Vergänglichkeit

BLOG: Einsteins Kosmos

Vom expandierenden Universum bis zum Schwarzen Loch
Einsteins Kosmos

Manchmal trifft mich dieser niederschmetternde Gedanke aus heiterem Himmel: Alles wird irgendwann vorbei sein! Ich werde mir schlagartig meiner Vergänglichkeit, meinem endlichen Dasein, meiner menschlichen Begrenztheit bewusst. Dieser Gedanke ist einerseits beunruhigend, andererseits strahlt er in seiner Absolutheit Ruhe und Gewissheit aus. Ein seltsames, gemischtes Gefühl – das nach erfolgreicher Verdrängung im Alltag verblasst.

Religiöse Menschen finden bei solchen Gedanken Trost im Motiv der Auferstehung, das in vielen Weltreligionen fest verwurzelt ist. Der Glaube verspricht: Es geht weiter, es ist zwar nicht ganz klar wie, aber es geht weiter.
Die regelmäßige Wiederkehr der Dinge ist wiederum ein weit verbreitetes Konzept in der Natur. Der Tag, der Monat, die Jahreszeiten, die Sonnenzyklen – das alles sind Beispiele von natürlichen, kosmischen Zyklen, die die Verhältnisse auf der Erde und auch die Eigenschaften des Lebens geprägt haben. Bricht man diese kosmischen Zyklen auf eine physikalische Grundeigenschaft herunter, so findet man die Rotation. Rotation, das Vermögen sich relativ zu einem Bezugspunkt zu drehen, ruft die zahlreichen Zyklen hervor, die uns so vertraut sind: die Rotation der Erde um ihre eigene Achse (Tag), die Rotation des Mondes um die Erde (Monat) und die Rotation der Erde um die Sonne (Jahreszeiten) etc. Ich fühle mich bei diesen phantastisch präzisen Räderwerken erinnert an die wohldefinierte, deterministische, mechanische Welt des 19. Jahrhunderts.

Im 20. Jahrhundert wurde mit den Entdeckungen in der Quantentheorie und in der nichtlinearen Dynamik ("Chaostheorie") klar, dass die Welt nicht so deterministisch ist. Weiterhin wissen die Astrophysiker, dass die wunderbaren Zyklen Tag, Monat und Jahr nicht ewig währen. So nimmt beispielsweise die Tageslänge durch die Gravitationswechselwirkung von Erde und Mond (die so genannte Gezeitenreibung) beständig zu. Ein Stern ist kein immerwährendes Gebilde – auch wenn der alte Name Fixstern das implizieren mag; ein Stern entsteht aus dem Kollaps einer Materiewolke, leuchtet – verglichen mit einem Menschenalter – eine ziemlich lange Zeit und er geht über in einen neuen kompakten Zustand oder explodiert. Auch Sterne sterben. Auch Sterne haben einen Lebenszyklus wie Menschen. Diese Erkenntnis an sich ist schon höchst erstaunlich.

Diese Überlegung kann noch weiter getrieben werden zu den größeren Strukturen im Kosmos. Galaxien, Ansammlungen von einigen hundert Milliarden Sternen und von Gas und Staub, sind ebenfalls irgendwann entstanden. Sie durchleben unterschiedliche Phasen: sie können hell strahlen in ihrer Jugend, mit anderen Galaxien verschmelzen und sie können dunkler werden zu ihrem Lebensende, so wie es Astronomen bei einigen dunklen Zwerggalaxien in der Nachbarschaft der Milchstraße beobachten.

Noch größere Strukturen in der Weite des Weltalls sind die Galaxienhaufen. Sie sind Spielball der Gravitation und der Dunklen Energie, zusammengehalten von Dunkler Materie. Auch die Galaxienhaufen entwickeln sich.

Wir dürfen nun mutig den letzten Schritt wagen und behaupten, dass auch das Universum selbst Lebensphasen durchläuft und – zumindest im Prinzip – wiedergeboren werden könnte. Geboren im Big Bang dehnt sich das Weltall aus; Teilchen, Kräfte und chemische Elemente entstehen, die sich zu Sternen und Galaxien zusammenballen. Aus den Materiescheiben einiger Sterne bilden sich Planeten, auf denen eine komplexe Chemie abläuft, die sich irgendwann selbst begreift. Doch dieses Bewusstsein ist zahlreichen Gefahren ausgesetzt: der eigenen Lebensfeindlichkeit, den langfristig instabilen Bedingungen der Atmosphäre, dem Bombardement von kosmischen Klein- und Großkörpern, dem Schicksal des Heimatgestirns, das explodieren oder sich zu einem roten Riesen aufblähen und alles verbrennen könnte.

Das sind alles Gefahren auf einer verhältnismäßig kurzen Zeitskala, die uns traurig stimmen mögen. Ich empfinde Erleichterung, wenn ich bedenke, dass es dem Universum als Ganzes nicht besser ergehen wird. Auch das Weltall wird sterben wie der Mensch. Das gängige Standardmodell der Kosmologie besagt, dass das Universum sich immer mehr, sogar beschleunigt, ausdehnt. Es wird größer und zieht die kosmischen Strukturen auseinander. Dabei wird es kälter. Nach dem, was wir heute (zu) wissen (glauben), wird es der Gravitation nicht gelingen, diesen Ausdehnungs- und Abkühlungsprozess aufzuhalten. Das Ende ist ein leerer, kalter Kosmos – angefüllt mit Schwarzen Löchern, Schwarzen Zwergen und kaltem Staub.   

Manchmal trifft mich dieser niederschmetternde Gedanke aus heiterem Himmel: Alles wird irgendwann vorbei sein!

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Die Astronomie ist faszinierend und schön – und wichtig. Diese interdisziplinäre Naturwissenschaft finde ich so spannend, dass ich sie zu meinem Beruf gemacht habe. Ich bin promovierter Astrophysiker und befasse mich in meiner Forschungsarbeit vor allem mit Schwarzen Löchern und Allgemeiner Relativitätstheorie. Aktuell bin ich der Scientific Manager im Exzellenzcluster Universe der Technischen Universität München. In dieser Tätigkeit im Forschungsmanagement koordiniere ich die interdisziplinäre, physikalische Forschung in einem Institut mit dem Ziel, Ursprung und Entwicklung des Universums als Ganzes zu verstehen. Besonders wichtig war mir schon immer eine Vermittlung der astronomischen Erkenntnisse an eine breite Öffentlichkeit. Es macht einfach Spaß, die Faszination am Sternenhimmel und an den vielen erstaunlichen Dinge, die da oben geschehen, zu teilen. Daher schreibe ich Artikel (print, online) und Bücher, halte öffentliche Vorträge, besuche Schulen und veranstalte Lehrerfortbildungen zur Astronomie, Kosmologie und Relativitätstheorie. Ich schätze es sehr, in meinem Blog "Einsteins Kosmos" in den KosmoLogs auf aktuelle Ereignisse reagieren oder auch einfach meine Meinung abgeben zu können. Andreas Müller

2 Kommentare

  1. Ja, das was sie hier schreiben ist wirklich nachvollziehbar und in dem Fall auch beruhigend. Auch wenn für mich die Endlichkeit des Universums immernoch jenseits des Zeithorizontes liegt, denn ich als ‘der Endlichkeit unterworfen’ beschreibe … Für mich ist das alles quasi-unendlich. Wahrscheinlich haben sie als Astronom generell mehr mit solchen großen Zahlen zu tun – und können sie daher besser fassen…

    Aber diesen “niederschmetternden Gedanken” den kenne ich.

  2. @amazeman

    Vielen Dank für den Kommentar.

    Ich glaube, dass es ein weit verbreitetes Vorurteil ist, dass Astronomen die “astronomischen Zahlen” besser fassen, im Sinne von sich besser vorstellen, können. Astronomen können diese Zahlen messen und sie können damit rechnen; sie können die Zahlen vielleicht vage dadurch veranschaulichen, dass sie sie in Bezug setzen zu anderen Maßstäben (so passt die Erdkugel etwa 32mal in den mittleren Abstand Erde-Mond hinein usw.).

    Ich kann diese Dimensionen aber nicht begreifen, weil sie außerhalb meiner alltäglichen Erfahrungswelt liegen – da ergeht es mir genau wie Ihnen.

    Beste Grüße,
    A. Müller

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