jahre auf und haben sich so konserviert, dass die Forschung über den genauen Mechanismus des Zellzykluses quasi auf jeden Organismus übertragen werden kann, da Proteine und deren Funktion sich ähneln. Als Modellorganismus dienen hier die Spalt- und die Sprosshefe, die einen ähnlichen Kontrollmechanismus über den Zellzyklus aufweisen, wie der Mensch. Dies macht die Hefe zum perfekten Organismus, um Proteine zu charakterisieren, die das Wachstum von Zellgeweben kontrollieren.
 

Zellzyklus

Abb. 1: Der Zellzyklus – Aus einer Zelle macht zwei. Er besteht aus der Interphase, in der die DNA einer Zelle verdoppelt wird und der Mitose in der die DNA auf die beiden entstehen Zellen verteilt wird und sich diese schliesslich voneinander trennen. (Quelle: Wikipedia)

 

Die Geschlechtsbestimmung bei Säugetieren wurde mit Hilfe von Mausexperimenten untersucht. Wie wir heute wissen, besitzen Frauen eine chromosomale Konstitution von XX, wohingegen Männer ein Y-Chromosom besitzen und somit eine Konstitution von XY aufweisen. Welches Chromosom ist nun aber für die Entwicklung des Geschlechts verantwortlich? Das X- oder das Y-Chromosom? Folgender Versuch beantwortet dies: Man bringt ein Y-Chromosom in eine befruchtetes Maus-Ei ein, dass eine Konstitution von XX besitzt und sich somit zu einem Weibchen entwickeln würde. Die Injektion eines Y-Chromosoms programmiert den Embryo aber um, sich zu einem Männchen zu entwickeln. Auf dem Y-Chromosom müssen also Gene liegen, die das männliche Geschlecht bestimmen. In der Tat befindet sich auf dem Y-Chromosom ein Gens namens "Sry". Es produziert ein Protein TDF (Testes determinierender Faktor), das andere Proteine in der Entwicklung aktiviert, die für die Entwicklung von Sorteli-Zellen nötig sind. Diese steuern letztendlich die männliche sexuelle Entwicklung.

Ein anderes spannendes Thema ist die Befruchtung einer Eizelle mittels eines Spermiums, ein komplexer Mechanismus, der nicht zu unterschätzen ist, da das Spermium nicht einfach mal eben so die Eizelle findet und in sie eindringen kann. Man stelle sich nur vor, dass von den 300 Millionen Spermien, die bei einer Ejakulation ausgeschüttet werden, 200 den Ort der Befruchtung im Eileiter erreichen und schließlich nur eines mit der Eizelle verschmilzt. Wie genau das Spermium dies macht, wurde anhand von Seeigeln untersucht. Seeigel kommen normalerweise keinem sexuellen Akt nach, sondern geben ihre Ei- und Samenzellen ins Wasser ab, trotzdem verläuft die Befruchtung ähnlich wie beim Menschen: Das Spermium dockt an die Eizelle an, wodurch Enzyme freigesetzt werden, die dem Spermium beim Eintritt helfen. Es kämpft sich durch die Wand der Eizelle und verschmilzt schliesslich mit ihr. Nun stellt die Eizelle sicher, dass kein weiteres Spermium mehr eintreten kann. Diese Vorgänge sind chemisch komplex, aber gut am Seeigel untersuchbar.
 

Akrosomenreaktion

Abb. 2: Die Befruchtung eines Eies – Ein komplexer Vorgang, in dem die Akrosomenreaktion die Hauptrolle spielt. Dabei werden Enzyme freigesetzt, die dem Spermium das Eindringen in die Eizelle ermöglichen. Ähnlich verläuft die Befruchtung beim Menschen. (Quelle: Wikipedia)

 

Der Fadenwurm Caenorhabditis elegans ist ein makelloser Modellorganismus. Das interessante an ihm ist, dass er immer die gleiche Anzahl an Zellen besitzt, was ihn zu einem Untersuchungsobjekt macht mit dem man herausfinden kann, wie Zellen genau in ihrer Entwicklung gesteuert werden, da sie immer einem bestimmten Zellteilungsmuster folgen. So wurden hier Moleküle gefunden, die den Verlauf der Entwicklung steuern und fast identisch mit einigen Molekülen im Menschen sind. Man kann also die Vorgänge im Fadenwurm wieder auf den Menschen übertragen. Die Fruchtfliege Drosohila melanogaster ist ein Modellorganismus, in dem man die sogenannten Hox-Gene identifiziert hat. Es handelt sich dabei um essentielle Gene, die in so gut wie allen Tieren vorkommen und die die anterior-posteriore Achsenausbildung steuern, was also bei uns vorne und was hinten ist. In ihr lassen sich durch mittlerweile etablierte genetische Methoden Mutationen ins Genom einbringen, wodurch die Hox-Gene manipulierbar sind, um so herauszufinden, was für Folgen dies hat. Dies trägt dazu bei, die genaue Funktion dieser Gene besser zu verstehen. Hox-Gene steuern beim Menschen die Ausbildung des Kleinhirns, der Halsregion und des Rumpfes und sind somit aus der Entwicklung nicht wegzudenken. Drosophila taugt aber noch für die Untersuchung der Organentwicklung und der Entwicklung von Körperanhängen, wie z.B. Beinen. Hier sind wiederum die molekularen Mechanismen auf uns übertragbar.

Letztendlich bleibt noch der afrikanische Krallenfrosch Xenopus Laevis übrig. In der Zell- und Entwicklungsbiologie ist dieses Tier der Modellorganismus für die Untersuchung von Zellbewegungen und Ausformung des Wirbeltierkörpers schlechthin. Wird eine Eizelle befruchtet, teilt sich diese zu aber Millionen Zellen und wächst, wobei der heranwachsende Embryo bestimmte Gewebe entwickeln und diese zu bestimmten Strukturen formen muss. Wie dies genau vor sich geht, lässt sich am Krallenfrosch untersuchen und auf uns übertragen. 

 

Embryogenese

Abb. 3: Die Embryogenese beim Menschen – Kompexe Zellvorgänge, die mit Hilfe des afrikanischen Krallenfrosches, aber auch des Huhns untersucht werden können. (Quelle: Wikipedia)
 
 
Es gibt noch zahlreiche andere Tiermodelle, die für Untersuchungen herangezogen werden und für unterschiedliche Fragestellungen besonders geeignet sind, je nach Auswahl der Parameter. Sie sind nötig, um die Funktion von Genen, Proteinen, Stoffwechselwegen etc. in unserem Körper zu untersuchen und zu charakterisieren. Eine moderne Welt und Medizin wäre ohne Forschung an diesen Modellorganismen nicht möglich!
 

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Sebastian Reusch ist Naturwissenschaftler und studierte Biologie mit den Schwerpunkten Zell- und Entwicklungsbiologie, Genetik und Biotechnologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Danach arbeitete er am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin an molekularbiologischen Prozessen des Immunsystems. Derzeit promoviert er am IRI Life Sciences der Humboldt-Universität zu Berlin an grundlegenden Fragen der Zellbiologie und Biochemie des Tubulin-Zytoskeletts in Stammzellen. Seine Schwerpunktthemen hier im Blog sind Molekularbiologie und Biomedizin. Twitter: @MrEnkapsis

5 Kommentare

  1. Tierversuche

    Du sagst: “Das Tolle daran ist, dass sich die zu den Wirbeltieren führende Evolutionslinie zwar von den Modellorganismen, wie Fadenwürmern und Insekten vor gut 600 Millionen Jahren getrennt hat, trotzdem aber ca. 50% unserer Proteine Homologien zu diesen Tieren aufweisen.Dies führt dazu, dass die Untersuchungen von Zellwachstum, Zellspezialisierung, Zellinteraktion, aber auch die Funtkion von Genen und Proteinen, die mit Hilfe der Modellorganismen untersucht werden auf den Menschen übertragen werden können.”

    Genau dieses biologische Argument hat einmal ein Biologe im Fernsehen für Tierversuche verwendet. Tierversuche wären im Grunde genommen ein Beleg für die Evolution.

  2. Modellorganismen in der Medizin

    Die Aussage, dass ohne Forschung an Modellorganismen keine moderne Medizin möglich wäre, kann nicht so stehen bleiben. Gerade in der medizinischen Forschung hat sich herausgestellt, dass Tiermodelle große PRobleme aufwerfen. Dazu möchte ich ein hervorragendes Buch empfehlen: „Animal Models in Light of Evolution“ von Ray Greek und Niall Shanks. Das Buch beschäftigt sich mit dieser Problematik (post-graduate level). Die Autoren untersuchen den Gebrauch von Tiermodellen für die Vorhersage von Reaktionen des menschlichen Organismus in der pathophysiologischen und pharmazeutischen Forschung. Das Buch kommt zu der SChlussfolgerung, dass Tiermodelle zwar in der vergleichenden Grundlagenforschung einen gewissen Wert haben, aber weder Krankheitsreaktionen noch Arzneimittelwirkungen am Menschen voraussagen können. Dieses Buch sollte eigentlich zur Pflichtlektüre jedes Wissenschaftlers gehören, der auf der Grundlage von Modellorganismen Aussagen über menschliche Krankheiten machen möchte. Abgesehen vom hohen wissenschaftlichen Niveau ist es auch noch höchst anregend, lebendig und spannend geschrieben. Viel Spass bei der Lektüre –
    Ulrike Gross

  3. @Joe: Ob Tierversuche ein Beleg für die Evolution seien, hm, naja, ich würde sagen, der Biologe hat das etwas falsch ausgedrückt. Ich würde eher sagen, dass die Ergebnisse, die aus zahlreichen Tierversuchen erhalten wurden, aufzeigen, dass zwischen bestimmten Tierarten Proteine Homologien aufweisen. Dies wiederum verstärkt die Hypothese, dass wir alle vom selben Vorfahren abstammen.

    @Ulrike: Vielen Dank für den Tipp! Ich habe gerade geschaut, ob es dieses Buch in meiner Universität-Bibliothek gibt, aber leider Fehlanzeige. Ich werde es mir aber auf jeden Fall irgendwann auf Amazon bestellen, da es durchaus interessant klingt.

    Die Aussage, dass ohne Forschung an Modellorganismen keine moderne Medizin möglich wäre, kann nicht so stehen bleiben. Gerade in der medizinischen Forschung hat sich herausgestellt, dass Tiermodelle große PRobleme aufwerfen.

    Dies stimmt! Natürlich kann man nicht einfach jedes biliebige Tiermodell für seine Forschung hernehmen, da es immer genetische/körperliche/stoffwechseltechnische Unterschiede zum Menschen gibt. So können durchaus Probleme in der Analyse auftreten. Eine 100%ige Voraussage für

    Krankheitsreaktionen noch Arzneimittelwirkungen am Menschen

    sind daher natürlich nicht möglich, aber deswegen gibt es ja klinische Studien. Ich wollte mit meinem Artikel auch nicht solch eine Aussage bezwecken. Ich wollte lediglich aufzeigen, dass Tiermodelle vieles zur Aufklärung von Genen beigetragen haben und wie diese an der Entwicklung des Menschen beteiligt sind. Weiß man dann, welche Gene für was verantwortlich sind, kann man durchaus einen medizinischen Aspekt entwickeln. Als Beispiel sei das Kartagener-Syndrom genannt, bei dem Männer eine Mutation im Motorprotein Dynein aufweisen, wodurch die Struktur der Cilien gestört ist. Männer sind dann aufgrund der “kaputten” Geißeln der Spermien steril und besitzen noch andere Symptome. Interessant ist, dass ca. 50% der Männer eine links-rechts-Asymmetrie aufweisen, sprich das Herz dann auf der rechten Körperhälfte liegt. Die Ursache für dieses “Missgeschick” wurde dann anhand von Tierversuchen an Mäusen aufgeklärt. Und zwar sind an der Entwicklung von Säugetieren tatsächlich die Cilien beteiligt, die die rechts-links-Achse in der Entwicklung determinieren, indem sie eine bestimmte Morphogenverteilung bewirken, die dann eine differenzierte Genexpression bewirkt, wodurch Zellen die Information erhalten, was rechts und was links ist.

    Ich spreche von solchen Vorteilen von Tiermodellen, in denen man Ursachen von Krankheiten oder Anomalien aufdecken kann.

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