Den interreligiösen Dialog leben – Gastbeitrag von Dr. Michael Schober

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Geschichte und Gegenwart
Der Islam

Meine Heimatstadt Tübingen bietet eine malerische Kulisse für Stadtführungen. Nicht zuletzt deshalb liebe ich es, mit Gästen durch die Gassen der Altstadt zu gehen und ihnen das Umfeld zu zeigen, das mich geprägt hat. Nicht weniger wichtig ist mir allerdings ein weiterer Grund. Mit anderen durch Tübingen zu gehen, lässt mich jedes Mal „meine“ Stadt auf’s Neue entdecken, sie mit anderen Augen sehen. Seit ich im interreligiösen Dialog aktiv bin, geschieht dies mit noch schärferem Blick. Ich habe den Eindruck, die Stadt ist nicht mehr dieselbe.
Ich hab’ gelernt, dass auch im bunten Tübingen Diskriminierung im Alltag vorkommt und zwar nicht nur in irgendwelchen besonders dunklen Kapiteln unserer Geschichte, sondern hier und heute und dass, wer im Dialog glaubwürdig sein möchte, auch dagegen etwas unternehmen muss.
Ich hab’ gelernt, dass es manchmal reicht, etwas „anders“ auszusehen, um in unangenehme, mitunter sogar gefährliche Situationen zu geraten.
Ich bin vorsichtig geworden mit Absolutheitsansprüchen. Wer gibt mir das Recht, die gelebten Überzeugungen eines/einer anderen zu verurteilen, auch wenn ich sie nicht teile, solange eine offensichtliche Sackgasse nicht zu erkennen ist.
Ich habe selbstbewusste, junge, weltoffene Musliminnen kennengelernt, die ein Kopftuch tragen und Fundamentalistinnen, die keines tragen.
Ich hab’ gelernt, wie gut es tun kann, im Dialog auch mal über Fußball oder Musik zu sprechen, also über weitere parallele „Brücken“ zu gehen, damit die interreligiöse Brücke nicht nur Diplomatie bleibt. Die wenigsten Menschen möchten nur auf einen Teil ihrer Persönlichkeit festgelegt werden.
Manchmal war bei Dialogveranstaltungen die eigene Infragestellung durch die Sichtweisen anderer anstrengend, dann aber gleichzeitig so spannend, dass wir die ganze Nacht über im offenen Austausch kein Ende gefunden haben. Dann war da gleichsam wie ein kleiner Hoffnungsschimmer das Ideal einer Gesellschaft spürbar, in der Menschen mit ihren verschiedenen (sozialen, kulturellen, religiösen) Hintergründen sich zusammen engagieren – Deutschland als „Wir-Land“ sozusagen, wie es in einem Jahresmotto des Bundes der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland (BDAJ) heißt. Das wäre eine Gesellschaft in der Verschiedenheit „normal“ bzw. etwas „Positives“ ist und in der die Menschen „miteinander“ und nicht „gegeneinander“ leben, wie es im abschließenden Appell unseres kürzlich verstorbenen Alt-Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker in seiner berühmten Rede vom 8. Mai 1985 heißt.
Ich hab’ auch als Christ gelernt, verschiedenen Strömungen in meiner eigenen Religion offener zu begegnen, und habe an Sprachfähigkeit hinsichtlich meines eigenen Glaubens gewonnen.
Das alles vor allem dadurch, dass ich Menschen kennen gelernt habe und mir nicht eingebildet habe, sie schon zu kennen. Der Dialog ist für mich zum Lebensmotto geworden, weil ich in ihm respektvolles Aufeinander-zu-Gehen, Sich-Begegnen und auch Auseinandersetzen erlebt habe. Ist es da zu hoch gegriffen, in diesen Erfahrungen auch ein friedensstiftendes Potenzial zu erkennen, dass über die Begegnungen an der Basis hinaus in unsere Gesellschaft weiter wirken kann?
An dieser Stelle wird Menschen, die im interreligiösen Dialog aktiv sind, oft Naivität, Träumerei oder „Gut-Menschentum“, sprich: Weltfremdheit unterstellt.
Nein, naiv sollen wir nicht sein, erst recht nicht der hässlichen Fratze der Gewalt gegenüber, wie sie uns im Fanatismus auch im religiösen Gewand gegenübersteht.
Nicht naiv, aber hoffnungsvoll optimistisch im Sinne eines „Trotzdem“, das sich weigert, darauf zu verzichten, das, was an Gutem in Sachen Verständigung möglich ist, zu tun, auch wenn damit längst nicht alle Probleme gelöst werden. „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“ um ein geflügeltes Wort Erich Kästners aufzugreifen. Oder um dem Tübinger Intellektuellen Walter Jens das Schlusswort zu überlassen: „Soll ich denn ein Schlecht-Mensch sein?“
Interreligiöse Begegnungen haben mein Leben reicher gemacht. Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen möchte ich dafür werben, selbst den Dialog zu leben.

 

 

Zum Autor:
Dr. Michael Schober ist katholischer Theologe, Germanist und Politikwissenschaftler und hat in Tübingen sowohl studiert als auch promoviert. In seiner friedensethischen Doktorarbeit „Zeugnisse der Unterbrechung von Gewalt im Krieg – Grundlegung einer theologischen Ethik des nicht suspendierten Zweifels“ beschäftigte er sich mit Nonkonformität und Widerstand anhand von Beispielen aus den beiden Weltkriegen. Dabei ist er auch auf „Brücken“ gestoßen, die die Distanz zwischen sich feindlich gegenüberstehen Soldaten mindern und Feindbilder „unterbrechen“ können. Die Arbeit ist an der Universität Tübingen online erschienen: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-opus-71063
Seine Erfahrungen im interreligiösen Dialog hat er durch sein privates Engagement auf Tagungen und Seminaren sowie Freundschaften zu Andersgläubigen gewonnen und später auch beruflich umgesetzt. Zuletzt war er bei der Katholischen Landjugendbewegung Deutschlands (KLJB) für das Dialogprojekt BirD mit dem Bund der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland (BDAJ) zuständig.

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Veröffentlicht von

Hussein Hamdan M.A., geb. 1979 studierte Islam- und Religionswissenschaft sowie Irankunde in Tübingen und schloss sein Studium 2007 mit einem Magister ab. Anschließend folgte, ebenfalls an der Universität Tübingen, die Doktorarbeit über das Wirken der Azhar-Universität im christlichen-islamischen Dialog, die im März 2013 abgeschlossen wurde. Hussein Hamdan war die ersten beiden Jahre seiner Promotion Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung, ehe er 2009 für zwei Jahre Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für interkulturelle Kommunikation in Heidelberg wurde. Dort verfasste er u.a. den Band „Muslime in Deutschland. Geschichte, Gegenwart und Chancen“. Aktuell ist er an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart angestellt und für das Projekt „Gesellschaft gemeinsam gestalten – Junge Muslime als Partner“ verantwortlich. Hussein Hamdan ist Autor und Sprecher der Kolumne „Islam in Deutschland“ (SWR) und Referent zu diversen Themen des Islam. Seine Schwerpunkte sind Muslime in Deutschland, Interreligiöser Dialog, Humor im Islam sowie Einführungen in die Grundlagen, Quellen und Geschichte des Islam. Zudem ist er Mitglied des Runden Tischs Islam von Integrationsministerin Bilkay Öney in Baden-Württemberg. Hamdan hat sich in den letzten Jahren in verschiedenen Bereichen des interreligiösen und interkulturellen Dialogs engagiert. Von 2004-2007 moderierte er in Tübingen den Arabisch-Amerikanischen Dialog. Aktuell ist er Vorstandsmitglied des Bendorfer Forums.

15 Kommentare

  1. Lieber Michael, herzlichen Dank für diesen Gastbeitrag. Ich bin sehr froh, dass ich dich dafür gewinnen konnte.
    Beste Grüße
    Hussein

  2. Nur mal auch hier angefragt:
    Welchen Sinn oder Zweck könnte der interreligiöse Dialog der Christen mit den Kräften des Islam haben?

    MFG + schönen Ostermontag (und Osterdienstag, sofern der noch gefeiert wird) noch,
    Dr. W

  3. Wenn ein Dialog nötig ist, steht es meist nicht mehr zum besten – weder interreligiös noch zwischenmenschlich.
    Stilles Verstehen, mitfühlen und aufeinander reagieren ist nämlich ein weit wirkungsvollerer Dialog als jede Versprachlichung von Befindlichkeiten.
    Bestimmte unserer Kultur fremde Verhaltensweisen kann man einfach nicht weg-dialogisieren.
    Ein gutes Beispiel dafür scheint mir die (Un)-Sitte , dass (gewisse?) Muslime Frauen die Hand nicht geben wollen. Darüber wird in Warum gibt ein höflicher Muslim einer Frau nicht die Hand? dialogisiert. Der gelehrte Herr belehrt uns dort, dass es auch in Europa vor ein paar hundert Jahren als unverschämt galt einer Frau die Hand zu geben, wenn diese Hand nicht mindestens behandschuht war. Doch genau hier liegt das Problem: wir leben in einer ganz anderen Zeit. Für uns sind die Kreuzzüge vorbei und wir wollen nicht an etwas gemessen werden, was für unser säkulares Leben keine Rolle mehr spielt. Fast könnte man sagen: zum Glück sind nicht nur die meisten Christen, sonder auch die meisten Muslime nicht religiös.

    • Zitat: “[…] zum Glück sind nicht nur die meisten Christen, sonder auch die meisten Muslime nicht religiös.”

      So ist es, die meisten “Gläubigen” wurden von den Religionen als Kleinkinder vereinnahmt und religiös indoktriniert. Viele Menschen können sich als Erwachsene diesem Zugriff innerlich entziehen. Mit den MINT-Fächern in der Schule und dem Internet verlieren die Religionen auf breiter Front.

  4. Einen Dialog braucht es gerade für solche kulturellen Unterschiede, die sich darin ausdrücken, dass “ein höflicher Muslim einer Frau nicht die Hand gibt”. Dieser Dialog muss von der Reflexion ausgehen was ein solcher kultureller Unterschied bedeutet. Für Europäer mit etwas Geschichtsbewusstsein ist die Interpretation eines solchen Verhaltens nicht schwierig. Letztlich sehen beide Seiten die dahinterstehenden Kräfte recht ähnlich, nur ziehen beide Seiten – die muslimische und die westliche – ganz andere Konsequenzen daraus und beziehen damit eine ganz andere Position zur menschlichen Natur und zur Geschlechtlichkeit. Wenn Muhammad Hamel in Warum gibt ein höflicher Muslim einer Frau nicht die Hand? schreibt (nachdem er bekannt hat dass er mit sich mit 12 aus durchschaubaren Gründen erstmals fürs andere Geschlecht interessiert hat)

    Daher ist – oder eher – sollte es eigentlich JEDEM halbwegs noch in natürlichen Bahnen denkenden Menschen VÖLLIG klar sein, dass die ERSTE, selbst zarteste Berührung von, füreinander attraktiv wirkendem Männlichen und Weiblichen, Mann und Frau, von Frau und Mann in Richtung gegenseitiger Erfüllung weisen mag

    dann erkennt er zurecht, dass selbst eine entgegengestreckte weibliche Hand ein geschlechtlicher Reiz sein kann. Diesen Reiz auszuschalten indem man eine weibliche Hand nicht mehr berührt (nicht mehr berühren darf) führt aber typischerweise zu einer noch niedrigeren Reizschwelle. Deshalb galt es im viktorianischen Zeitalter bereits als obszön von Tisch- oder Stuhlbeinen zu sprechen, denn bei Bein dachte man an das entblösste weibliche Bein.Gesellschaftlich sind die Konsequenzen eines Reizverbots durch das andere .- meist das weibliche – Geschlecht sehr gross. Letztlich wird Sexualität mit einer solchen Reizvermeidung zur knappen Ressource. Diese Ressource – die weibliche Unschuld – wird dann tpyischerweise von den Eltern verwaltet und die Ehe wird dann zum Tauschhandel: Erlaubter Sex nach einer Transaktion (der Ehe) zwischen den Hütern der Ressource – den Eltern – und dem Bräutigam. Diese Sicht ist auch inhärent assymetrisch, denn es wird nur die weibliche Unschuld nicht aber die männliche Unschuld gehütet und als knappe Ressource verwaltet (männliche Muslime verhalten sich genau so wie männliche Westler, sie konsumieren Pornos, gehen zu Prostituieren, hier gibt es keinen Unterschied).

    Jedes Diskutieren und Dialogisieren über solche kulturellen Unterschiede ändert nichts am kulturellen Unterschied. Man kann den anderen vielleicht besser verstehen, aber ein wirkliches Zusammenleben ist so nicht möglich. Mit Zusammenleben meine ich den freien Verkehr zwischen Personen beider Kulturen, das was sich die vorgestellt haben, die den Begriff des Multikulturalismus geschaffen haben und damit gemeint haben, man könne auf jeder Party erscheinen, auf derjenigen der anderen Kutlur ebenso wie auf derjenigen der eigenen. So läuft es aber nicht. Anstatt zusammenleben gibt es unter solchen Umständen ein nebeneinander leben. Es gibt viele Beispiele vom Nebeneinanderleben von Kulturen. Sarajevo war solch ein Stadt die durch mehrere Kulturen geprägt war (oder immer noch ist). Auch der Libanon ist ein gutes Beispiel für das Nebeneinanderleben verschiedener Kulturen. In Ägypten sind Kopten und Muslime nebeneinander lebende kulturelle Gruppen. In Sarajevo gab es auch ein Bewusstsein für die Multikulturalität, viele identifizierten sich damit. Heute sieht es so aus:

    Bei der Volkszählung 1991 bezeichneten sich 49,3 % der Einwohner Sarajevos als Bosniaken, 29,8 % als Serben und 6,7 % als Kroaten. Zu Beginn des Krieges flohen die meisten serbischen und kroatischen Einwohner aus der Stadt, auch wegen der anstehenden Belagerung der Stadt durch die Armee der „Republika Srpska“ VRS. Heute stellen die Bosniaken mit 78,3 % die Bevölkerungsmehrheit.

    Dies als Resultat eines Krieges, indem sich die nebeneinanderlebenden Menschen der gleichen Stadt zu Feinden wurden.

    Während des Bosnienkrieges war Sarajevo in einen von der Regierung Bosnien und Herzegowina kontrollierten bosniakisch-kroatischen und einen von der Republika Srpska kontrollierten serbischen Teil geteilt, die sich gegenseitig beschossen. Der von den Regierungstruppen kontrollierte Teil, zu dem unter anderem das Stadtzentrum und die Altstadt gehörten, wurde genau 1.425 Tage lang von den Truppen der damaligen bosnisch-serbischen Armee belagert.

    Die Belagerung von Sarajevo begann am 5. April 1992 und war die längste Belagerung in der Geschichte der Stadt. Der Stadtkern von Sarajevo war vollständig umzingelt. Der Belagerung und den Kämpfen fielen nach Angaben der Regierung Bosnien-Herzegowinas 10.615 Menschen aller Volksgruppen zum Opfer, unter ihnen 1.601 Kinder. Durch Granaten, Minen oder Scharfschützen wurden rund 50.000 Menschen, teilweise schwer, verletzt.

    • An meinem Arbeitsplatz in der öffentlichen Verwaltung war es vor 20 Jahren völlig üblich, daß sich Leitung und Mitarbeiter jeden Morgen mit Handschlag begrüßten. Das gibt es längst nicht mehr. Eine “Entsäkularisierung” hat bestimmt nicht stattgefunden, geschweige denn islamischer Einfluß. Empfindlichkeit in der Richtung scheint mit keineswegs mit Religiosität positiv korreliert zu sein.

      • Wenn Mitarbeiter nicht mehr von der Firmenleitung begrüsst werden, kann das verschiedenes, sogar gegensätzliches bedeuten.
        a) Der Umgang zwischen Mitarbeitern und Firmenleitung ist ungezwungener geworden, weil Konfliktbereiche kleiner wurden. Soziale Kontrolle und Respektbezeugungen sind deshalb nicht mehr nötig.
        b) Firmenleitung und Mitarbeiter leben nun in anderen Welten, die wenig miteinander zu tun haben und die Firmenleitung glaubt im Notfall auch ohne die Mitarbeiter auszukommen oder sie im Notfall einfach durch Entlassungen und Wiedereinstellungen austauschen zu können

        Meine Überzeugung nach besitzen Barrieren zwischen verschiedenen Kulturen und auch zwischen verschiedenen Volksschichten immer ein Konfliktpotenzial. Heute beispielsweise empfinden viele Leute aus dem Volk (der Bevölkerung) Manager als abgehoben, als von Gier getrieben und dementsprechend gibt es ganz verzerrte Vorstellungen vom Leben der Manager und auch so etwas wie Hass auf die Schicht, die sie bilden. Eine derartige Spannung kann lange Zeit bestehen bleiben ohne dass etwas passiert. Plötzlich aber bricht es durch und entlädt sich auf unkontrollierte Art. Das gilt sowohl für das Verhältnis verschiedener Schichten innnerhalb einer Kutlur als auch für das Verhältnis zwischen verschiedenen Kulturen.

        • ich sprach nicht von der Begrüßung als solcher, sondern von der speziellen Form des Handschlags (davon war ja vorher die Rede). Vielleicht gibt es andere Erfahrungen, ob dieser im allgemeinen im Rückzug ist.

  5. @Dr. Webbaer: Auf Ihre bereits Hussein Hamdan gestellte Frage eingehend, was Sinn und Zweck des interreligiösen Dialogs sein kann, möchte ich über meinen Artikel hinaus folgende Antwort geben. In der Tat halte ich das gegenseitige Kennenlernen für zentral. Dabei geht es meines Erachtens sowohl darum gemeinsame Gesprächsebenen zu finden, wie Verschiedenheiten wahrzunehmen. Am besten finde ich, wenn das quasi von selbst im Alltag geschieht. Dabei sehe ich die interreligiösen Begegungen im Wesentlichen als Teil interkultureller Verständigung. Mein Eindruck ist, dass wir in Deutschland einen “Nachholbedarf” haben, was die Anerkennung der Selbstverständlichkeit kultureller und religiöser Vielfalt anbetrifft. Begegungen über religiöse, kulturelle und soziale Grenzen finden noch nicht selbstverständlich statt. Da finde ich es gut, wenn durch Veranstaltungen des interreligiösen Dialogs oder auch der interkulturellen (Jugend-)Arbeit erste Impulse gegeben werden. Gelingen diese Begegnungen sehe ich positive Impulse in Richtung Verständigung, Partizipation und evtl. Schutz vor Radikalisierung in unserer Gesellschaft. Wie bereits in meinem Artikel dargelegt, habe ich persönlich den interreligiösen Dialog auch für meinen eigenen Glauben als persönliche Bereicherung erlebt, die ich nicht missen möchte.
    @ Martin Holzherr: Ich habe überhaupt nichts gegen “Stilles Verstehen, mitfühlen und aufeinander reagieren”, nur denke ich, dass schon zum “Mitfühlen” u. U.Kenntnisse beispielsweise über die Verletzlichkeiten des anderen notwendig sind und gemeinsame Erfahrungen helfen können. Ein “Nebeneinander” ist mir allerdings zu wenig. Auch Religionen sind heute von Vielfalt und Pluralismus geprägt. Warum sollten Menschen, die den Impuls spüren bzw. offen dafür sind, anderen zu begegnen, das nicht tun, übrigens egal ob, sie sich selbst als religiös verstehen oder nicht?

    • Es ist immer gut, wenn Gruppen sich kennen lernen bzw. über Quellen Einsicht über Gruppen gewinnen, denen sie nicht zugehörig sind, die Frage war, warum besondere Dialog-Veranstaltung stattfindet, wenn dies der Hauptgrund sein soll.
      Üblicherweise wird derart dialogisiert, wenn Gemeinsamkeiten vorliegen, die auch gemeinsame Interessen und Ziele einschließen. [1]
      Gibt es also bisher noch nicht ausreichend beschriebene Gemeinsamkeiten und Ziele? Könnten Sie hier vielleicht noch etwas deutlicher werden?

      MFG
      Dr. W

      [1]
      Der Schreiber dieser Zeilen käme z.B. im politischen Kontext nicht auf die Idee mit Kollektivisten den Dialog zu suchen.

  6. @Dr. Webbaer: Zu Ihrer Frage fallen mir drei Dinge ein:
    1. Es gibt ja sehr unterschiedliche Formen von “Dialogveranstaltungen”: Offizielle Kontakte zwischen religiösen Institutionen, wie sie Dr. Hussein Hamdan in seiner Dissertation u. a. bezogen auf die Alzhar-Universität und den Vatikan beschreibt, wissenschaftliche Tagungen oft zu Spezialthemen, wie etwa den mysthischen Traditionen in Christentum und Islam, Begegnungen im Rahmen des Evangelischen Kirchentags oder der Katholikentage, Jugendbegegnungen u.a.m.
    Mein Interesse am Dialog bezieht sich neben der Faszination, andere Traditionen kennenzulernen, vor allem auf das gemeinsame friedliche Zusammenleben in unserer inzwischen sehr “bunten” pluralistischen Gesellschaft. Deswegen gilt mein Augenmerk vor allem den direkten zwischenmenschlichen Begegnungen, sozusagen an der Basis.
    2. Wie gesagt, wäre es mir am liebsten, die interreligiösen und interkultuerellen Begegnungen fänden auf gute Weise selbstverständlich im Alltag statt. Da dies nach meinem Eindruck noch nicht so ist, kann eine interreligiöse Begegnung einen Rahmen schaffen, wo sich z. B. junge Menschen aus verschiedenen religiösen Traditionen (erstmals) treffen und u. a. über ihren Glauben austauschen können. Die “Veranstaltung” wäre dann quasi der Impulsgeber für weitere (u. U. informelle) Begegnungen, Freundschaften etc.
    3. Ein vorrangiges gemeinsames Interesse wäre meines Erachtens, einen Beitrag für die gegenseitige interkulturelle Öffnung für ein gutes Zusammenleben in unserer Gesellschaft zu leisten, im Sinne von gegenseitigem Respekt und Akzeptanz als Teil derselben Gesellschaft. Sekundär ließen sich gemeinsame Interessen (allerdings nicht nur zwischen den verschiedenen Religionen) im gemeinsamen sozialen Engagement (so gibt es im z. B. im Bereich der Pflege noch einen hohen Bedarf an Wissen über die verschiedenen religiösen Vorstellungen, das hilfreich sein könnte, auch im Bereich der Bewahrung der Schöpfung wären gemeinsame Ansätze möglich) finden. Mir wäre aber wie gesagt, die interkulturelle Öffnung vorrangig, gerade auch im Sinne des gemeinsamen Eintretens gegen Diskriminierung und Rassismus.
    Interessanterweise mündet schon die Konzilserklärung “Nostra aetate” von 1965, in der es um das Verhältnis der katholischen Kirche zu den nichtchristlichen Religionen geht und die auch Gemeinsamkeiten mit dem Islam würdigt, in ein klares Bekenntnis:
    “Deshalb verwirft die Kirche jede Diskriminierung eines Menschen oder jeden Gewaltakt gegen ihn um seiner Rasse oder Farbe, seines Standes oder seiner Religion willen, weil dies dem Geist Christi widerspricht.” (II. Vatikanisches Konzil, Nostra Aetate 5)

    • @ Dr. Schober :
      Auf jeden Fall vielen Dank für Ihre zweite Reaktion, Sie zeigen sich als Multikulturalist und Gemeinsamkeiten unter Religiösen suchend, hier kann Ihr Kommentator nicht mitmachen, und politisch bietet sich ihm ein Dialog [1] mit weitgehend anders Aufgestellten nicht an.
      MFG
      Dr. W

      [1]
      vs. Diskussion, eine Diskussion ist in heutigen Gesellschaften in der Regel offen, zumindest nicht bi- oder n-lateral; der Schreiber dieser Zeilen hat in diesem WebLog gelegentlich die Diskussion gesucht, ohne dass sie sich ergeben hat

  7. 3:28 Die Gläubigen sollen sich nicht die Ungläubigen anstatt der Gläubigen zu Freunden nehmen. Wer das tut, hat keine Gemeinschaft (mehr) mit Allah. Anders ist es, wenn ihr euch vor ihnen wirklich fürchtet. (In diesem Fall seid ihr entschuldigt.) Allah warnt euch vor sich selber. Bei ihm wird es (schließlich alles) enden.

    Soviel zum “interreligiösen Dialog “.

    Ich glaube passt gut zum Thema .
    ( Wahrscheinlich hat der Koran nichts mit dem Islam zu tun )

  8. Dass ein Dialog oft gar nicht möglich ist, sondern von Muslimen in westlichen Ländern einfach ein Forderungskatalog vorgelegt wird oder halal-Leben auch im Zusammenleben erzwungen wird, zeigt gut der NZZ-Artikel Frankreich in Flammen Dabei spielt auch der importierte Fundamentalismus, der sich nun auch in den westlichen Ländern unter den Muslimen ausbreitet eine grosse Rolle.

    Kepel schreibt, dass die älteren Einwanderer zum Grossteil einen friedlichen Islam praktizieren und darin keinen Widerspruch zur französischen Staatsbürgerschaft sehen. Ihre Kinder allerdings wenden sich mehr und mehr fundamentalistischen Strömungen aus dem Nahen Osten zu, wobei nur eine kleine Minderheit unfriedlich im Sinn von gewaltbereit wird. Verschiedene Gruppierungen – von denen einige streng salafistisch sind, andere sich den Muslimbrüdern zurechnen – kämpfen um die Kontrolle lokaler Vereine und rekrutieren jüngere Gemeindemitglieder, zur Bestürzung der besser integrierten Muslime.

    Wie weit sich die muslimische Gesellschaft in Frankreich von der französischen auseinandeentwickelt hat zeigt folgender Abschnitt

    Das aktuelle Mantra, das Präsident Hollande pflichtschuldigst repetiert, ist, der islamische Terrorismus habe «mit dem Islam nichts zu tun» und es sei jetzt am allerwichtigsten, nicht alle Muslime «in einen Topf zu werfen». (Anne Hidalgo, die sozialistische Bürgermeisterin von Paris, ging noch weiter und erklärte, die Terroristen seien «ohne Glauben», also «Ungläubige».) Doch diese Haltung verstärkt nur die institutionelle und intellektuelle Omertà, das Schweigegebot, das die Diskussion darüber, was momentan an den Schulen geschieht, im Keim erstickt.

    Dabei gibt es gerade dafür genügend Belege: in den Büchern von Autoren wie Gilles Kepel, in den immer zahlreicher werdenden autobiografischen Schilderungen von Lehrkräften aus den «quartiers», die ihren Job an den Nagel hängten, weil sie ihre Klassen nicht mehr kontrollieren und das Prinzip der Laizität nicht mehr durchsetzen konnten. So wurde unter der Präsidentschaft von Jacques Chirac 2004 eine Studie über die Präsenz «religiöser Symbole und Objekte» in Auftrag gegeben, die prompt wieder in der Versenkung verschwand, weil ihre im sogenannten Obin-Bericht gesammelten Resultate zutiefst beunruhigend waren.

    Das Ausmass, in dem das Leben an diesen Schulen, um einen Ausdruck von Kepel zu gebrauchen, «halalisiert», also «glaubensrein», gemacht wurde, war erschreckend. Es finden sich darin Geschichten von Mädchen, die von ihren selbsternannten «älteren Brüdern» überwacht und mit Fäusten und Gürteln geschlagen werden, wenn sie nach deren Ansicht gegen das Tugendgebot verstossen. In manchen Schulen ist es selbst den Lehrerinnen unmöglich, Röcke und Kleider zu tragen. Obsessiv werden die Gebote der Reinheit verfolgt: Schüler und Eltern verlangen beispielsweise, dass die Geschlechter getrennt schwimmen gehen. Oder die Eltern erlauben ihren Kindern keine Schulausflüge, bei denen sich die Geschlechter mischen. Und wenn die Kinder doch mitdürfen, weigern sie sich, auch nur einen Fuss in Kirchen oder Kathedralen zu setzen.

    Es gibt Väter, die sich weigern, weiblichen Lehrkräften die Hand zu geben oder ihre Frauen allein mit männlichen Lehrkräften sprechen zu lassen. Es gibt Fälle von Kindern, die es ablehnen, zu singen, zu tanzen oder ein Instrument zu lernen. Manche weigern sich, in der Mathematik das Pluszeichen zu verwenden, weil es einem Kreuz ähnelt.

    • @ Herr Holzherr :
      Immerhin weist der hiesige werte Inhaltegeber eine gewisse Duldsamkeit aus; sollte er, wie hier verstanden eine Imamausbildung anstreben oder längst Imam sein, so wäre womöglich eine Nicht-Vorhandenheit von Diskussionswillen festzustellen und stattdessen vielleicht ein wenig Daʿwa, aber ansonsten könnte diese Duldsamkeit auch angenommen werden, im positiven Sinne. [1]

      MFG
      Dr. W

      [1]
      Wobei wissenschaftsnahe WebLog-Verbunde mit wissenschaftlichem Anspruch eher zur Diskussion einladen könnten, korrekt.

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