Die Vergänglichkeit von Daten: Das Lunar Orbiter Image Recovery Project

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Was geschieht eigentlich mit Daten abgeschlossener Raumfahrtmissionen? Ein aktueller Artikel bei spiegel-online ("Die Mondschatz-Jäger") beschreibt das "Lunar Orbiter Image Recovery Project" (LOIRP) der NASA zur Rettung bzw. Erhaltung jenes Datenmaterials, welches die fünf NASA-Lunar-Orbiter-Missionen zwischen 1966 und 1967 sammelten. Dieses Projekt wird hoffentlich Schule machen, damit auch Daten anderer Raumfahrtmissionen gerettet werden, deren gesammeltes Datenmaterial derzeit noch auf historischen Datenträgern in moderigen Kellern gammelt.

Die fünf Mondsonden Lunar Orbiter 1 bis 5 umkreisten zwischen August 1966 und August 1967 den Erdtrabanten auf niedrigen elliptischen Bahnen, um ihn mit einer bis dahin unerreichten Genauigkeit von bis zu 2 Metern (in der Regel bis 60m) vollständig zu kartieren. Hauptziel der Lunar-Orbiter-Missionen war die Auswahl und genaue Erkundung potentieller Landeplätze der Apollo-Missionen. Daneben untersuchten die fünf Sonden auch das Schwerefeld des Mondes und ermöglichten Aussagen über seinen inneren Aufbau seines inneren Aufbaus.

Die Fotos zweier paarweise eingesetzter Kameras (mit Objektiven unterschiedlicher Brennweiten bestückt) wurden auf Film belichtet, entwickelt, fixiert und danach elektronisch abgetastet. Diese Bilddaten wurden zur Erde gefunkt und hier auf Datenbändern gespeichert. Das technische Verfahren wird in diesem Wikipedia-Artikel detailliert beschrieben: Lunar Orbiter. Die Daten u.a. der insgesamt 3062 gewonnenen Bilder der fünf Lunar-Orbiter-Missionen füllten 1500 Datenbänder.

Ihren Zweck hatten die Lunar-Orbiter-Daten schnell erfüllt; wie wir wissen, waren die Apollo-Missionen, deren Vorbereitung sie dienten, erfolgreich. Die Magnetbänder wurden aufbewahrt, die Lesegeräte (Ampex FR-900) starben aus. Mit dem "Lunar Orbiter Image Recovery Project" wurde eine Notbremse gezogen; die Lunar-Orbiter-Daten werden heute in aufwendigen Verfahren mit restaurierten Lesegeräten ausgelesen und lesbar gehalten. Ob es sich so zugetragen hat, wie im Spiegel-Artikel behauptet, kann ich nicht beurteilen: Hier heißt es, die Rettung der Lunar-Orbiter-Daten vor dem drohenden Recycling im Jahre 1986 sei letztlich dem Privatengagement einer Archivarin zu verdanken. Aber letztlich ist das auch egal, Hauptsache, diese Daten werden in die Gegenwart gerettet, zumal sie eine hervorragende Gelegenheit bieten, durch Vergleiche mit aktuell gewonnenen Bilddaten eventuellen Veränderungen auf der Mondoberfläche auf die Spur zu kommen.

Was zeigt dieses Beispiel? Zum einen die Notwendigkeit solcherlei Datenrettung und -erhaltung, weil – mit gigantischem und teurem Aufwand gewonnene – Daten fast immer Verborgenes enthalten, das erst zu späteren Zeitpunkten erkennbar wird. Vieles wird bei ersten Auswertungen übersehen, erscheint später in ganz anderem Licht, oder kann mit zukünftigen Methoden erst in der Zukunft überhaupt ausgewertet werden.

Zum anderen führt uns dieses Beispiel die generelle Vergänglichkeit von Daten vor Augen. Unser Umgang mit Daten ist kritisch, hängt doch heute eine Menge mehr von ihnen ab als noch vor einigen Jahrzehnten. Wer verfügt heute noch über einen PC, der 3,5"-Disketten oder gar noch 5,25"-Disketten lesen kann? Hinzu gesellt sich das Problem stetig neuer Dateiformate. Lesen allein hilft nicht weit, weil alte Formate mit neuer Software selten noch lesbar sind. Die Daten meiner Diplomarbeit beispielsweise habe ich – just for fun – bereits mehrfach in gängige Dateiformate konvertiert. Die statistischen Datenmassen, Text und Grafik: Keine einzige der ursprünglichen Dateien wäre mit heutiger Hard- und Software noch ohne Probleme und vollständig lesbar.

Was Bilder betrifft: Ich zähle noch zur altmodischen Fraktion, die zur Fotografie gerne – und zunehmend häufig – analoges Equipment einsetzt. Filme werden mich mit ihrer Lebenserwartung von rund 100 Jahren ziemlich sicher überleben, digitale Daten hingegen keineswegs. Und zum "Lesen" eines Film wird auch in der Zukunft ein Vergrößerungsglas genügen. Wir werden übrigens als gesichtslose Generation in die Geschichte eingehen, weil künftig von uns viel weniger Bilder überleben werden als von unseren Vorfahren. Die Kiste mit Abzügen auf Baryt-Papier (das locker 100 Jahre überlebt), die unsere Großeltern als Kinder zeigen, wird es von uns viel seltener geben. Schon heute geschieht es allzu oft, dass uns Daten abhanden kommen. Für Fotos, die ein paar Jahre halten sollen, würde ich den Ratschlag geben: Hochwertige Ausbelichtungen, aber keine billigen Plots, die nur wenige Jahre lichtbeständig sind.

Der Privatmensch lernt im Umgang mit Daten, dass Nachlässigkeit schnell bestraft wird. Das hat meist keine gravierenden Folgen. Im Umgang mit Daten wissenschaftlicher Projekte oder Raumfahrtmissionen hingegen verbietet sich jede Nachlässigkeit. Im Prinzip handelt es sich bei solcherlei Datenmaterial um Weltkulturerbe. Hier ist eine wesentlich striktere Ethik gefordert, damit Erkenntnisse nicht verschwinden, ehe sie überhaupt ausgewertet werden. Denn wer kann um die verborgenen Schätze auf alten Datenträgern beispielsweise der NASA wissen, die auf ihre Rettung noch warten?

Clear Skies! Stefan Oldenburg

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Astronomische Themen begeistern mich seit meiner Kindheit und ich freue mich, Zeuge des goldenen Zeitalters der Astronomie zu sein. Spannende Entdeckungen gibt es im Staccatotakt, aber erst im Erkunden unserer kosmischen Nachbarschaft mit den eigenen Augen liegt für mich die wirkliche Faszination dieser Wissenschaft. "Clear Skies" lautet der Gruß unter Amateurastronomen, verbunden mit dem Wunsch nach guten Beobachtungsbedingungen. Deshalb heißt dieser seit November 2007 bestehende Blog "Clear Skies".

4 Kommentare

  1. absolut!

    Neulich erzählte ein Bonner Astronom am Rande eines Vortrags, er habe versucht, auf Magnetband gespeicherte Daten einer gut zehn Jahre alten Beobachtungsreihe zu lesen, doch das Band war schon so kaputt, daß es nicht mehr lesbar war.

  2. Aussagen seines inneren Aufbaus

    hat der endlich ausgesagt?

    Schreib’ doch bitte “Aussagen über”, sonst ist das so wie “in Abhängigkeit seines Aufbaus”, was mich regelmäßig schüttelt.

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