Wenn zwei dasselbe tun … ist es einmal Kultur und einmal Jugendverderb

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Wörter brauchen Gesellschaft.
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Vor einigen Wochen stieß ich auf etwas Interessantes. So nebenbei, nicht gesucht, nur gefunden. Auf Facebook wurde ich auf eine BBC-Serie von 2008 aufmerksam, A History of Scotland von und mit Neil Oliver. Es handelt sich um eine schöne Ergänzung zu Simon Schamas A History of Britain aus dem Jahr 2000.

In einer der frühen Folgen erwähnt Neil Oliver eine spezielle Art der Auseinandersetzung, bei der schottische Dichter sich in Gedichten gegenseitig beleidigen. Das schottische Wort dafür lautet ‘flyting’.

Das Frage-Antwort-Spiel ist in der epischen Dichtung nicht neu gewesen und wird bis heute in der Musik gepflegt, vom kirchlichen Gospel über weltlichen Soul bis zum Rap. Letztere Musikrichtung greift auch die Schlacht zweier Dichter wieder auf – Rhythmusgefühl, Reime und Einfallsreichtum bei Beleidigungen bestimmen am Ende, wer der Sieger einer Rap Battle ist.

In der epischen Dichtung, in der mögliche historische Vorfälle von Sängern und Schreibern zu [Gründungs]Mythen stilisiert werden, sind die Beleidungsspiele zwischen großen Helden auf verschiedenen Seiten praktisch immer der Auftakt zu blutigen Schlachten. Flyting und Rap versuchten blutige Auseinandersetzungen durch den stilisierten Kampf der Dichter zu ersetzen. Was nicht immer klappte.

Bis weit ins 19. Jahrhundert waren Duelle konkurrierender Männer nicht unüblich. Unter Elisabeth I. sowie James VI. und I. – als James IV. König von Schottland, als James I. zusätzlich König von England und Irland – wurde so manch Talent bei einer Schlägerei oder auch hinterrücks umgebracht. Eine dichterische Beleidigungsschlacht war da durchaus eine Alternative.

Es ging da durchaus nicht zimperlich zu:

Forworthin wirling, I warn thee, it is witen
How, skytting skarth, thou has the hurle behind.
Wan wriggling wasp, more wormes hast thou beshitten
Nor there is grass on ground or leaf on lind.
Though thou did first such foly to me find,
Thou shall again with more witness than I.
Thy gulsoch gane does on thy back it bind,
Thy hosting hips lets never thy hose go dry.[1]

Forworthin wirling: Misbegotten wretch … Ekelhafter Bastard
skyttyng skarth: shitty monster … verschissenes Monster
hurle behind: runny behind … Durchfallarsch
hosting hips: leaky behind … tropfender Arsch [2]

Im weiteren Verlauf wird reichlich Scheiße [‘shit’ in diversen Schreibweisen] auf den jeweils anderen geworfen.

Weder der Hintergrund noch der Ton oder die Form sind im Rap Anfang der 1980er also neu. William Dunbar, der nicht nur ein Meister skatologischer Beleidigungen war, duellierte sich mit William Kennedy vor dem König am Hofe und wurde in höchsten Tönen gelobt. Benutzt ein Rapper heute denselben Ton, bekommt er einen Aufkleber auf die CD, Spielverbote im Radio, Piepstöne im TV und einen heiligen Shitstorm wütender Kleinbürger.

Postscriptum

Diesem Beitrag liegt eine Idee zugrunde, die mir vor ungefähr 20 Jahren die Literaturwissenschaftlerin Hildegund Bokel eingab. Sie hatte mir gegenüber Rap als moderne Form antiker Heldenerzählungen bezeichnet.

Es gibt auch eine Monographie über Wortduelle in Epen – Ward Parks. Verbal Duelling in Heroic Narrative: The Homeric and Old English Traditions. Princeton: Princeton UP, 1990. Falls Sie mehr darüber wissen wollen. Die eine oder andere Universitätsbibliothek sollte ein Exemplar davon haben.

 

[1]aus: William Dunbar/Walter Kennedy [ca. 1500], The Flyting of Dunbar and Kennedy. Rechtschreibung angepasst und mit Erläuterungen von Michael Murphy, PDF bezogen am 27. Januar 2013 von http://www.thomondgate.net/category/dunbar/

[2] Übersetzungen Schottisch in modernes Englisch von Michael Murphy [s.o.], deutsche Übersetzungen von mir.

Nach dem Abitur habe ich an der Universität Hamburg Anglistik, Amerikanistik, Soziologie und Philosophie studiert. Den Magister Artium machte ich 1992/93, danach arbeitete ich an meiner Promotion, die ich aus verschiedenen Gründen aufsteckte. Ich beschäftige mich meist mit drei Aspekten der Literatur: - soziologisch [Was erzählt uns der Text über die Gesellschaft] - technisch [Wie funktioniert so ein Text eigentlich] - praktisch [Wie bringen wir Bedeutung zum Leser] Aber auch theoretische Themen liegen mir nicht fern, z.B. die Frage, inwieweit literarische Texte außerhalb von Literatur- und Kunstgeschichte verständlich sein müssen. Oder simpler: Für wen schreiben Autoren eigentlich?

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