No Common Sense without Paine

BLOG: Con Text

Wörter brauchen Gesellschaft.
Con Text

Keine Angst, es geht auf Deutsch weiter, ich will ja keinen meiner raren Leser verschrecken.

Vor einigen Tagen machte ein bildhaftes Pamphlet im Internet die Runde. Dort wurden Porträts mehrerer Geistesgrößen der Vergangenheit einem deutlich größeren Foto einer jungen Blondine gegenübergestellt. Wer die Wissenschaftler, Philosophen und Menschenrechtler nicht erkannte, aber wusste, wer Paris Hilton ist, solle seine Bildung mal überprüfen. So der Urheber.

Die grundsätzliche Fragwürdigkeit* dieses eher mäßig lustigen Scherzes wurde schnell von vielen festgestellt. Neben fraglos wichtigen – und auch bildlich bekannten – Personen wie Einstein, Freud und Darwin tauchten auch Ayaan Hirsi Ali, Carl Sagan und Christopher Hitchens auf. Selbstverständlich finde ich es sehr schade, dass selbst gut gebildete Menschen Probleme hatten, Marie Curie, Nicola Tesla oder Thomas Paine zu erkennen. Letzterer ist immerhin er einer der ganz großen Polemiker der Weltgeschichte.

Was, Sie kennen Paine nicht?

Thomas Paine wurde in England geboren und reiste, wie seine amerikanischen Kollegen Benjamin Franklin und Thomas Jefferson in der Welt herum. Seine Ziele waren revolutionären Hochburgen seiner Zeit, erst ging es in die USA, später nach Paris. Jedesmal schrieb er feurige Artikel und Bücher, mit denen er die Menschen aufrief, das Heft in die Hand zu nehmen und sich zu befreien.

Sein erstes größeres Werk war Common Sense, in dem er messerscharf sezierte, weshalb ein ganzer Kontinent sich nicht von einer kleinen Insel tausende Kilometer entfernt regieren lassen sollte:

The cause of America is in a great measure the cause of all mankind. Many circumstances have, and will arise, which are not local, but universal, and through which the principles of all Lovers of Mankind are affected, and in the Event of which, their Affections are interested. The laying of a Country desolate with Fire and Sword, declaring War against the natural rights of all Mankind, and extirpating the Defenders thereof from the Face of the Earth, is the Concern of every Man to whom Nature hath given the Power of feeling; of which Class, regardless of Party Censure, is THE AUTHOR

[Thomas Paine (1776), Introduction to Common Sense. bezogen von PublicLiterature.Org]

Als sein Buch erschien, war die Amerikanische Revolution bereits in die bewaffnete Verteidigung der allgemeinen Menschenrechte, die Paine anführt, eingetreten. Auch wenn George Washington sich als natürlicher Anführer bereits bewährt hatte, mussten viele Menschen noch überzeugt werden, für mehr als die Pfründe der Landbesitzer zu kämpfen. Der Mann dafür war ein unbekannter Engländer, aus kleinen Verhältnissen kaum mehr als ein Jahr in den Kolonien.

Der Stift ist mächtiger als das Schwert**

Paine verbindet in seinem Erstling gekonnt Ideen der Aufklärung, des Rationalismus, seiner Erziehung als Quaker sowie einen Radikalismus, wie es in bis dahin kaum gegeben hatte. Aus seinen Schriften spricht tiefe Abscheu vor Ungleichheit und Ungerechtigkeit.

To the evil of monarchy we have added that of hereditary succession; and as the first is a degradation and lessening of ourselves, so the second, claimed as a matter of right, is an insult and an imposition on posterity. For all men being originally equals, no ONE by BIRTH could have a right to set up his own family in perpetual preference to all others for ever, and though himself might deserve SOME decent degree of honors of his cotemporaries, yet his descendants might be far too unworthy to inherit them. One of the strongest NATURAL proofs of the folly of hereditary right in kings, is, that nature disapproves it, otherwise, she would not so frequently turn it into ridicule by giving mankind an ASS FOR A LION.

[Thomas Paine (1776), Common Sense. bezogen von PublicLiterature.Org]

Während John Adams und Thomas Jefferson in die Tiefe dachten und viel Wert auf anspruchsvolles Schreiben legten, war es Paine, der den Geschmack und den Ton des einfachen Mannes auf dem Felde traf. Das ging so weit, dass vor allem John Adams den ungebildeten Engländer geradezu hasste

Common Sense […] was clearly written and contained a tolerable Summary of the Arguments which I had been repeating again and again in Congress for nine months. But I am bold to say there is not a Fact nor a Reason stated in it which had not been frequently urged in Congress. The Temper and Wishes of the People supplied everything at that time, and the Phrases (suitable for an Emigrant from New Gate, or who one who had chiefly associated with such Company) such as ‘The Royal Brute of England’, ‘The Blood upon his Soul’, and a few others of equal delicacy had as much Weight with the People as his Arguments. It has been a general Opinion, that this Pamphlet was of great Importance in the Revolution. I doubted it at the time and have doubted it to this day.

[John Adams (in den 1810ern), Autobiography. bezogen von National Humanities Center, PDF]

Wer ohne Kirche, werfe den ersten Stein

Es waren aber nicht nur persönliche Eitelkeiten, die Paine bei seinen gebildeten Zeitgenossen unbeliebt machte. Sie mochten die unkultivierten Massen nicht; aus ihrer Sicht durften radikale Ideen nur von der hoffähigen Elite diskutiert werden, dem Plebs war nicht zu trauen. Common Sense, The Rights of Man, The Age of Reason wandten sich aber explizit an diesen Pöbel. Sie stachelten an, sie riefen zur Revolution auf.

Thomas Paine stellte sich gegen Monarchien, gegen Unterdrückung durch geborene und selbst ernannte Aristokraten. Und er fand klare Worte zum organisierten Glauben:

My own mind is my own church. All national institutions of churches, whether Jewish, Christian or Turkish, appear to me no other than human inventions, set up to terrify and enslave mankind, and monopolize power and profit.

[Thomas Paine (1794), The Age of Reason. bezogen von USHistory.org]

[…] the christian religion is a parody on the worship of the Sun, in which they put a man whom they call Christ, in the place of the Sun, and pay him the same adoration which was originally paid to the Sun […]

[Thomas Paine (1803-05), An Essay on the Origin of Free-Masonry. bezogen von der Freimaurer Großloge von British Columbia und Yukon]

So etwas durfte Deisten wie Paine, Jefferson und viele anderer ihrer Zeit gerade noch unter sich sagen, aber die einfachen Leute durften das nicht hören! Die wären doch viel zu dumm, die müssten geführt werden! Übrigens war das auch damals schon kein neues Argument, wir finden das bei vielen Philosophen, wie Thomas Hobbes oder Plato.

Für den durchaus nicht ungläubigen Thomas aus Norfolk war das keine haltbare Position. Für ihn sind alle Menschen gleich geschaffen und geboren, niemand ist naturgegeben besser als sein Gegenüber. Er wollte alle Menschen informieren, damit jeder fundierte Entscheidungen treffen kann – auch in religiösen Fragen.

Sein Drang, jederzeit frei zu sein, war sein Niedergang. Ihm fehlten in entscheidenden Momenten die einflussreichen Freunde, z.B. vor Gericht [in Abwesenheit verurteilt] und bei seinem Ableben. Freunde, die sich für ihn einsetzten, die sein Gedenken bewahrten.

Thomas Paine – einer der freiesten. Einer der lautesten. Einer der wichtigsten. Kein großer Denker, aber einer der größten Rhetoriker der Freiheit.

 

 

 

*Ganz kurz: Die Auswahl ist willkürlich, drei der Personen sind kaum in derselben Kategorie wie der Rest, drei ander sind oft im Bild zu sehen, von einer Person gibt es sehr viele unterschiedliche Bilder, Paris Hilton wird auch denen dauernd aufgedrückt, die sich nicht für Klatsch interessieren.

**Auch so wird John Adams gerne zitiert: ‘Without the pen of the author of Common Sense, the sword of Washington would have been raised in vain.’

Nach dem Abitur habe ich an der Universität Hamburg Anglistik, Amerikanistik, Soziologie und Philosophie studiert. Den Magister Artium machte ich 1992/93, danach arbeitete ich an meiner Promotion, die ich aus verschiedenen Gründen aufsteckte. Ich beschäftige mich meist mit drei Aspekten der Literatur: - soziologisch [Was erzählt uns der Text über die Gesellschaft] - technisch [Wie funktioniert so ein Text eigentlich] - praktisch [Wie bringen wir Bedeutung zum Leser] Aber auch theoretische Themen liegen mir nicht fern, z.B. die Frage, inwieweit literarische Texte außerhalb von Literatur- und Kunstgeschichte verständlich sein müssen. Oder simpler: Für wen schreiben Autoren eigentlich?

9 Kommentare

  1. Oops, wie rede ich mich da jetzt raus?! Danke für den Hinweis, ich habe seinen Namen tatsächlich konzeptionell falsch geschrieben, lateinisch statt griechisch.

    Werde in Zukunft drauf achten.

  2. Ich weiß nicht, ob das auf Dauer so gut ist im Text kleine Fehler einzubauen, um Kommentare zu bekommen.

    😉

  3. @ Ali

    Ich habe mir schon überlegt, ob ich zu

    Keine Angst, es geht auf Deutsch weiter, ich will ja keinen meiner raren Leser verschrecken.

    etwas schreiben sollen, denn ein wenig weiter unten geht es los mit

    The cause of America is in a great measure the cause of all mankind. Many circumstances have, and will arise, which are not local, but universal, and through which the principles of all Lovers of Mankind are affected, and in the …

    Also, wäre ein dem Leser unterstellte Angst nicht unbegründet. Aber ich habe es dann doch nicht getan.

    Ich frug mich dann, ob ich mich mit der Kritik von Paine etwas genauer befassen sollte. Aber Kritik ans Christentum ist so in Mode gekommen, daß ich dem auch etwas überdrüssig bin.

  4. @Martin

    Das mit den englischen Zitaten … ja, ich habe einen Moment gestockt, mir dann aber gedacht, meine Leser sind alle gut gebildet und leben nicht in Passau.

    Paine kritisiert eben nicht alleine das Christentum, sondern allen organisierten Glauben. Das Zitat aus Age of Reason geht weiter:

    I do not mean by this declaration to condemn those who believe otherwise; they have the same right to their belief as I have to mine. But it is necessary to the happiness of man, that he be mentally faithful to himself. Infidelity does not consist in believing, or in disbelieving; it consists in professing to believe what he does not believe.

    Eine auch heute sehr zeitgemäße Einstellung, wie ich finde, wendet sich Paine doch gegen Heuchelei. Wir wollen auch nicht vergessen, dass sein Egalitarismus in seiner Erziehung als Quaker fußt.

    Ansonsten gilt, was ich oben schreibe, er ist kein origineller Philosoph, sondern ein sozialpolitischer Polemiker. Es lohnt sich also, ihn literarisch zu lesen, aber kaum, um neue Ideen zu finden.

  5. Paine als erster (?) Revolutionär

    Thomas Paine würde ich spontan mit Che Guevara oder einem anderen modernen Berufsrevolutionär vergleichen. Dass er mit seiner Auflehnung gegen Autoritäten sowohl weltlicher als auch kirchlicher Provenienz in den USA akzeptiert wurde – dort wohin es gerade viele Religiöse verschlagen hat – verwundert mich. Doch gerade weil es soviele Sektierer in den USA gab, war die (zukünfige) USA nur als säkularer Staat denkbar, denn eine gemeinsame religiöse Überzeugung fehlte und ein friedliches Zusammenleben war nur möglich, wenn man jeden nach seiner Facon leben liess.

  6. @ Dierk

    Ich weiß zu wenig von Paine und die Zeit in der er lebte. Deshalb kann ich seine Kritk nicht gut beurteilen. Aber was heutzutage so üblich, das kann ich beurteilen. Das ist mir alles viel zu einfach und zu einseitig. Natürlich gibt es da einiges zu kritisieren, aber das viele Gute wird einfach nicht berücksichtigt und unterm Teppich gekehrt. Überall wo sich Menschen organisieren gibt es Dinge, die aus dem Ruder laufen. Die auch kritisiert gehören und am besten geändert. Da muß man sich nur mal unsere Demokratie anschauen. Soll sie deswegen abgeschafft werden? Was soll statt dessen kommen? Und so ist mir auch die Kirchenkritik zu billig. Das ist mir zu oberflächlich und unausgewogen.

  7. Rare Leser

    Keine Angst, es geht auf Deutsch weiter, ich will ja keinen meiner raren Leser verschrecken.

    Worauf stützt sich Ihre Überzeugung, dass Sie nur wenige Leser haben? Weil nur wenige Leserbeiträge resultieren? Ich schreibe meist dann einen Beitrag, wenn ich mit dem Gesagten nicht einverstanden bin und ich lasse so manchen Beitrag unkommentiert, der mir gefallen hat.

    Dieser hier hat mir gefallen und macht Lust, sich etwas eingehender mit Paine zu beschäftigen.