Du sollst nicht töten

BLOG: Die Sankore Schriften

Die Welt ist voller Rätsel
Die Sankore Schriften

Die aktuellen, tragischen Ereignisse von Oslo machen uns wieder eines bewusst: Der Mensch gehört zu einer Minderheit von Tieren, die seine Artgenossen und sogar sich selbst tötet. Überraschend für mich: In Deutschland war 2010 die Zahl der Selbstmorde (mehr als 9000) um das Zehnfache größer als die Zahl der Morde (814). Erschreckend ist, dass global gesehen in letzter Zeit die Kombination von beidem zunimmt. Zum einen Morde, die gleichzeitig einen Selbstmord einschließen, oft ausgeführt von politisch/religiös motivierten Selbstmordattentätern, zum anderen Morde, auf die ein Selbstmord folgt, oft ausgeführt von Menschen die in der Familie, Schule oder am Arbeitsplatz persönlich gekränkt wurden oder sich persönlich gekränkt fühlten.

Die Tötungshemmung bei Tieren

Normalerweise wird im Tierreich bei innerartlichen Konkurrenzkämpfen der Tod des Rivalen vermieden, indem die Auseinandersetzungen als Kommentkämpfe in ritualisierter Form ausgetragen werden. Männliche Hirsche, Antilopen, Moschusochsen, Gnus kämpfen mit beträchtlicher Gewalt, aber der Einsatz der Geweihe oder Gehörne erfolgt primär nicht, um den Rivalen zu töten. Der Unterlegene weicht aus oder „räumt das Feld“ und signalisiert mit „Beschwichtigungs-oder Demutsgebärden“ seine Unterlegenheit, woraufhin der Sieger die Auseinandersetzung abbricht. (Selbst bei dem vom Menschen als „böse“ titulierten Wölfen werden die Kommentkämpfe in dieser ritualisierten Form ausgetragen.) Die Verhaltensforschung spricht deshalb auch von Tötungshemmung. Durch das innerartliche Töten hat der Mensch also den agonistischen Verhaltensweisen, das sind Verhaltensweisen, die mit Rivalität, Wettbewerb und Konkurrenz verbunden sind, eine neue Qualität hinzugefügt. Viel schlimmer noch: Wir Menschen führen Kriege.

Die menschliche Kultur des Tötens

Man kann sogar sagen, dass der Mensch ebenso wie er eine Kultur des Essens, eine Kultur des Tötens entwickelt hat: Er hat zahlreiche „Werkzeuge“ des Tötens geschaffen und er hat das Töten sogar in Form von Hinrichtungen ritualisiert. Bei Soldaten ist das Töten sogar Teil der beruflichen Ausbildung. Trauriger Höhepunkt der Menschheitsgeschichte ist die von den Nazis, durch ihre Gaskammern, geschaffene Tötungsindustrie. Immanuel Kant hatte also auch in diesem negativen Sinne recht, wenn er sagt, dass der Mensch durch die Kultur die Natur überwunden bzw. sich von ihr befreit hat.

Was sind wir doch für kranke lächerliche Puppen die auf einer winzig kleinen Bühne tanzen und was haben wir für Spaß beim ficken und beim tanzen – völlig sorgenfrei, weil wir nicht ahnen, dass wir nichtig sind. Wir sind nicht, was wir sein sollten.

Der Serienmörder John Doe in dem Film "Sieben"

Die Rolle des präfrontalen Cortex in der menschlichen Handlungssteuerung

Zwar glaube ich nicht, wie Konrad Lorenz, an einen Tötungstrieb des Menschen, aber denke, dass er durch die evolutionäre Entwicklung seines Gehirns eine kontextbedingte mentale Prädisposition zum Töten hat: Das liegt an seiner prominenten Entwicklung der Hirnrinde, besonders des präfrontalen Cortex. Der präfrontale Cortex empfängt durch die Sinnesorgane sensorische Signale aus der Umwelt, integriert sie mit Gedächtnisinhalten und verknüpft sie mit deren, aus der Amygdala stammenden, emotionalen Bewertungen. Auf Basis dieser „Verrechnung“ initiiert er dann Handlungen. Er wird als oberstes Kontrollzentrum für eine situationsangemessene Handlungssteuerung angesehen und ist gleichzeitig intensiv an der Regulation emotionaler Prozesse beteiligt. Womit wir beim Thema Emotionen angelangt sind.

Emotionen als Mordmotive

Die häufigste Ursache für Selbstmord ist eine Depression und § 211 (2) des deutschen Strafgesetzbuch weiß zu Mördern Folgendes zu sagen:

Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.

Von niedrigen Beweggründen spricht man, wenn eine Tötung aus Gründen erfolgt, die nach allgemeiner sittlicher Anschauung verachtenswert sind und sittlich auf tiefster Stufe stehen (BGHSt 2, 63; BGHSt 3, 133)

Der Teufel liegt natürlich, wie immer in der Rechtsprechung, im Detail: Ob ein Beweggrund in diesem Sinn als niedrig einzustufen ist, hängt von den Umständen der Tat, den Lebensverhältnisse des Täters und seiner Persönlichkeit ab, mithin von allen inneren und äußeren Faktoren, die für den Handlungsantrieb des Täters maßgebend waren. Bei dieser Wertung ist auch das Verhältnis zwischen dem Anlass der Tat und ihren Folgen bedeutsam. Gefühlsregungen wie Zorn, Wut, Enttäuschung oder Verärgerung können niedrige Beweggründe sein, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen, also nicht menschlich verständlich, sondern Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des Täters sind. Neid, Geiz, Hass, Wut, Rache, können also niedrige Beweggründe sein

Ich gehe davon aus, dass Tiere menschlich nicht verständliche Handlungen ausführen können. Viel interessanter sind jedoch folgende Fragen: Können Tiere überhaupt die oben beschriebenen Gefühle empfinden und somit potenzielle Mörder werden? Wenn Wissenschaftler nun feststellen würden, dass manche Tiere diese Prämissen erfüllen können, hieße das, man könnte sie theoretisch vor einem deutschen Gericht des Mordes anklagen? Heute stellt man in Deutschland keine Tiere vor Gericht, weil sie als Lebewesen ohne moralische Handlungsfähigkeit gelten.

Diese Ansicht ist relativ modern, früher dachte man in Europa anders. Im Jahre 1386 wurde eine Sau wegen Verstümmelung eines unbeaufsichtigten Kleinkindes, dass man in seinem Stall zurückgelassen hatte, des Mordes angeklagt. Die Sau wurde verhaftet und mit menschlichen Kriminellen zusammen in eine Zelle gesperrt. Während des Prozesses wurden mehrere Zeugen aufgerufen und Beweismaterial präsentiert. Das Urteil lautete: Schuldig wegen Mordes. Am Tage seiner Hinrichtung trug das Schwein einen Herrenmantel und eine weißes Hemd, um die Gleichwertigkeit von Mensch und Tier vor dem Gericht zu symbolisieren. Das Schwein wurde wie das Kleinkind brutal verstümmelt. Aber genug dieser verrückten Spekulationen und Geschichten und zurück zur Tötung von Artgenossen. Töten Tiere vielleicht ihre Artgenossen weniger häufig als der Mensch, weil sie diese Gefühle nicht empfinden können?

Gibt es ein materielles Substrat der Tötungshemmung?

So wie die DNA das materielle Substrat der Gene ist, gibt es vielleicht ein materielles Substrat der Tötungshemmung. Ich vermute, dass ein bestimmtes Netzwerk von Neuronen im Gehirn durch Ausschüttung von inhibitorischen Neurotransmittern die Tötungshemmung vermittelt. Diese Struktur ist auch beim Menschen vorhanden aber in wesentlich schwächerer Form, weil sie in der Evolution des Gehirns etwas anderem weichen musste. Vielleicht ist sie bei psychisch kranken Serienmördern irgendwann völlig kaputt. (Ja, beschimpft mich ruhig als biologischen Reduktionisten.)

Ist am Ende das biblische Gebot „Du sollst nicht töten“ schon lange vor der „Erschaffung“ des Menschen als neurogenetisches Programm in den Gehirnen der frühen Säugetiere des Mesozoikum angelegt worden? (Ich weiß, jetzt denkt ihr, ist der Zeitpunkt gekommen mich endgültig in die Klapse einzuweisen. ).

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Veröffentlicht von

Joe Dramiga ist Neurogenetiker und hat Biologie an der Universität Köln und am King’s College London studiert. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit der Genexpression in einem Mausmodell für die Frontotemporale Demenz. Die Frontotemporale Demenz ist eine Erkrankung des Gehirns, die sowohl Ähnlichkeit mit Alzheimer als auch mit Parkinson hat. Kontakt: jdramiga [at] googlemail [dot] com

18 Kommentare

  1. Töten von Artgenossen

    Es ist zwar ein beliebter Mythos, der noch so begeistert weiterverbreitet wird, aber deswegen ist er nicht wahrer. Menschen sind keinesfalls die einzigen Tiere, die ihre Artgenossen töten. Bekannt sind zum Beispiel die Schimpansen mit ihren regelrechten Kriegszügen, um Artgenossen aufzuspüren und auf reichlich brutale Art und Weise zu töten. Ein Verhalten, dass sie übrigens nur in freier Natur zeigen.

  2. Männliche Löwen

    zum Beispiel töten die Jungtiere von Weibchen, wenn diese Jungtiere nicht von ihnen selbst abstammen, um sich schneller mit den Weibchen paaren zu können…na wenn das kein niedriger Beweggrund ist 🙂

  3. Mords-Mensch

    Cappo hat wohl sehr Recht: Andere Tiere können auch im Streit Artgenossen umbringen – aus Versehen (würde wohl Körperverletzung mit Todesfolge entsprechen) bis hin zu absichtlichem Töten aus eigensüchtigen Motiven (Mord). Infantizid ist wohl noch eine extra Kategorie (und häufiger im Tierreich verbreitet als der Kampf erwachsener Artgenossen) . Und den „Krieg der Schimpansen“ gibt es auch. Zu beidem: Siehe zB Volker Sommer, Darwinisch denken. Ich habe es in meinem Blog mal besprochen und genau das als meinen relativ neuen Erkenntnisgewinn aus diesem Buch benannt.
    An anderer Stelle habe ich dann doch die Unterscheidung getroffen: Durch technische Tötungsmittel können wir Menschen erstens die durchaus vorhandene Tötungshemmung eher überwinden als unsere Verwandten (etwa die Lorenzschen Wölfe): Müssten wir mit Zähnen und Klauen die Artgenossen töten und ihnen gar dabei in die Augen schauen, wäre die Hemmung denn doch spürbarer. Zweitens wird via Technik das Töten effektiver – Wir können ja selbst das Töten automatisieren. Schimpansen führen zwar Stammeskriege, Menschen dann Weltkriege. Enorme Verstandesleistung – Niederlage der Vernunft.
    So, und drittens ist der Unterschied denn doch, dass wir Menschen über unser eigenes Verhalten erschrecken und dieses Erschrecken in Worte fassen. Das hat in Mythen, Sagen, Legenden … vieler Völker Niederschlag gefunden. In der Bibel die Geschichte von Kain und Abel. Da wird ja dieses Erschrecken (von den Endredaktoren der Bibel durchaus absichtlich) an den Anfang der erzählten Menschheitsgeschichte (out of paradise) gerückt: Der Mensch ist von Anfang an sich selber ein Problem. Und jeder weiß das auch noch, sollte es wissen.
    Was mich natürlich herausforderte, das ist Deine Überschrift und der Schlussabschnitt. Nun, ich würde sagen: Das Verbot wäre nicht formuliert, wenn diese Taten nicht geschehen würden. In allen Völkern wurde die durchaus vorhandene Neigung zu privatem Töten (und anderen gemeinschaftsschädlichen Handlungen) thematisiert und sehr oft in geschrieben oder ungeschriebenen Rechtssetzungen ein Verbot ausgesprochen. So auch in der Rechtssetzung, deren erste Überlieferung wir wohl von Hamurapi kennen und die dann auf verschiedenen Wegen auch in die biblischen Zehn Gebote eingeflossen ist. Hier geht es wirklich nur um Töten aus privaten Gründen. (Kriegstöten und Töten aus juristischen Gründen (Todesstrafe) wurde damit meines Wissens nicht thematisiert. Auch Töten von Tieren nicht.). Tiere haben so was nicht nötig. So viel Konsequenzen wie beim Menschen hat diese negative Fähigkeit zum Töten von Artgenossen doch noch nicht.
    Aber es bedeutet, dass sich Menschen dessen bewusst sind, wie gemeinschaftsgefährdend es werden kann, wenn man gegen diese Fähigkeit nicht durch kulturelle Setzung eingreift. Aus Zusammenhängen, in denen zwischen Religion und Jurisdiktion nicht unterschieden wurde, liegen uns diese kulturellen Setzungen natürlich besonders in Form heiliger Rechtssetzung/heiliger Schriften vor.
    Aber das ist doch nicht – listiger, lustiger Gedanke – den Säugetieren im Mesozoikum eingestiftet worden. Sondern wir Menschen dürfen neben dem Erschrecken über Untaten doch auch wieder stolz darauf sein, dass wir uns zu unserem eigenen Verhalten auch eigene Gedanken machen können. Und uns (noch) nicht selber ausgerottet haben. Also: die, die sich von den engen Bindungen natürlicher Vorgaben emanzipieren, bauen dann auch Sicherungsmechanismen ein, die die Gefahren dieser Emanzipation in Griff kriegen sollen. Ähnlich wie bei Atomkraft. Bloß das Dumme, wir sind noch etwas komplizierter.
    Danke für Deinen anregenden Beitrag.

  4. @ Hermann Aichele

    Kannst Du mir den Link zu deinem Artikel schicken?

    Zur Todesstrafe

    Warum wird die Verletzung des Tötungsverbots mit dem Töten bestraft, also mit dem was Du verbietest? Wie erklärst Du Dir, dass trotz der religiösen Schriften sich die Todesstrafe in Gesellschaft und Rechtssystem etablieren konnte?

  5. Nicht nur wir Menschen,

    auch unsere bucklige Verwandschaft führt Kriege und tötet ihre Artgenossen. Jane Godall hat derartige Vorfälle bei Schimpansen eingehend beschrieben. Bei Wölfen kommt es meist zwar nicht zu ernsthaften Kämpfen, aber auch dort sind Beschädigungskämpfe, also Kämpfe mit dem ZTiel, den jeweils anderen zu verletzen oder gar zu töten, durchaus beschrieben. Viele Tiere begehen Infantizit und die gerühmte “Beisshemmung” ist nicht immer zuverlässig, sie funktioniert oft nur bei Tieren, die einander schon vorher kennengelernt, und ihre jeweilige Stärke einzuschätzen gelernt haben.

  6. @ All

    Ich habe am Anfang geschrieben „seine Artgenossen UND sogar sich selbst“ daher ging ich davon aus, dass man bisher nicht Tiere beobachtet hat die beides tun. Ich werde den Satz wegen der von euch genannten Beispiele aber umändern. Trotzdem denke ich, dass das Töten von Artgenossen beim Menschen eine ganz neue Dimension angenommen hat.

    Nach dem Kommentar von Carl, frage ich mich außerdem, ob es überhaupt noch gerechtfertigt ist von “Selbstmord” zu sprechen, denn wenn ein Mensch sich selbst tötet, kann man kaum von „niedrigen Beweggründen“ sprechen, im Gegenteil es gibt kaum einen der sich mehr Gedanken über sein Leben macht, als derjenige, der den Entschluss gefasst sein Leben zu beenden.

  7. Todesstrafe u.a.

    Vorneweg: Die Klarstellung, dass es Dir, @Joe D. um die Kombination von Töten anderer und Selbsttötung ging, war hilfreich. Danke! Da habe auch ich zuerst das erste ziemlich isoliert gesehen. Eigentlich dürften wir unsere Beobachtung menschlicher Tötungs-Problematik relativ ähnlich laufen, wenn ich auch in Sachen Hirnforschung Laie bin. Deshalb umso notwendiger diese Gesichtspunkte.

    Nun zum Link: ich wollte nicht den Eindruck vermitteln, ich würde nur kommentieren, um zu verlinken. Hier ist mein genannter Blogpost zu finden: https://scilogs.spektrum.de/…n-menschlichkeit-bewahren .

    Die andere Stelle ist dann der Artikel zu Kain u Abel. Da sind dann ein paar mehr Überlegungen dabei, dass dies der Unterschied zwischen Mensch u Tier ist, dass wir über unser Tun erschrecken können.

    Zur Todesstrafe:
    Also, was *ich* will oder verbieten will, ist eine eigene Sache. Dass „trotz der religiösen Schriften sich die Todesstrafe in Gesellschaft und Rechtssystem etablieren konnte – da müsste man natürlich das „trotz“ hinterfragen. Ich würde aber auf der Linie argumentieren: In den religiösen Schriften (der Bibel und anderen) wurde das festgezurrt, was sich in der Gesellschaft als öffentliche Meinung durchgesetzt hat. Das Problem dabei ist, dass Festgeschriebenes auch schwer revidierbar ist. Und die Hüter der Tradition achten auf ihren Besitzstand. Aber gerade in religiösen Zusammenhängen gibt es durch Außenseiter auch immer wieder neue Aufbrüche. In Israel: Propheten, die (bemerkenswerter Weise!)dann auch in die heiligen Schriften reinkamen. Und gerade in der rabbinischen Kultur eine bemerkenswerte Diskussions-Kultur. Aber die Todesstrafe betrifft das nur sehr indirekt.

    Zum inneren Widerspruch der Todesstrafe – Tötung gegen Töten: Nun, in den allermeisten Gesellschaften der Weltgeschichte war/ist man der Meinung, Töten aus individuellen, egoistischen Gründen, das der Gemeinschaft schadet – das verhindert man am besten, wenn man die Tötenden effektiv (und zur Abschreckung ff) beseitigt.
    Diese Meinung hat man inzwischen durch Demokratie/Aufklärung überwunden – teilweise. Aber es gab ja auch in diesem Zusammenhang recht mörderische Geburtswehen.
    Dass diese Meinung sich so lange festgesetzt hat, ist auch gewiss kein nur religiös verquicktes Problem: In Westdeutschland kam man aus Erschrecken über die Nazi-Geschichte vollends drauf. Und in einigen sicher nicht von Religion abhängigen Staaten erst sehr viel später.
    Zumeist meint man wohl: Wenn erst die Bösen ausgerottet sind, leben die Guten unter sich. Und böse sind natürlich immer nur die anderen. Eia, schön wär’s…

  8. Kannibalismus

    Kannibalismus ist im Tiereich doch gar nicht so selten:
    http://de.wikipedia.org/…nibalismus_im_Tierreich

    Die männlichen Löwen töten einfach alle Jungen, direkt nachdem sie ein Rudel übernommen haben.
    Da können noch gar keine eigenen Nachkommen dabei sein. Die Löwinnen werden dadurch eher paarungsbereit.
    Infantizid bei Wikipedia:
    http://de.wikipedia.org/…ele_f.C3.BCr_Infantizid

    Die Natur ist wahrlich kein Streichelzoo

  9. Du sollst nicht töten

    Hi Joe,
    sehr interessanter Artikel.
    Wie würdest du menschlich nicht verständlich definieren? Ist die Kategorisierung der niederen Beweggründe nicht bereits Ausdruck des menschlichen Verstandes? Wenn ja, ist es nicht passender gleich von moralisch nicht akzeptabel zu reden?

    Gruß,
    Ola

  10. Ideen als Mordmotive

    Töten um ein höheres Ziel zu erreichen, gibt es ja als Motiv im Krieg. Sei es ein Religionskrieg oder der Krieg der einer höherwertigen Rasse damit Lebensraum verschaffen will.
    Interessant ist dass hier nach deutschem Strafrecht kein niederes Motiv vorliegt. Wer im Namen der Religion oder einer anderen Idee tötet, mordet also nicht. Aber was macht er dann? Liquidiert er seine Feinde, vielleicht zu Recht vielleicht, weil er irregeführt wurde?
    Morden aus niederem Motiv scheint mir in unserer Gesellschaft kein ernstes Problem zu sein. Morden aus politischen, ideologischen Gründen wiederum scheint momentan vor allem im Rahmen des Terrorismus vorzukommen. Nur bei größeren gesellschaftlichen Umbrüchen kann Töten aus ideologischen Gründen wieder zum Normalfall werden.

  11. @Ola

    menschlich nicht verständlich, bedeutet für mich, a) das der Sinn der Handlung sich für einen Menschen nicht erschließt.

    oder b) dass die Handlung, weil sie bestimmte bestimmte moralische Werte verletzt nicht nachvollziehbar ist, über diese Werte gibt es einen gesellschaftlichen Konsens, für die Leute auf die die jeweilige Verfassung Anwendung findet, wie z.B. das Grundgesetz für die Menschen, die in Deutschland leben.
    Diese Werte werden jedoch von Land zu Land und von Kultur zu Kultur unterschiedlich sein und unterschiedlich gewichtet (was man dann auch an den jeweiligen Landesgesetzen sieht, daher wird in einem Land eine Tat den Menschen verständlich sein, in einem anderen nicht.

    Ich denke, dass Moral viel eher ein menschenspezifisches Produkt des Verstandes ist als die niederen Beweggründe, weil ich mir da nicht sicher bin ob der ein oder andere Beweggrund nicht auch bei Tieren vorkommen kann.

  12. @Martin Holzherr

    Warum denkst Du, dass Morde aus niederen Motiven nicht so ein großes gesellschaftliches Problem sind? Ich glaube, dass in einem Jahr mehr Menschen durch solche Morde sterben als durch Terroranschläge. Ich kenne aber die Statistiken dafür nicht.

  13. @Joe Dramiga: Morde, Tötungen, Suizide

    Morde als gewöhnliche kriminelle Akte hat es schon immer gegeben. In den guten alten Zeiten gab es beispielsweise Wegelagerer, die nicht immer nur ausraubten, sonder auch töteten. Kindsmord – oder soll man Kindstötung sagen – gab es früher (viel früher) ebenfalls sehr viel häufiger als heute. Motive waren Armut – man konnte das Kind nicht ernähren, es war zuviel – oder auch das falsche Geschlecht.
    Heute gibt es weniger Morde als Suizide.

    Gesellschaftlich gesehen kommt es schon darauf an, warum jemand ermordet wird. Wer in die Hände einer Räuber- und Mörderbande fällt hat halt Pech gehabt oder lebt im falschen Stadtviertel.
    Wenn aber jemand getötet wird, weil er zur falschen Rasse gehört oder weil er gehasst wird, dann betrifft das ja nicht nur den Getöteten, sondern auch die weiter Lebenden, die genau so von Hass getroffen werden können.

    Letzlich zählen immer die Überlebenden. Die Toten von Srebrenica haben nur insoweit Bedeutung, als dass es Trauernde gibt und Leute, die die Tat erinnern oder ihr eine bestimmte Bedeutung geben. Dass durch Terrorismus insgesamt nur wenig Menschen ums Leben kommen, macht den Terrorismus nicht harmloser. Die Bedeutung des Terrorismus hängt auch vom Umfeld ab. Wenn 30’000 Menschen im Zusammenhang mit der Zerstörung der Twin-Towers sterben hat das an und für sich schon eine Bedeutung. Schlimmer wird es aber, wenn man zur Überzeugung kommt, dass ein solcher Terrorakt weltweit einige Millionen Sympathisanten und Bewunderer hat. Leute, die sich freuen, dass Amerikaner auf diese Weise sterben. Das ist genau das Wesen von Hass, das sich hier äusserst und dieser Hass trifft auch die noch Lebenden.

  14. Erdbevölkerung

    “Erschreckend ist, dass global gesehen in letzter Zeit die Kombination von beidem zunimmt.”

    Stichwort rapide wachsende Bevölkerung der Erde…

    Und die Aussage, dass Tiere keine Morde begehen wurde hier ja schon zu genüge kommentiert.

  15. @ dctr

    Natürlich kann man die Dimension des menschlichen Tötens mit dem Argument Tiere töten auch ihre Artgenossen und der wachsenden Weltbevölkerung relativieren. Mein Artikel zielt aber eher darauf, die menschliche Kultur des Tötens neurobiologisch/psychisch zu erklären. Es gibt natürlich auch andere Erklärungsansätze, die auf der Geschichte vom Sündenfall und auf der Geschichte von Kain und Abel basieren.

  16. Zitat:

    Ist am Ende das biblische Gebot „Du sollst nicht töten“ schon lange vor der „Erschaffung“ des Menschen als neurogenetisches Programm in den Gehirnen der frühen Säugetiere des Mesozoikum angelegt worden? (Ich weiß, jetzt denkt ihr, ist der Zeitpunkt gekommen mich endgültig in die Klapse einzuweisen. ).

    Wieso Klapse? Weil Du das ganz Offensichtliche noch in eine Frage kleidest? Sich in großem Maßstab gegenseitig umzubringen gehörte wohl kaum zum genetischen Verhaltensprogramm unserer tierischen Vorfahren, denn sonst gäbe es uns nicht.

    Erst mit der Vertreibung aus dem Paradies war es uns möglich, systematisch und in erheblichem Umfang zu töten und zu morden. Interessant, das ausgerechnet das Tier in uns (noch) verhindert, dass wir uns selbst vom Planeten entfernen.

  17. Menschen, zu allem fähig

    Bei der Lektüre dieses Zeit-Interviews mit Thomas Elbert, Neuropsychologe, fiel mir wieder diese Diskussion hier ein. Ich kann die verschiedenen Gesichtspunkte nicht im einzelnen bewerten. Aber ergänzend interessant dürften sie sein. (Einer der Punkte – siehe unten).
    Zu den letzten beiden Kommentaren hier – die gehen ja eigentlich auch mich als Theologen an: Aus der Geschichte von Kain und Abel kann man natürlich menschliche Aggression nicht herleiten und damit erklären. Diese Geschichte ist doch eher zu sehen als Beleg dafür, dass Menschen schon in den ältesten uns greifbaren Erzähltraditionen ihr Erschrecken darüber ausdrückten, was Menschen den Menschen antun können. Kain und Abel sind ja keine historischen Gestalten und insofern nicht Initiatoren von Gewalt; sondern die (mythische, sagenhafte…) Geschichte über sie zeigt das Erschrecken über ein bei uns Menschen in besonderer Weise vorhandenes Problem. ( Mein Blogbeitrag dazu)
    Ja, und „das Tier in uns“, das – obwohl Menschen ja zu allem fähig sind – Schlimmeres verhindert, das ist schon „interessant“ (Balanus). Dazu las ich eben jetzt in dem erwähnten Interview mit Elbert: Vielleicht haben wir ein besonderes Problem dadurch, dass wir von Vegetariern abstammen, die keine solche Tötungshemmung gegen Artgenossen entwickelt haben wie die klassischen Fleischfresser (Wölfe…). Haben Primaten und insbesondere wir das Töten (zwecks Nahrungsbeschaffung) erst relativ spät erlernt? Und musste es deshalb mit Lust, mit einem psychischen Kick, verknüpft sein, um es effektiv durchzusetzen? Und dieser psychische Kick hätte sich dann auch aufs Töten von Artgenossen übertragen? Ich weiß es nicht, würde gerne mehr als die Andeutungen Elberts wissen. Er weiß sicher einiges mehr als in dem Interview zum Ausdruck kam.
    Der Unterschied zu Wölfen ist sicher auch: Könnten wir Artgenossen nur durch Zähne und Klauen töten – und müssten ihnen dabei auch noch in die Augen schauen ! – wäre das Töten sicher nicht so effektiv. Aber wir haben es ja technisch viel weiter gebracht und die emotionale Distanz zwischen Tätern und Opfern dadurch erhöht.
    Ja, wir Menschen haben mit uns selbst wohl die allergrößten Probleme…

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