Was mal wieder übrig bleibt

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Wörter brauchen Gesellschaft.
Con Text

Intermediale Kunst

Passend zum letzten Beitrag diskutiert die halbe Welt – OK, es sind ein paar Leute auf Twitter und noch’n paar ‘Was-mit-Medien’ – über das soeben erschienenen Buch einer jungen PIRATIN. Die Rezensionen dazu sehen nicht gut aus, nicht wenige sind extrem bösartig und wohl nicht die Bohne am Druckwerk selbst interessiert. Vereinzelt trifft man auf wohlwollende, in denen die Autorin verteidigt wird, aber nicht so sehr, was sie geschrieben hat.[1]

Soweit ich das sehe, ist das Buch von Julia Schramm Teil eines Gesamtkunstwerkes ‘Julia Schramm’, das neben dem klassischen Buch mindestens noch ihre Beiträge auf Twitter und in ihrem Blog umfasst. Letzteres nutzt sie, um zumindest Teile des gedruckten Tagebuchs für lau zu veröffentlichen.

Interessant ist dabei nicht die Gratispublikation – das machen Verlage und Autoren immer schon, um Leser ranzuschaffen –, sondern die Einbindung von Kommentaren direkt zum Text

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und mit üblichen Blogkommentaren.

Das Buch scheint sehr persönlich zu sein und formal wenig stringent, daher meine Einordnung oben in das literarische Genre ‘Tagebuch’. Die Person Julia Schramm entwickelt eine öffentliche Persona, eine Bühnenfigur ‘Julia Schramm’. Dieses Gesamtkunstwerk muss untersucht werden; Rezeption, Interpretation und Kritik des Buches allein bleiben sinnfrei.

Windige Mühlen

Vor ein paar Wochen hatte ich eine kurze literarische Diskussion mit Detlef Gürtler über Don Quijote. Mir war an dem Tag in Texten mehrmals ‘Kampf gegen Windmühlen’ aufgefallen jedesmal falsch verwendet: Es ging darum, einen Kampf als nicht gewinnbar hinzustellen, da der kleine Mann gegen einen übermächtigen Gegner steht. Aber das ist nicht das, was wir im Don Quijote finden.

Cervantes Buch ist eine Satire auf zeitgenössische Literaten, die in Ritterromanen ein stark romantisiertes Mittelalterbild zeichneten. Wenn Don Quijote die Mühlen angreift, macht er das im Wahn, er halluziniert sich Gefahren herbei, die nicht sind. Es ist gerade kein Catch 22-Kampf gegen monströse Bürokratieriesen, die dem einfachen Mann keine Chance lassen. Die Titelfigur mag bedauernswert sein, aber sie ist kein Held, schon gar keiner, der gegen echte Feinde antritt.

Öffentlich-rechtlich fernsehen

Niemand zahlt gerne für etwas. Das ist keine Neuigkeit, hilft uns außerdem, Themen für seichte Partygespräche zu haben. Am wenigsten gerne zahlen wir, wenn es unter Zwang geschieht, wie bei den Gebühren für öffentlich-rechtliches TV. Neo”liberale” erklären uns dann gerne, dass “der” Staat [sie schließen gerne öffentlich-rechtliche Institutionen darin ein] ja gar keine Qualität produzieren könnte, man das ganze System komplett auf RTL-Niveau privat umstellen müsse.

Klar, ARD und ZDF machen es uns nicht einfach, schieben sie Qualität doch gerne raus aus dem Hauptprogramm; Kultur findet in der ARD z.B. Sonntag Sehrspätabend statt, weil kulturinteressierte Montag früh wohl nicht raus müssen.

Unsere Öffis sind nach dem Vorbild der BBC gebaut worden, eine britische Sendeanstalt, die auch dauernd wg. der Gebühren angemault wird. Eine Sendeanstalt, die weltweit als qualitatives Vorbild gesehen wird. Deren Natur- und Wissenschaftsdokumentationen überall Preise bekommen und erzielen. Deren historische Stoffe und Literaturverfilmungen in der ganzen Welt gerne gesehen werden.

Ich hoffe, dass sich ARD oder ZDF wieder erbarmen, auch dem von ihnen im Hauptabendprogramm angepeilten Unterdurchschnittszuschauer einen wahren Leckerbissen zu servieren:

Parade’s End basiert auf der hochgelobten Romantetralogie Ford Madox Fords, in der er den Ersten Weltkrieg und seine Folgen auf die [konservative] britische Gesellschaft untersucht.

Ein kleines Making-of gibt es auch.

 

 

[1] Eine Kritik, die das Buch zerreißt und eine, die Julia Schramm verteidigt.

Nach dem Abitur habe ich an der Universität Hamburg Anglistik, Amerikanistik, Soziologie und Philosophie studiert. Den Magister Artium machte ich 1992/93, danach arbeitete ich an meiner Promotion, die ich aus verschiedenen Gründen aufsteckte. Ich beschäftige mich meist mit drei Aspekten der Literatur: - soziologisch [Was erzählt uns der Text über die Gesellschaft] - technisch [Wie funktioniert so ein Text eigentlich] - praktisch [Wie bringen wir Bedeutung zum Leser] Aber auch theoretische Themen liegen mir nicht fern, z.B. die Frage, inwieweit literarische Texte außerhalb von Literatur- und Kunstgeschichte verständlich sein müssen. Oder simpler: Für wen schreiben Autoren eigentlich?

1 Kommentar

  1. Weltliteraturbewohner

    Keine Frage, Cervantes hat seinen Don Quijote als eine Witzfigur geschaffen, die in ihrer Stube eine Menge schlechter Ritterromane las, sich daraus ein Weltmodell von Tugendhaftigkeit und guter alter Zeit zusammenreimte und fortan durch die Lande zog, um dieses auf drollig-tragische Art auszuleben.

    Die Gestalt des Quijote hat aber in der Rezeption (und der Rezeption-Rezeption usw., ist ja ein rekursiver Prozess) wie eigentlich alle literarischen, religiösen und epischen Gestalten eine Umdeutung erfahren, eben weil man einen Kampf gegen Windmühlen a) als schwachsinnig oder b) als heroisch ansehen kann (oder c) darin keinen Unterschied sieht).

    So lässt Rostand seinen Überhelden-Underdog Cyrano den Quijote gegen die personifizierte Obrigkeit (Graf Guiche) in Schutz nehmen (“Wer mit ihm anband, konnte ihn stets bereit sehen”). Respekt vor den Windmühlen solle man haben, meint Guiche (Cyrano:”Respekt, weil sie sich nach dem Winde drehen?”), da man ansonsten von ihnen in den Staub geschleudert würde (Cyrano:”Oder aber zu den Sternen”).

    Gestalten der Weltliteratur, die über Jahrhunderte Teil des kulturellen Gedächtnis bleiben, sind nur am Anfang die, als die sie entworfen wurden (Wahrscheinlich kann man selbst dies leugnen). Dann fangen sie an, ein Eigenleben zu führen. Odysseus ist ein Teufelskerl, weil er durch eine List den Gesang der Sirenen lauschen kann. Oder er ist ein Idiot, weil der die Sehnsucht, die ihn dadurch befällt, bis zum Lebensende nicht mehr gezähmt bekommt. Was immer uns gerade besser in den Kram passt.