Ein Opfer der Medien? Der bucklige Schurke Richard III.

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Denkmale

Zimperlicher als andere Anwärter auf den Thron war der englische König Richard III. vermutlich nicht. Trotzdem ist nicht sicher, ob er tatsächlich der skrupellose Tyrann und Kindesmörder war, als der er in die (Literatur)-Geschichte eingegangen ist. Aber ohne seine Reputation als Fiesling hätte der seit mehr als 500 Jahren tote englische König wohl nicht den Medienrummel entfacht, der die Bilder seiner verkrümmten Wirbelsäule heute Morgen auch noch in das letzte deutsche Lokalblatt gebracht hat.

Dabei liegt die Ausgrabung des Skeletts in Mittelengland schon mehrere Monate zurück. Ob es sich bei den Knochen tatsächlich um die Reste des ehemaligen Königs handelt, sollte jedoch erst mit Hilfe eines DNA-Vergleichs geklärt werden. Das Ergebnis ist mit Spannung erwartet und gestern medial perfekt in Szene gesetzt worden: Livetweets der Universität von Leicester, eine ausführliche Bilddokumentation der BBC, eine Pressekonferenz online und viele online verfügbare Dokumentationen der wissenschaftlichen Untersuchungen des Skeletts, die auf The History Blog übersichtlich zusammengefasst sind.

 

Die Universität von Leicester hat etliche Videos von ihren Untersuchungen auf YouTube veröffentlicht.

Die Leiche vom Parkplatz

Bei dem Örtchen Market Bosworth trafen im August 1485 die Heere König Richards III. von England und Henry Tudors aufeinander, der ebenfalls Anspruch auf den englischen Thron erhob. Richard unterlag. Seine mit 10 Wunden (davon 8 am Kopf) stark verstümmelte Leiche wurde in die gut 20 Kilometer entfernte Stadt Leicester gebracht und dort nackt für mehrere Tage zur Schau gestellt, bevor sie im Franziskanerkloster der Stadt ohne viel Aufsehen begraben wurde. Das Kloster verfiel seit seiner Auflösung im 16. Jahrhundert und wurde mehrfach überbaut, unter anderem findet sich dort heute ein öffentlicher Parkplatz.

Fesseln und Kopfwunden

Bei der Ausgrabung des Skeletts fand man die Handgelenke an der Hüfte gekreuzt. Das wird so gedeutet, als sei der Mann gefesselt ins Grab gelegt worden. Da man einen Toten ja nicht fesseln würde, müsste man also annehmen, dass er erst gefangengenommen und dann mit mehreren Hieben niedergemacht wurde. Dafür würde auch sprechen, dass er, nach den Verletzungen am Kopf zu urteilen, keinen Helm getragen haben kann. Wenn er ihn nicht während des Kampfes verloren hat, wäre er ihm also nach der Gefangennahme abgenommen worden. Tobte sich hier der Zorn auf einen brutalen und skrupellosen Monarchen aus – oder sind die Verletzungen ihrerseits die Spuren eines rücksichtslos ausgelebten Machtwillens? Vielleicht war alles auch viel pragmatischer. Es musste ja eindeutig zu sehen sein: Der König ist tot und ist so stark verletzt, dass er auf keinen Fall mehr lebendig wird. Dazu musste der Kopf allerdings auch noch so weit kenntlich sein, dass Zeugen die Identität des Königs bestätigen konnten.

Schaedel Richard III. VerletzungenAuch für den Laien zu erkennen sind die Verletzungen am Schädel Richards III. (Foto: University of Leicester).

Die Legende vom buckligen Schurken

Als buckliger, verschlagener Dämon mit ungebremster Mordlust ist Shakespeares Richard III. bis heute eine Lieblingsfigur auf den Theaterbühnen. Shakespeare hat das Schurkenimage Richards mit seinem 1593 uraufgeführten Stück aber nicht erfunden: Er stützte sich unter anderem auf die von Thomas More 1512-19 geschriebene Biografie Richards III., die in auch inhaltlich unterschiedlichen Versionen auf Englisch (für die Landsleute) und Latein (für das restliche Europa) den tyrannischen Charakter Richards darlegt. Weder Thomas More noch Shakespeare waren objektive Historiker – beide waren daran interessiert, den nach Richards Tod herrschenden Tudors zu Gefallen zu sein.

Die Richard-III-Society

Schon Horace Walpole bezweifelte die Richtigkeit der Darstellungen von Richards miesem Charakter. Gegen das von Shakespeare verewigte Bild richten sich seit Jahrzehnten auch die Bemühungen der  „Richard III Society“. Zuletzt ließ man sogar den Kopf Richards auf der Grundlage des gefundenen Schädels nachmodellieren  – das Modell zeigt einen bieder aussehenden jungen Mann mit eher weichlichen Zügen. Ein Beweis für Harmlosigkeit?

Ob die weitere Untersuchung von Richards Leiche Aufklärung über dessen Charakter gibt? Dass er einen verkrümmten Rücken hatte – auch das wurde vielfach als Teil der Negativ-Propaganda angesehen – ist zwar jetzt bestätigt worden. Aber das sagt Gottlob ebenso wenig über seine Persönlichkeit aus, wie ein glattes Gesicht.

 

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Ich bin Kunsthistorikerin und arbeite freiberuflich als Redakteurin/Lektorin/Autorin. Dieser Blog enthält Überlegungen und Informationen, die ich sonst nirgendwo unterbringe. Die aber rauswollen.

6 Kommentare

  1. Visionen

    Sup!

    Ein weiterer interessanter Aspekt ist die Vision, die jemand hatte und die in der Lage war den Fundort zu lokalisieren.
    Weiß jemand Genaues?

    MFG
    Dr. W (der sich noch nie zu einem imperativen “Grabt hier” durchringen konnte)

  2. Shakespeare’s Theater als frühes Medium

    Wenn Richard III ein Opfer der Medien ist, dann also gab es bereits zu Shakespeare’s Zeiten Medien und seine Theaterstücke sind dann wohl als mediale Ereignisse einzustufen.
    Der Begriff Medien ist allerdings neueren Urpsrungs, nach Wikipedia:
    Ein Medium (lat.: medium = Mitte, Mittelpunkt, von altgr. ¼­Ãov méson: das Mittlere; auch Öffentlichkeit, Gemeinwohl, öffentlicher Weg) ist nach neuerem Verständnis ein Vermittelndes im ganz allgemeinen Sinn.

    Der Plural Medien wird etwa seit den 1980er-Jahren für die Gesamtheit aller Kommunikationsmittel und Kommunikationsorganisationen verwendet und …

    Die Frage ist natürlich ob ein Theaterstück die historischen Figuren historisch korrekt rüberbringen muss. Handelt Shakespeare’s Richard III aus dem Jahre 1592 vom historischen Richard III? Dort ist (Zitat Wikipedia) Richard an ugly hunchback who is “rudely stamp’d”, “deformed, unfinish’d”, and cannot “strut before a wanton ambling nymph.”
    Heute ist es wohl klar für uns, dass der Richard III von Shakespeare’s Theaterstück eine prototypische und nicht unbedingt eine historische Figur ist und die Selbstkennzeichnung dieser Figur in Shakespeares Stück
    “I am determined to prove a villain / And hate the idle pleasures of these days.” spricht sehr dafür diese Figur als Prototypen zu sehen.
    Doch in der damaligen Zeit, in der Zeit, in der das Stück zum ersten Mal aufgeführt wurde, glaubten wohl die meisten Zuschauer an die Einheit von historischer Faktizität und prototypischer Wirkung.

    Wer weiss, vielleicht wird das später auch für Theaterstücke gelten, die jetzt neu geschaffen wurden – wenn es denn heute neue Theaterstücke gibt, die auch in hundert oder mehr Jahren noch aufgeführt werden.

  3. Theater ein Medium

    Ob Theater zu „den Medien“ gerechnet wird oder nicht, ist auch unter Theaterwissenschaftlern umstritten. Ein kurzer Eindruck von der Situation z. B. hier: http://www.theater-wissenschaft.de/Expose1005.pdf.
    Ich neige dazu, es als Medium zur Übermittlung von Informationen und Meinungen anzusehen. Heute hat das Theater in dieser Hinsicht sicher weniger Einfluss als zu elisabethanischer Zeit – es hat ja einfach auch mehr Konkurrenz.
    Unproblematischer ist der Begriff in Verbindung mit Thomas More und den von ihm weidlich genutzten neuen Medium Buchdruck.

  4. Schlag’ nach bei Shakespeare ….

    Shakespeares Werke erfreuen sich gerade wegen ihrer Vielschichtigkeit auch fast 400 Jahre nach seinem Tod ungebrochener Beliebtheit, und zwar wegen ihrer Vielschichtigkeit.

    Vordergründig bedient er die Klientel der Unterhaltung suchenden Theatergänger, die an Differenziertheit weniger interessiert sind als an einer guten Story, die sich nahtlos in den allgemein bekannten Kontext einordnet Die wollen ja nicht von irgendwelchen ungewohnten Interpretationen der Historie überfordert werden. Außerdem will man keinen Ärger mit den gerade Herrschenden, also übernimmt man deren Darstellung der Geschichte.

    Das ist auch bei “Richard III” so. Allerdings ist die Rolle des Herzogs von Gloucester so angelegt, dass sie nicht komplett unsympathisch ist. Sei es nur wegen der Schlagfertigkeit, hier nur ein (bekanntes) Beispiel (1. Akt, 2. Aufzug):

    LADY ANNE: […] No beast so fierce but knows some touch of pity.

    GLOUCESTER: But I know none, and therefore am no beast.

    Auf so eine Antwort muss man erst einmal kommen. Hätte Shakespeare seinen Richard auf die Brutalität und Skrupellosigkeit reduzieren wollen, dann hätte er ihm bestimmt keine geistreiche Antwort in den Mund gelegt.

    Eine kleine Abschweifung ohne Zusammenhang zum oben gesagten: Die heutige englische Alltagssprache ist reich an Ausdrücken aus dem Cockney Rhyming Slang. Dort bezeichnet man mit “Richard” Fäkalien, aber nicht etwa unter Bezug auf die Charaktereigenschaften des Richard III, sondern allein aufgrund von Lautähnlichkeiten und Assoziationen: “Richard” –> “Richard the Third” –> “turd”.

  5. @Michael Khan

    Mit einem tumben Richard würde das Stück natürlich auch nicht so gut funktionieren. Will sagen – geistreich muss die zentrale Figur hier schon aus dramaturgischen Gründen sein. Ansonsten stimme ich zu.

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