Überfremdungsrhetorik–eine kleine Analyse einer kleinen Bemerkung

BLOG: Con Text

Wörter brauchen Gesellschaft.
Con Text

In diversen deutschen Nachrichtenmedien lese ich heute kurz nach dem Aufstehen:

Gauland beleidigt rassistisch Nationalspieler

Klingt erst einmal glaubwürdig. Der Ex-CDU-Mann und heutige Gauleiter der AfD beweist immer wieder eine grundsätzlich rassistische Weltsicht. Er ist da nicht weniger platt und offen als der Immer-noch-SPD-Mann Thilo Sarrazin.

Wie ich den Artikeln entnehme, hat Gauland genau gesagt

Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.1

Kurzer Hinweis für jene, die wie ich von Fussball überhaupt nichts verstehen: Jerome Boateng ist ein deutscher Fussballer, geboren 1988 in Berlin, deutsche Mutter, ghanaischer Vater.

Parteizugehörigkeit und frühere Äusserungen Gaulands lassen annehmen, dass er selbst dunkelhäutige Menschen mit schwarzen Haaren nicht als gleichwertig mit hellhäutigen, blonden Blut-und-Hoden-Deutschen sieht. Auch die Formulierung ‘einen Boateng’ deutet darauf hin. Insgesamt äusserte sich der AfD-Mann im Kontext der Sätze über Fremde und Überfremdung. Es ist klar, dass es ihm nicht um die Eigenschaft ‘Fussballer’ geht, wenn er von der schlechten Nachbarschaftlichkeit spricht. Auch andere, verdecktere Eigenschaft stehen nicht zur Debatte. Offensichtlich geht es ihm um die Hautfarbe des deutschen Nationalspielers.

Allerdings ist die Aussage, die er trifft, vor allem eine empirische überprüfbare. Nicht etwa über Boateng oder generell Dunkelhäutige für sich, sondern über Heuchelei. Er sprocht darüber, dass deutsche Fussballfans – und jene, die mit Fussball nichts am Hut haben, deutsche Wettbewerber aber gerne siegen sehen – dem Fussballer Jerome Boateng in seiner Funktion als Mitglied der deutschen Herrenfussballnationalmannschaft zujubeln, ihn aber nicht in der Wohnung neben sich wohnen haben möchten. Ihn oder Menschen, die so aussehen wie er.

Damit beweist Gauland mehr Einsicht, als so manch einer seiner Gegner; er erkennt, dass Menschen mehrere Funktionen, gewählte wie zugewiesene, haben können, und dass diese Funktionen bei Beobachtern durchaus unterschiedlich wahrgenommen und betrachtet werden, auch wenn der Inhaber der Funktionen derselbe ist.

Kurz: Der schwarze Fussballer Boateng geht auch für mässig radikale AfD-Rassisten vollkommen in Ordnung. Der schwarze Nachbar Boateng wird hingegen nicht geduldet.

Wenn ich hin und wieder mitbekomme, was auf Fussballplätzen so abgeht, ist der empirische Gehalt der Aussage Gaulands nicht wirklich weit hergeholt. Fans beleidigen Spieler bereits aufs übelste, weil diese nicht beim eigenen Verein spielen. Klassisches Gruppendenken, wir sind die Guten, die sind die Bösen. Dieses Denken finden wir auch ausserhalb von Sportveranstaltungen – von Beatles-Fan vs. Stones-Fan bis zu gute Nord-EU-Mitglieder vs. schlechte Süd-EU’ler. Rassismus ist die übelste Form dieser Denkweise.

Gauland beleidigt weniger Boateng – sein ‘einen Boateng’ kann beleidigend für alle Schwarzen und auch Boateng gelesen werden –, als vielmehr deutsche Nachbarn. Denn auch über die generalisiert der AfD’ler. Womöglich zu Unrecht. Ich habe kein Problem mit Nicht-Blut-und-Hoden-Deutschen als Nachbarn. Ich kenne viele Menschen, denen die Hautfarbe als Kriterium für schlechte Nachbarschaft egal ist.

Ich weiss allerdings nicht, wie viele hellhäutige Weisse das auch so sehen. Vielleicht hat Gauland Recht, vielleicht möchte ein sehr grosser Teil der Deutschen keinen Schwarzen als Nachbarn. Das müssten wir prüfen. Das sollten wir prüfen. Sollte er nämlich Recht haben, müssen wir darüber reden, müssen wir dagegen etwas tun. Dann nützt es wirklich nichts, jeden braunen Furz eines AfD’lers zum Witz zu machen, jede Bemerkung von denen hysterisch als rassistisch in den Papierkorb werfen zu wollen.

Gehet hin und fraget eure Nachbarn, was sie davon halten, wenn ein dunkelhäutiger Deutscher ins Haus ziehen würde. Lasst uns hoffen, Gauland hat Unrecht. Lasst uns hoffen, die weitaus meisten Deutschen stören sich nicht an Hautfarben.

Notes:
1. Gefunden z.B. bei der FAZ.

Nach dem Abitur habe ich an der Universität Hamburg Anglistik, Amerikanistik, Soziologie und Philosophie studiert. Den Magister Artium machte ich 1992/93, danach arbeitete ich an meiner Promotion, die ich aus verschiedenen Gründen aufsteckte. Ich beschäftige mich meist mit drei Aspekten der Literatur: - soziologisch [Was erzählt uns der Text über die Gesellschaft] - technisch [Wie funktioniert so ein Text eigentlich] - praktisch [Wie bringen wir Bedeutung zum Leser] Aber auch theoretische Themen liegen mir nicht fern, z.B. die Frage, inwieweit literarische Texte außerhalb von Literatur- und Kunstgeschichte verständlich sein müssen. Oder simpler: Für wen schreiben Autoren eigentlich?

13 Kommentare

  1. Stimmige Analyse. Mir scheint auch, dass Gauland da die Haltung einer Menge Deutscher, die keineswegs alle AfD-Anhänger sein müssen, richtig beschreibt. Für die Bewertung müsste man nun noch wissen, ob G. sich die Position (“Als Fußballer ok, aber bitte nicht als Nachbar”) zu eigen macht. Erst dadurch kommt der Rassismus rein.

  2. Natürlich hat Gauland recht – wenn man ihm recht geben will. Natürlich wollen wir alle lieber Nachbarn haben, die genau so sind wie wir selber, die vom andern Geschlecht und attraktiv sind, die ebenfalls Fußballfans sind, die auch sonst die gleichen Hobbies haben, die der gleichen Konfession angehören, die keine Haustiere und keine Kinder haben, und so weiter. Die logische Schlussfolgerung ist die Abneigung gegen diejenigen oder die Ablehnung derjenigen, die nicht in die Schablone passen.

    Das Perfide an Gaulands Aussage ist aber, dass er solche Präferenzen, speziell die Abneigiung gegen dunkle Hautfarbe, als legitim suggerieren will, dass er sie moralisch rechtfertigen will. Damit will er das Einverständnis einer vermeintlichen Mehrheit des Volkes suggerieren, nicht anders als die Nazi-Propaganda mit “Volksgesundheit” und “Volkskunst”. Damit wird dem Faschismus Tür und Tor geöffnet. Gauland ist Publizist und clever genug, das genau zu wissen und mit voller Absicht zu fördern.

  3. Dämliches Geschwurbel eines Pseudo-Wissenschaftler mit der üblichen Hetze der linken pc-Deppen.

  4. Ich würde Herrn Boateng auch nicht in die Gruppe meiner Lieblingsnachbarn einordnen. Das liegt allerdings nicht an seiner Hautfarbe, sondern daran, dass ich für deutsche Nationalfußballspieler keine sonderlich positiven Gefühle hege. Ich weiß, dass es auch daran liegt, dass ich keinen persönlich kenne, sondern dass mein Vorurteil auf den Plattitüden beruht, die sie in irgendwelchen Sportsendungen heraus stammeln.

    Allerdings bin ich sicher, dass Herr Boateng sich erheblich intelligenter und differenzierter ausdrückt, als Sie Herr Murx es vermögen.

  5. Ich weiss allerdings nicht, wie viele hellhäutige Weisse das auch so sehen. Vielleicht hat Gauland Recht, vielleicht möchte ein sehr grosser Teil der Deutschen keinen Schwarzen als Nachbarn. Das müssten wir prüfen. Das sollten wir prüfen. Sollte er nämlich Recht haben, müssen wir darüber reden, müssen wir dagegen etwas tun.

    Hier wird sich gerne angeschlossen, ob Gauland dbzgl. gemeint hat und halbwegs richtig oder gänzlich falsch zitiert worden ist, darf als Möglichkeit im Hinterköpfchen bleiben.

    MFG
    Dr. Webbaer (der ‘Gauland beleidigt rassistisch Nationalspieler’ erst einmal nicht glaubt, auch weil die Beleidigung ein Straftatbestand ist und Herr Gauland dem Schreiber dieser Zeilen in den letzten Jahrzehnten nicht auffiel)

  6. Gauland ist immerhin offen und damit angreifbar , die gefährlicheren Rassisten verbergen sich hinter dem Etikett des Guten , des “politisch Korrekten” , ohne deren umgekehrte Einseitigkeit die Rechten keine Chance hätten.

    @anton reutlinger

    “Das Perfide an Gaulands Aussage ist aber, dass er solche Präferenzen, speziell die Abneigiung gegen dunkle Hautfarbe, als legitim suggerieren will, dass er sie moralisch rechtfertigen will. ”

    Exakt. Der Satz Gaulands könnte genauso von einem Liberalen stammen , der einen Teil der Bevölkerung kritisieren will. Liberale können das oft kaum glauben , daß Rechte damit schamlos begründen , daß dieser Teil dann eben vor schwarzen Nachbarn zu schützen sei.

  7. Das ist natürlich richtig, dass der Satz Gaulands auch eine Aussage über Nachbarschaftspräferenzen trifft und insofern sachlich weniger falsch ist, als er rhetorisch gemeint war. Allerdings weiß jeder, dass die Intentionen der AfD nicht gegen den Abbau der Vorurteile gehen, sondern auf deren Festigung und Ausschlachtung für die eigene Wachstumsstrategie.
    Interessant sind an dem kleinen Vorfall soziologisch sowieso zwei andere Aspekte.
    Der 1.) ist die Beobachtung, dass das AfD-Milieu massive Probleme mit der bunten Zusammensetzung der Nationalmannschaft hat – da wird eine gesellschaftliche Realität sichtbar, die der These widerspricht, der AfD-Rassismus wäre repräsentativ für “Das Volk”. Aus AfD-Sicht ist diese Nationalmannschaft quasi “Antipropaganda” und dabei so wirksam, weil sie rein visuell-emotional erfolgt, jenseits von politischen Fragen. Es gab ja schon den Milchschoko-Aufreger – ich würde drauf wetten, dass wir in den nächsten Wochen noch weitere Ablehnugswellen gegen die realitätsfremde Borniertheit des AfD-Milieus erleben werden, gerade auch wegen dieses Spruchs Gaulands.
    Der 2. Aspekt ist, dass solche verblüffenden Diskutier-Wellen die Auseinandersetzung über Normen stimulieren und den Normwandel beschleunigen können. Die versteckten Tiefen der Vorurteile sind ja das eine, das andere sind die manifesten Selbstbilder, die letztlich handlungsleitend werden. Je mehr Menschen jetzt zustimmen, “gegen Farbige in der Nachbarschaft darf man nichts haben, nur weil sie eine andere Hautfarbe haben – das geht ja wohl gar nicht”, desto mehr muss sich diese “Moral” mit der Zeit durchsetzen.
    Genau an dieser Stelle zwischen alter Borniertheit und neuer Bewusstseinsentwicklung liegt die große Schmerzstelle des AfD-Milieus. Diese Menschen empfinden die Fortschritte im Bewusstsein als “Political correctness”, als lediglich medial verlautbarte “Moral” und als Sprechverbot für die “Meinungen” aus den Truhen der alten Borniertheiten, denen man selbst noch offensiv anhängt. Wenn man es so empfindet, tut das natürlich enorm weh – aber dieser Diskrepanzschmerz kann ja auch nicht ewig aufrechterhalten werden, sondern muss sich entlang von Erfahrungen differenzieren – prototypisch dafür steht die “Entschuldigung” von Petry, an der nun wieder die Neo-Nazi-Segmente in der AfD zu knabbern haben, die noch enger mit den obsoleten Borniertheiten verheiratet sind.
    Wie auch immer, mit all diesen TV-Erzählungen einer unproblematisch-bunten Welt hat “Das Volk” gravierende Einordnungsprobleme – außer Fußball gibt es da massenhaft weiteres Material im TV, denken Sie nur an Casting-Shows. Fußball ist lediglich der universalste Entertainment-Content, daher tut die “Meritokratie” der Nationalmannschaft einigen Menschen gerade enorm weh. Die ganze Integrationsdebatte läuft medial im Bereich der Populärkulturen und praktisch im beruflichen Alltag viel wirksamer als in Philosophengesprächen und Feuilletonartikeln. Man kann da auch an Alexander Kluges “Kraft der Erfahrung” denken. Diese Erfahrung ist auch stärker als die Frage, ob soundso viel Prozent der Deutschen nicht mit Afrikanern im gleichen Haus wohnen wollen.

  8. Gaulands Äusserung könnte die Rechtfertigung eines Faktums sein, denn genau das – alltäglichen Rassismus – wirft man hier in Europa ja beispielsweise den US-Amerikanern und speziell der Polizei dort vor (unter anderem weil sie immer wieder unbewaffnete Schwarze erschiesst). Dass die Europäer anders und insbesondere weniger rassistisch als die weissen US-Amerikaner sind, ist nicht von vornherein klar. Eine Skandalisierung von Gaulands Äusserung macht dennoch Sinn, vor allem wenn Gauland etwas Faktisches, aber Schlechtes, rechtfertigen wollte. Nicht alles was so ist wie es ist, ist gut, nur weil es so ist wie es ist.

    • @ Herr Holzherr :

      Eine Skandalisierung von Gaulands Äusserung macht dennoch Sinn, vor allem wenn Gauland etwas Faktisches, aber Schlechtes, rechtfertigen wollte.

      ‘Skandalisierungen’ machen nie Sinn, es macht Sinn Skandalöses medial oder politisch oder medial-politisch zu benachrichtigen. [1]
      Ihr Kommentatorenfreund findet es “nicht wirklich” cool, wenn FAZ-Kräfte wie Eckart Lohse und Markus Wehner aus Hintergrundgesprächen unautorisiert und ausschnittsweise berichten ohne ein (Gesamt-)Transcriptum der Unterredung bereit zu stellen.
      Letzteres müsste nun, Vertrauensbruch hin oder eher, ob dieser vorliegt oder auch nicht, schon geschehen, wie Ihr Kommentatorenfreund findet.

      MFG
      Dr. Webbaer

      [1]
      Die Herabsetzung (vs. Beleidigung) des Herrn Gauland könnte darin bestanden haben, dass er den Leuten etwas unterstellt hat, das er nachvollziehbar findet.

    • In den USA kommt zum Rassismus nocht ein anderer Aspekt hinzu, den man nicht vergessen darf: die Waffengesetze. Der Polizist in USA muss immer damit rechnen, dass sein Gegenüber, sei es nur bei einer harmlosen Straßenkontrolle, bewaffnet sein kann. Also greift er selber viel schneller zur Waffe als bei uns. Das ist ein Fakt, den die Amerikaner offenbar nicht erkennen und die Waffenlobby selbstverständlich partout leugnet. Dazu kommt dann noch die soziale Ungleichheit der Farbigen und ein der Folge eine höhere Kriminalitätsrate.

  9. Alles richtig Herr Haasis,
    allerdings nehme ich an, dass Herr Gauland eine bestimmte Intention hatte. Und Sie sehen ja auch an den Reaktionen, wer sich hauptsächlich bestätigt fühlt.
    Es gehört unter Umständen wenig dazu einen Mob zu kreieren, und ich muss zugeben, dass ich nicht unbedingt möchte, dass alle Teilrassisten sich jetzt verstärkt outen.
    Schwieriges Thema…….

  10. Für den richtigen Rassisten ist es keine Frage, ob ein Boateng zum Nachbarn werden soll oder auch lieber nicht. Der richtige Rassist mag es wohl lieber sehen, wenn ein Boateng (oder Gleiche) hinter der Grenze dieses Landes (oder Kulturkreises) irgendwo Nachbar eines Anderen sei, als auch nur irgendwo im Lande irgendeines Nachbarn wäre.

    Auf Deutsch: Ob Boateng Nachbar in Deutschland sei oder nicht, ist demnach gar nicht die Frage.

    Ich bin übrigens Nachbar einer Familie mit der Hautfarbe schwarz. Ganz grob hat sich seit dem Einzug nichts verändert. Weder an der grundsätzlichen Nachbarschaft, noch alltäglich in meiner Wahrnehmung und Haltung dazu. Mir ist es egal, wer da mein Nachbar ist. Ich nehme auch die Pakete solcher Nachbarn an.

    Ich würde aber niemals anderen Menschen vorschreiben, wen sie als Nachbar zu akzeptieren haben.