Abgetaucht ins Universum

BLOG: Clear Skies

Astronomie mit eigenen Augen
Clear Skies

Welch herrliche Sommernacht war das gestern, die so alles hatte, was sich der Amateurastronom wünscht, um tief ins All abtauchen zu können: Neumond, wolkenfreier Himmel, ein erstaunlich gutes Seeing, und ein abgelegenes Plätzchen zum Beobachten.

Kaum ist die Sonne gestern untergegangen, mache ich mich mit meinem 10-Zoll-f/5-Dobson auf den Weg an einen feinen Beobachtungsplatz im tiefen Odenwald, der ausreichend weit weg liegt vom Licht des Rhein-Neckar-Raums. Die Milchstraße erstreckt sich eindrucksvoll übers Firmament, fast von Horizont zu Horizont. Von meinen "Hausbeobachtungsplätzen" ist dieser der dunkelste, weshalb ich ihn häufiger ansteuere. Er liegt in rund 400 Metern Höhe und ist nur erreichbar, wenn man mehrere Verkehrsschilder auf dem Weg dorthin großzügig übersieht. 😉  Das Plätzchen bietet gute Rundumsicht wenngleich im Westen die Rhein-Neckar-Lichtglocke daran erinnert, in unseren Breiten leider keinen richtig dunklen Sternhimmel mehr finden zu können.

Das Teleskop ist schnell aufgebaut und der Hauptspiegel darf sich in Ruhe der Umgebungstemperatur anpassen. Zeit genug für eine Abschätzung der Grenzgröße anhand von UMi: Den kleinen 5.5-mag-Stern direkt neben Eta UMi (5.0 mag) kann ich locker erkennen, ich schätze, da ist mehr drin.

Noch brodelt der Spiegel, ich richte ihn dennoch – auch zum Justieren von Telrad und Sucherfernrohr – auf Jupiter, der knallhell die Nacht dominieren wird und im Sternbild Steinbock strahlt. Vor wenigen Tagen stand er in Opposition und das reflektierte Sonnenlicht ist von ihm derzeit eine gute halbe Stunde unterwegs. Im Übersichtsokular erscheint der Riesenplanet bei 46-facher Vergrößerung wunderbar scharf und lässt erste Details erkennen. Ich werde ihn mir in dieser Nacht noch mehrfach anschauen, zumal der Tanz der vier Galileischen Monde (vom Meister vor 399 Jahren entdeckt und als "Mediceische Gestirne" bezeichnet) um den Gasplaneten immer spannend anzuschauen ist, in dieser Nacht wieder mal besonders. So beobachte ich, während Jupiter im Laufe der Nacht hoch und höher steigt, wie sich Ganymed ganz langsam vor die Jupiterscheibe schiebt.

Hoch steht inmitten der Milchstraße das Sternbild Schwan, Cygnus, und ich beginne meine Tour beim Doppelstern Albireo, dessen beide Komponenten den berühmt-schönen Farbkontrast orange-blau zeigen. Ich fahre die Linie hin zum Deneb und suche kurz hinter Albireo das erste schwierigere Objekt des Abends, den rund 8000 Lichtjahre entfernten Gasnebel Minkowski 92, der auch den Namen "Minkowski’s Fußabdruck" trägt. Tja, wo isser denn? Der Gasnebel ist winzig, aber ich sah ihn schon mit 10 Zoll. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn tatsächlich habe, zumindest glaube ich es und denke mal wieder darüber nach, wie sehr man am Teleskop oft am Rande der Wahrnehmungsfähigkeit balanciert. Ich suche direkt "einfachere" Objekte auf, den rund 2000 Lichtjahre entfernten Cirrusnebel (NGC 6960 und NGC 6992/5). Im 27-mm-Okular ist NGC 6960 schon ohne Filter gut sichtbar, auch der gegenüber liegende NGC 6992/5 zeigt sich, wenngleich etwas schwächer. Also OIII-Filter reingeschraubt und da ist er wieder, der Wow-Effekt! Das feine Filament um 52 Cyg leuchtet regelrecht und ich fahre es etliche Male ab, ohne mich satt sehen zu können. Die Filamente von NGC 6992/5 sind etwas schwächer, dafür ebenso fein verzweigt und detailreich. Besonders beeindruckt bin ich vom Anblick durch das Ethos-13-mm-Okular. Hier spielt es seine Power voll aus: Hohe Vergrößerung, riesiges Gesichtsfeld und starker Kontrast zum Himmelshintergrund. Einfach geil, um das mal so in den Scilogs sagen zu dürfen! 😉  Ich blicke mit eigenen Augen auf die Spuren einer Supernova, die unseren Vorfahren vor etwa 50.000 Jahren hell am Himmel erschienen ist. Übrigens war es Wilhelm Herschel, der den Cirrusnebel im Jahre 1784 entdeckte. Bei jenen Filamenten, die im Okular mit einem OIII-Filter zu sehen sind, handelt es sich nicht um die Überreste des explodierten Sterns selbst, sondern um interstellare Materie, die von der Schockfront der Supernova erfasst und zum Leuchten angeregt wird. Allein die vielen Objekte im Sternbild Schwan reichen aus für viele Beobachtungsnächte, doch ich wandere weiter durchs All.

Noch ist das 13er-Ethos mit 100 Grad Gesichtsfeld im Okularauszug und ich peile M 57 im Sternbild Leier, Lyra, an. Auch hier der selbe Effekt, den keiner einschätzen kann, der nicht mit solchen Okularen beobachtet hat, die ein kleineres Gesichtsfeld haben. Selbst ein Weitwinkelokular mit 70 Grad scheinbarem Gesichtsfeld hat nicht ansatzweise diesen Zauber des Ethos. Der berühmte Ringnebel in der Leier, der rund 1800 Lichtjahre entfernt ist, steht ohne Suche direkt im Okular, mit der 96-fachen Vergrößerung sehe ich ihn detailreich, habe dennoch die gesamte Himmelsumgebung im Blick, und selbst dieses relativ kleine Objekt wirkt majestätisch.

Ich wandere weiter mit dem Ethos über´s Firmament, das ja vor gut zwei Jahren das erste der 100-Grad-Linie war, das uns der geniale Okularkonstrukteur Al Nagler bescherte. Auch die beiden Kugelsternhaufen M 13 und M 92 im Sternbild Herkules erscheinen in diesem Okular ungemein beeindruckend. Die Zentren sind aufgelöst, auch jenes des kompakteren M 92, und doch wirken beide Objekte ungemein majestätisch, weil ich nicht nur einen Ausschnitt sehe. Ich spiele hier mit verschiedenen Vergrößerungen und komme doch immer wieder auf das 13er-Ethos zurück.

Im kleinen, eher unscheinbaren Sternbild Füchschen, Vulpecula, das eingebettet in die Milchstraße zwischen den auffälligeren Sternbildern Schwan und Pfeil liegt, findet sich der prachtvollste aller Planetarischen Nebel, der rund 1300 Lichtjahre entfernte Hantelnebel M 27. Wirkt er bei niedriger Vergrößerung noch wie ein kleiner Fleck, so enthüllt er seine namensgebende Form – er sieht in der Tat aus wie eine Hantel – erst bei Vergrößerungen ab etwa 100-fach, also auch wieder ein tolles Objekt für das 13er-Ethos. Ich will hier keine Werbung machen, aber dieses Okular lässt mich viele Himmelsobjekte, die ich seit langer Zeit kenne, mit völlig neuen Augen sehen. In dieser Himmelsregion stolpert man geradezu über spannende Objekte und namenlose Sternformationen. Ein kleiner, feiner offener Sternhaufen, der ins Auge sticht, ist der sog. "Kleiderbügelhaufen", Collinder 399. Als hätte jemand einen umgedrehten Kleiderbügel ans Firmament geheftet! Nicht weit von dieser abstrusen Laune der Natur findet sich im Sternbild Pfeil, Sagitta, jenes Objekt, dem Messier in seinem Katalog die Nummer 71 zuteilte. Doch ist bis heute nicht eindeutig geklärt, ob es sich um einen Kugelsternhaufen oder um einen Offenen Sternhaufen handelt. In unterschiedlichen Listen findet sich M 71 mal hier, mal dort. Ich denke, es handelt sich um einen Offenen Sternhaufen. Bei niedriger Vergrößerung erscheint dieses Objekt als diffuser Nebelfleck, bei mittlerer Vergrößerung ist die Annahme eines Kugelsternhaufens nicht abwegig, bei höherer Vergrößerung jedoch löst sich M 71 dann in etwa 30 Sterne auf, die locker verteilt – ohne die bei Kugelsternhaufen charakteristische zentrale Verdichtung – im Raum zu schweben scheinen.

Im Laufe der Nacht steigt als Vorahnung auf den Herbst das Sternbild Perseus höher und ich tauche in diesen Bereich der Milchstraße ab. Hier wimmelt es vor spannenden Objekten und ich gehe zunächst mit meinem 35-mm-Okular auf Entdeckungsreise, ohne Ziel und frei nach dem Motto Picassos "Ich suche nicht, ich finde". Ich entdecke zwar keine bislang unbekannten Himmelsobjekte (oder gar einen Kometen ;-), und stolpere doch über viele Offene Sternhaufen wie NGC 1528, NGC 1545, Melotte 20 und natürlich den Doppelsternhaufen NGC 869 und NGC 884, genannt Ha und Chi Perseus (habe keine Lust, die HTML-Zeichen der griechischen Buchstaben heraus zu suchen…). Auch hier kann ich der Versuchung nicht widerstehen, mal wieder das 13er-Ethos einzusetzen. Ich kannte das ja schon, bin aber wieder schwer beeindruckt: Beide Sternhaufen passen ins Gesichtsfeld und sehen 1000 Mal imposanter aus als im Fernglas. Auch hier gilt: Einfach geil!

Nun sollen das nur ein paar Eindrücke meiner Beobachtungsnacht sein; ich versuche mich traditionell immer auch an Objekten, die visuell schwieriger zu greifen sind oder einfach nicht zum Mainstream-Objekt-Kanon gehören, so etwa der kompakte Sternhaufen NGC 654 im Sternbild Cassiopeia oder der Sternhaufen NGC 7510 im Sternbild Cepheus. Normalerweise beschränke ich mich in einer Beobachtungsnacht eher auf wenige Objekte, die ich dann intensiver betrachte. Doch die Bedingungen dieser Nacht sind so gut, dass ich einfach weiter durchs All reisen muss.

Beobachtungen mit meinem Dobson erlebe ich als ein Naturerlebnis allererster Güte: Nur zwei Spiegel und ein Okular zwischen mir und unserer kosmischen Umgebung, puristischer geht´s nicht. Mein Astrotraum: Ich lebte gerne an einem richtig dunklen Flecken, an dem ich nur vor die Türe gehen brauchte, um direkt in die Sternfluten abtauchen zu können. Doch das sind keine Gedanken, die ich mir in dieser Nacht mache.

Keine spätsommerliche Beobachtungsnacht ohne die erste Galaxie überhaupt, die ich als Kind mit eigenen Augen wahrnahm: M 31. Die Andromedagalaxie steht schon recht hoch, als ich sie und ihre beiden Begleiter M 32 und M 110 anpeile. So klar und detailliert wie in dieser Nacht habe ich die drei Objekte schon lange nicht bewundern können. Riesengroß steht unsere größte Nachbargalaxie im Gesichtsfeld und ich denke daran, dass keine 100 Jahre vergangen sind, da mit dem 2,50-Meter-Spiegel des Mount-Wilson-Observatoriums Aufnahmen entstanden, die erstmals Einzelsterne in den Randzonen der Andromedagalaxie auflösen konnten. Wie weit ist M 31 eigentlich entfernt, überlege ich, während ich sie mit Okularen unterschiedlicher Vergrößerungen erkunde? Keine banale Frage, wurden doch die Angaben hierzu seit meiner Kindheit zigfach modifiziert. Der derzeit wohl aktuelle Stand: rund 2,4 Millionen Lichtjahre.

Schon ehe es anfängt zu dämmern, spüre ich eine dumpfe Müdigkeit aufsteigen und höre leise aber bestimmt die Alltags-Arbeit rufen, auf die sich Müdigkeit eher suboptimal auswirken dürfte. Brav wuchte ich das Teleskop wieder ins Auto und tauche zum Abschied noch mal ausgiebig mit dem Fernglas in die Sternfluten der Milchstraße ab. Wow, eine faszinierende Beobachtungsnacht.

Clear Skies! Stefan Oldenburg

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Astronomische Themen begeistern mich seit meiner Kindheit und ich freue mich, Zeuge des goldenen Zeitalters der Astronomie zu sein. Spannende Entdeckungen gibt es im Staccatotakt, aber erst im Erkunden unserer kosmischen Nachbarschaft mit den eigenen Augen liegt für mich die wirkliche Faszination dieser Wissenschaft. "Clear Skies" lautet der Gruß unter Amateurastronomen, verbunden mit dem Wunsch nach guten Beobachtungsbedingungen. Deshalb heißt dieser seit November 2007 bestehende Blog "Clear Skies".

2 Kommentare

  1. Sehr geehrter Herr Oldenburg,

    das macht Appetit. Bilder, die im Kopf entstehen. Wunderbar. Einfach geil. Vielen Dank.

    Liebe Grüße
    Horst Arndt

    PS: Vielleicht schaffe ich mir doch noch so eine „Kiste“ an.

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