Heute, 13:00 Uhr: Erste Kollisionen am LHC bei 7 TeV

BLOG: Einsteins Kosmos

Vom expandierenden Universum bis zum Schwarzen Loch
Einsteins Kosmos

Den Physikern, Technikern und Ingenieuren am Large Hadron Collider (LHC) am CERN bei Genf gelang es heute am Di., 30.03.10 gegen 13 Uhr erstmals Protonen bei einer neuen Rekordenergie zusammenstoßen zu lassen. Herzlichen Glückwunsch an alle Beteiligten!

Der Teilchenbeschleuniger LHC
Der LHC ist der zurzeit leistungsstärkste Teilchenbeschleuniger der Welt. In ihm werden Protonen in einem 27 Kilometer umfassenden Ring mithilfe von elektrischen und magnetischen Feldern fast auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. Der LHC ist ein Collider, d.h. Teilchen werden zum Zusammenstoß gebracht: Eine Gruppe von etwa 10 Milliarden Protonen bewegt sich die eine Richtung und eine weitere Gruppe in die entgegengesetzte Richtung. Ist die Maximalgeschwindigkeit erreicht, die der Beschleuniger hergibt, zurzeit 3,5 TeV pro Strahl, werden die Teilchenbündel zur Kollision gebracht. In dem Feuerball steckt eine für Teilchen gewaltige Energie von 7 TeV – genug Energie, um Myriaden neuer Teilchen entstehen zu lassen, die mit einer Armada von Messgeräten nachgewiesen werden. Die Physiker hoffen dabei vollkommen neue Teilchen zu erzeugen, allen voran das Higgs-Teilchen oder vielleicht auch supersymmetrische Teilchen. Das Higgs-Teilchen wird in der Teilchenphysik benötigt, um die beobachteten, endlichen Massen aller anderen Teilchen zu erklären. Die supersymmetrischen Teilchen sind eine Erweiterung des Standardmodells der Teilchenphysik und sehen für jedes bekannte Teilchen eine Art "supersymmetrischen Zwilling" vor, also vollkommen neue Teilchen. Beide Entdeckungen wären von großer Bedeutung für die Physik und Astronomie. 

Warum Hadronen-Kollider?
Protonen gehören zur Familie der Hadronen; so bezeichnet man generell diejenigen Teilchen, die aus Quarks aufgebaut werden. Baryonen bestehen aus drei Quarks und Mesonen aus zwei Quarks. Die Protonen bestehen aus zwei up-Quarks und einem down-Quarks. Weil Quarks drittelzahlige Ladungen haben (up: +2/3, down: -1/3), resultiert daraus ein Proton mit ganzzahliger, positiver Elementarladung.

Was ist ein TeV?
Das Elektronenvolt (Einheitensymbol: eV) ist die Energieeinheit der mikroskopischen Welt. Es ist definiert als diejenige Energie, die ein Elektron erhält, wenn es eine Spannungsdifferenz von einem Volt durchläuft. Teilchenphysiker drücken auch die Teilchenmassen in Elektronenvolt aus. Dabei wenden Sie nichts anderes an, als Einsteins berühmte Gleichung E = mc^2 – Energie ist äquivalent zu einer Masse m; die unterschieden sich nur um das Quadrat der Vakuumlichtgeschwindigkeit c. Weil das eine gewaltige Zahl ist, steckt schon in einem Gramm Materie eine riesige Energie. Ein Elektron, ein negativ geladenes Elementarteilchen, das um einen Atomkern kreist, hat eine Masse von 511.000 Elektronenvolt oder kurz geschrieben 511 keV (eigentlich 511 keV/c^2). Ein Proton hingegen ist ungefähr 2000fach massereicher und hat eine Masse von 1.000.000.000 Elektronenvolt, einer Milliarde Elektronenvolt oder kurz 1 GeV (G steht für Giga).
Die Energie, die in dem heute am LHC erzeugten Feuerball steckt, hat satte 7.000.000.000.000 Elektronenvolt, also sieben Billionen Elektronenvolt oder kurz 7 TeV (T steht für Tera). Das entspricht rein rechnerisch 7000 Protonenmassen. In der mikroskopischen Welt ist das eine gewaltige Energie, was man daran sieht, wenn man die Energie auf die makroskopische Welt überträgt: 7 TeV ist ungefähr die Bewegungsenergie, die ein Moskito im Flug hat. Das klingt nicht sehr aufregend, aber man muss bedenken, in wie vielen Teilchen die Energie steckt: Beim Moskito steckt die Energie in ungefähr 10^24 Teilchen; beim LHC steckt die Energie in "nur" 10^10 Protonen. Es ist eine gewaltige Leistung in so wenig Teilchen, so viel Energie hineinstecken zu können.
Diese Energie lässt sich freisetzen, wenn man so hoch beschleunigte Teilchen zum Zusammenstoß bringt. Aus der Energie entsteht etwas Neues, nämlich neue Teilchen. Mit dem LHC kommen wir zu so hohen Energien, wie sie Teilchen kurz nach dem Urknall hatten. Deshalb ist der LHC ein "Guckloch" in den frühsten Kosmos.

Was passierte jetzt am LHC?
Am LHC gibt es vier Großexperimente, die sich an vier Kollisionspunkten der Protonenbündel befinden. Die Experimente heißen ATLAS, CMS, Alice und LHC-b und wurden bereits knapp in meinem Blog vorgestellt
Die Physiker werden mit den Detektoren an diesen vier Experimenten Messdaten sammeln. Ein Beispiel von heute Mittag zeigt das mit dem Experiment CMS aufgenommene Kollisionsereignis (Bild, Credit: Marzena Lapka, CERN). Wie man sich leicht vorstellen kann, ist allein das sehr schwierig, denn der LHC produziert pro Sekunde Unmengen an Daten. Die Daten werden in den nächsten Wochen und Monaten mit raffinierten Methoden analysiert und hoffentlich finden die Forscher dabei neue Teilchen bzw. neue Physik.
Die Teilchenphysiker am CERN könnten – sehr optimistisch betrachtet – vielleicht schon in diesem Jahr eine Aussage treffen, ob es supersymmetrische Teilchen gibt. Beim Higgs-Teilchen werden wir auf jeden Fall mehr Geduld haben müssen- vielleicht drei  Jahre, weil hierbei zunächst eine größere Datenmenge aufgesammelt werden muss, um daraus eine statistisch handfeste Aussage machen zu können.   

Zum weiteren Zeitplan
Der LHC soll nun für die nächsten 18-24 Monate bei einer Kollisionsenergie von 7 TeV laufen und Daten sammeln. Das soll nur von einem Technikcheck Ende 2010 unterbrochen werden. Nach Ablauf von spätestens 24 Monaten wird es eine längere Pause geben, um dann den LHC auf seine "Design-Energie" von 14 TeV hochzufahren. Drücken wir die Daumen!

Quelle:
CERN-Pressemitteilung 30.03.10

Medienecho:
ZDF,
tagesschau,
BILD,
Spiegel
 

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Die Astronomie ist faszinierend und schön – und wichtig. Diese interdisziplinäre Naturwissenschaft finde ich so spannend, dass ich sie zu meinem Beruf gemacht habe. Ich bin promovierter Astrophysiker und befasse mich in meiner Forschungsarbeit vor allem mit Schwarzen Löchern und Allgemeiner Relativitätstheorie. Aktuell bin ich der Scientific Manager im Exzellenzcluster Universe der Technischen Universität München. In dieser Tätigkeit im Forschungsmanagement koordiniere ich die interdisziplinäre, physikalische Forschung in einem Institut mit dem Ziel, Ursprung und Entwicklung des Universums als Ganzes zu verstehen. Besonders wichtig war mir schon immer eine Vermittlung der astronomischen Erkenntnisse an eine breite Öffentlichkeit. Es macht einfach Spaß, die Faszination am Sternenhimmel und an den vielen erstaunlichen Dinge, die da oben geschehen, zu teilen. Daher schreibe ich Artikel (print, online) und Bücher, halte öffentliche Vorträge, besuche Schulen und veranstalte Lehrerfortbildungen zur Astronomie, Kosmologie und Relativitätstheorie. Ich schätze es sehr, in meinem Blog "Einsteins Kosmos" in den KosmoLogs auf aktuelle Ereignisse reagieren oder auch einfach meine Meinung abgeben zu können. Andreas Müller

7 Kommentare

  1. Sehr schön

    Es freut mich sehr, dass es geklappt hat. Ich war seit 9 Uhr früh vor dem Live Stream und habe alles mitverfolgt. Die “Schwarze Loch” Kritiker sind jetzt hoffentlich auch ruhig. Ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse.

  2. Energie pro Proton?

    Beim Moskito steckt die Energie in ungefähr 10^24 Teilchen; beim LHC steckt die Energie in “nur” 10^10 Protonen.

    Müßte es nicht heißen: …in jedem einzelnen der 10^10 Protonen?

  3. Toller Start! / Moskito im Flug

    Wirklich ein prima Start und eine schöne Berichterstattung! Nachdem bei den Tests in den Tagen vor dem großen Event immer wieder der Strahl verloren ging, freute es mich ganz außerordentlich, dass gerade am 30. die Strahlen 4 Stunden hielten und Kollisionen produzierten. Heute, 4. auf 5. April, lief der LHC 21 Stunden in einer Tour – klasse!

    Bei dem Vergleich mit dem Moskito muss ich mich meinem Vorgänger anschließen:
    Mit der Formel E = 1/2 m v² für die Energie des Moskito und den aus der Wikipedia entnommenen Werten: Masse des Moskito = 2 mg, Geschwindigkeit = 2 km/h ergibt sich E = ca. 3 * 10 hoch -7 Joule, und mit 1eV = 1.6022 * 10 hoch -19 J ergibt das ca.:
    Energie des Moskito im Flug E = 2 TeV.
    Das ist also – größenordnungsmäßig – die Energie EINES Protons und nicht aller Protonen insgesamt.

    Grüße,
    Bernhard Foltz

  4. Zu den Fragen u. Kommentaren:

    @Cordelia Steiger
    Sie haben Recht. Ich habe mich nochmal bei einem Experten rückversichert, der bestätigte, dass die TeV-Energie in JEDEM EINZELNEN Proton steckt. Leider war in dieser Hinsicht die CERN-Pressemitteilung nicht exakt genug (“energy per beam”).

    @Bernhard Foltz
    Besten Dank für’s nachrechnen; Zahlenwerte und Ergebnis kann ich bestätigen.

    Die Zahl der Protonen im Strahl kann noch weiter erhöht werden – ich las in LHC reports von 10^12…10^13 Protonen. Zusammen mit den oben genannten 3,5 TeV (6 x 10^-7 J) pro Proton das geht so weit, dass im Strahl einige Mega-Joule (MJ) stecken können. Ein Protonenstrahl mit 2-3 MJ kann locker ein Loch in die Metallverkleidung brennen, was 2004 bereits am CERN geschah.

    Bei diesen Strahlenenergien wird immer gern der Vergleich mit einem ICE-Zug bemüht, der 150 km/h schnell fährt. Wir rechnen nach: Laut Wikipedia hat der alte ICE-1 eine Leermasse (d.h. ich bin noch nicht zugestiegen) von fast 1000 Tonnen. Setzen wir diese Masse und die Geschwindigkeit von 150 km/h ein, rechnen in die passenden Einheiten um, so erhalten wir die kinetische Energie des ICEs von ca. 870 MJ. Das sind 5,4 x 10^27 eV oder 5,4 x 10^15 TeV. Damit der Vergleich passt, müsste man meines Erachtens nur einen Triebwagen nehmen, der etwas langsamer fährt.

  5. Mit Spannung verfolgt

    Wir haben uns den Bericht zu diesem Versuch natürlich nicht entgehen lassen. Ich bin gespannt, was die Forschung in den kommenden Monaten an bahnbrechenden Erkenntnissen bekannt geben wird, wenn die Daten ausgewertet wurden.

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