Unser geschichtliches Erbe in Europa

BLOG: Die Natur der Naturwissenschaft

Ansichten eines Physikers
Die Natur der Naturwissenschaft

Zurzeit wird in Reden von Politikern und in einschlägigen Gazetten viel vom christlich-jüdischen oder jüdisch-christlichem Erbe Europas gesprochen. Leider bleibt das, was man dabei meint, immer im Nebel; man spürt aber dennoch immer irgendwie den Appell, dass man dieses Erbe anerkennen und bejahen soll, wenn man auch dazugehören will. Als Naturwissenschaftler kann man sich dabei aber nur wundern. Wie ein Fisch das Wasser, in dem er schwimmt, gar nicht mehr wahrnimmt, so sehen die meisten eigentlich gar nicht, was unsere heutige westliche Art zu leben und zu denken wirklich geprägt hat, was uns von den anderen Kulturkreisen unterscheidet und was zu unserer heutigen Stellung in der Welt geführt hat.

Es ist doch die Revolution im Denken, die in der Renaissance durch Descartes und Galilei zum Ausbruch kam und die zur heutigen Überlegenheit des Westens mit all ihren Wohltaten – und allerdings auch Auswüchsen – geführt hat. Diese Revolution brachte eine "neue Wissenschaft", wie Galilei sie bewusst nannte, hervor, die Naturwissenschaft. Das war ein Neuanfang, ein zweiter Anlauf der Menschheit nach der antiken griechischen Kultur in Athen und Alexandria, um die Natur und die Welt um sich herum zu verstehen. Descartes versuchte diesen Neuanfang in der Philosophie, Galilei in der Erforschung der Natur, beide erkannten den Wert einer logisch stringenten Deduktion und einer Rückbindung an Fakten und Tatsachen.

Galilei konnte das auf dem Gebiet der Naturforschung konkretisieren, indem er das Experiment und die mathematische Sprache zur Grundlage machte. Mit der Newtonschen Mechanik zeigte sich dann zum ersten Mal, zu welchen Erkenntnissen über die Natur man mit der von Galilei entdeckten Methode einer Naturwissenschaft gelangen kann. Mit dieser Methode verstand man danach auch bald den Elektromagnetismus, das Phänomen der Wärme als eine Form von Energie, man deckte später unerwartete Eigenschaften von Raum und Zeit auf und lernte, wie die Materie aufgebaut ist. Wellen von technischen Innovationen folgte diesen Entwicklungen oder begleitete diese und erhöhten dramatisch unseren Lebensstandard und Wohlstand. In den letzten Jahrzehnten konnten wir selbst erleben, wie die modernen Kommunikationsmittel und die elektronischen Rechner unsere Lebensgewohnheiten und unsere Möglichkeiten für das Zusammenleben in einer Gesellschaft total verändert haben.

Aber auch auf anderen Gebieten wuchsen die Versuche, Naturphänomene zu verstehen und zu beherrschen zu einer modernen Wissenschaft heran. Aus der Alchemie wurde die moderne Chemie, in der Biologie klärte man die Mechanismen der Fortpflanzung auf und entdeckte die Evolution, durch die Erkenntnisse in der Anatomie, Physiologie und Pathologie und durch Einsicht in die Bedeutung der Desinfektion und Hygiene sowie einer ausgewogenen Ernährung wurde unsere Lebenserwartung drastisch gesteigert.

Die Methode, die erst die moderne Naturwissenschaft entstehen ließ, prägte auch die Denkgewohnheiten der Menschen im Alltag. Der Geist der Aufklärung durchdrang alle Bereiche. Man lernte, dass es außer in der Mathematik nichts zu beweisen gibt, dass es aber um eine möglichst logisch stringente Deduktion geht und dass diese immer bei Tatsachen, Annahmen und Hypothesen anknüpfen muss. Das war zunächst enttäuschend, eine so genannte Letztbegründung wurde damit als unmöglich erkannt. Was blieb, war aber offensichtlich gut genug, um ein immer weiteres Fortschreiten in der Erkenntnis unserer Welt zu ermöglichen.
Es entstand auch für Fragen außerhalb der Naturwissenschaft eine neue Kultur des Argumentierens. Es wurde klar, dass die durch Deduktion entstandenen Aussagen ein Licht auf die zugrunde liegenden Annahmen und Hypothesen werfen mussten. Man entwickelte ein Gefühl für "sachliches" und rationales Argumentieren und man erkannte, dass es gute und weniger gute Annahmen gab und man anerkannte die Macht der Fakten und Tatsachen.

Man hat so allgemein, mehr oder weniger bewusst, zur Kenntnis genommen, dass "eine Meinung zu haben" noch nicht das selbe heißt wie "recht zu haben", und dass Ansichten nicht umso richtiger werden, je überzeugter man sie vertritt. Wissenschaft kann zwar nicht alles erklären, aber sie stellt eine Methode dar, immer stichhaltigere, durch Fakten und Überprüfungen immer besser belegte Argumente zu finden. Sie lässt die Berufung auf kulturelle Gewohnheiten nicht zu, schließt dagegen aber ein, dass man unter Umständen erkennen muss und auch ohne Gesichtsverlust zugeben kann, dass man sich geirrt hat. Diese Ergebnisoffenheit, wirklich ernst genommen, ist das Neue, was unsere moderne Welt von der unserer mittelalterlichen Vergangenheit und von anderen früheren Kulturkreisen unterscheidet. In diesen beherrschte und beherrscht zum Teil heute noch eine einzige Religion oder eine ganz bestimmte Philosophie alle Bereiche des Lebens. Was als richtig zu gelten hat, entschieden oder entscheiden Autoritäten, und wer dies nicht anerkennt, hat mit bösen Folgen für Leib und Gut zu rechnen. So entstehen Machtkämpfe und Glaubenskriege.

Diese Entwicklung zur heutigen modernen Welt ist in Europa entstanden. Dies ist unser eigentliches geschichtliches Erbe, das wir uns in Europa gemeinsam erarbeitet haben und das wir wirklich pflegen und verteidigen müssen. Dazu müssen wir diese Entwicklung besser in der Öffentlichkeit darstellen und ins Gespräch bringen, die Geschichte der Wissenschaft und ihren Einfluss auf das kulturelle und gesellschaftliche Leben auch zum Bildungsgut erklären. Wir dürfen diese Errungenschaft unserer europäischen Neuzeit nicht verspielen sondern uns ihrer stärker bewusst werden und sie weiter entwickeln. Und wenn wir in anderen Kulturkreisen auf diese Errungenschaften und auf ihre Erfolge verweisen, müssen wir uns nicht einmal schämen.

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Josef Honerkamp war mehr als 30 Jahre als Professor für Theoretische Physik tätig, zunächst an der Universität Bonn, dann viele Jahre an der Universität Freiburg. Er hat er auf den Gebieten Quantenfeldtheorie, Statistische Mechanik und Stochastische Dynamische Systeme gearbeitet und ist Autor mehrerer Lehr- und Sachbücher. Nach seiner Emeritierung im Jahre 2006 möchte er sich noch mehr dem interdisziplinären Gespräch widmen. Er interessiert sich insbesondere für das jeweilige Selbstverständnis einer Wissenschaft, für ihre Methoden sowie für ihre grundsätzlichen Ausgangspunkte und Fragestellungen und kann berichten, zu welchen Ansichten ein Physiker angesichts der Entwicklung seines Faches gelangt. Insgesamt versteht er sich heute als Physiker und "wirklich freier Schriftsteller".

37 Kommentare

  1. Starkes Plädoyer…

    …dem ich weitgehend zustimme. Ergänzend würde ich jedoch unbedingt die Offenheit als Stärke unserer Kultur nennen, ohne die wir wenig erreicht hätten. Die Impulse aus der indischen, chinesischen, arabischen Welt haben vieles erst möglich gemacht – z.B. unser Ziffernsystem einschließlich der Null. Wer Europa also abschottend definieren will, hat es mE nicht verstanden.

  2. Emanzipation wohin?

    Es gibt eine Welt, die aber viele Kulturen zulässt. Die Erkenntnisse der Naturwissenschaft bilden das Fundament dieser einen Welt und sie gelten für alle Kulturen und den mit ihnen verbundenen Weltanschauungen und Religionen.

    Die Emanzipation des Individuums von hergebrachten Ordnungen und unnötigen Autoritäten kennzeichnet die Entwicklung des Abendlandes seit der Neuzeit. Sie hat das Potential des Menschen erst richtig entfaltet, indem sie den Einzelnen eine Macht gab, die vorher einer Elite vorbehalten war.
    Was uns noch bindet und als Fessel bleiben soll ist die Rationalität und diese beginnt heute nicht mehr bei Null, denn die Erkenntnisse der Wissenschaft bilden eine Basis auf der wir aufbauen können.

    Die aus der Wissenschaft hervorgehende Technik bestimmt unser Leben heute in einem immer grösseren Mass. Sie löst aber nicht nur Probleme sondern schafft neue, vorher undenkbare Probleme, wie
    – starke Überalterung der Gesellschaft als Resultat medizinischer Erfolge
    – Dominanz des Menschen über alle anderen Kreaturen mit Gefahr der Auslöschung unserer Mitgeschöpfe
    – Gefahr der Selbstauslöschung durch zu grosse technische Macht der Menschheit und jedes Einzelnen

    Bis jetzt haben alle Menschen, Kulturen und Länder in ihrem eigenen Interesse gehandelt. Neu braucht es Handlungen im Interessen aller Menschen. Auf diese neue Verantwortung sind wir nicht vorbereitet.

  3. Wunderbar!

    Ich muß diesen Worten uneingeschränkt zustimmen. Ergänzen würde ich die korrespondierenden europäischen Entwicklungen in Politik und Wirtschaft: Demokratie und Marktwirtschaft. Beide sind ebenfalls “ergebnisoffen” und lassen eine “Berufung auf kulturelle Gewohnheiten nicht zu, schließen dagegen aber ein, dass man unter Umständen erkennen muss und auch ohne Gesichtsverlust zugeben kann, dass man sich geirrt hat.”

    Ich glaube, es ist kein Zufall, daß Wissenschaft und Demokratie fast gleichzeitig in Griechenland erstmals auftraten und in der Neuzeit in England erneut. Zwischen der ‘Philosophiae Naturalis Principia Mathematica’ und der ‘Bill of Rights’ liegen gerade einmal drei Jahre.

  4. westliche Überlegenheit?

    Du sagst:

    “Es ist doch die Revolution im Denken, die in der Renaissance durch Descartes und Galilei zum Ausbruch kam und die zur heutigen Überlegenheit des Westens mit all ihren Wohltaten – und allerdings auch Auswüchsen – geführt hat.”

    Welche Überlegenheit des Westens gegenüber wem meinst Du?

    Was hat naturwissenschaftliches Denken mit dem Christentum oder Judentum zu tun?

    Was hat eine “neue” Kultur des Argumentierens, wie Du es nennst, mit dem Christentum oder Judentum zu tun?

    Auch in anderen Kulturen und Religionen sind die Menschen und ihre Gesellschaften zum naturwissenschaftlichen Denken gekommen.

  5. Letzter Satz

    Letzter Satz: “Und wenn wir in anderen Kulturkreisen auf diese Errungenschaften und auf ihre Erfolge verweisen, müssen wir uns nicht einmal schämen.”

    Hmm, der Satz läßt ja einigen Spielraum für Interpretationen.
    “In anderen Kulturkreisen”.
    Welche Situationen im Zusammentreffen mit anderen Kulturkreisen könnten hier konkret gemeint sein?

    Gespräche mit indischen, chinesischen oder (seltener) afrikanischen Wissenschaftlern am Rande einer Tagung? Gespräche mit den Hotel-Angestellten im Afrika-Urlaub oder mit dem türkischen Döner-Verkäufer vor Ort? Oder wie kann man sich das ‘Verweisen auf Erfolge’ gegenüber ‘anderen Kulturkreisen’ konkret vorstellen?

    Abgesehen davon ist die Geschichte, auch die der Naturwissenschaften, sicher nicht so linear wie es dann am Ende in den Kurzfassungen der Geschichtsbücher steht. Genausowenig wie die historische Entwicklung von der Sklavenhaltergesellschaft zum Kommunismus führt, ebensowenig läßt sich die Wissenschaftsgeschichte in ein lineares Geschichtsbild pressen. (Wissenschaft und Forschung hat es auch im Mittelalter gegeben, wenn auch kaum im christlichen Teil Europas. Anders hätten die Werke der Antike, wie Euklids “Elemente”, vielleicht gar nicht die Jahrhunderte überdauern können.)

  6. Auf den Punkt gebracht, aber auf die Idee sich für die Aufklärung oder die Naturwissenschaften zu schämen, muss man erst mal kommen. Das unser Kulturkreis mit einigen absurden Ideologien auch einigen Dreck am Stecken hat, liegt doch eher daran, dass Politik nun mal von Menschen gemacht wird, und Menschen eigennützig handeln.

  7. Aufklärung versus Christentum

    Rationalismus, Aufklärung und Menschenrechte richteten sich ja gerade gegen die religiösen Autoritäten, also gegen die Verwalter des Christentums. Zuerst wehrten sich diese Popanzen einer irrationalen Vorwelt noch gegen die Anamssungen der Vernunft. Galilei bekam das zu spüren. Voltaire dagegen, der Aufklärer par excellence, löckte gegen die Kirche wo es nur ging und wurde nicht mehr bestraft. So stark war der Machtzerfall der Kirche bereits zu Beginn der Aufklärung.

    Lernt man nicht in der Schule, dass die Neuzeit mit der Entdeckung Amerikas, der Reformation, dem Buchdruck, der Renaissance und dem Humanismus begann?
    Die Insignien der Neuzeit sind das gedruckte Buch, der Kompass und das Handelsschiff.

    Der Beginn der Neuzeit fällt in die Renaissance in Oberitalien, das im Handel mit dem Orient zu Reichtum kam und dessen Fürsten ihren Reichtum zelebrierten, indem sie Künstlern und WIssenschafltern finanzierten, damit ihre Werke von der Macht des Auftraggebers kündete.

    Kolonialismus, Imperialismus, Kapitalismus waren die nächsten Stationen in der sich warm laufenden Neutzeit. Die Macht verschob sich von den Fürsten und Pfaffen zu den Nationen als Repräsentanten der Volksgemeinschaft und die mächtigsten Exponenten dieser Nationen waren nicht mehr Gesandte eines omnipotenten Herrschers, sondern Kaufleute, Krieger und Financiers.

    Die letzte Phase der Neuzeit schliesslich führte zur Globalisiserung, die zuerst als Amerikanisierung daherkam, vielleicht in der Zukunft aber als Sinisierung erlebt werden wird. Eine Weltkultur ersetzt die lokalen Kulturen. Im Sinne einer Gegenreformation wehren sich ewige Hinterwäldler und Verlierer noch gegen ihre Auslöschung. Ein solchermassen zu interpretierendes Phänomen ist die Renaissance des Islam. Wie das Katholikentum sich in der Gegenreformation in eine barocke, mit den Mitteln der Inquisition regierende Gegenwelt zurückzog, versucht die vom Weltkalifat träumende, sich des Mittels des Terrors bedienende islamische Restkultur sich über Wasser zu halten – nur um schliesslich doch im Abfallkübel der Geschichte zu landen.

    Die Neuzeit ist auch eine neue Zeit der Masslosigkeit. Es ist nicht mehr die Masslosigkeit eines absoluten Herrschers und seiner Vasallen, sondern die Masslosigkeit des Unternehmers, der sich legitimiert fühlt durch die Bedürfnisse der Massen. Rohstoffe und andere Reichtümer müssen erschlossen werden, koste es, was es wolle. Immer mehr brauchen immer mehr Dinge um ihr Leben am Laufen zu halten. Was einst Fürsten vorbehalten war, soll nun jedem zukommen, der über das nötige Kapital verfügt. Der Garten Eden, nach dem alle streben, ist die Konsumwelt des reichen US-Bürgers. 9 Milliarden Menschen, die soviel konsumieren wie jetzt der durchschnittliche US-Bürger und damit soviel konsumieren werden wie heute 70 Milliarden Durchschnittsweltbürger. Schöne neue Welt.

  8. @Martin Holzherr: Globalisierung

    Ich stimme Ihrem Kommentar weitestgehend zu. Eins interessiert mich noch: wo sehen Sie den Unterschied zwischen der amerikanischen Globaliserung des 20. Jahrhunderts und der orientalisch-oberitalienischen, die Sie richtigerweise als den Beginn der Neuzeit angeben?

    Hierzu ein Zitat aus Francis Bacons ‘Novum Organum’ von 1620: “Das Wesen von Erfindungen kann nirgendwo klarer erfaßt werden, als anhand jener drei, welche dem antiken Menschen unbekannt waren und deren Ursprung – obwohl jung – dunkel und glanzlos ist: nämlich der Druckkunst, des Schießpulvers und des Magneten. Denn alle drei haben das Antlitz und den Zustand der Welt verändert: die erste in der Literatur, die zweite in der Kriegskunst und die dritte in der Seefahrt.”

    Interessanterweise haben diese drei Schlüsselerfindungen der Renaissance ihren Ursprung in China, so daß es ohne eine chinesisch-europäische Globalisierung die europäische Neuzeit vielleicht gar nicht gegeben hätte. Ähnliche Überlegungen stellt übrigens auch Jared Diamond in ‘Guns Germs and Steel’ an.

  9. @Jürgen Bolt: Neue Qualität der Globalisierung

    wo sehen Sie den Unterschied zwischen der amerikanischen Globaliserung des 20. Jahrhunderts und der orientalisch-oberitalienischen, die Sie richtigerweise als den Beginn der Neuzeit angeben?

    Die Amerikanisiserung der Welt bedeutet, dass nicht nur die Produkte und Erfindungen der USA überall zu finden sind, sondern auch die Träume des US-Bürgers zu den Träumen aller Weltbürger werden – über Hollywood, über die Television und zunehmend über die weltweite Gamekultur. Fast niemand kann sich diesen Materialisiserungen einer bestimmten Denkweise und eines ersehnten Lebensstils entziehen. Der immer breiter werdende Graben zwischen der sowjetischen Realität, den ursprünglichen Visionen der Sowjetunion und den über die Medien transportierten Bildern vom Leben im Westen wurde der Sowjetunion zum Verhängnis und untergräbt auch die islamische Lebensweise und die dort installierten autokratischen Systeme – es sei denn Gamen und Träumen von einem Leben wie es im Fernsehen übermittelt wird, werde zum neuen Opium für die ohnmächtig bleibenden Massen.

  10. @Martin Holzherr

    Sie schrieben: Rationalismus, Aufklärung und Menschenrechte richteten sich ja gerade gegen die religiösen Autoritäten, also gegen die Verwalter des Christentums. Zuerst wehrten sich diese Popanzen einer irrationalen Vorwelt noch gegen die Anamssungen der Vernunft. Galilei bekam das zu spüren.

    Sie wissen aber schon, dass diese Erzählung selbst quasi-mythologisch ist? Galilei selbst war gläubiger Mönch und seine Forschungen und Arbeiten wären ohne die Vorarbeiten von Generationen vorwiegend kirchlicher Gelehrter gar nicht möglich gewesen. Vgl. auch den Mönch Bruno, den Domherren Kopernikus u.v.m. Dann der Schrift- und Bildungsaufschwung durch die Reformation – welches Buch wurde (und wird!) weltweit am meisten gedruckt und gelesen? Wir benutzen hier gerade lateinische Schrift und arabische Ziffern, die sich ganz wesentlich in religiösen Kontexten ausgeprägt haben.

    Rationalismus, Aufklärung und Menschenrechte erwuchsen aus dem Ringen innerhalb der religiösen Tradition(en), bevor sie sich auch verselbständigen konnten. Die Mär über die vermeintlich “mittelalterlichen” Kirche(n) hat unter anderem zu dem über Jahrhunderte falsch geglaubten (!) Fake geführt, wonach die Kirche(n) die Erde als eine Schreibe verkündet hätten…
    http://www.chronologs.de/…hrte-die-kirche-das-je

    Spektrum-Leser wissen da längst mehr, auch wenn das Loslassen widerlegter Narrative nicht nur Religiösen schwerfällt… 😉

  11. @Michael Blume

    Da schießen Sie doch etwas übers Ziel hinaus. Daß Sie die Dichotomie einer dogmatischen Kirche gegen das kritisch-rationale Denken der Neuzeit durch ein differenziertes und realistischeres Bild ersetzen möchten, ist ja gut und richtig. Aber entscheidende Fortschritte des Rationalismus wurden gegen gewaltsamen Widerstand der Kirche und Inquisition errungen, vom Widerruf Galileis über die Verbrennung Giordano Brunos bis zum Publikationsverbot Kants.

    Ich vermute sogar, daß die überragende Bedeutung Englands für die Aufklärung im 17. Jahrhundert daher rührt, daß es dem Zugriff der katholischen Kirche entzogen und anglikanisch war. Während Descartes ins Exil mußte und Spinoza von der jüdischen Gemeinde exkommuniziert wurde, konnten Bacon, Newton und Locke relativ unbehelligt arbeiten.

  12. @Juergen Bolt

    So ist es. Und auch an der Religiositaet eines Newton und dem Monotheismus eines Kant kann ja kein historischer Zweifel bestehen. Religion ist eben mehr als die katholische Kirche, aus der heraus erste Reformer entstanden und auch bekämpft wurden. Ein Bildungsaufschwung setzte dann z.B. in einigen protestantischen Traditionen ein. Die Dichotomie: Erst Religion, dann Wissenschaft ist völlig überholt, es war – und ist – viel spannender.

  13. @Michael Blume

    “…Galilei selbst war gläubiger Mönch…”

    Dass Galilei seiner Zeit gemäß gläubig war, ist sicherlich richtig, aber er war gewiss kein Mönch.

    Es stimmt natürlich schon, dass im Mittelalter Klöster Keimzellen und Träger der Bildung und Schriftkultur waren. Diese Leistung darf man ihnen nicht absprechen. Im Gegenteil wurden sie sogar als Exzellenszentren gezielt zur Landesentwicklung benutzt, zum Beispiel bei der Urbarmachung des Schwarzwald. Das ist so eine ähnliche Strategie, wie die Gründung der MPIs in den neuen Bundesländern nach der Wiedervereinigung.

    Dennoch muss Aufklärung bis heute gegen Kirchen und Moscheen durchgesetzt und verteidigt werden. Da gibt es leider Nichts zu beschönigen. Daher finde ich auch die Rede vom “jüdisch-christlichen Abendland” sehr kurios.

  14. begriffsstutzig

    Ich verstehe diese Hinweise auf das angebliche christlich-jüdische Erbe überhaupt nicht.

    Ich verstehe noch nicht mal den Begriff. Bezieht man sich da auf den religiösen Aspekt von Christen- bzw. Judentum? Oder ist beim Judentum dann auch/eher der kulturelle Aspekt gemeint? (Was angesichts der jahrhundertelangen Judenverfolgung in Europa (gerade durch die Christen!) ja eine geradezu absurde Behauptung wäre.)

  15. @Lichtecho

    Teilweise einverstanden! Dann können Sie uns doch sicher eine über Jahrhunderte blühende Kultur nennen, die ohne religioese Traditionen und Institutionen erblühte? Und ob auch heutige säkulare Menschen oft einfach dem gesellschaftlichen Trend folgen? Vielleicht sind ja auch heute jene interessanter, die gegen den Mainstream schwimmen? 🙂

    Ihnen und allen frohes Neujahr!

  16. Umstrittenes Erbe

    Es ist wohl wahr, dass die Berufung auf das „jüdisch-christliche“ Erbe eine Engführung ist. Und die feiste Überheblichkeit mancher Kreise hat mich des Öfteren auch schon gestört. Nicht nur, aber auch in den Kirchen. Insofern Zustimmung.
    Doch keine Zustimmung zu einer neuen Engführung. Als Theologe sitze ich ja im Glashaus (und womöglich in geistiger Sippenhaft für klerikale Machtspiele)und möchte deshalb hier nicht zu scharf kontern, doch wenigstens verweisen auf Max Webers Untersuchungen. Die wenigstens sollten mit berücksichtigt werden: Unterschiedliche religiöse Einstellungen bewirken auch unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklungen, damit auch technische und wissenschaftliche.
    Umgekehrt wären die materiellen, wirtschaftlichen Voraussetzungen kultureller Entwicklungen nicht zu vernachlässigen. Dazu verweise ich auf Jared Diamond, Arm und Reich (Originaltitel, wurde ja schon erwähnt, „Guns, Germs and Steel“)
    Dazu auch das schon erwähnte ’Druckkunst, Schießpulver, Magnet’.. Was das für die Schifffahrt und die Kolonialisierung, die Neubelebung des Sklavenhandels… bedeutet, ist auch für die Entwicklung des europäischen/amerikanischen Wohlstands doch sehr wichtig: als materielle Grundlage für die Entwicklungsfähigkeit europäischer Wissenschaft (auf den im angeblich rückständigen Mittelalter gegründeten Universitäten, in denen bereits eine Diskussionskultur neu geübt wurde).
    Da führte einiges zu einer westlichen Vormachtstellung, die man natürlich als „Überlegenheit“ auslegen mag. Wir ließen und lassen sie ja andere Leute spüren. Das tut nicht nur gut. Danke, Joe Dramiga, für das entsprechende Signal.
    Das zur materiellen Seite. Ich denke, ich muss doch baldmöglichst auch Veröffentlichungen von Ronald L. Numbers (der schon länger auf meiner Wunschliste steht) genauer ansehen/lesen. Nicht nur der von mir schon mal erwähnte Johannes Fried, sondern auch er ist

  17. Umstrittenes Erbe – 3

    [Letzter Versuch dieses Jahr – der Link war wohl zu lang… ]

    … auch er ist auf seine Weise (z.T. zusammen mit David C. Lindberg) gegen Darstellungen der vor-neuzeitlichen Wissenschaftsgeschichte (des „finsteren Mittelalters“) angegangen, die im 19. Jahrhundert aufgekocht wurde (William Draper und Andrew Dickson White ) und auch noch heute Wasser auf die Mühlen mancher Interessen sind.

    Anderer-seits aller-seits: Ein gutes und diskussionsfreudiges Neues Jahr…

  18. Was vor uns und was hinter uns liegt

    Den Artikel von Josef Honerkamp Unser geschichtliches Erbe in Europa kann man nur als Appell an uns alle angesichts des Endes eines Jahres und des eingeläuteten Endes der europäischen Präpotenz auffassen. Es ist ein Appell nicht zum Handeln, sondern zur wehmütigen Rückschau. Es ist eine verklärte Zusammenschau von durchaus widersprüchlichen Geschichts-Facetten, zusammengefügt von einem Angehörigen einer Zivilisation, die in die Dämmerung des Vergessens eintritt. Das jüdisch-christliche Erbe ist vor allem ein christliches und damit anitjudaisches Erbe und der Antijudaismus gründet im Alleingeltungsanspruch des Christentums, der sich in den Alleingeltungsanspruch unserer vormals expansiven, nun lieber aufgeklärt auftretenden westlichen Zivilisation herübergerettet hat.
    Im milden Licht der Rückschau vergessen wir leicht, dass unsere kulturellen Gene weniger von kontemplativen Wahrheitssuchern – seien es Mönche oder Wissenschaftler – als vielmehr von Eroberern, Hasardeuren, Genies und tonangebenden Intellektuellen, Schachspielern, Machiavellisten und Diplomaten, die den Krieg als Fortsetzung der Diplomatie sehen, bestimmt ist.
    Die Geschichte Europas bleibt trotz allem eine Geschichte der Befreiung und die Neuzeit ist der Beginn dieser Befreiung. Die Renaissance als Wiedergeburt des selber die Welt Erkundenden, der Humanismus, als Verrückung von alten Ordnungen, der den Menschen in den Mittelpunkt stellt und dammit ex-Kathedra-Wahrheiten umstösst analog zu den Kopernikanern, die das verordnete geozentrische Weltbild mittels eines Werkes namens “de revolutionibus …” nicht mehr länger akzeptieren wollen und durch ein häretisches Heliozentrisches ersetzen. Warum tun diese aufmüpfigen Europäer all das? Aus Wahrheitsliebe? Nicht nur. Wohl auch aus Stolz und Profilierungssucht – ganz ähnlich wie die alten Griechen, für die die Welt eine grosse Arena, ein grosses Auditorium war.
    Aber Europa ist in eine neue Phase eingetreten, in der es die Egoismen der früheren Nationalstaaten überwinden will. Das ist der Gründungsmythos der Europäischen Union: Es braucht die EU, um die Menschen vor den überbordenden Egoismen zu schützen, die die jüngste Geschichte Europas erschüttert haben. Die EU als defensives Projekt also. Doch das kann wohl nicht funktionieren genauso wenig wie es ein vereinigtes antikes Griechenland unter Athens Führung geben konnte.
    Tatsächlich müssen wir wohl wieder dort anknüpfen, wo unsere Erfolge gewachsen sind, nämlich auf dem Marktplatz der Ideen und klein- bis mittelskaligen wissenschaftlichen und poltiischen Projekte:

    Wir dürfen diese Errungenschaft unserer europäischen Neuzeit nicht verspielen sondern uns ihrer stärker bewusst werden und sie weiter entwickeln. Und wenn wir in anderen Kulturkreisen auf diese Errungenschaften und auf ihre Erfolge verweisen, müssen wir uns nicht einmal schämen.

    Nur die Rahmenbedingungen haben sich definitiv geändert. Wir sind nun nicht mehr der Mittelpunkt der Welt, sondern nur ein Schauplatz unter vielen und es erwartet uns ein ähnliches Schicksal wie die alten Griechen, die von den Römern halb bewundert halb belächelt wurden.

  19. @Martin Holzherr: Nachtgedanken

    Mir gefallen Ihre Nachtgedanken. Als Frühaufsteher möchte ich einen Gedanken akzentuieren: “Tatsächlich müssen wir wohl wieder dort anknüpfen, wo unsere Erfolge gewachsen sind, nämlich auf dem Marktplatz der Ideen und klein- bis mittelskaligen wissenschaftlichen und politischen Projekte.” Diese Bescheidenheit bedeutet für mich auch, daß wir zurückhaltend mit Zukunftsprognosen sein sollten. Da sind mir Ihre pessimistischen Nachtgedanken ein wenig zu selbstsicher.

    Und noch etwas: “Die Amerikanisiserung der Welt bedeutet, dass die Träume des US-Bürgers zu den Träumen aller Weltbürger werden – über Hollywood, über die Television und zunehmend über die weltweite Gamekultur.” Das halte ich für falsch. Die Träume von Elektroherden und Kühlschränken, Mobilität und Zentralheizung, Informationsfreiheit und Individualismus, wirksamer Medizin und Unterhaltung, diese Träume haben die meisten Menschen immer gehabt. Sie wurden nicht von amerikanischen Medien erzeugt, sondern von der europäisch-amerikanischen Kultur besser als von jeder anderen befriedigt – unsere ‘Überlegenheit’.

    Wie begegnen wir Menschen, die z.B. Insulinbehandlungen wünschen oder gerne einmal nach Europa fliegen würden, um dort Urlaub zu machen. Mit dem Hinweis, daß ihre Kultur der europäischen gleichwertig sei, sie sich von amerikanischen Medien nicht manipulieren zu lassen hätten, zuhause bleiben und ins diabetische Koma fallen sollen? Oder indem wir ein Angebot machen, unsere Errungenschaften zu teilen? Ich plädiere für das zweite.

    Was natürlich gar nicht geht, ist unsere Kultur von Gewaltlosigkeit und Toleranz gewaltsam zu exportieren – ein Widerspruch in sich. Mit dem Ende des kalten Kriegs – der primär vom Sowjetimperialismus und dem kommunistischen Ziel der Weltrevolution initiiert wurde – scheint mir dieser Fehler weniger häufig. Was auch gar nicht geht, aber leider persistiert, ist eine Gönnerhaftigkeit in unserem Verhältnis zu anderen Kulturen.

    Ich war jedenfalls froh, daß der kenianischen Freund meiner Kusine Weihnachten nach Deutschland fliegen konnte, und wir Gelegenheit hatten, im Tabakladen von Wismar eine neue Pfeife zu kaufen und beim Rauchen über die ‘Kritik der reinen Vernunft’ zu diskutieren.

  20. @alle

    Vielen Dank für die anregenden Kommentare. Wie gut, dass es noch Leute gibt, die nicht dem Weltgetümmel verfallen sind und sich in der Silvesternacht mit ernsthaften Dingen beschäftigen. Im Großen und Ganzen gibt es ja keine strittigen Punkte. Ich denke, auch alle stimmen zu, dass es darum geht, die Errungenschaften zu erklären und zu erläutern statt mit ihnen aufzutrumpfen oder andere beherrschen zu wollen. Deshalb habe ich letzten Satz auch von dessem Gegensatz, vom “schämen”, gesprochen, um gar nicht erst den Gedanken an so etwas aufkommen zu lassen. Ein interessiertes Aufgreifen der Erkenntnisse der Anderen hat es ja auch in Europa gegeben, das geistige Zentrum wanderte von Italien nach England und Frankreich und später nach Deutschland. Heute haben die Asiaten keine Scheu, unsere Wissenschaft und Technik zu importieren.
    Ein Punkt scheint mir aber in der Diskussion zu kurz zu kommen. Zwischen den Überlegungen, Entdeckungen und Erfindungen der anderen Kulturkreise sowie unserer Vor-Neuzeit und frühen Renaissance auf der einen Seite und der “neuen” Wissenschaft von Galilei auf der anderen Seite gibt es einen entscheidenden Unterschied: den Gebrauch von Mathematik im Zusammenhang mit dem Experiment. Erst hierdurch bekam man “Boden unter die Füße”, konnte schneller “laufen”, und eine Entwicklung setze sich in Bewegung, in der Eins aufs Andere aufbauen konnte, und wir sehen heute, wie diese immer schneller geworden ist.
    Noch was: Die Frage, ob es bei der Entstehung einer modernen Naturwissenschaften in Europa Schubkräfte aus dem christlichen Glauben gegeben hat, kann ja wohl nicht definitiv entschieden werden. Mehr oder weniger gute Christen waren sie alle, die ersten Männer der Wissenschaft; die Religion durchdrang ja alle Bereiche des Lebens. Wer sich vor ihr abwenden wollte, entfernte sich auch aus der Gemeinschaft und wer wollte schon diese sozialen Kosten auf sich nehmen. Aber deshalb kann man die christliche Religion noch nicht als einen Wegbereiter für die moderne Wissenschaft bezeichnen. Das käme mir so vor, als wenn eine Familie einen in der Jugend aus der Art geschlagenen Sprössling, der es später – gerade wegen dieser anderen Art – im Leben zu etwas gebracht hat, erklärt, das habe er letztlich doch dem zu verdanken, dass er in dieser Familie seine ersten Jahre verbracht hat. Dabei hatte sie es ihm immer schwer gemacht und schließlich aus dem Haus getrieben.

  21. @Josef Honerkamp

    nun ja, vom Christentum im speziellen hatte ja nicht ich angefangen. Mir ging und geht es darum, dass wir die Voraussetzungen unseres je gewachsenen Denkens verstehen. Schon die Vorstellung, dass die Welt geordnet und erforschter sei, ist ein zutiefst mythologischer Gedanke. Pythagoras war eben nicht nur ein Mathematiker, sondern auch ein Stifter religiöser Traditionen. Und der Monotheismus ging z.B. Mit veränderten Zeit- und Fortschrittsbegriffen einher. In allen (!) Kulturen entwickelten sich Schrift-, Bildungs- und schließlich Forschungsinstitutionen wesentlich in religiösen Kontexten. Wer also Religionen nur als Bremser denken kann, verfehlt die eigentliche Dynamik und Spannung von Kulturen.

  22. @Jürgen Bolt: Träume von Elektroherden?

    M. Holzherr: dass die Träume des US-Bürgers zu den Träumen aller Weltbürger werden …
    J.Bolt: Das halte ich für falsch. Die Träume von Elektroherden und Kühlschränken,..diese Träume haben die meisten Menschen immer gehabt

    Es gibt auch andere Träume als die von Elektroherden und Kühlschränken und mit der neuen Qualität der Globalisiserung, transportiert über Hollywoodfilme, das Fernsehen und das Gamen meinte ich eben die Beeinflussung des Denkens, des Empfindens und der Lebenserwartungen über das rein Materielle hinaus. Wenn Humphrey Bogart in Casablanca zu Ingrid Bergman sagt:Schau mir in die Augen Kleines vermittelt er auch ein Bild der Beziehung Mann/Frau und der Bedeutung des Blickkontakts in der westlichen Kultur. Solche Filme verletzen das Gewohnte/Akzeptierte anderer Kulturen (siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Blickkontakt ) In China dagegen wird der direkte Blickkontakt häufig als offensiv empfunden und daher vermieden.
    Wenn sie Herr Bolt diese kulturelle Beeinflussung durch Filme, das Fernsehen auch über die Werbung nicht sehen, bedeutet das wohl, dass es für sie gar keine anderen Kulturen mehr gibt. Damit trifft also für sie bereits zu, was ich mit Amerikanisierung und Verbreitung einer Weltkultur meine: Sie sind schon amerikanisisert und ein Weltkonsumbürger. Übrigens bedeutet allein schon Konsum mehr als Befriedigung von materiellen Bedürfnissen, das kann ihnen jeder Werbefachmann sagen.
    Die meisten US-Bürger und viele Europäer würden ihnen wohl bei der folgenden von ihnen stammenden Aussage zustimmen (Zitat) Die Träume von …. diese Träume haben die meisten Menschen immer gehabt. Sie wurden nicht von amerikanischen Medien erzeugt, sondern von der europäisch-amerikanischen Kultur besser als von jeder anderen befriedigt – unsere ‘Überlegenheit’.

    Nivea-Creme auch für die empfindliche Männerhaut, faltenstraffende Cremes, Schönheitsoperationen: Alles keine Erfindungen unserer Kultur sondern Träume, [die] die meisten Menschen [schon] immer gehabt haben. Wahrlich, jeder Werber und Verführer zum Konsum kann sich mit ihnen glücklich fühlen, denn mit dem Welt- und Westbürger als Normalmodell können Produkte weltweit in gleicher Aufmachung an den Mann/die Frau gebracht werden.

  23. Konsum und Kultur

    Martin Holzherr: “Wenn sie Herr Bolt diese kulturelle Beeinflussung durch Filme, das Fernsehen auch über die Werbung nicht sehen, bedeutet das wohl, dass es für sie gar keine anderen Kulturen mehr gibt. Damit trifft also für sie bereits zu, was ich mit Amerikanisierung und Verbreitung einer Weltkultur meine: Sie sind schon amerikanisisert und ein Weltkonsumbürger.”

    Die Attribute akzeptiere ich. Ich bin tatsächlich proamerikanisch und gegen Konsum habe ich auch nichts, ich nehme nur nicht selbst daran teil.

    Daß es für mich keine Kulturen außer der amerikanischen gibt, trifft allerdings nicht zu. Es gibt jedoch nicht nur kulturelle Unterschiede sondern auch kulturübergreifende Gemeinsamkeiten. Und von denen habe ich gesprochen.

    Eine davon ist, anders als der von Ihnen verlinkte wikipedia-Eintrag behauptet, der Blickkontakt. Schon Neugeborene schauen ihren Mitmenschen in die Augen, dazu brauchen sie nicht erst Casablanca zu sehen. (Was sie aber hoffentlich tun werden, wenn sie älter sind.) Daß Japaner (nicht Chinesen, wie wikipedia behauptet) Blickkontakt vermeiden, hängt damit zusammen, daß sie ihre Gefühle in der Öffentlichkeit nicht zeigen. In intimen Situationen schauen sie einander genauso in die Augen wie Angehörige anderer Kulturen.

    Die von Ihnen erwähnten Werbefachleute tendieren nachvollziehbarerweise zu etwas übertriebenen Vorstellungen von der Veränderbarkeit von Menschen – wie übrigens auch Lehrer oder Therapeuten. Wenn die von ihnen beworbenen Konsumgüter oder Verhaltensweisen nicht auf entsprechende Prädispositionen der Adressaten treffen, können sie allerdings wenig erreichen. So hat der Versuch von Werbefachleuten, Kinder durch Popeye zum vermehrten Verzehr von Spinat zu bewegen, wenig ausgerichtet, während McDonald’s sein Ziel mühelos erreicht. Menschen essen eben gerne fett-, salz, eiweiß- und zuckerreich.

    Und sie informieren sich sehr gerne über das Befinden ihrer Mitmenschen – durch Augenkontakt. Sie suchen sich auch ihre Lebenspartner lieber selbst aus, statt sie von den Eltern auswählen zu lassen, sie lassen sich Arbeit gerne von technischen Geräten abnehmen, lassen sich nicht gerne von anderen herumkommandieren (kommandieren aber ihrerseits umso lieber andere herum), produzieren sich gerne vor anderen durch Konsumgüter (oder – wie wir beide – durch Intelligenz, Witz, Bildung), verbergen gerne ihre Privatsphäre und versuchen ebenso gerne die Privatsphäre anderer zu ergründen und darüber zu klatsche. Und die Mehrheit der Unterpriveligierten träumt vielfach den Traum von Martin Luther King. Kurz, alle diese Kennzeichen des American Way of Life gründen auf menschlichen Universalien.

    Ich wiederhole es: daß die Amerikaner ihre Kultur so erfolgreich exportieren konnten, liegt weniger an der Kompetenz oder Aggressivität ihrer Marketingstrategien als daran, daß sie besonders erfolgreich darin waren, Bedürfnisse, die zumindest latent universal sind, zu befriedigen.

    Natürlich ist das Versprechen des Konsumismus, Selbstwertgefühle und Glück dadurch zu vermitteln, daß man weitere Konsumgüter erwirbt, die noch schneller, größer oder sonstwie toller sind, nicht einlösbar. Die Menschen, die diesen Verlockungen widerstehen konnten, waren aber in allen Kulturen selten und galten und gelten als weise.

  24. I have a dream

    @ Martin Holzherr

    „Es gibt auch andere Träume als die von Elektroherden und Kühlschränken und mit der neuen Qualität der Globalisiserung, transportiert über Hollywoodfilme, das Fernsehen und das Gamen meinte ich eben die Beeinflussung des Denkens, des Empfindens und der Lebenserwartungen über das rein Materielle hinaus.“

    Es geht doch nicht um den „Inhalt der Träume“, sondern um das Recht jedes Menschen seine Träume zu verwirklichen.

    Wollen Sie denn ernsthaft bestreiten, dass das Streben nach Schönheit, Gesundheit, einem möglichst langen und sorgenfreien Leben, Potenz, Ansehen und Reichtum eine menschliche Universale ist? (seltener auch das Streben nach Erkenntnis, Klugheit und Weisheit. ;-))

    Ein berühmter Amerikaner bezeichnete das als „Streben nach Glückseligkeit“ (Jefferson).
    Ein berühmter Chinese meinte rund 2300 Jahre früher: „Glück besteht in der Möglichkeit, seine Prinzipien durchführen zu können.“ (Konfuzius)

    Frei nach Bolt:
    Die meisten Menschen streben seit jeher nach Freiheit und Glück. Das wurde nicht von amerikanischen Medien erfunden, sondern von der europäisch-amerikanischen Kultur besser als von jeder anderen befriedigt – unsere ‘Überlegenheit’.

    Bei der Gelegenheit herzliche Neujahrsgrüße an alle Chronologs Macher und Leser!

  25. Unser kulturelles Erbe

    Anregendes Thema und viele gute Gedanken in den Kommentaren! Mit dem “christlich-jüdischen oder jüdisch-christlichem Erbe Europas” kann ich leider auch nicht so viel anfangen, da ich den Fortschritt mehr in der Aufklärung, als in der Religion, sehe. Der christliche Standpunkt war von Hause aus dem der frühen ionischen Philosophen vollständig entgegengesetzt. Nach christlicher Auffassung ist ein Reich Gottes anzustreben, dass nur durch Offenbarung erreicht werden kann und nicht durch die Erforschung der Welt. Der Versuch, das Christentum als Vernunftwahrheit auszugeben hat dann auch zu den bekannten Konflikten geführt.

    Wenn sich aber Herrschende, wie Pharaonen, Kaiser und Könige, auf die Religion beriefen, so taten sie das stets um ihren eigenen Herrschaftsanspruch durchzusetzen, indem sie sich entweder selbst als göttlich bezeichneten oder sich zumindest als von “Gottes Gnaden” legitimiert ansahen. Fast kommt es einem so vor, als bräuchten unsere heutigen Politiker auch wieder Beistand “von oben”, da das Volk stellenweise ihrer überdrüssig geworden zu sein scheint.

    Der moderne Mensch steht heute vor vielerlei Problemen, die durch ungezügeltes Wirtschaftswachstum, Ausbeutung der Umwelt und der Gier nach immer größeren Renditen entstanden sind. Wir haben uns zwar, nach christlicher Weisung, die Erde untertan gemacht, aber langfristig bräuchte es wohl ein Regulativ um die Welt vor der Zerstörung zu schützen. Auch wenn es uns die Werbung täglich einbläut, ein noch mehr an Konsum kann jedenfalls nicht die Lösung sein. Anstatt also immer noch mehr Dinge anzusammeln sollten wir lernen loszulassen.

    Ich will aber nicht zu pessimistisch sein und da zu unserem kulturellen Erbe auch Gedichte gehören, so möchte ich bei der Gelegenheit meine Neujahrsgrüße an alle mit einem Gedicht von Heinrich Heine verbinden:

    Unterm weißen Baume sitzend,
    Hörst du fern die Winde schrillen,
    Siehst, wie oben stumme Wolken
    Sich in Nebeldecken hüllen;

    Siehst, wie unten ausgestorben
    Wald und Flur, wie kahl geschoren; –
    Um dich Winter, in dir Winter,
    Und dein Herz ist eingefroren.

    Plötzlich fallen auf dich nieder
    Weiße Flocken, und verdrossen
    Meinst du schon, mit Schneegestöber
    Hab der Baum dich übergossen.

    Doch es ist kein Schneegestöber,
    Merkst es bald mit freud’gem Schrecken;
    Duft’ge Frühlingsblüten sind es,
    Die dich necken und bedecken.

    Welch ein schauersüßer Zauber!
    Winter wandelt sich in Maie,
    Schnee verwandelt sich in Blüten,
    Und dein Herz, es liebt aufs neue.

  26. @itz

    Es gibt sicherlich ein universelles Streben nach einem einigermaßen sorgenfreien Leben.

    Mit Reichtum oder Ansehen hat das meiner Meinung nach aber nichts zu tun. Das sind Dinge, die die Gesellschaft den Menschen überstülpt. Ganz gezielt passiert das z.B. durch Werbung (-> besseres Leben durch Weichspüler XY) und natürlich auch durch schnöde Medien- und Politikpropaganda (Frau Merkel spricht gerne von Wohlstand).

    Das Problem ist auch nicht so sehr, dass es all diese Dinge gibt, sondern dass sie keinen Raum für Alternativen lassen.

    Der Kapitalismus an sich kennt nur eine Richtung und das kapitalistische Geldsystem ist nicht in der Lage, die von Ihnen angeführten “Werte” für alle Menschen zu ermöglichen.

    Ungleichheit und (relative) Armut sind systembedingt. Wer sollte auch für all die Reichen arbeiten, wenn alle Menschen reich sind?

    Egal wieviel vermeintlichen Wohlstand das System hervorbringt, es braucht immer Frischfleisch. (Deswegen veträgt es sich auch so gut mit dem Christentum.)

  27. @alle, die Wissenschaft als Wegbereiter von Technik und Wohlstand sehen

    Wenn Herr Honerkamp schreibt Diese Entwicklung zur heutigen modernen Welt ist in Europa entstanden. Dies ist unser eigentliches geschichtliches Erbe, das wir uns in Europa gemeinsam erarbeitet haben und das wir wirklich pflegen und verteidigen müssen. Dazu müssen wir diese Entwicklung besser in der Öffentlichkeit darstellen und ins Gespräch bringen, die Geschichte der Wissenschaft und ihren Einfluss auf das kulturelle und gesellschaftliche Leben auch zum Bildungsgut erklären.
    so meint er wohl mehr als das Streben nach Elektroherden und Kühlschränken.
    Diese Reduktion unserer Kultur und unserer Errungenschaften auf die technischen Ergebnisse und den errungenen Wohlstand bedeutet eine Verflachung und Entleerung.
    Auch mit dem Satz Und wenn wir in anderen Kulturkreisen auf diese Errungenschaften und auf ihre Erfolge verweisen, müssen wir uns nicht einmal schämen. meint Herr Honerkamp bestimmt nicht, dass unsere Kultur übertrumpft wird, wenn die Chinesen bessere Elektroherde als wir hier herstellen.
    Der berechtigte Stolz auf unsere Errungenschaften ist ein Stolz auf unsere Anstrengungen und die Widerstände, die wir überwinden mussten.
    Wenn itz schreibt Es geht doch nicht um den „Inhalt der Träume“, sondern um das Recht jedes Menschen seine Träume zu verwirklichen. so muss man schon auch fragen, wie denn die Träume verwiklicht werden sollen. Etwa per Einklagung des (neu zu schaffenden) Menschenrechts auf Verwirklichung der eigenen Träume. Einige der Kommentare verweisen ihre Schreiber eben schon ins postindustrielle und postwissenschaftliche Zeitalter, in der auch das Bewusstsein für andere Kulturen verlorgengegangen ist bezugsweise neu aufgenommen wird von der Wellnesskultur, in der man andere Kulturpraktiken als Lebensbereicherung in Form von Schimanenpraktiken, esoterischen Erfahrungszirklen, Feng-Shui-Kursen und alternativen Heilmethoden integriert hat. Dabei wird vergessen: Der Weg ist mindestens so viel wert wie das Ziel und ein letztes Ziel, nämlich die Auflösung aller Widerstände und Unanehmlichkeiten und das Streben nach einem sorgenfreien Leben kann vielleicht gar nicht erreicht werden ohne sehr viel zu verlieren.

  28. Man sollte auf die de Ergebnisse von Wissenschaft und Technik, auch in Form von Konsumprodukten wie WC, Heizung, Medien, Freizeit und Medizin stolz sein, den wesentlichen Kollateralnutzen der wissenschaftlichen Methode sehe ich aber auch in der damit verbundenen Kritikfähigkeit, Objektivität und dem Beweisanspruch, die uns von der Diktatur von Traditionen und falschen Autoritäten befreit hat.

  29. Kulturimperialismus

    @ Grundumsatz

    Reichtum und Ansehen erhöhen die Chance auf ein sorgenfreies Leben doch ungemein. Und zwar in jedem Kollektiv! Finden Sie nicht?

    Vielleicht ist unsere westliche Kultur nicht in der Lage, die von mir angeführten Werte für alle Menschen zu garantieren. (@Martin Holzherr – Kein Menschenrecht auf die Verwirklichung unserer Träume.) Sie lässt uns eben “nur” das Recht nach unserem Glück zu streben und die Möglichkeit nach unseren Prinzipien zu leben. Sie ist Ergebnisoffen:”Diese Ergebnisoffenheit, wirklich ernst genommen, ist das Neue, was unsere moderne Welt von der unserer mittelalterlichen Vergangenheit und von anderen früheren Kulturkreisen unterscheidet.”

    „Das Problem ist auch nicht so sehr, dass es all diese Dinge gibt, sondern dass sie keinen Raum für Alternativen lassen.“

    Welche Alternativen stellen Sie sich denn vor?

    @ Martin Holzherr

    „Der Weg ist mindestens so viel wert wie das Ziel und ein letztes Ziel, nämlich die Auflösung aller Widerstände und Unannehmlichkeiten und das Streben nach einem sorgenfreien Leben kann vielleicht gar nicht erreicht werden ohne sehr viel zu verlieren.“

    Sind sie denn auch schon amerikanisiert und Weltkonsumbürger. Kulturell beeinflusst durch Filme, das Fernsehen auch über die Werbung? So hört es sich jedenfalls an:

    „Manchmal müssen wir standhaft sein, wenn wir das richtige tun wollen. Und das Aufgeben, dass wir uns am meisten wünschen. Sogar unsere Träume.“ (Peter Parker) (^_^)

    So ist das Leben. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie…

  30. Lob des Kühlschranks

    Ich möchte ein Geständnis ablegen: Ich halte den Kühlschrank für eine ebenso großartige kulturelle Errungenschaft wie Beethovens Siebte Sinfonie. Seit dem beispiellosen Aufschwung von Wissenschaft und Technik, der mit der europäischen Renaissance begann, haben Generationen von Wissenschaftlern, Ingenieuren und Technikern daran gearbeitet, dieses Wunderwerk zu erschaffen und zu verbessern, so daß es einem kleineren Teil der Menschheit heute in hoher Qualität verfügbar ist und einem größeren Teil leider bisher nicht.

    Herr Honerkamp hat in seinem Beitrag einige der Ideen und Schöpfer zurecht gewürdigt, die an seiner Entwicklung beteiligt waren.

    Wenn ich die Gabe hätte, die Zeichen kulturellen Verfalls zu deuten – was ich sowenig wie jeder andere kann -, so würde ich einen Hinweis auf den Niedergang unserer Kultur darin erblicken, daß der Kühlschrank, genauer sein Inneres, der in den meisten deutschen Haushalten am stärksten mikrobiell verunreinigte Bereich ist.

    Wenn wir ihn schon nicht angemessen wertschätzen, indem wir uns bemühen, in die Geheimnisse seiner Funktion einzudringen, so sollten wir ihm doch ein Mindestmaß an Respekt erweisen und ihn sauber halten. Er hat es verdient.

  31. Physik siegt über Metaphysik

    und sie hat eine Welt geschaffen, in der Kathedralen Parkäusern weichen müssen. Um in den Lobgesang des Kühlschranks von Jürgen Bolt einzustimmen kann man die Sprache der Mathematik als Analog zur menschlichen Sprache, die Physik als Analog zu den Erfahrungen eines Autors und den Kühlschrank als Analog zum geglückten, uns bis in alle Ewigkeit begleitenden Poem, interpretieren.

    Physik siegt über Methaphysik: Das ist mindestens eine mögliche geschichtliche Einordnung – eine zudem berechtigte Sichtweise, stand die Physik doch zuerst in Konkurrenz und im Widerspruch zu den Aussagen der Kirche und der von ihr installierten philosophischen Autoritäten (Aristoteles als Hofphilosoph der Kirche). Eine wirkliche Konkurrenz zwischen den Aussagen der neuen Physik und Naturwissenschaft, die von Galilei und Descartes begründet wurden, und den Lehrmeinungen der Kirche konnte es jedoch nicht geben, waren die Zeichen – gesehen durch neue Instrumente wie das Teleskop – doch eindeutig. Der Widerspruch zur Lehrmeinunng der Kirche blieb vor allem deshalb, weil sich die Theologen weigerten durch die Teleskope zu blicken.
    Es stimmt zwar, dass auch die Gemeinschaft der Naturwissenschaflter gewisse Züge gemeinsam hat mit den Mönchen des Mittelalters, die in frommer Hingabe und unter Hintanstellung eigener Interessen, einem höheren Ziel dienen. Doch anders als im Kloster kann ein Wissenschaftler nicht aufgrund eines Abfalls vom Glauben ausgeschlossen werden. Ein Naturwissenschaftler kann sich nur selbst ausschliessen indem er von den Exerzitien der Naturbeobachtung und -vermessung abkommt und den rechten Weg der Fassung von Hypothesen und Theorien in mathematischen Modellen verlässt und sich der unbegründeten Spekulation hingibt.

    Wenn das geschichtliche Erbe Europas seinen besten Ausdruck in Institutionen wie der Max-Planck-Gesellschaft findet, es aber auch Raum gibt für Leute wie Albert Einstein, die ihre Karriere ausserhalb der akademischen Welt begannen und die zudem wegen ihrer Angehörigkeit zum Judentum angefeindet wurden, so müsste das doch in der Forderung münden, die Entwicklung Europas zukünftig mehr auf der Diskussionskultur zu begründen die sich in der Naturwissenschaft entwickelt hat und die Herr Honerkamp folgendermassen beschreibt:

    Wissenschaft kann zwar nicht alles erklären, aber sie stellt eine Methode dar, immer stichhaltigere, durch Fakten und Überprüfungen immer besser belegte Argumente zu finden. Sie lässt die Berufung auf kulturelle Gewohnheiten nicht zu, schließt dagegen aber ein, dass man unter Umständen erkennen muss und auch ohne Gesichtsverlust zugeben kann, dass man sich geirrt hat.

    Leider ist es in der Politik nicht so einfach, zuzugeben oder überhaupt zu erkennen, dass man sich geirrt hat. Man stelle sich Angela Merkel vor, wie sie vor dem Parlament sagt: Der Euro war ein Irrtum, das haben die Erfahrungen gezeigt. Wir suchen nun nach einer Alternative. Das ist in der Tat undenkbar und wird auch nie passieren.

  32. Hypothesen

    […]Es entstand auch für Fragen außerhalb der Naturwissenschaft eine neue Kultur des Argumentierens. Es wurde klar, dass die durch Deduktion entstandenen Aussagen ein Licht auf die zugrunde liegenden Annahmen und Hypothesen werfen mussten. Man entwickelte ein Gefühl für “sachliches” und rationales Argumentieren und man erkannte, dass es gute und weniger gute Annahmen gab und man anerkannte die Macht der Fakten und Tatsachen. […]
    Diese Macht hat sich leider schon wieder verändert.

  33. @itz

    Ich weiß nicht, ob Reichtum und Ansehen die Chance auf ein sorgenfreies Leben erhöhen. Selbst wenn es so ist, spielt es für die breite Masse keine Rolle. Reichtum ist ja per Definition nur wenigen Menschen vorbehalten.

    Davon abgesehen ist die Frage nicht, welche Alternativen ich(!) mir vostelle, sondern ob der Kapitalismus überhaupt Alternativen zulässt. Und das tut er meiner Meinung nach eben nicht. (Das ist das genaue Gegenteil von Freiheit oder “ergebnisoffen”.)

  34. Artikel von David Deutsch:

    Hier gibt es einen Artikel von David Deutsch zu lesen: “What is the secret of science’s success in understanding our world? It’s to do with the quality of its explanations – though there is a twist in the tale”. Der Artikel ist z.Z. nicht frei zugänglich, normalerweise stellt der New Scientist aber nach einer Wartezeit alles frei ins Netz. Er schliesst: “So I would argue that science is the quest for hard-to-vary explanations. There’s a caveat, though. Solutions always reveal new problems. So one must also always seek a better hard-to-vary explanation. That, at its heart, is the scientific method. As Richard Feynman remarked: “Science is what we have learned about how to keep from fooling ourselves.” Because it is prior to experimental testing, the practice of requiring good explanations can drive objective progress even in non-scientific fields. This is exactly what happened in the Enlightenment. Although the pioneers of that era did not put it that way, it was, and remains, the spirit of the age. It is the source of all progress.”

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