Dada ist tot

Am 5. Februar vor 100 Jahren eröffneten Hugo Ball und Emmy Hennings in Zürich in der Spiegelgasse 1 eine Künstlerkneipe, später bekannt als “Cabaret Voltaire”, wo man einem verstörten Publikum mit feierlich pompöser Geste Unsinn vortrug. Der Ort wurde zum Ausgangspunkt einer Strömung in der Kunst des 20. Jahrhunderts, die schon die damaligen Akteure bald unter dem Namen Dadaismus zusammengefasst haben – obwohl sie genau das nicht sein wollten: ein “Ismus”, eine Strömung wie der Expressionsimus oder der Futurismus.

Unter dem Vorwand der Verinnerlichung haben sich die Expressionisten in der Literatur und in der Malerei zu einer Generation zusammengeschlossen, die heute schon sehnsüchtig ihre literatur- und kunsthistorische Würdigung erwartet und für eine ehrenvolle Bürger-Anerkennung kandidiert. …Der Expressionismus, der im Ausland gefunden, in Deutschland nach beliebter Manier eine fette Idylle und Erwartung guter Pension geworden ist, hat mit dem Streben tätiger Menschen nichts mehr zu tun. Die Unterzeichner dieses Manifests haben sich unter dem Streitruf DADA!!!! zur Propaganda einer Kunst gesammelt, von der sie die Verwirklichung neuer Ideale erwarten. … Dadaist sein, kann unter Umständen heißen, mehr Kaufmann, mehr Parteimann als Künstler sein — nur zufällig Künstler sein —Dadaist sein, heißt, sich von den Dingen werfen lassen, gegen jede Sedimentsbildung sein …

Richard Huelsenbeck, „Dada Manifesto“, 1918

Und noch etwas wollten sie nicht sein: Ein Prinzip, das sich genau umschreiben lässt, das dingfest gemacht und vereinnahmt werden kann.

Wie kann man alles Aalige und Journalige, alles Nette und Adrette, alles Vermoralisierte, Vertierte, Gezierte abtun? Indem man Dada sagt. Dada ist die Weltseele, Dada ist der Clou, Dada ist die beste Lilienmilchseife der Welt.

Hugo Ball am 14. Juli 1916, Eröffnungs-Manifest, 1. Dada-Abend

Dessen ungeachtet wird das Dada-Jubiläum derzeit allenthalben gefeiert: Der taz war es am 5. Februar eine dadaistisch gestaltete Sonderausgabe wert. Ausstellungen und Veranstaltungen in Zürich, Remagen oder Pirmasens sollen an den Dadaismus erinnern und ihn vielleicht gar wiederbeleben. Es gibt biedere Vorträge (z. B. “Von fatalistischer Todeskultur zur dadaistischen Lebensbejahung” am 14. März 2016 im Pirmasenser Carolinensaal, in geradezu dadaistischem Kontrast zu dem Übertitel, den sich Pirmasens gegeben hat: “Eine Stadt ist Dada”).

 

Erster Internationaler Kongress fortschrittlicher Künstler, Mai 1922
Erster Internationaler Kongress fortschrittlicher Künstler, Mai 1922: Dada inspirierte schnell einen weiten Kreis von Künstlern, die sich ebenfalls dem bürgerlichen Kunstbetrieb verweigerten Credit: anonym, via Wikimedia commons

 

Es gibt auch ambitioniertere Projekte. Dada-Data  – eine Kooperation unter anderem mit dem für Kultur zuständigen Sender Arte – ist eins davon.

“DADA is not dead, DADA is web!”

ist einer der Slogans, mit denen man dafür wirbt. Selbstbeschreibung des Projekts:

DADA DATA ist eine lebendige, virale und vibrierende Hommage an den Esprit Dada – und unserer Zeit ebenso verbunden wie Dada dem Irrsinn seiner Epoche den Kampf angesagt hatte … .

Das klingt ziemlich spannend. Geboten wird unter anderem ein ein vom Zufall gelenktes “Antimuseum”, das Dada-Depot. Wöchentlich gibt es “Dada-Hacktionen” wie einen Ad-Blocker (“Dada-Block”), der im eigenen Browser installiert werden kann und dann Internet-Werbung durch Dada-Collagen ersetzt. Außerdem: eine weltweite Dada-Collage “Dada-Gram:

“Erzählen Sie die Welt, in der wir leben, indem Sie aus ihrem persönlichen Instagram-Konto ein Bild auswählen und hinzufügen. Seien Sie kühn. Seien Sie weise. Beschreiben Sie die Welt auf Ihre Weise.”

Was passiert? Aus Dada-Collagen sind Partien ausgespart, die dann mit den Fotos der User hinterlegt werden. Ab heute startet als vierte “Hacktion”: das “weltweite Tweetgedicht” unter dem Hashtag #DadaData auf Twitter.

Im Cabaret Voltaire werden 3D-Drucke von Dada-Originalen hergestellt und als Connected Ready-Mades verlost.

Ist das Dada?

Hm. Es wirkt doch alles wirkt ziemlich bemüht, mehr wie eine angenommene, ästhetisch gestaltete Dada-Pose. Und inkonsequent. Man möchte subversiv wirken – “Dada macht wach”: GAFA – ein Aufruf, gegen die großen vier (Google, Apple, Facebook, Amazon), “einfach Dada tippen”. Und nutzt doch zum Beispiel Instagram (Dada-Gram).

Dada war gegen alle und eigentlich ohne Inhalt, schlichtweg Befreiung, hatte nur das Chaos zum Programm, war anarchisch und polemisch. Das kriegt man mit kulturbegeisterter Beflissenheit einfach nicht hin. Außerdem: Das was damals verstörend war, ist, zum Beispiel in Form von Lautgedichten und Collagen, längst zum Bestandteil des Schulunterrichts geworden. Anders gesagt: Wir brauchen Dada nicht mehr.

In den 1950er-Jahren war das noch anders: Die erste Ausstellung, die versuchte, an Dada und seine Bedeutung für die Gegenwart zu erinnern, wurde 1958 etwa im „Spiegel“ mit leicht angeekelter Distanz besprochen; es war von „Bemühungen“, „kunstähnlichen Erzeugnissen“ und „monströsen Kuriositäten“ die Rede. Selbst ehemalige Protagonisten wollten nichts mehr davon wissen, wird dort berichtet. Unter anderem Max Ernst wird dazu so zitiert:

“Dada war eine Bombe.”

“Kann man sich irgendjemand vorstellen, der, fast ein halbes Jahrhundert nach der Explosion einer Bombe sich damit abgibt, ihre Splitter zu suchen, sie zusammenzukitten und sie zu zeigen?”

“Es ist ein Vorzug von Dada, jung gestorben zu sein”

Ich glaube, da hatte Max Ernst Recht.

Gedenken kann man solch einem Phänomen. Wiederbeleben kann man es nicht, denn Dada hat sich aufgelöst und zersetzt, ist zu kulturellem Humus geworden. Dessen Geist entstammt dem Cabaret Voltaire, hat sich schnell in Berlin und anderen deutschen Städten, später auch in Paris festgesetzt und fortentwickelt (nicht nur im Surrealismus, oder in der politischen Kunst von George Grosz und John Heartfield) und lebt in der aktuellen Kunst weiter.

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Ich bin Kunsthistorikerin und arbeite freiberuflich als Redakteurin/Lektorin/Autorin. Dieser Blog enthält Überlegungen und Informationen, die ich sonst nirgendwo unterbringe. Die aber rauswollen.

18 Kommentare

  1. “Dadaist sein, heißt, sich von den Dingen werfen lassen”

    Heißt Dadaist zu sein (auch), nicht ganz bei Verstand zu sein? Verdankt das heute gebräuchliche ‘gaga’ sein Leben dem toten Dada?

  2. “Das was damals verstörend war, ist, zum Beispiel in Form von Lautgedichten und Collagen, längst zum Bestandteil des Schulunterrichts geworden. Anders gesagt: Wir brauchen Dada nicht mehr”
    “Es ist ein Vorzug von Dada, jung gestorben zu sein”

    Wie würde etwas entsprechendes wie Dada heute aussehen, wo es tabumässig und geschmacklich keine Grenzen mehr gibt?

    • Eine interessante Frage, finde ich. Ich glaube nicht, dass es keine Tabus und keine Geschmacksgrenzen mehr gibt. Der Witz ist, dass man sich dieser meist erst bewusst wird, wenn sie verletzt werden.

      • Wie wahr, wie wahr!

        Auch richtig scheint zu sein, dass “Dada” inzwischen allgegenwärtig ist. Zumindest in der Kunst. Wenn sie zum Komerz wird – werden muß, weil einer beschloß, Künstler zu sein, aber ihm nichts mehr einfällt…Das sieht dann “angestrengt” künstlich aus – meine Definition von “Dada” – weil da dann nichts (…) bei rauskommt, was “betrachtenswert” sei.

        Wenn man sich den Wandel der “Kunst” (wie die früher einmal gesehen wurde) ansieht, wie er um die damalige Zeit stattfand, das analysiert, stellt man fest, es fand ein genereller Wandel statt, der weit über den Dadaismus hinausgeht. Dadaismus ist ein aufblitzendes Miniphänomen gewesen. Entstanden aus einem völligen Kontrollverlust und dem Verlust jeder ernsthaften Kultur und Gesellschaftsgefüge. Und dieser Wandel besteht bis heute an – diese Lebenssituationen haben sich bis heute nicht wieder erholt. Und wir meinen, in der “besten Welt” aller zu leben? Das stimmt sowieso immer nur perspektivisch.

        • Der Dadaismus entstand unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges und war ein Protest gegen die verlogenen Werte einer Gesellschaft, die einen Krieg ermöglicht hatte. Zugleich richtete er sich gegen die etablierte Kunst, indem er versuchte möglichst sinnlos und primitiv zu sein. “Und dieser Wandel besteht bis heute”, aber in einer sinnentleerten nur auf Kommerz ausgerichteten Art.

        • Dada war auch eine Reaktion auf den Wahnsinn des Ersten Weltkriegs, wo “Sinn” ad absurdum geführt wurde. Insofern stimmt Ihr Satz: “Entstanden aus einem völligen Kontrollverlust und dem Verlust jeder ernsthaften Kultur und Gesellschaftsgefüge.”

          Die Avantgardekunst bestand aus einer zunehmenden Radikalisierung und Revolutionierung dessen, was gerade kurz zuvor noch “Kunst” war. So folgen die -ismen immer rascher aufeinander und jeder Prophet einer neuen Kunstanschauung verketzerte das unmittelbar Vorangegangene und seine Konkurrenten auf dem Feld der Kunst. Dada dreht die Schraube noch etwas weiter.
          Richtig kommerziell ist das nicht, sondern finanziell eher hochriskant, weil das Publikum sehr klein war.

          • @ Paul Stefan
            28. Februar 2016 12:50

            Das glaub ich auch, dass es hochriskant war. Ist es noch heute. Naja, Kunstbetrieb sowieso.
            Aber wenn man Dada etwas weiter fast – Kunst als Antiästhetik – finden wir heute reichlich “Mitstreiter”. Jonathan Meese etwa … nur ein Beispiel und eine Richtung, in der das neue “Dada” heute geht. (wie ungerecht nur einen Namen zu nennen!).

      • “Wie wahr, wie wahr!”

        … meint auch:

        erst wenn ich “Fettecken” sehe, ecken sie an. Oder steigt der Impuls in mir auf, sie wegzumachen! (war da nicht neulich erst wieder ein kleiner Skandal, wo du Putze das Kunstwerk zerstörte, weil sie dachte, es sei Müll?)

        • Meint auch:

          Das “Dada” tot ist, entspringt doch wohl auch nur ihrer Perspektive auf “Kunst” – und damit einem ihnen innewohnendem Wunsch und Willen, etwas sehen zu wollen (oder eben nicht sehen zu wollen).

          Das Dada tot sei, ist eben nur die Idee davon, solche Zeiten, wie damals am liebsten “tot” zu sehen, weil eben der “Unsinn” unangenehm ist.

          Aber die Zeiten sind gerade wieder ideal für soetwas, wie “Dada”. Die jüngst vergangenen Jahre haben dafür gesorgt, dass es wieder von vorne losgehen könnte. Leider. Denn was da passiert ist, ist tragisch und der eigentliche Skandal – den jedoch keiner sieht. Zu sehen ist dann immer nur das Symptom (Dada eben, oder der “Unsinn”, die Kunstschande, der Müll, zudem es keine Kunst (also die Kunstfertigkeit) benötigt).

          Sozusagen:

          “Gute Nacht Abendland” … es ist untergegangen. Wieder einmal.

        • Beuys gehört in die Kategorie der “Propheten” einer neuen, umfassenden Kunst, nicht so sehr in die Kategorie “Dada”. Dorthin passt eher die ironische Destillierung der Beuys’schen Fettreste 2014.

          https://de.wikipedia.org/wiki/Fettecke

          Das heißt “Reinigungskraft”, nicht “Putze”, bitte mehr Respekt 🙂

          • Ok, ReinigungsFACHkraft.

            Und trotzdem ist da heute allerhand einfach nur “dada” – oder auch plemplem. Es muß irgendwann eben diese Wende gegeben haben – von Ästhetik zu Antiästhetik; zur Opposition; Kunst nicht zum Wohlfühlen und anschmiegen, sondern genau das Gegenteil: sie soll doch zu oft anecken und aufregen. Und diese Wende hat sich bis heute gehalten. Nicht wieder gebessert.

    • Es gibt bestimmt noch Tabus und Geschmacksgrenzen, aber der Anspruch der Avantgarde, revolutionär, subversiv, antibürgerlich, demaskierend, umstürzend etc. etc. zu sein, hat sich zu einer Marketing-Strategie oder Attitüde totgelaufen.

      Ich habe mal einen Cartoon gesehen, das sagt die Freundin eines Künstler zu ihm: “Weißt Du, was mir an dir nicht gefällt? Dass Du ein Revolutionär bist, wie alle anderen.”

  3. Dada als Revolte der Kunst gegen die Kunst zeigt, dass die (moderne) Kunst vor nichts Halt macht – nicht einmal vor sich selbst. Das hat auch etwas mit der Sebstbezüglichkeit (Selbstreferenzialität) von alter und neuer Kunst zu tun. Selbstbezügliche Kunstwerke, also Kunstwerke, die den Künster und die Kunst abbilden oder die gar eine rekursive Welt schaffen (wie bei M.C.Escher) finden sich schon bei van Eyck, sie finden sich im modernen Film, in Theaterstücken, in der Literatur. Die letzte logische Konsequenz der Infragestellung des Gewohnten, des Systems, ist die Infragetellung von sich selbst – hier also die Infragestellung der Kunst und ihrer Selbstbezüglichkeit, denn die Selbstbezüglichkeit macht die Kunst zu einem autopoietischen System..
    Deshalb finden sich im Dadismus satirische und übertriebene Wiedergaben früherer Kunstformen bis hin zur damals aktuellen, dem Expressionismus.

    • “Die letzte logische Konsequenz der Infragestellung des Gewohnten, des Systems, ist die Infragetellung von sich selbst – hier also die Infragestellung der Kunst und ihrer Selbstbezüglichkeit …”

      Kennen Sie schon Piero Manzonis “Merda d’artista” ?

      “Im Jahre 1961 füllte Manzoni jeweils 30 g seiner eigenen Fäkalien in 90 Dosen und verschloss diese geruchsfest. Die Dosen wurden einzeln von 001 bis 090 durchnummeriert und mehrsprachig mit merda d’artista oder auch Künstlerscheiße beschriftet. Die Dosen verkaufte der Künstler schließlich zum damals aktuellen Goldpreis für 30 g (ca. 37 Dollar).”

      https://de.wikipedia.org/wiki/Merda_d%E2%80%99artista

    • Escher? Ist das nicht der mit den (unmöglichen) Bezugspunkten im 2 dimensionalen Raum? Das Wasser, welches im Kreis fliesst?

    • @ Martin Holzherr
      29. Februar 2016 10:01

      “Die Infragestellung von sich selbst”

      Für mich beginnt da eindeutig kranker Geist, wenn das zum einzigen Produkt wird. Fragt einen Psychiater…

      • Sie sollten das nicht so bierernst sondern mit Humor nehmen, das ist auch ein provokantes Spiel zwischen Künstler und Publikum/Kritiker/Kunstmarkt. Lachen Sie doch einfach über “Eine Portion Künstlerscheiße”. Die Idee ist doch klasse.

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