„Auskreuzung“ – Gentechnik und Wissenschaft im Tatort

BLOG: Detritus

Gedanken, biologisch abgebaut
Detritus

Der Tatort ist seit einigen Jahren mein wöchentliches Sonntag-Abend-Ritual. Und wenn es um Wissenschaftler und Pharmaforschung ging, wurden in der Regel die üblichen Klischees und Mythen bedient: Haustiere, die als Versuchstiere von der Straße gefangen werden oder etwa Firmen, die über Leichen gehen, um ihre Medikamente zu schützen, und das mehr als nur ein Mal. Das sind dann die Sendungen, bei denen ich mir normalerweise im Minutentakt an die Stirn greife.

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Szene aus dem Tatort: Pipettierarbeit mit Nitrilhandschuhen

Der heutige Tatort mit den Kölner Komissaren Ballauf und Schenk hat mich in dieser Hinsicht positiv überrascht. Es wurden einige ganz reale Probleme des Wissenschaftsbetriebs angesprochen, wie der Erfolgsdruck, der bei vielen die Familienplanung durchkreuzt, die Konkurrenz zwischen Arbeitsgruppen, die am selben Thema arbeiten, die Hatz nach Forschungsgeldern, oder die Wichtigkeit von Beziehungen, wenn es um die Vermittlung von neuen Stellen geht.

Und auch viele Laborhandgriffe wurden recht realistisch dargestellt: Das Blätterstanzen, um Blattproben in flüssigem Stickstoff wegzufrieren, was ganz zu Beginn gezeigt wird – das habe ich während meiner Diplomarbeit bestimmt einige hundert Male gemacht.

Der wissenschaftliche Berater dieses Tatorts hat nicht geschlafen, das kann man wohl feststellen. Außer vielleicht in der Szene, in der eine Wissenschaftlerin ein Gel „gießt“ und Unmengen Probe in irgendeine glibberige Pampe pipettiert.

Tatort gel

Das da zwischen den Glasplatten soll ein Polyacrylamid-Gel sein? So sieht das nicht aus! Eher so, wie in diesem Video.

Eine weitere offensichtliche Abweichung von der Realität, wie ich sie erlebt habe: dass sich dahergelaufene Wissenschaftler, so lange sie nicht gerade Max-Planck-DirektorInnen sind, sich solche grässlichen Luxus-Designerwohnungen leisten können, wie jene, in denen die Protagonisten der Sendung wohnen. Das gemeine Fußvolk wird in Wirklichkeit nach Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes bezahlt; und der überwiegende Teil von diesen Personen sind Doktoranden, die in der Regel über halbe oder zwei-Drittel-Stellen (natürlich bei voller Arbeitszeit und noch mehr Unannehmlichkeiten) angestellt sind.

Nein, ich wohne in keiner Luxusvilla. Ich habe zwar ein neues Fahrrad, aber keine Luxusvilla.

In dieser Folge des Tatort ging es jedenfalls um grüne Gentechnik, sogar um öffentlich finanzierte Forschung an „Pharmapflanzen“. In der Regel eine Steilvorlage für die Drehbuchautoren, um irre Wissenschaftler von selbsternannten Weltverbesserern um die Ecke bringen zu lassen.

Aber im Gegenteil – wenn auch die Gentechnikgegner mit ein paar Argumenten zu Wort kommen – es wurde viel Richtiges zu den Vorteilen und den Potenzialen der Gentechnik gesagt. Oder auch, dass der Mensch die Genome seiner Nutztiere und -Pflanzen seit Jahrtausenden formt, und Gene natürlicherweise zwischen verschiedenen Organismus wechseln können. Und auch, dass einige Gentechnikgegner mitunter zu nicht zu rechtfertigenden Mitteln greifen, wenn Felder „befreit“ werden sollen. Dass Naturschutz und Gentechnik sich nicht ausschließen, müssen die meisten wohl erst noch begreifen.

Den Tatort, der zwar nicht gerade unkonventionell, aber immerhin nicht arg realitätsverzerrend war, kann man sich noch wenige Tage in der Mediathek anschauen.

Wie fandet ihr das Setting des neuen Tatorts?

Nachtrag: Alexander Gerber von den deutschen ScienceBlogs hat mich darauf hingewiesen, dass der Tatort im Rahmen eines Medienforschungsprojekts entstanden ist. Geht rüber und lest seinen Artikel darüber! Ganz konkret geht es um ein Fellowship im Rahmen des „MINTiFF“-Forschungsprojekts, mehr Infos dazu auch hier und hier.


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Martin Ballaschk ist promovierter Biologe, aber an vielen anderen Naturwissenschaften interessiert. Das Blog dient ihm als Verdauungsorgan für seine Gedanken. Beruflich ist er als Wissenschaftskommunikator, hier rein privat unterwegs.

1 Kommentar

  1. Auskreuzung

    Der Tatort gehörte zu den besten Tatorten.

    Ich bin zwar kein Molekularbiologe, sondern ein Chemiker, aber dennoch hat mich der Einblick in diese Thematik fasziniert.

    Die Wohnungen waren eindeutig nicht angepaßt, dafür aber endlich mal ein älteres Auto als Kommissarwagen.

    Und langweilig fand ich diesen Film auch nicht, er gehört zu den wenigen Krimis, die ich mir mehrmals angesehen habe.

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