Sterben heutzutage weniger Menschen an Krebs?

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Zwischen Molekularbiologie und Medizin
Enkapsis
Der Krebsinformationsdienst des deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg bietet bei Fragen rund um Krebs eine optimale Anlaufstelle. Hier kann man sich über die verschiedenen Krebsarten informieren, die Grundlagen der Krebsentstehung nachlesen und einiges über Risikofaktoren, Vorbeugung, Früherkennung etc. erfahren. Sehr empfehlenswert! Natürlich gibt es auch viele Adressen, Links und Telefonnummern, wenn man weitergehende Fragen hat. Für den ultimativen Überblick gibt es auch eine A bis Z-Liste. Nicht zu vergessen, ist auch das Robert-Koch-Institut mit seinen Krebsregisterdaten und Informationen und Broschüren rund um diese Krankheit.

Ich möchte hier nun das Bewusstsein in Sachen Krebs ein wenig schärfen, da er neben den Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Deutschland die zweithäufigste Todesursache ist. Da wir aber in einer Welt der modernen Medizin leben, ist es berechtigt zu fragen, wieso dies so ist. Schließlich gibt es Chemo- und Strahlentherapien, ja sogar Antikörper gegen Krebs. Besonders skeptische Leute (die in Wahrheit nicht richtig informiert sind) werfen der Medizin und der Forschung hier vor, sie würde ihren Pflichten nicht wirklich nachkommen, da alle möglichen Therapien nicht dafür gesorgt haben, dass die Mortalitätsraten zurückgehen. Hier kommt man dann zwangsläufig auf die altersstandadisierte Krebssterblichkeit zu sprechen, von der so manch einer vielleicht noch nichts gehört hat. Um mich nicht zu verzetteln, wobei es sich bei solchen Standardisierungen handelt, zitiere ich die Definition, Anwendung und Interpretation solcher erstellbaren Statistiken, die ich bei der Gesundheitsberichterstattung des Bundes gefunden habe:

Standardisierungen sind Rechenverfahren zur Herstellung vergleichbarer epidemiologischer Maßzahlen für strukturell verschiedene Gesamtheiten. Der Strukturunterschied der Bevölkerung kann z.B. bezüglich des Alters, des Geschlechts und/oder anderer Merkmale bestehen. Die Standardisierung nach Alter kommt besonders häufig vor, da die Angabe in der Regel verfügbar ist und das Alter bei den meisten Gesundheitsproblemen eine Rolle spielt.

Anwendung: Altersstandardisierungen auf Grundlage einer Standardbevölkerung werden häufig bei Krebsregistern zum Vergleich von Morbiditäts- oder Mortalitätsraten herangezogen. Liegen unterschiedliche Altersstrukturen bei Bevölkerungen verschiedener Regionen oder der Bevölkerung eines Gebietes über die Zeit hinweg vor, sind deren Mortalitäts- oder Morbiditätsraten nur beschränkt vergleichbar. Für interregionale oder intertemporale Vergleiche ist daher eine Altersstandardisierung notwendig. Hierbei wird der Bezugsbevölkerung die Altersstruktur einer Referenzpopulation, die so genannte Standardbevölkerung unterstellt. Dabei werden die altersspezifischen Mortalitäts- oder Morbiditätsraten der Bezugsbevölkerung entsprechend dem Altersaufbau der Standardbevölkerung gewichtet.

Interpretation: Nach einer Altersstandardisierung können Daten unterschiedlicher Jahre oder Regionen miteinander verglichen werden, ohne dass es zu Verzerrungen aufgrund unterschiedlicher Altersstrukturen kommt. Bei der Interpretation altersstandardisierter Morbiditäts- oder Mortalitätsraten ist zu beachten, dass sie keine realen, im Sinne von empirisch beobachtbaren, Angaben darstellen. Sie beschreiben vielmehr, wie die Mortalitäts- oder Morbiditätsraten in der betrachteten Bevölkerung wären, wenn die Bezugsbevölkerung der Standardbevölkerung entspräche, also von altersstrukturbedingten Effekten abstrahiert würde (Quelle: Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE).

Die Altersstandardisierung erlaubt es also Statistiken zu erstellen, die die Krebsmortalitätsraten vergangener Jahre mit heute vergleichen. Dabei werden die tatsächlichen Krebssterblichkeiten von anderen Ursachen unterschieden, die wachsende Lebenserwartung berücksichtigt und das Alter mit einbezogen. Ihm kommt eine besondere Bedeutung zu, da ältere Menschen häufiger an Krebs erkranken als jüngere. Dazu komme ich später noch. Als Bezugsbevölkerungen werden bei solchen Berechnungen der sogenannte "Europa-Standard" benutzt, der die Altersstruktur der durchschnittlichen europäischen Bevölkerung wiedergibt. Ein "Weltstandard" ist ebenfalls vorhanden. Damit möchte ich darauf hinaus, dass es sich bei der Erstellung dieser Statistik durchaus um einen Wert handelt, der der Realität nahe kommt, da es bei der Interpretation der Alterstandardisierung vorhin hieß, sie sei empirisch nicht beobachtbar. Trotzdem stimmt sie natürlich. Abschließend lässt sich sagen, dass durch das statistische Verfahren der Alterstandardisierung Sterblichkeitsraten vergangener Jahre mit heute gut vergleichen lassen. Demnach ist die Krebssterblichkeit zwischen 1980 und 2006 um 20 Prozent zurückgegangen! Wie gesagt, es ist ganz wichtig zu beachten, dass wir mittlerweile durchschnittlich wesentlich länger leben und dass je älter man wird, desto höher das Risiko an Kebs zu erkranken ist. Aus diesem Grund kann man nicht einfach die Zahl der Menschen, die z.B. 1982 an Krebs gestorben sind mit den Zahlen beispielsweise aus 2004 vergleichen. Möchte man trotzdem vergleichen, dann kann man beobachten, dass die absoluten Zahlen der Sterbefälle in Deutschland steigen, obwohl in Wirklichkeit immer mehr Menschen ihre Erkrankung überleben. Man beachte hier, dass der Anstieg der Lebenserwartung dazu führt, dass insgesamt deutlich mehr Krebsneuerkrankungen und infolgedessen auch Todesfälle verzeichnet werden. Man darf die Zahlen aber nicht einfach vergleichen, sondern muss eine alterstandardisierte Statistik erstellen, da nur so das scheinende Paradoxon zu erklären ist. 

 

 
Graphik 1: Altersstandardisierte Neuerkrankungs- und Sterberaten in Deutschland 1980 bis 2006 im Europastandard. Wie man sieht, sind die Sterblichkeitsraten zurückgegangen (Quelle: Robert-Koch-Institut, Krebs in Deutschland 2005/2006 Häufigkeiten und Trends, S. 22).
 
Kommen wir nun weg von der Erklärung dieser Statistik und schauen uns ein paar andere Zahlen an. Im jahr 2006 wurden insgesamt 210.930 Krebstodesfälle in Deutschland verzeichnet, rund 426.800 Menschen erlitten eine Neuerkankung. Schätzungen zufolge erreicht die Zahl der Neuerkrankungen in 2010 die 450.000er Marke. So gut wie jeder vierte Todesfall ist also auf Krebs zurückzuführen. Erstaunlich sind hier die Zahlen, dass auf einen unter 15-jährigen, der an Krebs erkrankt, 200-300 über 80-jährige kommen. Krebs tritt daher häufiger bei älteren Menschen auf. Zu erklären ist dies durch die Ansammlung von Mutationen im Erbgut im Laufe des Lebens, da so vermehrt Gene zerstört werden und Zellen entarten lassen. Kein Wunder also, dass je älter man wird, desto risikobehafteter es ist, Krebs zu bekommen. Neben den Mutationen spielt aber auch die Immunoseneszenz eine wichtige Rolle. Neue Forschungsergebnisse besagen nämlich, dass im Alter das Immunsystem teilweise anfängt zu versagen. Natürlich kann eine Folge davon Krebs sein.

Die Krebsart die es den Männern am meisten antut, ist das Prostatakarzinom. Jeder vierte männliche Krebspatient muss sich damit rumschlagen. Bei den Frauen ist am häufigsten das Mammakarzinom zu verzeichnen. Darunter versteht man schlichtweg Brustkrebs. Auf den Plätzen 2 und 3 folgen sowohl bei Männern als auch bei Frauen Darm- und Lungenkrebs.

 
 
Graphik 2: Jährliche Neuerkrankungs- und Sterbefälle sowie altersstandardisierte Neuerkrankungs- und Sterberaten im Europastandard für Prostatakrebs bei Männern. Während immer mehr Männer ein Prostatakarzinom erleiden, geht die Sterblichkeitsrate langsam zurück (Quelle: Robert-Koch-Institut, Verbreitung von Krebserkrankungen in Deutschland, S. 100).
 
 

 
Graphik 3: Jährliche Neuerkrankungs- und Sterbefälle sowie altersstandardisierte Neuerkrankungs- und Sterberaten im Europastandard für Brustkrebs bei Frauen. Während immer mehr Frauen Brustkrebs bekommen, geht die Sterblichkeitsrate langsam zurück (Quelle: Robert-Koch-Institut, Verbreitung von Krebserkrankungen in Deutschland, S. 77).

 

 
Insgesamt lässt sich sagen, dass 2010 rund 1,45 Millionen Menschen mit der Erkrankung Krebs in Deutschland lebten und es noch heute tun, darunter fallen 731.000 Männer und 721.000 Frauen. Erstaunlich wie hier ein 50:50 Verhältnis vorliegt. Schauen wir uns nun mal an, an welchen Krebsarten die Bürger Deutschlands  hauptsächlich erkranken und an welchen sie sterben.
  

 
Graphik 4: An welcher Krebsart in Deutschland 2006 die meisten Menschen erkrankten (Quelle: Robert-Koch-Institut, Krebs in Deutschland 2005/2006 Häufigkeiten und Trends, S. 12).
 
 

 
Graphik 5: An welcher Krebsart in Deutschland 2006 die meisten Menschen starben (Quelle: Robert-Koch-Institut, Krebs in Deutschland 2005/2006 Häufigkeiten und Trends, S. 13).
 

 
Während Frauen am häufigsten an Brust-, Darm- und Lungenkrebs erkranken, spiegelt dies auch die gleiche Reihenfolge der häufigsten Krebstodesursachen bei ihnen wieder. Bei Männern spielt sich fast das Gleiche ab. Während sie hauptsächlich an Prostata-, Darm-, und Lungenkrebs erkranken, taucht der Lungenkrebs allerdings als Krebstodesursache #1 auf.  Neben diesen Daten ist natürlich auch ein internationaler Vergleich interessant. Dazu gibt es folgende Graphik:
 

 Graphik 6: Altersstandardisierte Neuerkrankungs- und Sterberaten in Deutschland im internationalen Vergleich 2006 (Quelle: Robert-Koch-Institut, Krebs in Deutschland 2005/2006 Häufigkeiten und Trends, S. 23).
 
 
Über die verschiedenen Positionen der einzelnen Ländern möchte ich jetzt nicht mutmaßen und möchte zu meinem hoffentlich bleibenden Fazit des Artikels kommen, welches lautet, dass heutzutage mehr Menschen ihre Krebserkrankung überleben als noch vor 20 Jahren und dass so die Mortalitätsrate langsam zurückgeht.
 
 

 


 

Quellen:

  • Veröffentlicht in: Krebs
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Sebastian Reusch ist Naturwissenschaftler und studierte Biologie mit den Schwerpunkten Zell- und Entwicklungsbiologie, Genetik und Biotechnologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Danach arbeitete er am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin an molekularbiologischen Prozessen des Immunsystems. Derzeit promoviert er am IRI Life Sciences der Humboldt-Universität zu Berlin an grundlegenden Fragen der Zellbiologie und Biochemie des Tubulin-Zytoskeletts in Stammzellen. Seine Schwerpunktthemen hier im Blog sind Molekularbiologie und Biomedizin. Twitter: @MrEnkapsis

3 Kommentare

  1. Therapie mach älter

    Die Statistiken zeigen nicht nur, dass die Zahl der Neuerkrankungen seit den späten 90er Jahren stagniert, sondern auch, dass die Mortalitätsraten zurückgehen (bei Männern deutlicher als bei Frauen). Das ist wohl der Therapie zu verdanken. Krebs ist heute häufig heilbar. Wir sterben also im Durchschnitt auch darum später, weil wir in den Genuss einer besseren medizinischen Behandlung kommen. Die Ausgaben in diesem Bereich sind also nicht ganz für die Katz.

  2. @Martin Holzherr

    Ja, die guten Therapiemöglichkeiten wurden hier garnicht erst angesprochen, aber ihnen ist es sicherlich zu verdanken, dass die Mortalitätsraten zurückgehen. Krebs ist demnach besser therapierbar und größere Heilungschancen bestehen besonders dann, wenn der Krebs rechtzeitig gefunden wird. Wie schon einmal erwähnt, sind die Behandlungschancen bei bereits eingetretener Metastasierung viel schwieriger. Daher kann ich jedem die Vorsorge empfehlen. Besonders in den Fällen von Brust- und Prostatakrebs.

  3. Die Frage “Sterben heutzutage weniger Menschen an Krebs?” beantwortet die New York Times mit dem Artikel Cancer Death Rate Is in Steady Decline Among Americans.
    Aktuell geht die Krebs-Mortalität wegen höheren Überlebensraten bei Lungenkrebs und beim Melanom zurück.
    Zitat:

    Die Krebstodesrate in den Vereinigten Staaten fiel von 2016 bis 2017 um 2,2 Prozent – der größte Ein-Jahres-Rückgang der Krebssterblichkeit, der jemals berichtet wurde, berichtete die American Cancer Society am Mittwoch.

    Grund: In den USA wird weniger geraucht und die Krebsimmuntherapie verlängert das Leben vieler Lungenkrebskranker und heilt gar einen gewichtigen Anteil der an Melanom erkrankten.
    Keine Fortschritte gab es bei Kolorektal, Prostata- und Brustkrebs, was auch daran liegt, dass diese Krebserkrankungen bei Adipösen häufiger sind und die Adipositas in den USA sich nun in solchen Erkrankungen auswirkt.

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