“Semana Santa” als religiöse Erfahrung ganz eigener Art

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Abenteuer Auszeit
Das Sabbatical

Ich bin katholisch erzogen worden und zur Kommunion gegangen. Ich weiß, wie Weihrauch riecht und kenne die Geschichte, dass die Glocken über Karfreitag nach Rom fliegen aus Trauer über den Tod Christus. Dafür zog dann die Dorfjugend durch das Odenwaldnest, in dem meine Großmutter lebte, und verkündete die Uhrzeiten mit lärmenden Holzrätschen. An Karfreitag waren auch in meiner südbadischen Heimat die Kinos geschlossen und das Tanzen verboten. Und natürlich weiß ich, dass Weihnachten ohne Ostern und damit den Glauben an die Auferstehung bedeutungslos wäre, auch wenn das im europäischen Konsumrausch zum Fest der Liebe oft vergessen wird. Aber “Semana santa”, also die heilige Woche, in Arequipa, das hat eine völlig andere, fast mythische Dimension.

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Hier wird Religion mit allen Sinnen zelebriert. Das fängt am Palmsonntag an, wenn nicht nur riesige Palmwedel in die Kirche geschleppt werden, sondern geschäftstüchtige Menschen vor der Kirche auch aus Palmblättern, Kräutern und Heiligenbildchen kleinere Exemplare basteln und verkaufen. Ich ertappe mich dabei, wie ich in der wunderschönen Kirche San Francisco, die an diesem Tag intensiv nach Rosmarin und Pfeffer duftet, meinen vor der Kirche gekauften Wedel schwenke, die eingängigen Melodien mitsinge und ganz begierig darauf bin, dass ich auch ein paar Tropfen des Weihwassers, das der Pfarrer verspritzt, erhasche.

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Doch damit nicht genug, nach Palmsonntag beginnt die eigentliche heilige Woche und die ist in den ersten Tagen von den Prozessionen geprägt. Kurz vor oder nach Einbruch der Dunkelheit setzen sich die Züge durch die Straßen in Gang. Männer und Frauen wuchten riesige Marien- und Jesusstatuen auf ihre Schultern. Die sind mit Blumen geschmückt, beleuchtet und wirken tonnenschwer. Martialisch anmutetende Kreuzigungsszenen sind darunter, die von Kapuzenmenschen getragen werden. Ich mache mir klar, dass das hier nichts mit Ku-Klux-Klan zu tun hat, sondern auf alte spanische Wurzeln verweist, aber unheimlich ist es schon.

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Dafür ist die Musik umso origineller. Klar, es gibt marschartige Klänge und melancholische Gesänge, am besten gefällt uns aber das Auto eines Gemüsehändlers. Das ist eine Art Pick-up mit Lautsprecher auf dem Dach. Während der Prozession sitzt neben dem Fahrer die Sängerin mit Mikrofon in der Hand. Die Noten werden von einer Taschenlampe unterm Dach beleuchtet und hinten sitzen der Gitarrenspieler und weitere Sänger so eng aneinander gedrängt, dass die Hälfte des Saiteninstruments durchs offene Fenster nach draußen ragt. Und sie singen so anrührend und wir stehen wie alle anderenergriffen mit Kerzchen am Rand der Szenerie. Pfiffige ältere Frauen haben sich übrigens aus alten Pflastikflaschen Windschutz für ihre “Velitas” (Kerzchen) gebastelt, damit die nicht immer ausgehen.

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Am Gründonnerstag wird es ernst. Nicht nur, dass der Erzbischof von Arequipa in der Kathedrale am Plaza de Armas würdigen Senioren die Füße wäscht. Für gläubige Arequipenos gilt es an diesem Tag 13 Kirchen der Stadt einen Besuch abzustatten. Das ist generalstabsmäßig geplant. Alle Bilder und Nischen, außer denen, die den Kreuzweg darstellen, werden abgehängt oder verhüllt. Nur ein Altar mit dem Bildnis des Heiligen Geistes ist geschmückt. Ihm gilt an diesem Tag die Andacht. Daran vorbei ziehen Tausende von Menschen. Riesige Transparente zeigen, wo Eingang und Ausgang des Gotteshauses ist. Das ist bitter notwendig, Gegenverkehr könnte tödlich sein. Drinnen herrscht drangvolle Enge, so schieben sich die Massen vorwärts. Ich versuche einmal mehr, tief in den Bauch zu atmen und nicht an eine ausbrechende Panik oder gar ein Erdbeben zu denken.

Draußen auf den Straßen bieten dann jede Menge Stände alles, was der erschöpfte Pilger begehrt. Für meinen Geschmack ist das Ganze deutlich zu fleisch- und rumlastig, und die zahlreiche Polizei guckt auch schon beunruhigt, aber die Peruaner integrieren so vieles. Zum Beispiel auch, dass nach den 13 Kirchen daheim auch 13 leckere Süßspeisen (Postres) verzehrt werden. Vor allem die Großmütter bieten da alles an Rezepten auf, was sie finden können. Kein Wunder, dass die Missionare und Kirchenfürsten penibel darauf achteten, Elemente der Inka-Religion in ihre Gotteshäuser und Rituale einzubauen. Hier fließt alles ineinander.

Manches in dieser Semana Santa ist unglaublich innig, anderes schockierend. Im Festsaal des Rathauses beispielsweise führen Jugendliche eine Art Theaterspiel der Geschichte im Garten Gethsemane und der anschließenden Verhandlung vor Pontius Pilatus auf.  Davor aber wird zu kitschigen Klängen über “Amor de Dios” in Endlosschleife eine hyperrealistische Darstellung der Folterung und Kreuzigung gezeigt. Keine Ahnung, was die sechsjährigen Kinder, die das sehen, in der Nacht träumen werden. Ich jedenfalls gebe mich nach ein paar Minuten lieber mit geschlossenen Augen der Musik hin.

So umtriebig der Gründonnerstag endet, so ruhig beginnt der Karfreitag. Das dürfte der einzige Tag im Jahr sein, an dem es keine Messe gibt. Viele Leute fasten bis am Nachmittag, manche kleiden sich schwarz, die meisten Geschäfte und viele Kneipen haben geschlossen, es liegt eine fast friedliche Ruhe über dieser sonst quirligen Stadt. Am Abend dann die Karfreitagsprozession der Kirche Santo Domingo. Schweigen liegt über allem, dann eine einzelne, klagende Klarinette, ein paar Geigenklänge und der gläserne Sarg wird aus der Kirche durch die Straßen getragen. Wem da nicht wehmütig wird ums Herz, dem ist einfach nicht zu helfen.

 

 

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Ich bin von Natur aus neugierig, will Menschen und ihre Beweggründe verstehen und ich liebe gute Geschichten über alles: Das macht mich zur Journalistin. Ich möchte aber den Dingen auch auf den Grund gehen und verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält: Das erklärt meine Faszination für Wissenschaft und Forschung. Nach dem Studium der Germanistik und Politikwissenschaft habe ich als Zeitungsredakteurin für viele Jahre das Schreiben zum Beruf gemacht. Später kamen dann noch Ausbildungen zur zertifizierten Mediatorin und zum Coach hinzu, die mich in meiner Auffassung bestärkt haben, dass das Menschliche und das Allzumenschliche ihre Faszination für mich wohl ein Leben lang nicht verlieren werden. Das Organisieren habe ich als Büroleiterin einer Europaabgeordneten gelernt, bevor ich im Juli 2012 als Referentin des Chefredakteurs bei Spektrum der Wissenschaft begonnen habe. Von dieser Tätigkeit bin ich nun erst einmal ab 1. Januar 2015 für ein Sabbatical beurlaubt. Und ganz gespannt, was das „Abenteuer Auszeit“ für mich bereithalten wird.

5 Kommentare

  1. Auf jeden Fall schon einmal frohe Ostern, auch den weniger Gläubigen und Ungläubigen, nette Schilderung btw,
    MFG
    Dr. W (der ansonsten nichts dagegen hätte, wenn Staat und Religion getrennt bleiben bis getrennt werden)

  2. Was uns berührt und wir berühren, was unsere Sinne reizt und flutet, kann ebenso Wahrheit wie Täuschung sein.

    Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht.

    Wer dies sagt will die Wahrheit bekommt aber oft die Täuschung.

  3. Die Semana Santa ist für mich eins der schönsten Events in Spanien und kann mit dem deutschen Pendant einfach nicht mithalten. Jeder sollte sie mal gesehen und erlebt haben.

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