Ansteckender Krebs: Hoffnung für den Beutelteufel?

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Auslese 2011Die tasmanischen Teufel, also diejenigen Beuteltiere, deren Aggressivität schon sprichwörtlich geworden ist, sind vom Aussterben bedroht. Grund dafür sind nicht etwa Nahrungskonkurrenten oder eingeschleppte Krankheiten, die andere Arten der australischen Inseln bedrohen, sondern ein seltener ansteckender Krebs, der durch die ständigen Beißereien von Teufel zu Teufel weitergegeben wird und so in den letzten 15 Jahren die Bestände um mehr als die Hälfte reduziert hat. Die infizierten Tiere einfach einzusammeln, funktioniert leider nicht.

 

Es wird geschätzt, dass die Art innerhalb der nächsten 25 bis 35 Jahre ausgestorben sein könnte. Jetzt gibt es vielleicht doch ein wenig Hoffnung, denn eine bestimmte Population der Tiere ist möglicherweise resistent gegenüber der Tumorerkrankung.

Eine ansteckende Krebserkrankung

Die „Beutelteufel-Gesichtstumorkrankheit“ (engl.: devil facial tumor disease, DFTD) wurde 1996 zuerst entdeckt. Typischerweise bekommen die Tiere Knoten im Gesichtsbereich, die sich bald über den gesamten Körper ausbreiten. Nach drei bis sechs Monaten ist das Tier tot, weil es nicht mehr fressen kann, die Organe aufgrund der metastasierenden Tumore versagen oder weil eine Sekundärinfektion ihr übriges tut.

800px Tasmanian Devil Facial Tumour Disease

Ein von der tödlichen Gesichtstumorkrankheit befallenes Tier.
(CC-BY-2.5, PLoS Biology
)

Zu Beginn ging man aufgrund der Infektiösität fest davon aus, dass ein Virus die Ursache für das Auftreten der Tumore ist. Beim Menschen ist ganz analog Papillomvirus für fast alle Arten von Gebärmutterhalskrebs verantwortlich, Hepatitis B und C verursachen Leberkrebs, und das Epstein-Barr-Virus ist mit Lymphomen assoziiert. So naheliegend diese Erklärung erschien, so falsch war sie auch. Es stellte sich heraus, dass alle Tumore eine entartete Vorläuferzelle in einem einzigen, schon längst verstorbenen Beutelteufel haben, und die damit keine „normale“ Krebserkrankung sind. Die Wucherungen sind vielmehr mit einem aggressiven Gewebe-Transplantat oder einem obligaten Parasiten vergleichbar. In diesem Fall sind es entartete Schwann-Zellen, die normalerweise Nervenzellen umhüllen.

Ansteckender Krebs ist äußerst selten, die einzige andere Art dieser Erkrankung ist das Sticker-Sarkom, das Hunde betrifft.

Beutelteufel sind etwas Besonderes

Zwei Eigenheiten der Beutelteufel verhalfen der Krankheit zu ihrem heutigen Status. Die Tiere beißen sich wohl bei jeder sich bietenden Gelegenheit – bei der Paarung oder beim Verteidigen des Reviers, Beißereien gehören zum Beutelteufel-typischen Sozialverhalten einfach dazu. So können die infektiösen Zellen leicht von Tier zu Tier gelangen.

Außerdem weisen sie eine Besonderheit in ihrem Immunsystem auf. Dieses ist unfähig, den Tumor, der ja fremdes Gewebe ist, auch als fremd zu erkennen.

Man kennt das anders: Bevor man beim Menschen eine Organtransplantation vornimmt, muss man das Gewebe auf Kompatibilität testen und nach erfolgter Transplantation mit starken Medikamente eine Abstoßungsreaktion unterbinden.

Die Moleküle, die für die Abstoßung fremder Organe verantwortlich sind, bestehen aus einer Gruppe von Genen, die der Haupthistokompatibilitätskomplex („MHC“) genannt wird. Die MHC-Proteine sitzen auf der Oberfläche der Körperzellen, und weiße Blutzellen können mit ihnen interagieren:

mhc erkannt durch tcr

Rezeptoren auf der Oberfläche von Zellen des Immunsystems interagieren mit den MHC-Molekülkomplexen auf der Oberfläche von Körperzellen. Kleine Bruchstücke von Krankheitserregern, hier rosa, können so erkannt werden.

MHC-Molekülkomplexe sind ein elementar wichtiger Bestandteil der adaptiven Immunabwehr, denn sie binden Proteinstücke von Krankheitserregern und machen sie an der Zelloberfläche für andere Zellen sichtbar. Immunzellen können diese Information auslesen und entscheiden, ob es sich um etwas „fremdes“ handelt. Ob es nur das kleine Proteinstück oder andere Teile des MHC-Komplexes sind, ist dabei unerheblich – alles, was als fremd erkannt wird, wird eliminiert.

Jeder trägt eine ganze Reihe von unterschiedlichen Genen für MHC-Moleküle, und jedes Gen besitzt eine unglaubliche Variabilität innerhalb der Bevölkerung. Damit wird verhindert, dass ein bestimmter Krankheitserreger sich an die Bindeeigenschaften des MHC-Moleküls anpasst, und eben auch, dass sich Krebszellen von Individuum zu Individuum ausbreiten können. In der Tat ist eine gute Durchmischung von MHC-Genen wohl so wichtig, dass wir uns von Menschen mit stark unterschiedlicher MHC-Ausstattung angezogen fühlen und damit unsere Partnerwahl beeinflussen.

Der Beutelteufel hat in dieser Hinsicht ziemliches Pech, denn er hat zwar auch einige verschiedene MHC-Molekülvarianten, aber die Diversität innerhalb der Population ist extrem gering – alle lebenden Beutelteufel haben ein funktionell praktisch identisches Set an MHC-Genen. Damit erkennt das Immunsystem den Tumor schlicht nicht als fremdes Gewebe und seine Zellen können sich ungehindert im gesamten Organismus verteilen und Tochtergeschwüre bilden.

Neue Hoffnung: Eine Population in West-Tasmanien ist womöglich resistent

Über einige Jahre hinweg hat eine Forschergruppe um Menna E. Jones und Hamish McCallum mehrere Bestände der Beutelteufel beobachtet und dabei festgestellt, dass nicht alle Populationen gleichermaßen von der Krankheit betroffen sind.

Tasmania

Ausbreitung der Krankheit und einige Beobachtungsstützpunkte für die Forscher. Nicht eingezeichnet sind die Stützpunkte Forestier und Fentonbury
(©, Abbildung aus Jones et al. 2011)

Im Nordwesten der Insel existieren die letzten noch nicht befallenen Bestände von tasmanischen Teufeln (siehe Karte). Vor kurzem wurde herausgefunden, dass diese Tiere ein Set an MHC-Genen besitzen, das sich von denen der anderen Beutelteufelbestände unterscheidet. Damit stand die Frage im Raum, dass  diese Gruppe von Tieren immun gegen die Gesichtstumorkrankheit ist.

Das Forscherteam hat die Ausbreitung der Krankheit in vier verschiedenen Gebieten verglichen – eine davon in West Pencil Pine, und drei in Osttasmanien, wo viele Tiere betroffen sind. In West Pencil Pine gab es über vier Jahre hinweg keine schnelle Ausbreitung der Krankheit und auch keine signifikante Abnahme der Tierzahl. Infizierte Tiere überlebten die Krankheit sehr viel länger als ihre Geschwister aus dem Osten. Das ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass die Mehrzahl aller Teufel innerhalb weniger als zwanzig Jahre verendet ist.

Eine alternative Erklärung ist, dass ein anderer, unter Umständen weniger aggressiver Tumorstamm existiert, der sich in Westtasmanien langsamer ausbreitet. In der Tat wurden bereits mehrere Stämme analysiert, was abermals zeigt, dass auch der Tumor evolutionärem Druck ausgesetzt ist und sich an Resistenzen gegebenenfalls anpassen könnte. In jedem Fall ist der Krebs auf den Teufel angewiesen und eine Koevolution könnte auch zum Ergebnis haben, dass der Krebs als weniger aggressive Krankheit erhalten bleibt.

Die Möglichkeit, dass der tasmanische Teufel ausstirbt, besteht aber nach wie vor.

Ich hoffe, dass es sich bestätigt, dass es Resistenzgene sind, die die „Wessies“ immun gegen DFTD macht. Denn dann könnte man versuchen, Teufel gezielt in stark betroffenen Gebieten auszusetzen, und damit deren Gene in den Genpool der entsprechenden Populationen zu mischen.  Vielleicht könnte man so diese kuriosen und interessanten Tiere erhalten.

Interessante Literatur

Jones, M. E., & McCallum, H. (2011). The Devil’s Cancer. Scientific American, 304(6), 72–77. (Downloadversion)

Hamede, R., Lachish, S., Belov, K., Woods, G., Kreiss, A., Pearse, A.-M., Lazenby, B., et al. (2011). Reduced Effect of Tasmanian Devil Facial Tumor Disease at the Disease Front Conservation biology : the journal of the Society for Conservation Biology.

Siddle, H. V., Marzec, J., Cheng, Y., Jones, M., & Belov, K. (2010). MHC gene copy number variation in Tasmanian devils: implications for the spread of a contagious cancer Proceedings of the Royal Society: Biological Sciences, 277(1690), 2001–2006.

Martin Ballaschk ist promovierter Biologe, aber an vielen anderen Naturwissenschaften interessiert. Das Blog dient ihm als Verdauungsorgan für seine Gedanken. Beruflich ist er als Wissenschaftskommunikator, hier rein privat unterwegs.

4 Kommentare

  1. Andere Strategie?!

    Anstatt infizierte Tiere einzufangen, warum verfährt man nicht genau andersherum und fängt gesunde Tiere ein und zieht Nachwuchs im Zoo / in Gefangenschaft auf? Klar ist das keine optimale Situation, wenn denn die möglicherweise in Zukunft ausgewilderten Tiere dann von einer relativ kleinen Population abstammen – aber besser als aussterben!?

  2. Frage

    Ein sehr interessanter Text.

    Leider verstehe ich den einen Satz nicht: “In jedem Fall sind Krebs und Teufel aufeinander angewiesen [..]”
    Dass der Krebs die ‘Teufel’ braucht ist soweit klar. Aber warum brauchen die ‘Teufel’ denn den Krebs?

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