Eine Auferstehung: „Bibliotheca Laureshamensis – digital” – die Bibliothek des Klosters Lorsch

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Es gibt etwas zu sehen
Denkmale

Lorsch ist heute eine Kleinstadt in Südhessen. Im Mittelalter befand sich hier das Kloster Lorsch –  ein geistiges, finanzielles und militärisches Zentrum, dessen Einfluss von der Nordsee bis zu den Alpen reichte. Der größte Schatz war die Klosterbibliothek mit ihren umfassenden Beständen. Von den Klostergebäuden ist fast nichts mehr zu sehen – es blieb einzig ein Kirchenfragment und die ebenso berühmte wie rätselhafte karolingische „Königshalle“, die wie ein kleines Juwel am Rand des Ortskerns aufragt.

Auch von den kostbaren Büchern ist hier keines mehr zu finden. Bei der Auflösung des Klosters Mitte des 16. Jahrhunderts kamen die Bestände nach Heidelberg, wurden Teil der weltberühmten Bibliotheca Palatina und teilten deren Schicksal: Von Herzog Maximilian I. von Bayern im Dreißigjährigen Krieg erobert, wurden sie zum Geschenk für den Papst und damit der Biblioteca Vaticana einverleibt. Diese wiederum ließ Napoleon für die Bibliothèque Nationale in Paris  abtransportieren – von wo aus die Bücher nach 1815 in alle Welt verstreut wurden. Die  330 noch erhaltenen Lorscher Handschriften werden heute in 68 Institutionen in13 Ländern aufbewahrt.

Das Kloster Lorsch samt seiner Schätze ist heutzutage also physisch kaum noch greifbar. Anders als man es in der Vergangenheit in vergleichbaren Fällen oft getan hat, wird in Lorsch aber heute nicht mehr versucht, die Geschichte durch spekulative bauliche Rekonstruktionen (vermeintlich) sichtbar zu machen. Derzeit unternimmt man hier vielmehr verschiedene Anstrengungen, die Klostergeschichte virtuell zu fassen – als sich mit dem Forschungsstand ständig verändernde Erzählung davon, wie es gewesen sein könnte.

In diesem Rahmen entstand auch ein ehrgeiziges Projekt in Kooperation von Universität Heidelberg und der Verwaltung Staatliche Schlösser und Gärten Hessen/Unesco-Weltkulturerbestätte Kloster Lorsch: Alle erhaltenen Handschriften, die ehemals zur Lorscher Bibliothek gehörten, werden derzeit digitalisiert. 227 Werke sind schon online gestellt. Dazu waren nicht nur allerlei vertrauensbildende Maßnahmen gegenüber den derzeitigen Besitzern der Handschriften nötig. Für die Digitalisierung mussten die lichtempfindlichen Schriften Seite für Seite so schonend wie möglich eingescannt werden. Damit das gewellte Pergament beim Scannen glatt anlag und später lesbare Ergebnisse geliefert werden konnten, wurden die Seiten mit leichtem Unterdruck an das Scannerglas gesaugt. Und alle Dokumente mussten natürlich für die umfassenden Recherchefunktionen katalogisiert werden.

Gregor von Tours - Bibilothek des Klosters Lorsch
Aus dem Mittelalter direkt auf den heimischen Bildschirm. So wurde vor 1200 Jahren im Kloster Lorsch geschrieben: römische Capitalis, spätantike Unziale und karolingische Minuskel (Abschrift der Handschrift Cod. Pal. lat. 864, „Geschichte der Franken“ von Gregor von Tours, Seite 2r, Detail, Heidelberg Universitätsbibliothek).

Mit dem Projekt „Bibliotheca Laureshamensis – digital” werden viele wissenschaftliche Vergleiche und Betrachtungen ermöglicht, die durch die räumliche Trennung der Bücher und den erschwerten Zugang früher nicht möglich waren. Aber nicht nur ausgewiesene Experten bekommen die Kostbarkeiten nun zu sehen, sondern jeder. Ohne aufwändige Legitimierung kann man nun nach Herzenslust scrollen, zoomen oder downloaden.

Karl der Große wäre begeistert gewesen. Denn auch er hatte einiges für einen besseren Wissenstransfer in die Wege geleitet. Nicht nur durch die Gründung von Klosterschulen, sondern mit der karolingischen Minuskel zum Beispiel auch durch die Entwicklung einer einheitlichen, im gesamten Reich leicht lesbaren Schrift.

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Ich bin Kunsthistorikerin und arbeite freiberuflich als Redakteurin/Lektorin/Autorin. Dieser Blog enthält Überlegungen und Informationen, die ich sonst nirgendwo unterbringe. Die aber rauswollen.

5 Kommentare

  1. Auferstehung für Laien steht noch an

    Hier ein Video über die virtuelle Zusammenführung der Klosterbibliothek Lorsch.
    Eigentlich würde ich für so wervolle handgeschriebene Quellen noch mehr erwarten als die vorliegende Digitalisierung, nämlich eine Multispektral-Digitialisierung, also Aufnahmen in vielen Wellenlägen, inklusive IR, UV, und X-Rays. Eventuell wären sogar 3D-Aufnahmen sinnvoll um die Plastizität der einzelnen Buchstaben und Striche wiederzugeben.

    Ferner sollte es verschiedene Zugänge zum Material geben, entsprechend den verschiedenen Gruppen von Interessenten. Für interessierte Laien wäre der Zugang zum Inhalt zu erleichtern, wozu eine Übersetzung aller Werke ins Englische hilfreich wäre mit der Option neben der Originalstelle die Übersetzung einzublenden.
    Hab mir mal paar Werke heruntergeladen. Auffallend die grossen Unterschiede in der Machart, Schrift, Schrifthöhe und Schriftabstand. Einzelne Dokumente sind mit verbundenen Buchstanben in gemischter Gross- und Kleinschreibung, andere nur in Grossbuchstaben.

    Die virtuelle Bibliothek scheint momentan für die Bedürfnisse von Forschern organisiert zu sein. So sind die Codices nach ihrem Standort aufgelistet (z.B. Bamberg, Staatsbibliothek) und nicht nach ihrem Werknamen. Es gibt auch keine Hinweise auf Sekundärliteratur oder bereits publizierte Forschungsliteratur zu den einzelnen Werken. Für Forscher sicher kein Problem, die wissen wohl wo man suchen muss.

  2. Suchfunktionen

    Klar, es geht immer noch besser. Aber ich finde das, was bisher erreicht wurde, schon phänomenal. Die Suchfunktion wird offenbar weiter ausgebaut. Und die Werek sind zwar erstmal nach Standorten gelistet, aber mit der Suchfunktion (https://hs-lorsch.bsz-bw.de/cgi-bin/koha/opac-search.pl?q=ccl%3Dkw%3Ade-576+not+bib-level%3Aa+not+bib-level%3Ab&sort_by=title_az) kann man zum Beispiel auch nach Verfasser, Titel, Sprache oder Entstehungszeit suchen.

  3. Schrifttäfelchen unter dem Kopfkissen

    @ Eva Bambach schrieb:

    “Karl der Große wäre begeistert gewesen. Denn auch er hatte einiges für einen besseren Wissenstransfer in die Wege geleitet. Nicht nur durch die Gründung von Klosterschulen, sondern mit der karolingischen Minuskel zum Beispiel auch durch die Entwicklung einer einheitlichen, im gesamten Reich leicht lesbaren Schrift.”

    Was für ein erbauliches Bild auf den Förderer von Bildung und Wissen „Karl den Großen“:

    Wenn Karl der Große durch irgendetwas in die Annalen eingegangen ist, dann doch wohl durch seine Kriege, in denen er das Reich vergrößerte und nicht durch seine Förderung der Bildung des Volkes. Und wenn es überhaupt so etwas wie eine karolingische Bildungsreform gab, dann betraf dieser Bildungshunger sicherlich nur die Verbreitung kirchlicher Texte. Kein Vergleich mit den Errungenschaften der Antike, die vom Christentum mit Finsternis überdeckt wurden.

    Karl der Große selber soll angeblich mit Schrifttäfelchen unter dem Kopf eingeschlafen sein, um wenigstens ein paar Worte schreiben zu können. Das ein solcher Halb-Analphabet Gründer von Bildungs- und Wissenszentren gewesen sein soll, erscheint sehr unwahrscheinlich.

    Und so wäre er wohl weniger von der Wiederauferstehung der “Bibliotheca Laureshamensis – digital” als vom schlichten Resümee dieses Blogposts begeistert

  4. @Geoman

    Schlicht ist in meinen Augen vor allem das Bedürfnis, die Welt in Gut und Böse einzuteilen.
    Keine Frage: Die Macht Karls des Großen beruht auf der Ausübung von Gewalt. Und auch seine Kulturpolitik mag vor allem der Festigung der Macht gedient haben. Aber unbestritten hat sie den von Ihnen erwähnten “Errungenschaften der Antike, die vom Christentum mit Finsternis überdeckt wurden” zur weiteren Verbreitung verholfen. Ja, Karl der Große konnte wohl selbst nicht schreiben und soll vergeblich versucht haben, es zu lernen. Warum aber sollte er deshalb nicht in der Lage gewesen sein, den Nutzen von Bildung zu erkennen?

  5. Zur Bedeutung des Begriffes “Schlicht”

    @ Eva Bambach schrieb:

    “Schlicht ist in meinen Augen vor allem das Bedürfnis, die Welt in Gut und Böse einzuteilen.”

    Der Begriff “schlicht” ist hier ganz schlicht eine Kategorie, um einen Autor in einer Sachfrage eher als informiert oder eher blauäugig erbaulich einzuschätzen.

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