Die Blattfärbung im Herbst (1): Wertstoffrecycling

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Gedanken, biologisch abgebaut
Detritus

Nachdem wir den nassesten August aller Zeiten überlebt haben, stürzen die sommerlichen Temperaturen ab. Der Herbst kündigt sich langsam an …

Jedes Jahr im Herbst ändern die Bäume die Farbe ihrer Blätter, das weiß jedes Kind. Die einfachste Erklärung dafür ist: Das Blattgrün (Chlorophyll) wird abgebaut und andere, sonst nicht sichtbare Farbstoffe kommen zu Vorschein. Die freiwerdenden wertvollen Nährstoffe werden in den Speicherorganen der Pflanzen eingelagert, damit sie im Frühling mit der Blattbildung neu durchstarten kann. Nur ist es leider nicht ganz so einfach.

Herbst Laub
Bunter Zuckerahorn (Bild: Jeff G., Lizenz: CC-BY-2.0)

Zum einen ist es richtig, dass Chlorophyll abgebaut wird, und damit die grüne Farbe verloren geht. Der Grund ist jedoch nicht, dass das stickstoffhaltige Molekül für den Aufbau neuer Stoffe im nächsten Jahr recycled wird – vielmehr wird Chlorophyll zu farblosen Chlorophyll-Abbauprodukten (NCC, non-fluorescent chlorophyll catabolites) abgebaut und in der Vakuole deponiert. Die Chlorophyll-Kataboliten, die kein Magnesium-Zentralatom und auch kein zusammenhängendes Doppelbindungssystem mehr aufweisen, werden zusammen mit den Blättern entsorgt.

NCC
Links: Chlorophyll, rechts: Chlorophyll-Abbauprodukt

Chlorophyll ist ein Photosensibilisator, der bei Aufnahme eines Photons in einen angeregten Zustand wechselt und damit erleichtert Redoxreaktionen durchführen kann. In der Photosynthese ist das gewünscht, da nur so Wasser gespaltet und Elektronen gewonnen werden können. Hier ist das Frabstoffmolekül allerdings fest in Proteinkomplexe eingebunden. Frei gelöstes Chlorophyll wäre fatal für die Zelle: der angeregte Zustand würde auf Sauerstoff übertragen werden, der dann als „freies Radikal“, oder besser reaktive Sauerstoffspezies kurzerhand Kleinholz aus Biomembranen und Proteinen machen würde.

Die Unschädlichmachung und Deponierung des photoreaktiven Chlorophylls macht einen gefahrlosen Abbau der Proteine des Photosyntheseapparats also erst möglich, denn hier lagert das Gros des wertvollen Stickstoffs: ganze 80% der Membranen in den Chloroplasten bestehen aus Proteinen. Proteine bestehen aus Aminosäuren, und ein Hauptbestandteil von Aminosäuren ist Stickstoff, neben Phosphor ein limitierendes Nährstoffelement.

Cellulose, ein Kohlenhydrat und der Hauptbestandteil der Zellwände, ist dagegen nicht sehr wertvoll. Kohlenstoffdioxid und Wasser sind als Nährstoffe nicht limitierend, weshalb sich die Pflanze in der Regel nicht die Mühe macht, sie aus Cellulose zurückzugewinnen. Aus dem gleichen Grund werden auch die gelben Blattfarbstoffe, die Carotinoide, nicht abgebaut: als reine Kohlenwasserstoffe sind sie für ein Recycling unattraktiv.

Beta-Carotin
gelb-orange-farbenes β-Carotin:
Kohlenstoff und Wasserstoff, aber kein wertvoller Stickstoff (N)

So weit, so gut – das grüne Chlorophyll verschwindet, gelb-orange Carotinoide, die die ganze Zeit durch das kräftige Blattgrün überdeckt wurden, kommen zum Vorschein. Damit kann man die Färbung der meisten Blätter in Europa erklären: Birke, Erle, Eiche oder Pappel bekommen gelbe Blätter, bevor sie sie abwerfen.

Eichenblätter
Herbstliche Blätter der europäischen Stieleiche (Quercus robur)
Bild: von Johann Jaritz, Lizenz: CC-BY-SA-2.5

Ein Rätsel dagegen ist die Rotfärbung zahlreicher amerikanischer Arten: viele Eichen- und vor allem Ahornarten fallen durch überaus knallig rote Farben auf (siehe Foto ganz oben). Diese roten Farbstoffe (Anthocyane) müssen durch aufwendige Synthese erst durch die Pflanze hergestellt werden. Auf dem amerikanischen Nordkontinent läuft das Ganze auch noch synchronisiert ab, ein alljährliches Ereignis, was man „drüben“ als foliage und bei uns als „Indian Summer“ bezeichnet.

Aber wozu der ganze Aufwand? Es gibt eine Reihe von Erklärungsansätzen, die in Teil 2 behandelt werden.

Quellen
Matile P (2000). Biochemistry of Indian summer: physiology of autumnal leaf coloration. Experimental gerontology, 35 (2), 145-58 PMID: 10767575

Martin Ballaschk ist promovierter Biologe, aber an vielen anderen Naturwissenschaften interessiert. Das Blog dient ihm als Verdauungsorgan für seine Gedanken. Beruflich ist er als Wissenschaftskommunikator, hier rein privat unterwegs.

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