Warum die ganze Erbsenzählerei?

BLOG: Die Sankore Schriften

Die Welt ist voller Rätsel
Die Sankore Schriften

Wissenschaftler sind genau.…..genau so blöd, liebenswert und nervig wie der Rest der Menschheit. Eine Grundtätigkeit jedes Naturwissenschaftlers ist das Messen und damit die Herstellung von Daten über sein Forschungsobjekt. Jeder Biologe muss also der Forschung wegen zwangsläufig zum Erbsenzähler werden und sich bei Politik, Industrie und Verwaltung unbeliebt machen …

Erbsen
Abb.: Erbsen (Pisum sativum)

Zurück geht der Ausdruck “Erbsenzähler” auf eine Anekdote die über Karl Baedeker (1801-1859), den Herausgeber von Reiseführern, erzählt wird. Er bestieg den Mailander Dom um die Stufen des Mailänder Doms zu zählen. Statt die Stufen einzeln zu zählen und sich möglicherweise zu verzählen, dachte er sich einen Trick aus: Er blieb alle 20 Stufen stehen und steckte eine getrocknete Erbse von seiner Westen- in seine Hosentasche. Oben angekommen, multiplizierte er einfach die Anzahl der Erbsen in seiner Hosentasche mit 20 und addierte die Reststufen hinzu. Auf dem Rückweg machte er die Gegenprobe. War es auch Wahnsinn so hatte es doch Methode und war reproduzierbar.

Der Priester Gregor Johann Mendel (1822-1884) bestieg zwar nie den Mailänder Dom aber zählte auch Erbsen, nämlich die in seinem Klostergarten in Brünn. Natürlich war seine Motivation zum Erbsenzählen eine andere als Baedekers. Wie Prof. Rudolf Hagemann von der Universität Halle in einem sehr interessanten und lesenswerten Artikel in BIOspektrum [1] vermutet, war Mendels persönliche Motivation ein akademischer Streit mit einem Botanikprofessor bei der zweiten Lehramtsprüfung in Wien (bei der Mendel durchfiel).

Der Streit über die Entstehung des Embryos der Blütenpflanzen

Die Mendel-Biografin Rosalie Wunderlich (1906-1990) berichtet, dass es zu dieser Zeit unter den Botanikern eine Debatte über den Befruchtungsvorgang bei Blütenpflanzen gab. Matthias Jacob Schleiden (1804-1881) vertrat die Ansicht, dass beim Befruchtungsvorgang der Pollenschlauch (männliches Geschlechtsorgan der Pflanze) in den Embryosack (sozusagen die Gebärmutter der Pflanze) hineinwachse; dann entstehe an der Spitze des Pollenschlauchs der Embryo. Der Embryosack sei nur das “Keimbett” des Embryos (Schleiden 1837, 1844, zitiert in [2])

Giovanni Batista Amici (1776-1863) vertrat eine andere Auffassung. Er hatte bereits 1823 den Pollenschlauch entdeckt und später erkannt, dass schon vor dem Eintreffen des Pollenschlauchs im Embryosack eine besondere Zelle vorhanden ist (später als “Eizelle” bezeichnet). Der Pollenschlauch wirke auf diese Zelle stimulierend und bewirke ihre Entwicklung zum Embryo und weiter zur Gesamtpflanze (Amici 1823, 1842, 1846, zitiert in [2]). Im Grunde genommen lief es bei Amici darauf hinaus, dass Vater- und Mutter-Pflanze in gleicher Weise die Eigenschaften der Nachkommen bestimmen.

Mendels zweite Lehramtsprüfung in Botanik

Mendel hörte in Wien Botanikvorlesungen bei Unger und Fenzl. Unger favorisierte Amici während Fenzl ein glühender Anhänger Schleidens war. Wunderlich zeigte, dass im August 1856 als Mendels Prüfung angesetzt war, Unger nicht geprüft hat [2].

“Die Vermutung liegt nahe, dass Mendel bei Professor Fenzl zur Lehramtsprüfung antreten musste und dabei auch die Frage, wie der Embryo der Blütenpflanze entstehe diskutiert wurde […]. Bei Fenzls Temperament und Charakter scheint es durchaus möglich, dass er in seiner bekannten heftigen Weise reagierte und Mendel wegen seiner gegensätzlichen Anschauungen durchfallen ließ oder zum Zurücktreten bewog”.

so Wunderlich. Hugo Iltis [3] der erste Mendel-Biograf schreibt:

“Über die Ursache seines Misserfolges (1856) hat sich Mendel selbst nicht ausgesprochen […] Inspektor Nowotny, damals sein Kollege, erzählte, dass Mendel krank von Wien zurückgekehrt sei. Man sprach davon, dass Mendel bei der Prüfung mit dem Botanikprofessor eine Kontroverse gehabt und auf seinem Standpunkt beharrt (!) habe. Nowotny glaubt, dass dieser Konflikt mit dem Prüfer Mendel zu seinen Versuchen veranlasste, die ja tatsächlich kurz nach der verunglückten Prüfung ihren Anfang nahmen.” (S. 60)

An anderer Stelle berichtet Iltis, “dass ein wissenschaftlicher Disput mit einem der Prüfer bei der zweiten Lehramtsprüfung (1856) ihn [Mendel] dazu gebracht habe, durch Experimente seinen Standpunkt zu beweisen”. (S. 68)

Wunderlich schreibt, dass sämtliche Unterlagen von Mendels zweiter Lehramtsprüfung im Universitätsarchiv Wien fehlen, während noch alle Unterlagen von Mendels erster Lehramtsprüfung von 1850 noch vollständig vorhanden sind. Renee Gicklhorn [4] berichtet dazu, dass sich im Archiv der Wiener Lehramts-Kommission der Eintrag einer am 5. August 1856 geplanten Prüfung findet.

Die Resonanz auf Mendels Kreuzungsversuche

Nach etwa neun Jahren Erbsenzählerei trug Mendel die Ergebnisse seiner Kreuzungsversuche in den Sitzungen des Naturforschenden Vereins in Brünn am 8. Februar und 8. März 1865 in zwei abendlichen Vorlesungen vor. Die schriftliche Version dieser Arbeit erschien unter der Herausgeberschaft desselben Vereins im Jahr 1866 [5].

Gibt es Hinweise in dieser Arbeit zur persönlichen Motivation Mendels für seine Versuche? Ja, auf Seite 42 seiner Arbeit steht der Satz :

„Nach der Ansicht berühmter Physiologen vereinigen sich bei den Phanerogamen zu dem Zwecke der Fortpflanzung je eine Keim- und Pollenzelle zu einer einzigen Zelle 1, welche sich durch Stoffaufnahme und Bildung neuer Zellen zu einem selbstständigen Organismus weiter zu entwickeln vermag.“

Hier fügte Mendel eine ausführliche Fußnote ein, in der er seine Meinung zum Ausdruck brachte. Sie lautet :

„Bei Pisum ist wohl außer Zweifel gestellt, dass zur Bildung des neuen Embryo eine vollständige Vereinigung der Elemente beider Befruchtungszellen statt finden müsse. Wie wollte man es sonst erklären, dass unter den Nachkommen der Hybriden beide Stammformen in gleicher Anzahl und mit allen ihren Eigenthümlichkeiten wieder hervortreten? Wäre der Einfluss des Keimsackes auf die Pollenzelle nur ein äusserer, wäre demselben blos die Rolle einer Amme zugetheilt, dann könnte der Erfolg einer jeden künstlichen Befruchtung kein anderer sein, als dass die entwickelte Hybride ausschließlich der Pollenpflanze gleichkäme oder ihr doch sehr nahe stände. Das haben die bisherigen Versuche in keiner Weise bestätigt. Ein gründlicher Beweis für die vollkommene Vereinigung des Inhaltes beider Zellen liegt wohl in der allseitig bestätigten Erfahrung, dass es für die Gestalt der Hybride gleichgültig ist, welche von den Stammformen die Samen oder Pollenpflanze war.“

Mendels Ergebnisse versprühten den Sex-Appeal von langen Baumwollunterhosen. Zeitungsberichten zufolge (Brünner Tagblatt, Rubrik „Neuigkeiten“) hatte Mendel bei seinen Vorträgen ein freundliches, aber verständnisloses Publikum. Vielleicht aber waren einige der naturwissenschaftlich gebildeten Hörer der Vorträge Mendels durch die postulierten fixen Aufspaltungsverhältnisse auch zu sehr an esoterische Zahlenmystik erinnert worden, sodass die Arbeit nicht entsprechend gewürdigt wurde. Mendel verschickte etwa 40 Sonderdrucke seiner Forschungsarbeit an Botaniker und an Persönlichkeiten, die selbst an Pflanzenbastardierung interessiert waren. Ein anderer Grund für die fehlende Resonanz der wissenschaftlichen Gemeinde auf Mendels Paper wird im geringen Verbreitungsgrad und der niedrigen Auflage jener wenig bekannten Zeitschrift gesehen.

Alles vergebliche Liebesmüh? Nein, Mendel war zufrieden und blieb optimistisch. Im November 1883, wenige Monate vor seinem Tod, schrieb er:

“Mir haben meine wissenschaftlichen Arbeiten viel Befriedigung gebracht, und ich bin überzeugt, dass es nicht lange dauern wird, da die ganze Welt die Ergebnisse dieser Arbeit anerkennen wird.”

Literatur

1. Mendels starke persönliche Motivation für seine Vererbungsversuche, Rudolf Hagemann, BIOspektrum 07.08, 14,. Jahrgang, S 770-772

2. Der wissenschaftliche Streit über die Entstehung des Embryos der Blütenpflanzen im zweiten Viertel des 19.Jahrhunderts (bis 1856) und Mendels „Versuche über Pflanzen-Hybriden“. Rosalie Wunderlich (1982) Folia Mendeliana 17: 225-242. Casopis Moravskeho Musea – Acta Musei Moraviae (67)

3. Gregor Mendel. Leben, Werk und Wirkung. Hugo Iltis (1924). Verlag Julius Springer, Berlin

4. Gregor Mendels Lehramtsprüfung und Studienzeit in Wien. Renee Gicklhorn, Biol. Rundschau 7: 145-159

5.Versuche über Pflanzen-Hybriden. Gregor Mendel. (1866) Verhandlungen des Naturforschenden Vereines Brünn, Band 4:3-47.

Bildnachweis

Bild „Erbsen (Pisum sativum)“

Dunemaire, “Green Peas“

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Quelle: Wikimedia Commons

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Veröffentlicht von

Joe Dramiga ist Neurogenetiker und hat Biologie an der Universität Köln und am King’s College London studiert. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit der Genexpression in einem Mausmodell für die Frontotemporale Demenz. Die Frontotemporale Demenz ist eine Erkrankung des Gehirns, die sowohl Ähnlichkeit mit Alzheimer als auch mit Parkinson hat. Kontakt: jdramiga [at] googlemail [dot] com

1 Kommentar

  1. Mendelsche Regeln oder Gesetze??

    Hallo Joe,

    im Jahre 1869 gab Mendel öffentlich zu: “die Veerbungsgesetze die ich für allgemein bewiesen hielt konnte ich hier nicht beweisen”. Dabei ging es um Mendels gescheiterte Versuche an Hieracium.

    Sogar Mendel selbst war also davon nicht überzeugt die Vererbungsgesetze bewiesen zu haben. Denkst du deshalb nicht es ist richtiger die Mendels Entdeckungen “mendelsche Regeln” zu nennen? Denn Gesetze sollten ja natürlich generell gültig sein.

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