Tödlicher Feminismus

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Death Proof gilt auch unter den Fans von Quentin Tarantino als ein eher unbedeutender Film von ihm, eine Fingerübung, mehr nicht. Die Struktur ist sehr geradlinig, die Figuren scheinen direkt aus Exploitationfilmen der 60er und 70er übernommen, zentrales Element ist eine Autoverfolgung, die Dialoge muten geschwätzig an.

Wer an das Konzept ‘Spoiler’ glaubt, den Film gerne ohne Vorabinformationen sehen möchte, hört hier auf zu lesen.

Nach dem Anfang erwarten Sie, dass ich jetzt das Gegenteil beweise. Zu Recht. Ich möchte allerdings nicht einfach jeden einzelnen Punkt widerlegen, sondern eine Perspektive den Film zu sehen aufzeigen, die bisher untergegangen ist: als Metapher. Eine solche Lesart ist in den letzten Dekaden ohnehin aus der Mode gekommen, und gerade bei Quentin Tarantinos Werken stürzten sich Publikum und Kritiker lieber darauf, Anspielungen und Vorbilder zu finden. Seine große Stärke liegt dabei darin, aus solchen Versatzstücken etwas ganz eigenes zu bauen.

Der Plot

Für alle, die Death Proof nicht kennen: Es geht um zwei Gruppen von Frauen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten und ohne voneinander zu wissen, auf einen älteren Mann, der sich Stuntman Mike nennt treffen. Der zweistündige Film teilt sich klar in zwei Hälften, in der ersten bringt dieser Mike mehrere junge Frauen mit seinem Auto um. In der zweiten Hälfte sehen wir die zweite Gruppe Frauen sich wehren und den angeblichen Stuntman umbringen.

Die Figuren: Der Mann

Stuntman Mike, dargestellt vom alternden Kinder- und Actionstar Kurt Russell, fährt mit umgebauten, mattschwarz lackierten klassischen US-Musclecars durch den Süden der USA, offenbar nur auf der Suche nach jungen Frauen. Wir erfahren über ihn, dass er Stuntman in diversen 70er Jahre TV-Serien war. Direkt sagt er über sich selbst nicht mehr, aber sein Auftreten und einige Bemerkungen von ihm geben uns weitere Hinweise.

Wir können z.B. annehmen, dass er längst keine Jobs mehr bekommt, wo sonst hätte er die Zeit her, einsam durch Texas und Tennessee zu fahren. Auch erwähnt er, dass heute viel per CGI gemacht wird, während er noch aus der Zeit der handfesten Filmarbeit stammt, in der ein Mann einen Wagen gegen eine Wand setzte und heil aus dem Wrack steigen musste. Daher hat er seinen Wagen ‘death proof’ gemacht – abgesichert, um nicht zu sterben.1

Er ist ohne Frage ein Macho, er dominiert durch Größe, zeigt ein wettergegerbtes Gesicht mit kräftiger Narbe, versucht mit männlicher Härte zu beeindrucken. Über seine Motivation lässt sich nur spekulieren; Tarantino hält sich da an die alte Regel, dass eine monströse Bedrohung um so größer ist, je weniger wir über sie wissen.2

Mike steht im Film für die alte, männliche Welt. Eine Welt, die von Männern und deren Männlichkeitsritualen beherrscht wird, in der Mann sich nimmt, was Mann will. Frauen sehen hübsch aus, sind zulässiger Schmuck für diesen Mann, dürfen von ihm nach Gutdünken benutzt werden.

Die Figuren: Die jungen Frauen

In der ersten Hälfte finden wir insgesamt fünf Frauen, mit denen Mike ins Gespräch kommt, vier Freundinnen und eine  weitere, die nichts mit den vieren zu tun hat. Letztere ist alleine unterwegs und in der Bar, in der sich alle treffen, gestrandet, sucht eine Mitfahrgelegenheit.

Von den anderen vier hat eine einen Job als Radiomoderatorin bei einem lokalen Sender, der Rest scheint in den Tag hinein zu leben. Auch wenn alle vier mit Frauen Anfang bis Mitte 30 besetzt, scheinen sie in ihrer ganzen Art eher gerade die Highschool verlassen zu haben und noch nicht ganz klar zu sein, wo ihr Leben hingehen soll. Sie erscheinen uns unerfahren und unbestimmt abenteuerlustig. Ihre [geplanten] Interaktionen mit ihren männlichen Freunden, u.a. dargestellt von Eli Roth, erinnern nicht von ungefähr an 80er Jahre Slasherfilme, in denen mit Vorliebe Highschoolmädchen in und um eine Waldhütte von einem irren Killer umgebracht wurden.

Für den Abend haben sie sich vorgenommen, dass ein Mann, der eine bestimmte der vier Freundinnen mit ‘Butterfly’ anspricht, ihr einen Drink ausgibt und ein in US Highschools zum Unterricht gehörendes Gedicht von Robert Frost zitiert, von ihr einen Lap Dance bekommen soll. Ihnen ist die sexuelle Macht, die junge Frauen über Männer haben durchaus bewusst. Sie wollen sie einsetzen, wissen aber auch um die Gefahren – sie sprechen bewusst über unangenehme Typen –, denen sie ausweichen wollen, indem sie einfach sagen, die Nummer wäre für den Abend schon durch.

Nachdem Mike den Lap Dance bekommen hat, machen sich alle auf den Weg. Die vier jungen Frauen in ihrem Auto, die Anhalterin setzt sich zu Mike, der ihr den völlig inadäquaten Beifahrersitz schmackhaft macht. Und nach dem Losfahren voll hämischer Freude sagt, dass nur seine Seite gegen tödliche Unfälle gesichert sei. Einen Moment später ist sie tot, er jagt die anderen vier und provoziert einen Frontalzusammenstoß, den keine der Frauen überlebt.

Die Figuren: Die professionellen Frauen

In der zweiten Hälfte folgen wir vier Frauen, die im Filmgeschäft sind. Zwei von ihnen sind Stuntwoman, eine ist eine erfolgreiche, aufstrebende Schauspielerin, eine ist Maskenbildnerin. Alle vier sind, obwohl eher etwas jünger besetzt als die erste Gruppe, deutlich reifer und erfahrener. Ihre Gespräche drehen sich sehr viel um ihre Jobs. Auch sie wissen darum, wie schwanzgesteuert Männer oft sind und nutzen dies, um einem Hinterwäldler eine Probefahrt mit einem weitern klassischen US Musclecar abzuluchsen.

Wie bei der ersten Gruppe wird auch hier ohne Wissen durch das Opfer eine der Frauen durch die anderen quasi an die Männerwelt verkauft. Die Jüngste von allen, im Schulmädchenkostüm3, wird als Pfand für den Wagen zurück gelassen.

Wie in der ersten Hälfte werden die Frauen durch Mike gejagt, diesmal ohne ihn vorher getroffen zu haben. Er hat sie zwar vorher gestalkt, aber nicht mit ihnen geredet. Es kommt ihm also nicht darauf an, die Frauen, die er umbringen will, vorher kennenzulernen, es geht nicht um spezifische Verhaltensweisen oder Hintergrundinformationen, die seine Mordlust auslösen. Es geht nur um die Macht, Frauen ihr Leben nehmen zu können.

Diesmal allerdings wehren sich die Frauen und das trotz erheblich erschwerten Bedingungen, da eine von ihnen auf der Motorhaube liegt. Zweimal gewinnen die Frauen die Oberhand in einem Spiel und mit Kompetenzen, die vom alten, weißen Mann bestimmt werden. Er drängt ihnen die Autokarambolage/-verfolgung auf, wird dabei geschlagen. Als es zu einem Stopp kommt, und er alles als einen Scherz hinstellt, greifen die Frauen zu einer Schusswaffe und verletzen ihn.

Mike macht sich heulend aus dem Staub, erträgt die Schmerzen im angeschossenen Arm nicht, flucht über die Frauen, die sich zur Wehr setzten.4 Die Frauen drehen den Spieß jetzt um und verfolgen den mörderischen Stuntman, bringen seinen Wagen zum Überschlag, ziehen ihn aus dem Auto und verprügeln ihn nach bester Männermanier. Er wird wie ein Punching Ball durch Faustschläge ins Gesicht zwischen ihnen herumgeschleudert. Nachdem er zusammenbricht und am Boden liegt, wird er durch einen Tritt getötet.

Die Metapher

Death Proof zeigt uns einen alten, weißen Mann dessen Welt zu Ende geht. Er kann nur noch zuschauen, wie die moderne Welt seine Kompetenzen abschafft oder abgibt, seine Privilegien verschwinden wie seine Arbeit. In einem letzten Aufbäumen, seine Machtposition zu erhalten, baut er sich seine eigene, sichere Burg in Form eines Panzers mit Aussehen und Motor eines alten Männerautos – in der ersten Hälfte ein 1971er Chevy Nova, in der zweiten ein 1969er Dodge Charger. Der Penisersatz wird zur Rammburg.

Der alte, weiße Mann sucht sich junge Frauen, die früher leichte Beute für ihn waren und bezwingt sie indem er mit seinem Auto deren Wagen anbummst und penetriert. Sein schwerer, übermotorisierter Chevy hat leichtes Spiel mit dem kleinen Honda Civic der ersten Frauengruppe. Wie jeder Vergewaltiger sucht Mike einfach schwächere Personen. Die – meines Erachtens – sehr jungen Frauen aus der ersten Hälfte des Films5, lassen Mike schon wie einen Kindervergewaltiger aussehen.

Die zweite Gruppe gibt sich nicht mehr mit einem “Frauenauto” zufrieden, sie hat sich längst auch diese Domäne des Mannes geschnappt und fährt einen 1969er Ford Mustang.

Angegriffen werden sie, nachdem sie in einen anderen Klassiker umsteigen, einen 1970er Dodge Challenger, den der Mann mit seinem Charger zu penetrieren versucht und dabei gnadenlos scheitert. Salopp gesagt, stellt sich auch sein künstlich verstärkter Schwanzersatz als schlapper Hänger raus. Der alte, weiße Mann ist am Ende.

Die neue Welt gehört den Frauen, die sich Werkzeuge und Handlungen aneignen, die vorher den Männern zugeordnet waren.

Notes:
1. Natürlich hat der Begriff eine Doppelbedeutung, die er am Ende der ersten Hälfte des Films seinem ersten Opfer kurz erklärt.
2. Hitchcock beendet Psycho bewusst mit einer anti-klimaktischen Coda, in der vage freud’sche Thesen herangezogen werden, um Norman Bates Verhalten zu erklären.
3. Muss ich es wirklich extra schreiben: Eine typische Sexfantasie in Pornos.
4. Falls das jemandem bekannt vorkommt …
5. Vergessen wir nicht, dass er neben der Vierergruppe, die er durch Frontalaufprall umbringt, auch noch die Anhalterin von ihm getötet wird. Wir erfahren zwar nichts weiter über sie, sie scheint aber deutlich älter als die anderen Frauen angelegt zu sein.
  • Veröffentlicht in: Film

Nach dem Abitur habe ich an der Universität Hamburg Anglistik, Amerikanistik, Soziologie und Philosophie studiert. Den Magister Artium machte ich 1992/93, danach arbeitete ich an meiner Promotion, die ich aus verschiedenen Gründen aufsteckte. Ich beschäftige mich meist mit drei Aspekten der Literatur: - soziologisch [Was erzählt uns der Text über die Gesellschaft] - technisch [Wie funktioniert so ein Text eigentlich] - praktisch [Wie bringen wir Bedeutung zum Leser] Aber auch theoretische Themen liegen mir nicht fern, z.B. die Frage, inwieweit literarische Texte außerhalb von Literatur- und Kunstgeschichte verständlich sein müssen. Oder simpler: Für wen schreiben Autoren eigentlich?

2 Kommentare

  1. Toll!

    Wundervoll herasugearbeitet und analysiert. Auf diese Weise versteht man auch endlich die Tiefe in den Werken von Tarantino, selbst bei diesem oft als eher unspektakulär betrachteten Film!

  2. Bessere Hälfte

    “Die neue Welt gehört den Frauen, die sich Werkzeuge und Handlungen aneignen, die vorher den Männern zugeordnet waren.”

    Jawoll!

    Frauen sind die besseren Menschen , also ist es o.k. , wenn sie Verhaltensweisen an den Tag legen , die bei Männern zurecht hinterfragt werden.

    Das bezieht sich jetzt nicht so sehr auf den Film , der scheint mir die oben stehende Interpretation gar nicht herzugeben , sondern hört sich eher wie ein klassischer Killerfilm an , in dem die Opfer den Spieß umdrehen.

    “Der alte , weiße Mann”

    Sehr entlarvende Formulierung . Gemeint ist sicher dieser zweifellos ekelhafte Typ des “redneck” , des ultrakonservativen Volltrottels , der alles haßt , was irgendwie progressiv sein könnte.
    Wer aber die Glaubenssätze eines nicht minder vertrottelten Extrem-Feminismus – mit der Frauenbewegung nicht gleichzusetzen – herunterbetet , begibt sich nur auf die andere Seite des allzu dünnen Eises.