Winston Churchill und die Antifaschisten

BLOG: Con Text

Wörter brauchen Gesellschaft.
Con Text

Sie haben so etwas sicherlich schon einmal gesehen: Das Portrait eine bekannten Politikers, Denkers, Humanisten o.ä. mit einem Kalenderspruch daneben. Selbstverständlich als Zitat mit dem Namen oder sogar der Signatur des Abgebildeten drin. So hat Einstein z.B. gesagt, dass man Zitaten aus dem Internet nicht trauen sollte, da sie leicht gefälscht werden können. Recht hat er! Und doch machen die Menschen weiter damit.

In den letzten Tagen taucht gerne wieder

The Fascists of the future will be the anti-fascists.

zugeschrieben Winston Churchill, auf.

Das lässt einem Anglisten selbstverständlich keine Ruhe, u.a. weil der Satz irgendwie nicht nach Churchill klingt, er ist off. Nur jene, denen der Spruch im Kampf gegen antifaschistische Bewegungen und Ideen gut in den Kram passt, werden nicht einmal versuchen, ihn zu recherchieren. Ist selbstverständlich auch nicht ganz einfach. Schliesslich muss der Premierminister und Literaturnobelpreisträger den Satz nicht unbedingt aufgeschrieben haben. Er könnte ihn bei einer geschlossenen Veranstaltung benutzt haben und ein Anwesender schrieb ihn in sein Tagebuch.

Doch selbst, wenn das der Fall wäre, müsste dieses Tagebuch öffentlich aufgetaucht sein. Wir sollten also wissen, wer es aufgeschrieben hat. Wir könnten damit heraus bekommen wann und wo, Churchill sich in dieser Form gegen Antifaschisten stellte. Welches politische Klima herrschte, wem er es sagte.1 Was sagte er um den Satz herum, sprach er von einer bestimmten Gruppe, die sich unter falscher Flagge um die Menschen bewarb.

Nichts davon wissen wir. Das beweist noch nicht, dass er es nicht gesagt hat. Schliesslich lässt sich so ein Negativum nicht belegen.2 Allerdings ist die Chance, dass ihm der Satz untergeschoben wird, immens grösser:

…Stand Up To Hate..: Winston Churchill and the anti-fascist quote (UK)

Obwohl vor allem Faschisten und ihnen nahestehende dieses “Zitat” gerne bringen, ist nicht jeder, der das ohne Qualifizierung weiter gibt, gleich ein Faschist. Er oder sie ist einfach nur zu faul für eine Suche. Weil denkfaul. Und vielleicht nicht sonderlich helle.

Notes:
1. War es vielleicht vor der Economic League?
2. Der Kürze halber gebe ich Ihnen das Stichwort Russell’s Teapot zur eigenen Recherche.

Nach dem Abitur habe ich an der Universität Hamburg Anglistik, Amerikanistik, Soziologie und Philosophie studiert. Den Magister Artium machte ich 1992/93, danach arbeitete ich an meiner Promotion, die ich aus verschiedenen Gründen aufsteckte. Ich beschäftige mich meist mit drei Aspekten der Literatur: - soziologisch [Was erzählt uns der Text über die Gesellschaft] - technisch [Wie funktioniert so ein Text eigentlich] - praktisch [Wie bringen wir Bedeutung zum Leser] Aber auch theoretische Themen liegen mir nicht fern, z.B. die Frage, inwieweit literarische Texte außerhalb von Literatur- und Kunstgeschichte verständlich sein müssen. Oder simpler: Für wen schreiben Autoren eigentlich?

15 Kommentare

  1. “So hat Einstein z.B. gesagt, dass man Zitaten aus dem Internet nicht trauen sollte.”

    Gut, das ist einfach:
    Albert Einstein (* 14. März 1879 in Ulm; † 18. April 1955 in Princeton, New Jersey)
    Internet: (*1990)

  2. Faschismus zu definieren ist schwierig. Der Begriff wird heute vor allem pejorativ verwendet. Ähnliches gilt für den Antifaschismus. Der Antifaschismus ist zudem dadurch belastet, dass der Begriff von Josef Stalin noch vor dem 2. Weltkrieg häufig verwendet und auf seine politische Agenda gesetzt wurde und Stalin später den Hitler-Stalin-Pakt unterzeichnete.

    Wenn man die Definition von Faschismus aus der englischsprachigen Wikipedia heranzieht:

    Fascism /ˈfæʃɪzəm/ is a form of radical authoritarian nationalism[1][2] that came to prominence in early 20th-century Europe, influenced by national syndicalism. Fascism originated in Italy during World War I and spread to other European countries. Fascism opposes liberalism, Marxism and anarchism and is usually placed on the far-right within the traditional left–right spectrum

    und in dieser Definition vor allem a form of radical authoritarian nationalism herausgreift, könnte man auch Putin als Faschisten bezeichnen. Grundsätzlich falsch liegt man damit nicht und sogar der letzte Teil des obigen Zitats:

    Fascism opposes liberalism, Marxism and anarchism and is usually placed on the far-right within the traditional left–right spectrum

    ist nicht völlig unzutreffend, wenn man ihn auf Putins Herrschaft bezieht.

    • Ergänzung: Dass neofaschistische Bewegungen (Jobik, Front, National, Pegida) und Führerinnen (wie Marine Le Pen) Putin loben und gute Beziehungen mit ihm unterhalten passt zur Charakterisierung Putins als Vorsteher eines faschistischen/putinistischen Staates.

      Putin offen als Faschisten zu bezeichnen würde aber die Beziehungen europäischer Staatschefs wie Merkel oder Francoise Hollands zu Russland deutlich erschweren.

    • Faschismus zu definieren ist schwierig. Der Begriff wird heute vor allem pejorativ verwendet. Ähnliches gilt für den Antifaschismus.

      Eijeijei.

      Ginge dies für Sie? :
      Der Faschismus ist die politische Methode (vs. Herrschaftsform) mit Hilfe großflächig verwendeter handfester Symbolik (die Uniformierung hier an erster Stelle) Gruppen zu führen und so einen besonderen Zusammenhalt zu erreichen, der genutzt wird auf andere Gruppen herabzuschauen, diese als verachtenswert zu erkennen.

      Dieses Verständnis wäre insofern nicht alleinig auf den italienischen Faschismus und Ähnliches anzulegen, sondern kann an vielen Stellen sinnhaft zum Einsatz kommen, auch um gering dosierten Faschismus zu erkennen.

      MFG
      Dr. Webbaer

      • Krass, … mit dieser Definition kann man alle Regierungen und Herrschaftsformen oder gar Bewegungen als Faschistisch bezeichnen. Eben weil im Kern alle Initiativen diese Szenarien als Eckpfeiler haben – wenn man davon absieht, dass man / die Initiativen vorgeblich mit Verachtung… also eindeutig und ausdrücklich … auf deren jeweilige Gegner oder als nebensächlich bezeichnete Gruppen “herrabsehen”…Gruppen als unwesendlich erklären. In der Demokratie ist es so: alles, was keine Mehrheit hat, ist sofort unwesendlich. Hin und wieder kann man in solcher Stellung auch mal radikaler darüber denken.

        Zudem wir hier in zivilisierten Landen immer die deeskalierendste Formulierung für die Öffentlichkeit wählen, sodass radikale Verbalsprache im Normalfall nicht verwendet wird. Hinter den Kolissen aber oder im Hinterkopf kann der Gedanke anders gedacht werden – etwa “was für Idioten” oder “welch Dunkueldeutsche”, oder auch “welch Dumpfbacken”…. Alles eindeutig abwertende Bezeichnungen. Sozusagen “Explizit Lyrics”….

        Deiner Definition also haben wir derzeit auf beiden Seiten (die neue Rechtsruckszene und die Gutmenschen) Faschisten / einen latenten Faschismus.

        Würdenm sie diesem zustimmen, Herr Dr. Webbear?

  3. Erinnert mich an ein Zitat welches Voltaire gerne zugeschrieben wird “To determine the true rulers of any society, all you must do is ask yourself this question: Who is it that I am not permitted to criticize?”

    Es wird gerne von Antisemiten ausgegraben, was vielleicht daran liegt, dass es von Kevin Alfred Strom stammt, einen amerikanischen Nazi.

  4. Auch mal ein Stündchen recherchiert, ‘The Fascists of the future will be the anti-fascists.’ – ist wohl nicht als von Churchill belegbar, auch nicht Sinn-ähnliches.
    Churchill hat zum Faschismus aber sehr Unterschiedliches gesagt, vgl. bspw. hiermit:
    -> https://en.wikiquote.org/wiki/Fascism#C

  5. Bonus-Kommentar hierzu:

    Obwohl vor allem Faschisten und ihnen nahestehende dieses “Zitat” gerne bringen, ist nicht jeder, der das ohne Qualifizierung weiter gibt, gleich ein Faschist.

    Selbst wenn Satan persönlich benachrichtigen würde, könnte seine Nachricht sachnah, OK bis allgemein nachvollziehbar (“richtig” sozusagen) sein.
    Vermutlich eher: punktuell.
    >:->

    Er oder sie ist einfach nur zu faul für eine Suche. Weil denkfaul. Und vielleicht nicht sonderlich helle.

    Full Ack“, es lohnt sich immer behaupteten Sachen und dbzgl. Verhalten auf den Grund zu gehen, Ihr Kommentatorenkollege ist neben der Quellenarbeit insofern immer auch etymologisch bemüht, die Vorarbeit der Altvorderen nutzend.

    Vielen Dank natürlich für Ihre Churchill-Arbeit, das Zitat ‘klingt irgendwie nicht nach Churchill’.

    MFG
    Dr. Webbaer

  6. Churchills verifizierte Faschismus-Kommentare zeigen, dass er ein Kind seiner Zeit war – einer Zeit die zwischen den Extremen des Faschismus und Bolschewismus/Leninismus hin und her gerissen war.
    Churchill über Mussolini:

    If I had been an Italian I am sure I should have been entirely with you from the beginning to the end of your victorious struggle against the bestial appetites and passions of Leninism…Your movement has rendered a service to the whole world. (20.1.1927, Rom)

    Ein wichtiger Grund für den Sieg von Musssolinis und Hitlers Faschismus war die Unterstützung auch durch Gemässigte, weil diese im Faschismus ein Bollwerk gegen den Bolschewismus/Leninismus sahen. Auch Churchill war so einer:

    The greatest fear that ever tormented every Democrat or Socialist leader was that of being outbid or surpassed by some other leader more extreme than himself. It has been said that a continual movement to the Left, a kind of fatal landslide towards the abyss, has been the character of all revolutions. Italy has shown that there is a way to combat subversive sources.

    Nach dem zweiten Weltkrieg war der Faschismus diskreditiert (dennoch überlebte er in Spanien als Francho-Diktatur bis 1977).

    Nicht diskreditiert war für fast alle Linken nach dem 2. Weltkrieg der Kommunismus/Stalinismus/Castrismus. Im nachhinein finde ich es erschreckend wie Europas Linke und überhaupt die ganze Intellektuellenschicht fast das ganze 20. Jahrhundert hindurch Gewalt und Unterdrückung im Namen von angeblich grossen Ideen verteidigten und an Gewalt und Blutvergiessen als grosse Reinigungskraft glaubten.

    Auch den Antiamerikanismus vieler Europäer, gerade der Gebildeten, kann ich nachträglich nicht nachvollziehen. Es gibt überhaupt keinen Grund, warum Europäer sich in irgend einer Form den US-Amerikanern und ihrem System überlegen fühlen können. In den USA gab es weder in irgendeinem US-Bundesstaat noch in irgend einer Gesellschaftsschicht Faschismus-Verherrlichung oder den Glauben an etwas Besseres als die Demokratie in Form eines kommunistischen/stalinistischen Ersatzes. Genau das aber gab es in Europa vor und nach dem zweiten Weltkrieg – gerade auch bein den Vorzeigeintellektuellen.

  7. Na, das Zitat (von wem auch immer) ist gar nicht so dumm oder unoriginel oder auch nur unwahr.

    Nach der Definition, die etwa Dr. Webbear (auch, wenn das nicht die erst Beste Definition sein soll, ist si enun mal ein nicht schlechter versuch, dernur gewisse differenzierungsprobleme aufwirft) macht, sind alle initiativenartigen Bewegungen latent faschistisch – wenn man davon ausgeht, dass in den Hinterköpfen der Leute immer eine etwas schärfere Version dessen herumschwirrt, was sie öffentlich sagen. Und neuerdings wird ja sowieso allerhand mehr und deutlicher und auch radikaler in den Internet-Foren und sonstwo gesagt, was man als halböffentliche Beschreibungen dessen nehmen kann, was ansonsten vollöffentlich (welches immer die deeskalierende Version sei) gesagt wird.

    Webbears Definition:
    https://scilogs.spektrum.de/con-text/winston-churchill-und-die-antifaschisten/#comment-5503
    Meine Kritik dazu:
    https://scilogs.spektrum.de/con-text/winston-churchill-und-die-antifaschisten/#comment-5506

    • @ demolog :

      Wichtig:

      Der Faschismus ist die politische Methode (vs. Herrschaftsform) mit Hilfe großflächig verwendeter handfester Symbolik (die Uniformierung hier an erster Stelle) Gruppen zu führen und so einen besonderen Zusammenhalt zu erreichen, der genutzt wird auf andere Gruppen herabzuschauen, diese als verachtenswert zu erkennen.

      …natürlich dies hier:
      ‘… der genutzt wird auf andere Gruppen herabzuschauen, diese als verachtenswert zu erkennen.’

      Handfeste Symbolik großflächig zu nutzen, macht [1] keinen Faschismus, dies muss schon als politische Methode geschehen und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit [2] hervorrufen, zumindest als beabsichtigt.

      MFG
      Dr. Webbaer

      [1]
      Es lag nichts anderes als eine Definition vor, ein Definitionsvorschlag, der angenommen werden könnte, aber auch nicht.

      [2]
      Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit soll theoretisiert werden, dies lohnt sich, was “die da in Bielefeld” machen, findet aber nicht jeder gut, sondern teilweise sogar direkt schlecht; ungünstige Arbeit in diesem Sinne kann selbst Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit generieren.

      • Ich denke, dass dazu nicht mal eine “Uniformierung” nötig ist. Also eine echte Uniform. Wenn man die Menschen sich so ansieht, dann sind die meisten, die sich an die Öffentlichkeit wagen, sowieso “uniformiert” – also in einem Anzug gekleidet, der bei grober Betrachtung dann “uniform” wirkt, weil …naja, alle fast gleich aussehen.

        Ich sagte auch was zur Abwertung anderer Gruppen. Und das dies sozusagen alltäglich fast passiert!?

        • @ demolog :

          In der BRD gibt es bspw. so etwas:
          -> https://de.wikipedia.org/wiki/Uniformverbot_(Deutschland)

          Und wenn welche “uniformiert” herumlaufen, bspw. mit Anzug und Krawatte, diese “Uniform” aber im Volk oder in der Bevölkerung üblich ist, liegt keine Uniformierung vor, wie gemeint.

          BTW, Zitate oder “Zitate” wie diese – ‘The Fascists of the future will calles the anti-fascists.’ v ‘Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: «Ich bin der Faschismus» Nein, er wird sagen: «Ich bin der Antifaschismus».’ -, die im politisch rechten Spektrum genutzt werden, meinen ganz vermutlich auch derartige Kräfte.
          Sind dann so falsch nicht.

          MFG
          Dr. Webbaer

  8. Was Churchill nachweislich gesagt hat:

    “The unnatural and increasingly rapid growth of the Feeble-Minded and Insane classes, coupled as it is with a steady restriction among all the thrifty, energetic and superior stocks, constitutes a national and race danger which it is impossible to exaggerate.”

    Churchill, ein Eugeniker? Das passt irgendwie nicht zum Churchill-Bild, das man so im Kopf hat. War aber damals Zeitgeist. Und im Unterschied zu den Nazis haben die Briten die Eugenik nicht in die Tat umgesetzt, es gab keine Zwangssterilisationen, soweit mir bekannt ist.

    http://www.winstonchurchill.org/publications/finest-hour/finest-hour-extras/594-churchill-and-eugenics-1