Babys homöopathisch misshandeln (ELTERN-Zeitschrift 7/2010)

BLOG: Detritus

Gedanken, biologisch abgebaut
Detritus

Die Eltern-Zeitschrift wirbt auf dem Titel ihrer aktuellen Ausgabe (07/2010) „Babys homöopathisch behandeln“. Im zugehörigen Artikel wird wieder einmal völlig unkritisch mit homöopathischen Heilsversprechen umgegangen. Nach einem kurzen Abriss über das Selbstbild der Homöopathen gibt es eine Reihe von Tips, welche Mittelchen bei welchen Beschwerden helfen und wann man zum Arzt gehen sollte. Kein Wort davon, wie Homöopathika hergestellt werden und dass in Globuli und Tropfen zumeist kein Wirkstoff mehr enthalten ist.

Warum sind diese „alternativen“ Heilmethoden in letzter Zeit so in Mode gekommen? Warum sind sie offenbar besonders bei Eltern junger Kinder so beliebt?

Ich erkläre es mir so: Eltern sind ständig um das Wohlergehen ihrer Kinder besorgt, dabei  hat die konventionelle Medizin den Ruf, eine „Fließbandabfertigung“ ohne Aufmerksamkeit für die persönlichen Bedürfnisse der Patienten zu praktizieren. Konventionelle Medikamente („Chemie“) haben den Ruf, viele Nebenwirkungen zu haben und den Körper unnötig zu belasten.

Die Selbstmedikation mit homöopathischen Arzneimitteln kommt da wie gerufen – diese werden als „natürlich“, „sanft“ und „nebenwirkungsfrei“ angepriesen. Dazu sind sie auch noch relativ günstig und man spart sich den stressigen Besuch beim Arzt.

Dabei halten Homöopathika keines von diesen Versprechen. Homöopathie hat mit Naturheilkude überhaupt nichts zu tun, Samuel Hahnemann hat sie sich im 18. Jahrhunder ausgedacht. Damals wusste er und niemand etwas über Infektionserreger und Hygiene, Hormone, das Immunsystem oder Biochemie. Seine Theorien mögen für die damalige Zeit fortschrittlich gewesen sein – da aber in den letzten 200 Jahren kein Wirksamkeitsbeweis erbracht werden konnte, müssen sie heute als überholt gelten. Wenn einem Kind bei einer ernsthaften Erkrankung eine wirksame Behandlung vorenthalten wird, muss es unnötig leiden. Auch wird man einem kranken Kind nie ein ungetestetes Medikament verabreichen wollen, bei Homöopathika wird auf diese Tests einfach verzichtet.

Viele Beschwerden verflüchtigen sich, wenn man einfach abwartet und die Selbstheilungskräfte des Körpers walten lässt – eine Erkältung etwa ist in der Regel nach ein paar Tagen vorbei. Die einzige Alternative zum Abwarten ist der Arztbesuch, und nicht das verabreichen wirkungsloser Mittel. Hier ist die Gefahr, dass man die Schwere der Erkrankung verkennt und sich zu spät dem Mediziner vorstellt. Entsprechend sind neben einer Milchzuckerunverträglichkeit Globuli nicht nebenwirkungsfrei. Das Ausbleiben einer Behandlung kann sehr wohl Effekte haben. Ich empfehle zum Thema die Reihe „Kindesmissbrauch durch alternative Heilmethoden“ (Teil 1, 2, 3, 4) im Esoblog.

Man muss dem Artikel zugute halten, dass er sich auf kleinere Probleme (etwa Windelwundsein oder Durchfall) beschränkt und schwerere Erkrankungen wie Mittelohrentzündung etc. gar nicht erst thematisiert. Auch wird der Arztbesuch nahegelegt, wenn die Symptome zu stark werden. Trotzdem wird komplett verschwiegen, dass in den Präparaten keine Wirksubstanzen enthalten sind und seit 200 Jahren ein Wirksamkeitsnachweis aussteht. Ich erwarte, dass man mit mir als Leser ehrlich umgeht und über die Hintergründe der Homöopathie aufklärt (Bei Gedankenabfall: Weshalb Homöopathie Humbug ist).

Rechnet man realistischerweise mit dem Preis für reinen Milchzucker, sind homöopathische Globuli plötzlich nicht mehr „günstig“, sondern vergleichsweise teuer. Milchzucker kann man beim Carl-Roth-Versand im Kilogramm-Gebinde kaufen (€ 14,40). Noch einfacher wird es natürlich mit sauberem Wasser, das meist aus der Leitung kommt und gegenüber homöopathischen Tropfen unschlagbar günstig ist.

(Ich werde diesen Blogeintrag noch zu einer Mail an die Eltern-Redaktion umwursten und die Antwort hier einstellen.)

Bildquelle
Titelbild der aktuellen Ausgabe (07/2010) von Eltern.de: Seite „Abo bestellen

Mailkorrespondenz mit der Eltern-Redaktion
Nachdem ich der Eltern-Redaktion am 17. Juni meine Bedenken mitgeteilt habe (im Wesentlichen oben geschildert), bekam ich heute von Sabine Lotz eine Antwort. Ich darf ihre Mail jedoch aus „rechtlichen Gründen“ nicht hier veröffentlichen, weshalb ich ihn inhaltsgemäß im Folgenden wiedergebe.

Frau Lotz dankt mir für mein ausführliches Schreiben. Sie schreibt, dass ihr die „Kritikpunkte“, die ich aufzählen würde, bekannt seien, aber es auch eine Menge Befürworter dieser „Medizinrichtung“ gäbe. Darunter seien auch seriöse Ärzte. Zu beurteilen, wer Recht hätte, könne man sich nicht erlauben. Der Eltern-Redkation wäre es außerdem ein Anliegen, „Eltern, deren Kinder unter leichteren Beschwerden leiden, eine Selbsthilfemöglichkeit an die Hand zu geben“, wobei ein Artbesuch bei schweren Fällen unerlässlich sei.

Ich antwortete:

Sehr geehrte Frau Lotz,

ich bedaure, dass Sie mein Schreiben derart gründlich fehlinterpretieren.

Mir ging es in keiner Weise darum, die Homöopathie zu kritisieren, sondern den Umgang mit zweifelhaften medizinischen Methoden in Ihrem Heft.

Es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass Homöopathie besser wirkt als ein Plazebo. Wenn Sie mit ELTERN der Pseudo-Wissenschaft unreflektiert ein Forum bieten wollen, tut mir das sehr leid. Es offenbart einen unkritischen Umgang mit den Fragen, die in dem Heft behandelt werden – das muss ich von nun an auch bei den anderen Artikeln im Hinterkopf behalten.

Ich denke, Sie sind es Ihren Lesern schuldig, sie über die Homöopathie-Hypothese aufzuklären, wenn Sie darüber berichten, sodass sie sich selbst ein Urteil bilden können. Dass Sie es sich aber umgekehrt ganz einfach machen und auf die Autorität der Ärzte als Messlatte heranziehen, lässt mich nur vermuten, dass Sie selbst eine gründliche Hintergrundrecherche unterlassen haben. Es zeigt, dass Sie sich selbst eben kein Urteil gebildet haben, wie Sie in Ihrer Mail ja auch ganz offen zugeben.

Wie kann man einerseits Ratschläge verteilen und sich andererseits über die Ratschläge kein Urteil gebildet haben? Sind Sie bei allen im Heft behandelten Themen so unkritisch?

Um kurz auf den Inhalt Ihrer Mail einzugehen: Sie argumentieren mit der Akzeptanz der Methode durch „zahlreiche seriöse Ärzte“, unterschlagen aber, inwiefern das die Validität der Methode beweisen soll. Ich bezweifle, dass Sie verlässliche Zahlen über die „Akzeptanz“ unter Ärzten haben, und wenn doch, würde das immer noch nichts beweisen. Ein Arzneimittel hat sich in klinischen Studien hinsichtlich der Wirksamkeit und der Sicherheit zu behaupten, und wird nicht an der Beliebtheit gemessen. Hätten wir uns diese Philosophie zu Eigen gemacht, würde wir noch heute Aderlässe praktizieren!

Kein *seriöser* Arzt wendet Homöopathie [an], außer er will seinen Patienten täuschen.

Mit freundlichen Grüßen
Martin Ballaschk

Martin Ballaschk ist promovierter Biologe, aber an vielen anderen Naturwissenschaften interessiert. Das Blog dient ihm als Verdauungsorgan für seine Gedanken. Beruflich ist er als Wissenschaftskommunikator, hier rein privat unterwegs.

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