Überwältigende Sommernacht

BLOG: Einsteins Kosmos

Vom expandierenden Universum bis zum Schwarzen Loch
Einsteins Kosmos

Mitternacht. Eine laue Sommernacht. Ich bin auf dem Heimweg und bemerke an einer dunklen Stelle im Feld den Sternenhimmel. Nur ein paar Wolken bedecken den Himmel, aber das Wesentliche ist sichtbar: Sterne und Sternbilder. I had to stop and stare. Einsteins Kosmos breitet sich vor meinen Augen aus…überwältigend.

Vor meiner Nase, tief im Süden, sehe ich Sagittarius, das Tierkreiszeichen Schütze. Ja, der Schütze – dort befindet sich das Zentrum der Milchstraße und auch mit drei Millionen Sonnenmassen ihr größtes Schwarzes Loch, Sgr A*. Hoppla, was ist der helle Fleck dort? Die Venus? Nein, kann nicht sein – es ist viel zu spät für den Abendstern. Dann kann es nur Jupiter sein; aber so hell? Richtig, Jupiter steht kurz vor der Opposition (9.7.) und ist heller denn je. Wahnsinn! Er ist so hell, dass er sogar bei Stadtbeleuchtung noch gut zu sehen ist…überwältigend.

Rechts neben dem Schützen erhebt sich majestätisch der Scorpius, der Skorpion. Bedrohlich erscheint er nicht, weil sein Stachelschwanz besser von südlichen Gefilden zu beobachten ist. Aus dem Herzen des Skorpions zwinkert mir ein roter Stern zu: Antares, wie schön Du Dich von Deinem schwarzen Samtbett abhebst. Deinen Namen, übersetzt so viel wie "Gegenspieler von Mars", trägst Du vollkommen zu recht. Du bist kein naher Planet, sondern eher ein ferner Stern – Dein Licht war 600 Jahre bis zu mir unterwegs. Als es sich auf den Weg machte, wurde (in etwa) die Universität Leipzig gegründet…überwältigend.

Oberhalb des Skorpions entdecke ich Ophiuchus, den Schlangenträger. Ja, das verschmähte 13. Tierkreiszeichen. Wer mag schon die 13? Bei 12 Tierkreiszeichen wandert die Sonne jeden Monat um exakt 30 Grad weiter. Und Jupiter mit seinen 12 Jahren Umlaufzeit um die Sonne steht königlich jedes Jahr in einem anderen Tierkreiszeichen. Mit 13 Tierkreiszeichen hätte das nicht funktioniert. Armer Schlangenträger. Berühmt bist Du trotzdem und hast es in der Medizin weit gebracht. Als Äskulap oder Asklepios, griechischer Heiler mit Stab, der sich in eine um den Stab windende Schlange verwandelt. Du bist das Sinnbild der Heilkunst, das von der Antike bis in die Neuzeit überdauerte und an keinem Apothekenschild vorbeikommt. Griechische Mythen sind am Himmel verewigt…überwältigend.

Hinter meiner rechten Schulter, im Nordwesten, bemerke ich den Großen Wagen. Klar, das bekannteste Sternbild in unseren Breiten. Moment, der Große Wagen ist ja gar kein Sternbild, sondern nur ein Teil von Ursa Major, dem Großen Bären, der eigentlich eine Bärin ist (Ursa). Jedenfalls macht so eine Sternenschau einen Bärenhunger…einen überwältigenden.

Das Hungergefühl verflüchtigt sich, als ich links von mir das "Himmels-W" entdecke, Cassiopeia. War das nicht die Mutter von Andromeda? Ja, die Tochter ist ebenfalls am Himmel zu sehen, direkt neben Pegasus, dem fliegenden Pferd. Andromeda – die Kleine wurde doch von Perseus, dem griechischen Helden gerettet. Sie sollte dem Meeresungeheuer Cetus geopfert werden und erwartete ihr Schicksal an den Felsen gekettet. Perseus rettete sie. Und aus dem Meeresungeheuer Cetus wurde in der Transkription ein langweiliger Walfisch. Jedenfalls war Perseus ein Wahnsinnstyp – ein griechischer Held eben, der Spiderman der Antike. Er war nicht nur tapfer, sondern (welch seltene Kombination) schlau – was sicherlich eine bessere Kombination ist, als schön (und) blöd. Als Griechenlands First Top-Hero schlug er der Medusa das Schlangenhaupt ab, bis es sich ausgeschlängelt hatte. Und das, obwohl Medusas Betrachter doch zu Stein werden. Der Sage nach war nämlich das Schlangenhaupt so hässlich (Griechenlands Next Top-Hackfresse), dass man als ungeübter Betrachter versteinern musste. Aber Perseus nutzte sein blitzblankes Schild als (Kosmetik?)Spiegel und beäugte die Medusa indirekt. Diese Art von Voyeurismus behütete vor der Steinwerdung und Perseus besiegte so die Medusa durch einen gezielten Hieb auf den Hals, der zur Enthauptung führte – ein kopfloses Unterfangen. Perseus mit erigiertem Schwert in der einen und Medusakopf in der anderen Hand – so sieht man ihn am Himmel. Mit Medusas einem Auge assoziiert ist der Stern Algol, ein Bedeckungsveränderlicher, was den Eindruck erweckt, dass der abgeschlagene Kopf der Medusa nun fröhlich vor sich hinblinkert – die Astronomen haben schon einen Galgenhumor.  Für den Namen al-gul ("der Dämon" – sehr passend!) sind die Araber verantwortlich, von denen die Griechen einiges übernommen haben. Wie dem auch sei. Auch kopflos gab es ein Happy-end: Schwups, aus Medusas Hals sprang das Pferd Pegasus und alle waren…überwältigt.

Diese Sommernächte. Noch kurzweiliger sind sie nur um den 11. August, wenn die Perseiden über den Himmel flitzen. Ja, die Perseiden sind tatsächlich nach Superheld Perseus benannt und zwar weil sie alle (scheinbar) von dort kommen. Das hat nichts Mythisches, sondern ist knallharte Astrophysik: Der Komet Swift-Tuttle zerplatzte zerbröselt in kleine Bruchstücke, die nun alljährlich im August  – immer wenn die Erde die Bahn des ehemaligen Kometen kreuzt – auf die Erde niederregnen. Ein Meteorstrom ist der Fachbegriff für derartige, wiederkehrende Sternschnuppenregen. Also, noch gut einen Monat warten und bitte gegen Morgen an den Himmel schauen. So schnell werden Sie sich nichts wünschen können, wie da die Sternschnuppen purzeln! Ein grandioses Himmelsschauspiel…einfach überwältigend.

Überwältigt von meinen Gedankenblitzen und Assoziationen mache ich mich auf den Heimweg. Zuhause komme ich müde an und finde meine schlafende, bessere Hälfte auf einem bequemen Liegemöbel. Erschöpft lege ich mich neben sie und stelle fest wie gut ich es habe, denn sie ist…überwältigend.

Na, Lust bekommen?
Wenn Sie auch überwältigt werden möchten: Morgen um Mitternacht wiederholt sich dieses Spektakel. Und falls es bewölkt ist, dann probieren Sie es übermorgen…

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Die Astronomie ist faszinierend und schön – und wichtig. Diese interdisziplinäre Naturwissenschaft finde ich so spannend, dass ich sie zu meinem Beruf gemacht habe. Ich bin promovierter Astrophysiker und befasse mich in meiner Forschungsarbeit vor allem mit Schwarzen Löchern und Allgemeiner Relativitätstheorie. Aktuell bin ich der Scientific Manager im Exzellenzcluster Universe der Technischen Universität München. In dieser Tätigkeit im Forschungsmanagement koordiniere ich die interdisziplinäre, physikalische Forschung in einem Institut mit dem Ziel, Ursprung und Entwicklung des Universums als Ganzes zu verstehen. Besonders wichtig war mir schon immer eine Vermittlung der astronomischen Erkenntnisse an eine breite Öffentlichkeit. Es macht einfach Spaß, die Faszination am Sternenhimmel und an den vielen erstaunlichen Dinge, die da oben geschehen, zu teilen. Daher schreibe ich Artikel (print, online) und Bücher, halte öffentliche Vorträge, besuche Schulen und veranstalte Lehrerfortbildungen zur Astronomie, Kosmologie und Relativitätstheorie. Ich schätze es sehr, in meinem Blog "Einsteins Kosmos" in den KosmoLogs auf aktuelle Ereignisse reagieren oder auch einfach meine Meinung abgeben zu können. Andreas Müller

4 Kommentare

  1. Swift-Tuttle geht’s bestens

    “Der Komet Swift-Tuttle zerplatzte in kleine Bruchstücke” – also wirklich: Die Perseiden stammen von Staub, den er ganz friedlich bei diversen Periheldurchgängen abgesondert hat, und bei seiner letzten Wiederkehr 1992 war der Komet eine stattliche Erscheinung.

  2. Komet lebt

    Ich bitte um Nachsicht und Ersetzung des Begriffs “zerplatze” durch “zerbröselt unaufhaltsam”.

    Danke & Gruß,
    Andreas

  3. Kometen die platzen bröseln nicht

    🙂

    Ob nun zerplatzt oder zerbröselt, ich finde du hast deine Eindrücke super rübergebracht! Manchmal braucht man nur seine eigenen Sinne um wieder mal zurück auf das Wesentliche zu kommen…

    Viele Grüße,

    Jan

  4. überwätigende Sommernacht

    Lieber Herr Andreas Müller,
    schön geschrieben, Ob richtig oder falsch, kann ich nicht beurteilen, da ich astronomisch und noch mehr astrologisch völlig unbedarft durchs Leben gehe. Seit der Pfadizeit kenne ich gerade den Grossen Bären, den Nord- oder Polarstern.Aber diese künstlichen Linien zwischen Sternen, die gar nichts miteinander zu tun haben, in Raum und Zeit weit voneinander entfernt leuchten und deren Licht schon so lange unterwegs ist, dass sie vielleicht gar nicht mehr existieren, was sollte ich damit? Ich gab die Sternkarte Sirius, drehbar!, wieder weg. Aber natürlich ist der Sternenhimmel immer ein gewaltiger Eindruck. Man(n)wird dabei sehr klein und bescheiden, die Probleme noch relativer als Einsteins Theorie, und dann die Frage: was ist dahinter? Ausserhalb von Raum und Zeit? Darüber schweigen die Kosmologen und Astrophysiker. In der Weltwoche (schweiz. Wochenzeitung)no 30.03 war ein guter Artikel: “Das Universum ist flach”von Joachim Laukenmann. Demnach kann es nicht nur rund-sphärisch, sondern auch flach wie ein Kuchen oder rund-schlauchig wie der Luftschlauch eines Pneus sein. Je nach Formel.Mit vielen Fragen. Konstant scheint nur unser Unwissen zu sein. Und zum Schluss meint er in Anlehnung an den Physiker Landau: Kosmologen wissen viel, aber sie verstehen wenig. Wie Lao Tsé vor 2500 Jahren: Der Weise ist nich gelehrt und der Gelehrte nicht weise. Aber man kann überwältigt sein. Nur, was ist nun ausserhalb der Kugel- Kuchen – oder Schlauchform??? Warum gab es einen big Bang, wer oder was löste das alles aus? Unterdessen, falls ich diese Fragen je beantworten können sollte, was nicht unmöglich ist, schlage ich vor, dass wir uns gegenseitig viel Gutes tun hienieden, was ja auch gut tut, und uns selbst eben auch relativieren. Herzlich grüsst von der Oberfläche der Erde in unserem schönen Sonnensystem

    Rudolf N. Strässle

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