Cannes: Stars und die Rituale der Vorzeit

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Es gibt etwas zu sehen
Denkmale

Wenn das Filmfestival vorbei ist und die Stars Cannes  wieder verlassen, dann haben sie auf ganz unterschiedliche Weise Eindruck gemacht. Besonders eine Art sich zu verewigen finde ich bemerkenswert:  Platten mit plastischen Handabdrücken von Schauspielern und Regisseuren umgeben in einer langen Reihe den Boden um den Palais des Festivals herum  (siehe Diashow unten). Diese Galerie gehört zu den Attraktionen der Stadt, die zwar bestaunt wird, aber keine Verwunderung auslöst. Mit ein paar tausend Jahren Abstand wäre das anders.

Es gibt nämlich etliche ganz ähnliche Handnegative, allerdings nicht dreidimensional,  die aus der ausgehenden Altsteinzeit stammen  und wohl schon mehr als 25 000 Jahre alt sind. In mehreren Höhlen in Südwestfrankreich, die bekanntesten darunter sind die Chauvet-Höhle und die Cosquer-Höhle, haben sich die Umrisse von Händen erhalten, die an die Höhlenwand gedrückt und mit in Wasser gelöstem Staub von Kohle, Rötel oder Ocker besprüht wurden, so dass ihre Form als Aussparung im Farbfeld zu sehen ist. Es gibt in Argentinien noch eine sehr viel jüngere Höhle, die „Cueva de las manos“ wo von etwa 5000 bis etwa 1000 v. Chr. mit einem ähnlichen Verfahren zahllose Handabdrücke hinterlassen wurden.

Leider kann ich kein eigenes Foto dieser Handnegative präsentieren, aber hier findet sich eine Abbildung aus der Chauvet-Höhle. Der Eingang der Cosquer-Höhle liegt unter dem Meeresspiegel und auch die Chauvet-Höhle ist nicht öffentlich zugänglich. Ein Nachbau ist im Gange, und derweil kann man die Höhle schon virtuell besuchen.

Schwer zu deuten: Handnegative aus der Steinzeit

Die vorgeschichtlichen Handnegative sind von Wissenschaftlern und Hobbyforschern vielfach und naturgemäß nicht abschließend gedeutet worden, zum Beispiel, im Fall der argentinischen Höhle, als Reste eines Initiationsrituals, in den südfranzösischen Höhlen unter anderem als Künstlersignatur, als Zeugnis von prähistorischem Schamanismus oder  als  Codesprache (so z. B. Jean Clottes). Der Filmemacher Werner Herzog durfte die Chauvet-Höhle besuchen und drehte dort 2010 seinen 3D-Film  “Die Höhle der vergessenen Träume”, in dem er mit bebender Stimme die Höhle als Ort inszenierte, an dem „die Seele des modernen Menschen erwacht“  sei.

Derart überhöht und geradezu ins Sakrale entrückt betrachten das natürlich nicht alle. Aber  bei den meisten Deutungen kommt doch zum Ausdruck, dass das Ganze uns fasziniert und sehr, sehr fremd vorkommt.

Dabei unterschied sich der damalige Mensch zum Beispiel in Bezug auf seine Intelligenz nicht vom heutigen. In welchem Maß er kulturell und psychisch anders als wir geprägt war, bleibt in meinen Augen spekulativ. Schön finde ich aber die Vorstellung, dass die Idee, Handabdrücke zu hinterlassen, mit Blick auf Cannes sozusagen doch als eine menschliche Konstante erscheint.

 

Was im Fall der Höhlenkunst allerdings als rätselhafte archaische Praxis gedeutet wird, findet man im 20. und 21. Jahrhundert nicht weiter befremdlich. In Verbindung mit dem Namenszug wird wohl jeder Zeitgenosse die gleichen Schlüsse ziehen. Dieser und jener Star war leibhaftig hier und hat buchstäblich einen Eindruck hinterlassen  – er möchte präsent sein, auch wenn er nicht selbst anwesend ist.  Anders als zum Beispiel ein Foto vermittelt  die Spur in dem (ehemals) weichen Material auch noch die Erinnerung an den direkten Körperkontakt. Da kaum jemand die Hände der Stars kennt, sind die Abdrücke zwar keine wiedererkennbaren, aber doch sehr beredte Porträts, in die man erstaunlich viel hineinlesen kann. Man vergleiche zum Beispiel den von Silvester Stallone mit dem seltsam gewissenhaft wirkenden Abdruck von Meryl Streep.

Auch nicht ohne: Handnegative von heute

Trotzdem ist es gar nicht so einfach, sich über die Bedeutung der modernen Handnegative klar zu werden.

•             Die Platten mit den Handabdrücken sind im Boden eingelassen: Heißt das, dass die Stars da gekniet haben, um den Abdruck zu machen? Vermutlich ja – zumindest tun sie das, wenn sie in Hollywood vor dem Grauman’s Chinese Theatre Abdrücke ihrer Hände im Beton hinterlassen. Dort allerdings gibt es auch Fußabdrücke. Leider weiß ich nicht, ob die Franzosen die Handabdrücke im Stehen, zum Beispiel an einem Tisch abnehmen, und erst dann die Platte in den Boden einlassen. Das würde jedenfalls einen entscheidenden Unterschied machen, nämlich den zwischen einer  Demutsgeste (auf den Knien!) und einer Art Amtshandlung, wie zum Beispiel dem Leisten einer Unterschrift. Für das Knien spricht, dass die Vorderglieder der Finger bei den meisten Abdrücken tiefer eingesunken sind als der Handteller – so ist das, wenn das Gewicht beim Abstützen vorne liegt. Aber wie auch immer: Das Abnehmen des Abdrucks kann man sich nur zeremoniell vorstellen.

•             Wie kommt man überhaupt auf die Idee mit den Handabdrücken? Das Vorbild für die Abdrücke in Cannes liegt bei dem oben erwähnten Kino in Hollywood. Dort hat man schon 1927 damit begonnen. Zufällig, wie eine Anekdote berichtet – ein weiblicher Star sei aus Versehen in den noch frischen Beton getreten: ein Auftakt für eine bis heute nicht abreißende Reihe von Fuß- und Handabdrücken. Wobei die Idee mit dem Handabdruck damit noch nicht erklärt ist. Das schon eher in dieser Version: Ein  Vorarbeiter bei der Errichtung des Kinos, Jean Klossner, habe sein Werk mit einem Handabdruck und seiner Unterschrift signiert  (heute noch dort zu sehen).

Es ließen sich noch einige interessante Überlegungen in diesem Zusammenhang anstellen (Warum ist das Handabdrucknehmen eine doch eher seltene Praxis? Kann man einen Handabdruck mit einer Unterschrift vergleichen? Gibt es eine Verbindung mit Gesten, bei denen die Handfläche gezeigt wird? Und so weiter).

Wie auch immer die rituellen Begleitumstände jeweils (gewesen) sein mögen – im Grunde sind die Handnegative von Cannes und Hollywood  wohl gar nicht so weit entfernt von ihren steinzeitlichen Vorläufern.

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Ich bin Kunsthistorikerin und arbeite freiberuflich als Redakteurin/Lektorin/Autorin. Dieser Blog enthält Überlegungen und Informationen, die ich sonst nirgendwo unterbringe. Die aber rauswollen.

4 Kommentare

  1. Stimmt, und ich nehme an, in 1000 oder noch mehr Jahren wird auch keiner mehr wissen, wer die Leute waren, die da ihre Abdrücke hinterlassen haben. Es sei denn, die Höhlen bzw. Stollen, wo man Kulturgüter aller Art für Archäologen der Zukunft einlagert, erfüllen ihren Zweck: sie geraten in Vergessenheit und man findet sie irgendwann wieder.

  2. Aborigines

    Spannendes Thema, danke! Ich meine mich zu erinnern, gelesen zu haben, dass heutige Aborigines die Praxis des Handmalens (durch Farbspucken) kennen und mit der Vergegenwärtigung von Ahnen zusammen denken. Neben dem heutigen Hollywood-“Ich war da” wäre demnach ein “Ich werde weiterhin hier sein.” ausgesagt.

  3. Denkmal

    Ich habe mein Denkmal mitsamt eines erklärenden Textes von der Firma LOOXIS dreidimensional mit einem Laser in Glas brennen lassen.

    Auch die nur 1 Millimeter hohen, breiten und tiefen Schriftzeichn liegen 4 Millimeter weit im Inneren des Glases.

    Zement oder Farbe verschmutzen die Hände, und sie sind viel weniger lange Haltbar als mineralisches Glas.

    Unterhalb einer Transformations-Temperatur von etwa 600 Grad Celsius fliesst mineralisches Glas auch in 10000 Jahren so gut wie gar nicht (entgegen so mancher Behauptung).

    Hier ist ein Bild des 50 Millimeter hohen, breiten und tiefen Würfels, denn Platten aus Glas brechen zu leicht:

    http://members.chello.at/….bednarik/GLASWURF.JPG

    Für Botschaften in Raumsonden könnte man auch Bergkristall (Quarzkristall, SiO2, Schmelzpunkt 1713 Grad Celsius, unbrennbar) verwenden, und die Bilder und die Schrift ein wenig kleiner gestalten.

    Diamant hält höchstens 1500 Grad Celsius aus, bevor er zu Graphit wird, und verbrennt in Luft schon bei 800 Grad Celsius (da lag man bei James Bond,
    Diamantenfieber, mit dem Krematorium völlig falsch).

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