Strukturbiologie und die Wichtigkeit der Bakteriendressur

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Gedanken, biologisch abgebaut
Detritus

Proteine gehören zu den grundlegenden (griech. proteios = grundlegend) Bausteinen des Lebens. Sie sind aus wie an einer Schnur aufgereihten chemischen Molekülen, den Aminosäuren, aufgebaut und übernehmen vielfältigste Aufgaben. Ein Repertoire von etwa 20 Aminosäuren reicht aus, um praktisch alle Proteine herzustellen, die man so zum Leben braucht.

Ein Gen kodiert für die Abfolge der Bausteine in der Kette, die sich dann zu einem dreidimensionalen Gebilde faltet. Die Information für die Abfolge stammt von auf der DNA liegenden Genen. Das folgende Animationsvideo von Drew Berry vermittelt einen Eindruck davon, wie die genetische Information durch eine molekulare Maschine (die übrigens kein Protein ist) in Aminosäure-Abfolge und damit Protein übersetzt.

Das Ribosom (blau & violett) liest von der mRNA (gelb) ab und baut mit Hilfe von tRNA-Molekülen (grün), die mit einzelnen Aminosäuren (rot) beladen sind, eine Kette aus Aminosäuren, die sich letztlich zu einem dreidimimensional strukturierten Protein faltet. (Quelle: wehi.tv)

Die am Ende dieses Prozesses entstehenden Makromoleküle erfüllen verschiedenste Aufgabe: Strukturproteine geben Zellen ihre Form, andere bilden Poren in Zellmembranen, oder bilden Kopiermaschinen, die DNA vervielfältigen, oder auch Motoren für jegliche aktive Bewegung. Andere erzeugen aus Licht chemische Energie, sind als Hormone und Botenstoffe an der Kommunikation im Körper beteiligt und manche lassen Käfer, Quallen und Fische leuchten. Als Bio-Katalysatoren helfen sie dabei, die chemischen Reaktionen des Lebens ablaufen zu lassen.

Einen Eindruck von der schieren Vielfalt der Struktur der Proteine bekommt man auf dem folgenden Poster der Protein-Datenbank (PDB) mit Illustrationen von David Goodsell.

Goodsell poster

(Klick auf’s Bild führt zu einer Übersicht als PDF (5 MB), hier gibt es das ganze Poster (31 MB).)

Goodsells Illustrationen zeigen: es ist vor allem die dreidimensionale Struktur, die die Funktion eines Proteins bestimmt. Diese lässt sich aus der Abfolge der Aminosäuren allerdings nicht vorhersagen. Man kann die einzelnen Atome der Proteine auch nicht mit dem Mikroskop betrachten – dafür sind sie zu klein. Woher bekommt man Informationen über die dreidimensionale Struktur?

Röntgenkristallstrukturanalyse und kernmagnetische Resonanzspektroskopie

Zwei recht komplizierte Verfahren geben Aufschluss über die molekulare Struktur in atomarer Auflösung.

Bei der Kristallstrukturanalyse mit Hilfe von Röntgenstrahlung muss man das Protein zuerst in recht großen Mengen herstellen, hoch aufreinigen und dann kristallisieren. Die Proteine reihen sich dabei zu Abertausenden wie in einem Gitter regelmäßig an. Durch den Proteinkristall schickt man dann Röntgenstrahlen, die an den Elektronenwolken der Moleküle im Kristall gebeugt werden, und aus den resultierenden Beugungsmustern, die man etwa auf einem Schirm sichtbar machen kann, wird es möglich, auf die Lage eines jeden Atoms in der Einzelzelle des Kristalls zurückzuschließen.

Xray

Ein alternatives Verfahren ist die Kernspinresonanzspektroskopie (NMR). Auch hier muss man das Protein in relativ hoher Reinheit herstellen, dazu noch in rauhen Mengen. Das Protein wird in gelöster Form in ein dünnes Röhrchen gefüllt in, einen riesigen Magneten mit möglichst hoher Feldstärke gesteckt und … mit Mikrowellen bestrahlt. Das macht man nicht etwa, um sein Protein zu kochen, obwohl das manchmal passiert.

NMR beruht auf der quantenmechanischen Eigenschaft von Atomkernen, ein magnetisches Moment zu besitzen, und auf dem Umstand, dass elektromagnetische Wellen (wie Mikrowellen) diese kleinen Magneten manipulieren können. Durch die Detektion der „kleinen Magnetfelder“ erhält man Spektren, in denen Informationen zu der Umgebung der einzelnen Kerne und der Entfernung zueinander stecken. Mit verschiedenen Experimenten kann man wie in einem Puzzle sowohl die Signale im Spektrum bestimmten Atomen im Molekül zuordnen, als auch die 3D-Struktur des Moleküls aufklären.

Das Verfahren hat den Nachteil, recht kostenintensiv zu sein, man muss die Auswertung in großen Teilen von Hand durchführen, und es können keine großen Proteine und Proteinkomplexe betrachtet werden, denn irgendwann quellen die Spektren vor lauter Signalen über. Dafür muss das Molekül von Interesse aber nicht kristallisiert werden und man bekommt (anders als bei Röntgenbeugungsbildern) Information über die Beweglichkeit des Moleküls.

Nmr

Bakteriendressur

Am Anfang steht also immer die Probe, das Protein in aufgereinigter Form. Die bei weitem einfachste Möglichkeit, an eine solche Probe zu gelangen, ist die Herstellung durch Bakterien.

Klonierung: Mittels gentechnischer Verfahren schnippelt man sich das Gen für das Protein, das einen interessiert, aus dem Erbgut heraus und klebt es in ein ringförmiges Mini-Chromosom, und das pflanzt es einem Bakterium (meist Escherichia coli) ein. Dem bleibt dann nichts anderes übrig, als massenhaft das Protein von Interesse herzustellen. Wenn es möglich ist, stattet man die Proteinsequenz bereits jetzt mit einem Anhängsel (einem tag) aus, das es ermöglicht, es später aus der Proteinsuppe des Bakteriums herauszufischen. Idealerweise funktioniert dieser Prozess nach einem Cut & Paste-Mechanismus.

Dna

Das zirkuläre bakterielle Hauptchromosom und in der Vergrößerungrechts unten ein Plasmid (ein zusätzliches „Mini-Chromosom“) über das man die Zellen mit zusätzlichen Genen ausstatten kann. Normalerweise liegt die DNA in der Zelle stark verdrillt (supercoiled) vor – das spart Platz.

Protein-Expression

Bei der Expression, also der Herstellung des Proteins durch das Bakterium läuft dann meist nicht mehr alles so glatt: entweder stammt das Protein aus einem Eukaryoten und verträgt die bakterielle Umgebung nicht, es ist unlöslich und verklumpt in der Zelle, es wirkt toxisch und veranlasst die Bakterien zur Lyse, oder es benötigt angehängte Zuckerketten, um sich korrekt zu falten – hier fängt der Ärger mit dem Herumprobieren erst so richtig an. Jetzt heißt es, verschiedene Bakterienstämme auszuprobieren, mit verschiedenen Wachstumsbedingungen und Medienzusätzen herumzutüfteln.

Aufreinigung

Sollte die Expression geklappt haben, werden die Zellen geerntet: Durch Zentrifugation wird man das Nährmedium los,  danach werden die Zellen aufgebrochen und unser Protein schwimmt in einer Suppe aus verschiedensten bakteriellen Proteinen herum. Nun hat man die Wahl aus einer Vielfalt an Aufreinigungsverfahren – natürlich möchte man solche nutzen, die besonders wenig Verluste versprechen. Auch hier muss man viel ausprobieren.

Bakteriendressur – das ist im Grunde das, womit ich mich in den letzten Monaten befasst habe. Ich habe da noch einiges zu lernen, aber einen sehr groben Überblick habe ich. Meine strukturbiologische Arbeit – Pünktchen in Spektren suchen – kommt erst noch.

Was ich hier komplett unterschlagen habe: Dass es noch viel mehr strukturierte Moleküle gibt außer nur Proteinen. Ribozyme etwa sind auch Biokatalysatoren, und kommen nur mit vier Einzelbausteinen (plus modifizierte Formen, Proteine: 20+) aus.

Es bleibt also spannend!

Bildnachweis: Ribosomenvideo von WEHI.TV, Kristallbilder von der NASA, Beugungsmuster CC-BY-SA von Jeff Dahl, GroEL-GroES-Struktur von den Machern von QuteMol. NMR-Röhrchen (public domain) von Kjaergaard, 900-MHz-Spektrometer (public domain) von Martin Saunders, RGS14-Struktur vom SGC, bakterielle Chromosomen (public domain)

Martin Ballaschk ist promovierter Biologe, aber an vielen anderen Naturwissenschaften interessiert. Das Blog dient ihm als Verdauungsorgan für seine Gedanken. Beruflich ist er als Wissenschaftskommunikator, hier rein privat unterwegs.

6 Kommentare

  1. Sichtweisen

    Persönlich find ich das immer witzig so die unterschiedlichen Sichtweisen zu sehen, was die Analytik und ihre Anwendung in Biologie und Chemie angeht.
    Gerade wenn es um Substanzmengen geht, Reinheit oder die Auflösung der Messung merkt man halt doch, das Chemiker eher am Kolben sitzen und wenig mit Verunreinigungen zu tun haben, während Biologen da eher größere Matrixeffekte haben und natürlich wesentlich größere Strukturen.

    Ich wünsch dir auf jedenfall weiter frohes dressieren. 😉

  2. Zu den Verunreinigungen: Ich bekomme aus einem Liter fettem Medium nur etwa 10 g Zellen raus. Da sind dann 25 mg meines Proteins drin, und ein Zehntel davon ist mein Peptid. Verunreinigungen? Darin schwimme ich weg! 🙂

  3. Verunreinigung

    2,5 mg Peptid pro Liter Medium? Da hast du aber ein paar Liter vor dir, bis das für ein 2D NMR reicht. 😀

    Kann man auch positiv sehen, die Methoden bringen was…trotz Verunreinigungen noch Infos rauszuziehen!

  4. Noch besser: Ich betrachte das Peptid im Komplex, und man braucht 3fachen Überschuss für die Komplexierung … also für eine 10-mg-NMR-Probe brauche ich 30 mg Peptid.

  5. Ich muss noch mal überlegen und Garboczi 1992 nachschlagen, ob ich nicht Mist erzählt habe; evtl waren es nur 3facher molarer Überschuss … Trotzdem: Materialschlacht!

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