Zeig mir deine Gene und ich sag dir, was du frisst

Bioinformatiker modellieren mit dem Computer Stoffwechselwege von Bakterien und helfen damit Bakteriologen definierte Nährmedien für Bakterien herzustellen. Mit diesen Nährmedien können Bakteriologen dann Reinkulturen von Bakterien anlegen.

Infektionskrankheiten können Patienten ziemlich schnell außer Gefecht setzen und im schlimmsten Fall zu einer Pandemie führen. Anhand der Symptome hat der Arzt meist einen ersten Krankheitsverdacht. Da unterschiedliche Krankheitserreger jedoch gleiche Symptome verursachen können, ist für die Wahl der Therapie der Nachweis des speziellen Krankheitserregers wichtig. Hat der Arzt ein bestimmtes Bakterium in Verdacht, ist ein Verfahren es direkt nachzuweisen das Anlegen einer Bakterienkultur.

Dafür schickt der Arzt die Proben des Patienten, wie Stuhl, Harn oder Blut an ein mikrobiologisches Labor. Dort überführt der Bakteriologe die Proben in eine flüssige Nährbouillon oder auf einen festen Nährboden.

Definierte Nährmedien für Bakterien

Komplexe Nährmedien wie z. B. das bekannte LB-Medium enthalten Nährstoffe, die nicht näher chemisch definiert sind, wie zum Beispiel Fleischextrakte, Hefeextrakte und Albumin. Komplexmedien werden sehr häufig verwendet und erlauben das Wachstum fast aller Bakterienarten.

Wenn das Bakterium aber in einem komplexen Nährmedium nicht wächst, versuchen es die Bakteriologen mit einem definierten Nährmedium. Definierte Nährmedien enthalten nur Zusätze wie bestimmte Zucker, Aminosäuren, Proteine, Vitamine, anorganische Salze und Spurenelemente, die im Einzelnen bekannt und exakt chemisch definiert sind. Definierte Nährmedien sind auf die Bedürfnisse bestimmter Bakterienarten zugeschnitten. Im Englischen sprechen die Bakteriologen in diesem Zusammenhang von „fastidious bacteria” das sind Bakterien mit gehobenen kulinarischen Ansprüchen, bei denen es nicht unter 4 Sterne-Medium geht. Neisseria gonorrhoeae, der Erreger der Gonorrhoe gehört z. B. zu den Bakterien dieser Gruppe.

In der medizinischen Bakteriologie werden meist runde Kunststoffschalen mit einem festen Nährboden aus Agar, sogenannte Agarplatten, benutzt. Die Proben werden auf die Nährbodenoberfläche hauchdünn aufgetragen (Ausstrich). Der Bakteriologe will damit erreichen, dass die Bakterien vereinzelt auf dem Nährboden zu liegen kommen.

Aus jedem einzelnen Bakterium entsteht dann unter idealen Lebensbedingungen (Temperatur, Feuchtigkeit, pH-Wert usw.) in kurzer Zeit eine Bakterienkolonie, die aus den Klonen des einzelnen Bakteriums entstanden ist, eine sogenannte Reinkultur. Um eine Reinkultur zu ermöglichen, muss das verwendete Kulturgefäß so mit einem Deckel verschlossen werden, dass andere Bakterien und Pilze nicht von außen eindringen können.

Nach dem Ausstreichen werden die Agarplatten in den Inkubationsschrank gestellt, wo die Bakterien wachsen und sich vermehren. Dafür werden im Inkubationsschrank spezifische Temperaturen, pH-Werte sowie der passende Sauerstoffgehalt eingestellt.

An der Form, der Farbe und mit anschließenden molekularbiologischer Untersuchungen wie  z. B. der PCR kann der Bakteriologe dann die Bakterienart bestimmen. Möchte der Arzt, dass das Bakterium auf spezifische Antibiotikaresistenzen untersucht wird, gibt der Bakteriologe dem Nährmedium ein Antibiotikum hinzu. Dann handelt es sich um ein Selektivmedium. Der Bakteriologe fertigt dann für den Arzt sogenannte Antibiogramme an, die entsprechende Informationen über spezifische Antibiotikaresistenzen enthalten.

Zwei Agarplatten mit Bakterienkulturen. Aus den weißen Scheiben fließen jeweils verschiedene Antibiotika auf das Nährmedium. Die Bakterienkultur links reagiert auf alle getesteten Antibiotika empfindlich, während die rechts nur empfindlich gegenüber drei der sieben getesteten Antibiotika ist.
Credit: Dr Graham Beards at en.wikipedia [CC BY-SA 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0) or GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html)], via Wikimedia Commons Zwei Agarplatten mit Bakterienkulturen. Aus den weißen Scheiben fließen jeweils verschiedene Antibiotika auf das Nährmedium. Die Bakterienkultur links reagiert auf alle getesteten Antibiotika empfindlich, während die rechts nur empfindlich gegenüber drei der sieben getesteten Antibiotika ist.

Reinkulturen von Bakterien

Warum sind Reinkulturen für Diagnose und Therapie so wichtig?

1.    wegen der Koch’schen Postulate
2.    um den lebenden Erreger untersuchen zu können
3.    um Antibiotikaresistenzen zu testen
4.    um möglichst viel Untersuchungsmaterial für Experimente zu haben
5.    um einen Referenzstamm zu haben, gegen den die Bakteriologen ähnliche Bakterienstämme vergleichen können

Leider lassen sich nicht von allen Bakterien, die beim Menschen Krankheiten verursachen, Reinkulturen anlegen. Oft liegt das daran, dass sich die Bakterien in einem komplexen Nährmedium nicht vermehren und die Bakteriologen nicht wissen, welche spezifische Zusammensetzung von organischen Substanzen ein definiertes Nährmedium enthalten muss, damit ein bestimmtes Bakterium darin wächst und sich vermehrt.

Über 40 Jahre hatten die Bakteriologen dieses Problem beim Bakterium Tropheryma whipplei, dem Erreger der Whipple-Krankheit, die erstmals 1907 von dem Medizin-Nobelpreisträger George Hoyt Whipple beschrieben wurde [1].Tropheryma whipplei gehört ebenso wie Mycobacterium tuberculosis, dem Erreger der Tuberkulose und Mycobacterium leprae, dem Erreger der Lepra zu den Actinobakterien. 2003 wurde das komplette Genom des Bakteriums sequenziert [2]. Es besitzt ein kleines Genom mit ca. 927 000 Basenpaaren, 808 Protein-kodierenden und 54 RNA-kodierenden Genen.

Stoffwechselwege von Bakterien

Mit dem Computer analysierten Didier Raoult und sein Forscherteam von der Universität Marseille das T. whipplei- Genom um Hinweise zu den Stoffwechselwegen des Bakteriums zu sammeln. Dafür benutzten sie das Programm KEGG Mapper – Reconstruct Pathway

Dieses Programm durchsucht das Genom nach den spezifischen Genen bzw. Enzymen, die für die verschiedenen Stoffwechselwege notwendig sind, und vergleicht das Gefundene mit den Einträgen in seiner Datenbank, die sämtliche Stoffwechselwege gespeichert hat. Anhand dieser Informationen rekonstruiert (modelliert) das Programm dann die Stoffwechselwege, die in dem Bakterium vorhanden und listet die auf, die nicht vorhanden sind.

Im Fall von Tropheryma whipplei sagte das Programm voraus, das dem Bakterium die Stoffwechselwege für die Synthese der Aminosäuren Histidin, Tryptophan, Leucin, Arginin, Prolin, Lysin, Methionin, Cystein, und Asparagin komplett fehlen. Zusätzlich besitzt das Bakterium keinen Zitratzyklus und kann somit nicht die Aminosäuren Glutamat und Glutamin herstellen. Die Folge davon ist, dass es auch nicht die Aminosäuren Aspartat, Threonin, Valin und Isoleucin herstellen kann, denn für ihre Synthese ist Glutamat Ausgangsstoff. Schließlich fehlte auch Prephenat-Dehydratase, ein Enzym, das für die Synthese von Phenylalanin benötigt wird.

Der Stoffwechselweg für die Biosynthese der Aminosäure Isoleucin.
Der Stoffwechselweg für die Biosynthese der Aminosäure Isoleucin mit den Enzyme-Classification (EC)-Nummern

Aufgrund der Ergebnisse dieser Modellierung zogen die Bakteriologen den Schluss, das Tropheryma whipplei bestimmte Aminosäuren vom infizierten Wirt klaut, indem es sie durch seine Membrantransportsysteme in sein Zellinnere schleust.

Die Bakteriologen stellten also ein definiertes Nährmedium her, das die fehlenden Aminosäuren enthielt und ….(bitte hier Trommelwirbel einfügen)

Siehe da, es funktionierte!

Es gelang ihnen eine Reinkultur von Tropheryma whipplei anzulegen [3]. Mit dem gleichen Ansatz gelang es später anderen Wissenschaftlern Reinkulturen der Bakterien Xyllela fastidiosa [4], Leptospirillum ferrodiazotrophum [5], Coxiella burnetii [6] herzustellen.

Epilog

Treffen sich ein Bakteriologe, ein Biochemiker und ein Bioinformatiker – das muss nicht immer der Anfang eines Witzes sein, sondern kann auch der Beginn einer erfolgreichen interdisziplinären Zusammenarbeit sein.

Weiterführende Literatur

1. Whipple G H. (1907) A hitherto undescribed disease characterized anatomically by deposits of fat and fatty acids in the intestinal and mesenteric lymphatic tissues. Bull Johns Hopkins Hosp.;18:382–391.

2. Raoult D, Ogata H, Audic S, Robert C, Suhre K, Drancourt M, Claverie JM. (2003) Tropheryma whipplei Twist: a human pathogenic Actinobacteria with a reduced genome. Genome Res 13:1800-1809.

3. Renesto P, Crapoulet N, Ogata H, La Scola B, Vestris G, Claverie J.-M, Raoult D (2003) Genome-based design of a cell-free culture medium for Tropheryma whipplei Lancet, 362 (9382):447-449.

4. Lemos EG, Alves LM, Campanharo JC. 2003. Genomics-based design of defined growth media for the plant pathogen Xylella fastidiosa. FEMS Microbiol. Lett. 219:39–45.

5. Tyson GW, Lo I, Baker BJ, Allen EE, Hugenholtz P, Banfield JF. 2005. Genome-directed isolation of the key nitrogen fixer Leptospirillum ferrodiazotrophum sp. nov. from an acidophilic microbial community. Appl. Environ. Microbiol. 71:6319–24.

6. Omsland A, Cockrell DC, Howe D, Fischer ER, Virtaneva K, et al. 2009. Host cell-free growth of the Q fever bacterium Coxiella burnetii. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 106:4430–34.

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Joe Dramiga ist Neurogenetiker und hat Biologie an der Universität Köln und am King’s College London studiert. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit der Genexpression in einem Mausmodell für die Frontotemporale Demenz. Die Frontotemporale Demenz ist eine Erkrankung des Gehirns, die sowohl Ähnlichkeit mit Alzheimer als auch mit Parkinson hat. Kontakt: jdramiga [at] googlemail [dot] com

3 Kommentare

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  2. Kleiner redaktioneller Fehler: inkubationsplatten, erst recht solche mit lb, sind seltenst Gasdicht. Überhaupt ist gasdichtes arbeiten ja nur bei anaeroben gefragt. Was wohl gemeint ist, ist der Pasteur’sche Versuch, der Besiedlung durch externe Pathogenese ausschließt, welche durch Luft (bzw. Staub) übertragen werden. Dazu allerdings reicht ein Deckel, der keineswegs gasdicht sein muss. Ein kleiner, dennoch feiner, und im Falle gassensitiver, wichtiger Unterschied! Sonst toller Artikel der einen schöben Einblick in modereüne mikrobiologie gibt

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