Kunstrundgang

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Wörter brauchen Gesellschaft.
Con Text

Irgendjemand, der Pfingsturlaub in Hamburg macht? Sorry wegen des Wetters. Aber da es sehr kühl, sehr windig und vermutlich regnerisch sein wird, lohnt sich ein Ausflug nach drinnen. Wie wäre es mit der Hamburger Kunsthalle – die wurde renoviert und modernisiert, sowie am 30. April wieder eröffnet. Um das alles zu feiern, gibt es den ganzen Mai 100% Rabatt auf den Eintrittspreis. Richtig, Sie kommen gratis in die Hamburger Kunsthalle.

Fahnen mit 'Die Kunst ist zurück', dem aktuellen Werbe-Claim der wiedereröffneten Hamburger Kunsthalle

Pfeffersäcke

Ich war die letzten Wochen einige Male dort. Zwar ist die Hamburger Sammlung nicht überragend, dafür ist zu unsystematisch zusammengewürfelt. Bei zeitgenössischer Kunst – im inzwischen auch nicht mehr so neuen Neubau ‘Galerie der Gegenwart’ – ist das verzeihlich, da es einfach sehr viel gibt und niemand weiss, was sich halten wird. Nun ist jede Kunst irgendwann zeitgenössisch, ein glückliches Händchen der Kuratoren ist somit Voraussetzung für eine gute Sammlung.

Die Pfeffersack-Mentalität Hamburger Politiker war sicher nie besonders hilfreich, aber es gab Direktoren der Kunsthalle, die es schafften, aus wenig Geld gute Kunst zu machen. Erwähnenswert ist Alfred Lichtwark, der den Hamburgern ein gewisses Kunstverständnis beibrachte. Durch ihn gibt es einige interessanter Akzente in der Sammlung.Haupttreppe der Hamburger Kunsthalle von oben

Die Kuratoren der Kunsthalle haben sich für einen weitgehend chronologischen Rundgang entschieden und dabei für die Haupträume Gemälde und einige kleinere Skulpturen ausgesucht, die dem Besucher einen wirklich guten Einblick in die Evolution europäischer Kunst geben. Gestartet wird mit der illustrativen Kunst aus dem späten Mittelalter; aus früheren Zeiten gibt es hier nichts. Leider fehlen auch für spätere Zeiten grössere Bereiche der Kunstgeschichte, so finden sich zwar zahlreiche Bilder der deutschen Romantik, französischer Künstler des 19. Jahrhunderts und eine schöne Auswahl deutscher Künstler um 1900, britische und US-Künstler glänzen aber durch Abwesenheit in der Ausstellung.1

Christus in Gethsemane - sehr gutes Beispiel für ein durch irgendeinen Besitzer miserabel zugeschnitenes Bild, das in einen vorhandenen Rahmen passen sollteDie meisten Werke begleitet eine unauffällige Karte mit Namen des Künstlers, Titel und Jahre der Schöpfung sowie Hinweis auf den Erwerb durch die Kunsthalle.2 In Einzelfällen gibt es eine etwas ausführlichere Erläuterung auf einem A4-Blatt am Eingang der Räume; selbstverständlich gibt es einen Audio-Rundgang. Dazu gibt es an den Wänden einen kurzen Einführungstext zum Thema des Raumes sowohl auf Englisch wie auf Deutsch. Ich hoffe, dass diese noch einmal überarbeitet werden.

Erklärungstext zur Renaissance

Da kämpft man jahrelang gegen die irrige Auffassung, Menschen im Mittelalter hätten gedacht, die Erde sei eine Scheibe und dann wird hier Kopernikus mit dem ‘Beweis, dass die Erde eine Kugel sei’ angeführt. Das stand für ihn gar nicht zur Debatte, wie seit der griechischen Antike niemand ernsthaft an der kugelförmigen Erde zweifelte.3

Meisterwerke

Das klingt bisher alles wenig positiv, aber.

Abgesehen vom historisch ausgerichteten Rundgang, den ich konzeptionell für sehr gelungen halte, gibt es einige Meisterwerke zu sehen. Ganz, ganz grossartige je nach persönlicher Präferenz – von Caspar David Friedrich, Max Liebermann, Emil Nolde, Gustave Courbet, Andy Warhol. Und ein Stück, das mich ebenso überraschte, wie die Fachwelt in den 1980ern:

Büste Alessandro Peretti di Montalto von Gian Lorenzo Bernini

Ich betrat den Raum und gleich hinter der Tür, direkt an der Wand, fast schamhaft versteckt, steht diese Büste meines Lieblingsbildhauers Gian Lorenzo Bernini. Es ist ein Porträt Alessandro Peretti di Montaltos, das erst in den 1980ern als authentische Büste Berninis erkannt wurde. Was immer Sie sonst in der Hamburger Kunsthalle sehen, dies ist das Grossartigste und sollte in der Aussendarstellung einen viel grösseren Rahmen einnehmen.

Sollten Sie es mit der deutschen Romantik haben, wird sie die vergleichsweise grosse Zahl Bilder von Philipp Otto Runge freuen, auch wenn ich ihn für einen Kitscher halte. Deutlich wird das, verlässt man Runge und gelangt im nächsten Raum zu Caspar David Friedrich. Ja, sie dürfen sich auch vor den viel zu oft gesehenen Wanderer über dem Nebelmeer stellen, obwohl viele faszinierende Werke von ihm ausgestellt sind.

Interessant wird der Wanderer allerdings einige Räume weiter.

Ferdinand Hodler - Blick in die Unendlichkeit 2 [ein nackter Mann steh auf einem Fels über einer dichten Wolkendecke]

Ferdinand Hodlers Bild Blick in die Unendlichkeit 2 sieht doch aus wie eine direkte Referenz an Caspar David Friedrich. Ich weiss nicht, ob ihm das bewusst war, aber manchmal liegt Kunst auch im Auge des Betrachters, gerade bei der Interpretation – Künstler und Literaten selbst wissen auch nicht alles über ihre Werke. Hier bewährt sich das Konzept des Rundgangs besonders.

Hat man das erste Stockwerk und damit den Rundgang, der uns bis in die 1950er führt, hinter sich, geht es die Haupttreppe wieder hinab, ums Eck und eine weitere Treppe hinunter in den Keller, der vorbei an Werken ab 1960 in die Galerie der Gegenwart mit seinen Sonderausstellungen führt. Beispiele aus diesem Bereich kann ich wegen der Urheberrechtslage nicht zeigen. Das Portfolio reicht von Andy Warhols Suppendosen über Richard Serras Point on, Gerhard Richter bis Robert Ryman und weiter.

Blick auf die Galerie der Gegenwart mit Werbung für die Sonderausstellung Geta Bratescu

Notes:
1. Eine Ausnahme findet sich in einem Nebenraum, der eine kleine Auswahl aus dem Orientalismus zeigt.
2. Das gezeigte Bild – Christus in Gethsemane – wurde offensichtlich über die Jahrhunderte einem vorhandenen Rahmen passend zugeschnitten. Leider erläutert die Hamburger Kunsthalle das nicht.
3. Falls Sie nachschauen wollen: Pythagoras, Hipparchus, Aristoteles, Eratosthenes.

Nach dem Abitur habe ich an der Universität Hamburg Anglistik, Amerikanistik, Soziologie und Philosophie studiert. Den Magister Artium machte ich 1992/93, danach arbeitete ich an meiner Promotion, die ich aus verschiedenen Gründen aufsteckte. Ich beschäftige mich meist mit drei Aspekten der Literatur: - soziologisch [Was erzählt uns der Text über die Gesellschaft] - technisch [Wie funktioniert so ein Text eigentlich] - praktisch [Wie bringen wir Bedeutung zum Leser] Aber auch theoretische Themen liegen mir nicht fern, z.B. die Frage, inwieweit literarische Texte außerhalb von Literatur- und Kunstgeschichte verständlich sein müssen. Oder simpler: Für wen schreiben Autoren eigentlich?

2 Kommentare

  1. Pingback:Künstlerische Details | es bleibt schwierig

  2. Dierk Haasis: “Das gezeigte Bild – Christus in Gethsemane – wurde offensichtlich über die Jahrhunderte einem vorhandenen Rahmen passend zugeschnitten. Leider erläutert die Hamburger Kunsthalle das nicht.”

    Das Gemälde wurde laut Bestandskatalog 1929 erworben, über die Gründe für die Beschneidung weiß man wohl nichts genaues. Ich halte es für wahrscheinlicher, dass der Altarflügel entweder beschädigt war oder dass im fehlenden Teil Blendmaßwerk auflag, dass beim Auseinandernehmen des Altars entfernt wurde, wobei die Fehlstellen als störend empfunden wurden. Die “schäbige” Stelle wurde wohl abgesägt, um das Bild verkäuflicher zu machen. Die Judasgruppe links im Hintergrund war übermalt, vielleicht ebenfalls, um das Fragment nicht so fragmentarisch aussehen zu lassen. Die Tafel wurde 1929 in der Kunsthalle gespalten, die bemalte Rückseite mit der Geburt Christi ist ebenfalls in der Kunsthalle Hamburg. Ich kenne aber nicht die ältere Literatur zum Bild.

    So etwas könnte man natürlich im Museum erwähnen, allerdings sind eigentlich die meisten mittelalterlichen Tafelbilder Teile von größeren, aufgelösten Ensembles. Es gäbe oft sehr viel zum Erhaltungszustand zu berichten. Von diesem Altar haben sich z.B. mutmaßlich weitere drei beidseitig bemalte Tafeln in verschiedenen Sammlungen erhalten. Heute würde man solche Tafeln nicht mehr spalten.