Was von der Woche übrig bleibt

BLOG: Con Text

Wörter brauchen Gesellschaft.
Con Text

Heute nur ein paar Fetzen – Gedanken zu Themen, über die schon alles gesagt scheint, ein paar nicht voll durchdachte Ideen, ein Filmtipp und ein Literaturtipp.

Das Urheberrecht ist keine Traumerfüllungsmaschine.

Wir alle hoffen auf den großen Durchbruch, wir sehen uns mal als den nächsten Mark Twain, einen neuen John Lennon, den modernen van Gogh. Vielleicht ist es der eine oder andere auch. Vielleicht. Daher strengen wir uns an, daher schreiben, malen, komponieren wir. Selbstverständlich wäre es schön, wenn wir nur das machen könnten, was uns Spaß bringt. Doch warum soll das Leben für Kreative anders laufen, als für Straßenbauarbeiter, Kassiererinnen im Einzelhandel, Steuerbeamte und und und?

An ihren Taten sollt ihr sie erkennen.

Auch die DDR und andere Staaten des Ostblocks nannten sich Demokratien. Anerkannt wurde dies von westlich geprägten Demokratien nie. Durch die Zweiteilung der Welt in gute offene Gesellschaften und böse kommunistische Diktaturen, war es leicht, Unterschiede zu benennen. Regierungen, die Kritiker einsperrten, die sie beschimpften, die Demonstrationen verboten, waren Diktaturen. Und die anderen waren die Guten.

George Orwells Satiren Animal Farm und 1984 nahmen als Anlass den Stalinismus, doch die Spitze richtet sich gegen die, deren Handlungen nicht ihren Worten entsprechen. Wer von Gleichheit redet, darf keinen Komparativ für ‘gleich’ entwickeln. Wer eine offene Gesellschaft möchte, darf die Mitglieder dieser Gesellschaft nicht überwachen, bespitzeln, einsperren, aussperren.

Bedeutungen mögen arbiträr sein, sie sind aber nicht beliebig.

Ursprünglich war es ein Problem mittelmäßig begabter, dann wurde es zur geisteswissenschaftlichen Mode: Wir definieren Begriffe einfach um, wie sie uns in den Kram passen. Ich spreche nicht davon, dass neue Erkenntnisse Definition verändern, normalerweise übrigens weiter einschränken, nicht öffnen. Es geht um das, was Orwell im politischen Zusammenhang Newspeak nannte. Die komplette Umkehrung der Bedeutung eines Wortes, wie wir es in den USA z.B. für ‘liberal’ beobachten. Es wurde von [Ultra]Konservativen so weit umgedeutet, dass es heute für die schlimmsten Auswüchse sozialistischer Verirrungen steht, nicht mehr für freiheitliche Gedanken. Von der politisch linken Seite des Raumes erlebten wir Ähnliches mit political correctness, die uns weismachte, die Welt wird schöner, wenn wir sie nur schön benennen.

Trennschärfe.

Gerade in den Geisteswissenschaften ist die exakte Definition von Begriffen notwendig. Wir können uns nicht auf Messergebnisse zurückziehen, auf eine weltweit leicht verständliche, einheitliche Sprache, wie z.B. die der Mathematik. Physiker können es sich leisten, Wörter unscharf einzusetzen, da die zugrundeliegenden Phänomene über mathematische Ausdrücke trennscharf erfasst sind. Philosophen, Literaturwissenschaftler, Kulturwissenschaftler müssen klar benennen und definieren, was sie meinen. Das ist ihr Job.

Wer seine Begrifflichkeit auch auf Nachfrage unklar lässt oder fröhlich Begriffe unterschiedlicher Bedeutungen durcheinander wirft, z.B. Glaube, Religion und Kirche verwechselt, schafft kein Wissen, er vernebelt es.

Wie Kant schrieb

Ich bin hingegen einer ganz entgegengesetzten Meinung und behaupte, dass in Dingen, worüber man, vornehmlich in der Philosophie, eine geraume Zeit hindurch gestritten hat, niemals eine Wortstreitigkeit zum Grunde gelegen habe, sondern immer eine wahrhafte Streitigkeit über Sachen.[1]

Sine ira et studio.

Tacitus wollte in seinen Annalen ohne Zorn oder Eifer von den Taten vergangener römischer Kaiser berichten. Es bleibt ein gutes Motto, Wissenschaft jeglicher Art zu betreiben, historische, analytische, empirische. Wir können niemals völlig ausschließen, wertfrei und ohne Vorurteil zu beobachten, aber wir müssen es versuchen. Wir müssen aktiv einige Schritte von uns weg treten und sehen, wann wir uns von unserer Ideologie davon tragen lassen.

An britischen Universitäten und Schulen gibt es zur Übung Debattierclubs, in denen die Teilnehmer üblicherweise die Position glaubwürdig vertreten müssen, die ihrer gegenüber steht.

Film übersetzt.

Wir sagen, nicht ganz korrekt, auch Synchronisation. Ein heikles Thema, auch nicht endgültig lösbar. Auf 59unique hat David [Leuenberger?] dazu einen lesenswerten Artikel zu verfasst.

Fiktion problematisch.

Wenn schwerwiegende Themen zu plot points und Klischees verkommen, weil Drehbuchautoren und Regisseure zu faul sind – Drew McWeeny über Vergewaltigung im Film.[2]

Vom Leben.

1964 – die British Invasion startet, James Bond [mit Goldfinger] und die Beatles erobern die Welt. Mit ihnen kommen unzählige britische Bands, daher sprechen die US-Amerikaner von der Invasion. Und auf ITV läuft eine halbe Stunde eine unscheinbare Dokumentation über 14 Kinder aller Klassen Großbritanniens. Sie stellt die Frage, was aus diesen Kindern einmal werden wird, wie ihre Welt, ihr Großbritannien aussehen wird. Haben alle dieselben Chancen? An eine Antwort war damals nicht gedacht.

Sieben Jahre später übernimmt der Rechercheur der ersten Serie, Michael Apted, die Idee und fragt nach. Alle sieben Jahre wird er die Menschen, die er als Kinder kennenlernte, wieder aufsuchen und nach ihren Erlebnissen, Träumen und Erfüllungen fragen. Bis heute. In diesem Monat – 14., 21. und 28. Mai – läuft 56Up, der achte Dokumentarfilm über die Kinder von 1964, die jetzt Großeltern sind, auf ITV. Wie die vorhergehenden wird er sicher bald auf DVD erscheinen.

Roger Eberts Rezension zur Serie bzw. zu 49Up.

DVD-Edition mit den ersten 7 Filmen. Nur in englischer Sprache erhältlich.

Literatur ist immer Meta.

Literatur wird von jeder Generation neu entdeckt. Auch ihr Umgang damit. Was früherZitat [auch verdeckt] , Referenz, Parodie, Antwort genannt wurde, war später Meta und ist heute Intertextualität. Die Texte von Literaturwissenschaftlern darüber sind nicht immer leicht zu lesen, oft sind sie stinklangweilig. Nun ja, geschrieben halt für ihresgleichen.

Der Romancier Jasper Fforde zeigt, wie ein sehr theoretisches Thema ganz praktisch und sehr unterhaltsam aufgearbeitet werden kann. Seine Thursday-Next-Serie, die Nursery-Crime-Romane und die Shades of Grey fordern Lesegewohnheiten raus, ohne den Leser zu verschrecken. Wer es vorsichtig angehen will, greift zu den beiden Nursery Crimes, Grafikdesigner werden Shades of Grey schätzen. Mit Thursday Next kann man nie was falsch machen.[3]

 

 

[1] zitiert nach Karl Popper, Logik der Forschung. Dem Buch ist das Zitat, sowie ein weiteres von Moritz Schlick vorangestellt. Vielen Dank an Jörg Blumtritt fürs schnelle Raussuchen.

[2] Danke an Alexandra Preis für den Hinweis auf den Beitrag.

[3] Selbstverständlich empfehle ich die englischen Originale, die außerdem noch sehr schöne Cover haben.

Nach dem Abitur habe ich an der Universität Hamburg Anglistik, Amerikanistik, Soziologie und Philosophie studiert. Den Magister Artium machte ich 1992/93, danach arbeitete ich an meiner Promotion, die ich aus verschiedenen Gründen aufsteckte. Ich beschäftige mich meist mit drei Aspekten der Literatur: - soziologisch [Was erzählt uns der Text über die Gesellschaft] - technisch [Wie funktioniert so ein Text eigentlich] - praktisch [Wie bringen wir Bedeutung zum Leser] Aber auch theoretische Themen liegen mir nicht fern, z.B. die Frage, inwieweit literarische Texte außerhalb von Literatur- und Kunstgeschichte verständlich sein müssen. Oder simpler: Für wen schreiben Autoren eigentlich?

1 Kommentar

  1. Offene Gesellschaft

    Wer eine offene Gesellschaft möchte, darf die Mitglieder dieser Gesellschaft nicht überwachen, bespitzeln, einsperren, aussperren.

    Poppers Arbeit beleuchtet einerseits die Beschaffenheit einer Offenen Gesellschaft, der Begriff stammt anscheinend von ihm selbst, und die Verteidigung dieser Gesellschaftsform.

    Die Offene Gesellschaft bedingt einerseits persönliche Freiheiten, die sich notwendigerweise auch als unternehmerische Freiheiten ausdrücken – an diesem Kriterium scheiterten Pseudo-Demokratien wie die DDR oder scheitert die Demokratische Volksrepublik Korea (auch: Nord-Korea) -, und andererseits eine Widerstandsfähigkeit gegen ihre Feinde.

    Das hieße dann beispielsweise im Kontext “Urheberrecht und Internet”, einem vglw. aktuellen Thema: Die rechtliche Lage ist zurzeit nicht ausreichend, es kann nicht sein, dass ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung verdachtsunabhängig überwacht wird. Es kann aber auch nicht sein, dass Besitzrechte verloren gehen. Hier zügig aufzulösen obliegt dem (stattfindenen) gesellschaftlichen Diskurs.

    MFG
    Dr. Webbaer

    PS: ‘Literatur ist immer Meta.’ war schön formuliert.