Einige Anmerkungen zur Diskussion um den Rassismus

BLOG: Landschaft & Oekologie

Unsere Umwelt zwischen Kultur und Natur
Landschaft & Oekologie

“Warum ist der Rassismus immer noch gefährlich?” So lautete die Überschrift eines Artikels von Frieder Otto Wolf[1] auf „diesseits.de, Das Online-Magazin für weltlichen Humanismus“.

Ich habe etwa zur gleichen Zeit ebenfalls eine Antwort auf die Titelfrage zu geben versucht. Wir sind uns einig darin, daß der Rassismus immer noch gefährlich ist, nicht aber über das Warum. Kürzlich habe ich hier argumentiert, daß der Rassismus nicht dadurch widerlegt ist, daß es für die Biologie gar keine Menschenrassen gibt. Es gibt sie nämlich doch. Es kommt nur darauf an, was man mit „gibt“ meint. – Hier will ich einige der Sätze des Artikels von Wolf kommentieren, die sich nicht auf diese Frage beziehen. Das scheint mir deshalb sinnvoll, weil die darin enthaltenen, meines Erachtens falschen Auffassungen in der Diskussion um den Rassismus recht verbreitet sind.

 

„Dennoch gibt es weiterhin Rassismus, also Leute, die von der Überzeugung geprägt sind, manche Menschen seien allein deswegen anderen Menschen überlegen oder eben unterlegen, weil sie einer bestimmten ‚Rasse’ zugehören.“

So formuliert, ist jeder Biologe und auch F. O. Wolf ein Rassist – wenn man sich, wie man ja muß, hinzudenkt: überlegen im Hinblick auf etwas. Denn wenn die Rasse durch die Hautfarbe definiert ist, dann sind diejenigen, die einer Rasse mit dunkler Hautfarbe zugehören, den anderen insofern überlegen, als sie unter starker Sonneneinstrahlung weniger leicht Schaden nehmen. Es ist wesentlich, worin die Überlegenheit bestehen soll. Was den Rassismus ausmacht, ist die Idee von einer genetisch (im biologischen Sinn) bedingten Überlegenheit im Hinblick auf das, die den Wert als Mensch ausmacht.

Man sieht ihn seit der Aufklärung im Moralischen. Für den Rassismus selber liegt er gewiß auch darin; Juden sind verschlagen, die Rassen der Steppen des Ostens sind zugleich brutal und feige usw. Vor allem aber liegt der Wert in einer Stärke an sich: Die Herrenrasse ist nicht nur unter bestimmten Bedingungen stärker als andere, sondern – ein ganz undarwinistischer Gedanke – überhaupt stärker. In all den Eigenschaften, die zu dieser Stärke beitragen (das sind vor allem Intelligenz und Willenskraft), ist sie allen anderen überlegen. Wenn andere Rassen mitunter doch überlegen sind, dann in typischen Eigenschaften von Knechten. Der Neger hat rohe Kraft, aber zur Herrschaft ist er unfähig.

 

„Das ‚Bedürfnis nach Rassismus’, das die rassistischen Massenbewegungen ausbeuten, lässt sich darauf zurückführen, dass die modernen Gesellschaften mit ihren grundsätzlich unpersönlichen Verhältnissen tatsächlich ‚Angst machen’. Und gegen diese Angst verspricht der Rassismus Halt: Besonders in Krisenzeiten – in ökonomischen Krisen und in Kriegen – kann diese Angst, wenn es keine alternativen Handlungsperspektiven zu geben scheint, dadurch ruhig gestellt werden, dass hinter diese unpersönlichen Verhältnisse quasi-persönliche Verhältnisse projiziert werden, wie sie dem Rassekonzept, das auf Abstammung, Verwandtschaft und Familie verweist, offenbar zumindest nahe stehen.“

Das halte ich für nur teilweise richtig. Die Abstammungsgemeinschaft ist eben auch eine Gemeinschaft und nicht nur eine Gesellschaft (im Sinne von Tönnies[2]), und die Verhältnisse zwischen den Angehörigen einer Gemeinschaft sind persönliche. Auch darum müssen im rassistischen Denken die Rassen, die aufgrund von Merkmalen, die die Zugehörigkeit zur Rasse definieren, gebildet wurden, (zugleich) als Abstammungsgemeinschaften gedacht werden. Denn die zufällige Ähnlichkeit aufgrund einer Mutation, die in gar nicht verwandten Abstammungslinien z. B. das Merkmal weiße Haut hervorruft, wird das Gefühl von Gemeinschaft nicht so leicht aufkommen lassen.

Zu fragen ist aber, wie es in vormodernen Gesellschaften war. Daß es dort weniger Grund zur Angst gab, wird man nicht annehmen dürfen. Die Frage wäre, warum das nicht zum Rassismus führte, wenn er doch Geborgenheit verschafft.

Man teilte bis ins 18. Jahrhundert die Menschen in Nordamerika in Christen und Heiden oder in Zivilisierte und Wilde ein, die Weißen und Roten waren noch nicht erfunden. Der Rassismus ist, auch wenn es ähnliches schon früher gab, ein modernes Phänomen. Das sieht Wolf richtig. Doch scheint mir seine sozialpsychologische Erklärung zu kurz zu greifen. Seiner These zufolge könnte es so gewesen sein, daß die persönlichen Bindungs- und Abhängigkeitsverhältnisse, die die vormodernen Gesellschaften bestimmten, in der Lage waren, die Angst, die aus irgendwelchen anderen Gründen entstand als aufgrund des Fehlens solcher Verhältnisse, hinreichend zu mildern; man brauchte keine imaginäre Milderung durch die eingeredete Rassengemeinschaft, weil es reale Gemeinschaften gab. Daran mag etwas sein, doch mir scheint etwas anderes einleuchtender: In der vormodernen Gesellschaft war die Fortdauer des Lebens im Jenseits garantiert. Eben darum war das Leben im Diesseits nicht sinnlos. Fällt dieses ewige Leben weg, bietet sich ein anderes ewiges Leben als Ersatz an: Es ist nicht alles aus mit dem individuellen Tod, man lebt in den kommenden Generationen weiter. Auch darum darf die Rasse nicht nur auf Ähnlichkeit beruhen, sondern muß eine Abstammungsgemeinschaft sein. Unter den Bedingungen der ideologischen Vorherrschaft der Naturwissenschaften, wie sie sich im 19. Jahrhundert herausbildete[3], lag es nahe, „weiterleben“ im Sinne einer biologischer Fortsetzung des Lebens zu verstehen und nicht etwa als Unsterblichkeit im kulturellen Gedächtnis.

 

„Neo-Rassismus ohne biologisches Rassenkonzept.

Zu seiner [des Rassismus] Geschichte gehört auch der moderne Antisemitismus … Ob diese Gruppe von Menschen [die Juden] im biologischen Sinne eine „Rasse” bilden, ist den Ideologen dieses Rassismus ebenso gleichgültig wie den von ihnen mobilisierten Massen…“

Gemeint sind mit diesem „Neo-Rassismus“ Ideologien, in denen an die Stelle rassistischer Diskriminierungen solche aufgrund von Kultur oder Religion treten. Ein Rassismus ohne „biologisches Rassenkonzept“ ist aber ein Unding. Religionshaß mag in mancher Hinsicht die gleiche Funktion haben wie rassistischer, aber er ist doch etwas anderes. Bier stillt den Durst, Limonade auch, aber dadurch wird Bier nicht zu Limonade. Rassismus läßt sich nicht anders definieren als dadurch, daß er in der Idee der Rasse gründet, und Rasse ist ein biologischer Begriff und gerade kein kultureller; die Behauptung, irgendeine Eigenschaft oder Fähigkeit sei rassisch bedingt, steht im ausdrücklichen Gegensatz zu der Behauptung, sie sei kulturell, z. B. religiös bedingt. Wir wollen es versuchsweise umdrehen: Wenn man die Diskriminierung, die ein der „nordischen Rasse“ angehörender Südosteuropäer (blond, blauäugig, von den germanischen Gepiden abstammend) aufgrund seines islamischen Glaubens erfährt, rassistisch nennt, dann könnte man ja auch die Diskriminierung, die ein christlicher Sudanese aufgrund seiner dunklen Hautfarbe erfährt, anti-islamisch nennen. Der groteske Unfug wird sofort erkennbar.

Einfach sachlich falsch aber ist das, was Wolf über den NS-Antisemitismus schreibt. Es ist den Ideologen dieses Rassismus eben nicht gleichgültig gewesen, ob die Juden „im biologischen Sinne eine ‚Rasse’ bilden“. Abgesehen davon, daß die Behauptung, Ideologien seien „Herren- und Pfaffentrug“ – d. h. wer sie öffentlich verkündet, glaubt selbst nicht daran – etwas Mediokres hat: Die Auffassung, daß die Juden eine Rasse im biologischen Sinn bilden, war essentiell für den NS-Rassismus. Auch wenn es einem nicht anzusehen war: Die jüdischen Eigenschaften lagen in seinem „Blut“, nicht in seinem Glauben. Er mochte die Religionszugehörigkeit wechseln – anders als vor dem christlichen Antisemitismus konnte ihn das vor der Verfolgung durch den nationalsozialistischen nicht retten. Der Entschluß zur Ausrottung, der ja in der nüchternen Atmosphäre der Bürokratie gefaßt wurde und nicht von einem Mob auf der Straße, dem es in der Tat egal sein mag, wie sich sei Haß genau begründet, wäre ohne die Überzeugung von einer jüdischen Rassesubstanz nicht möglich gewesen, denn dann hätte ja eine Umerziehung als ebenso effektiv und politisch weit weniger riskant erscheinen müssen.

 

„…aber ihre Träger [das bezieht sich auf die die Kultur tragende Rasse] sollten doch besser unter sich bleiben … Auch das beruht auf einer wissenschaftlich unhaltbaren Vorstellung: ‚Unvermischte’ Kulturen oder Völker hat es in der Menschheitsgeschichte niemals gegeben“.

„Wissenschaftlich unhaltbar“ ist zunächst einmal die Vorstellung, die Tatsache, daß es „unvermischte“ Kulturen und Völker niemals gegeben hat, sei von irgendeiner Bedeutung dafür, ob es sie geben sollte oder nicht. Es war auch den NS-Ideologen klar, daß es sie nur geben sollte, aber niemals gegeben hat. Daß es sie nicht gibt und vor allem das deutsche Volk nicht unvermischt ist, wußten sie, und es kam ihnen gelegen. Denn wenn die nordische Rasse (der NS-Ideologie zufolge) die allen und allem überlegene ist – wie kann es dann sein, daß das deutsche Volk (der NS-Ideologie zufolge) derart heruntergekommen ist, daß (wiederum der NS-Ideologie zufolge) die nationalsozialistische Revolution nötig wurde? Gewiß, es gab (so die NS-Ideologie) den verderblichen geistigen Einfluß der minderwertigen Rassen – vor allem die rassebedingten Ideologien des Liberalismus und des marxistischen Sozialismus verdarben das Denken der Deutschen. Aber wieso widerstanden diese nicht, wenn sie doch (wie die NS-Idelogen meinten) rassisch so stark waren? Es war (so erklärten sie es sich) eben zu viel fremdrassiges Blut in das Volk eingedrungen und hat es geschwächt, und eben deshalb war (so meinten sie) die Politik der Rassenreinhaltung und der Vernichtung der fremden Rassesubstanz nötig und nicht nur eine Politik der Volkserziehung. (Anmerkung: die Klammerzusätze in diesem Abschnitt habe ich auf Wunsch der Redaktion eingefügt; man fürchtete dort, manche Leser könnten andernfalls diese Sätze für die Meinung des Autors halten. Ich selbst glaube nicht, daß es solche Leser gibt.)

Im Übrigen scheint es mir riskant, die Betonung zu sehr auf das NS-Ideologem der Reinheit der Rasse zu legen. Das ist charakteristisch für diesen Rassismus – aber ist es essentiell für jeden, auch den heute drohenden neuen Rassismus? Es gab vor dem Nationalsozialismus rassistische Auffassungen, die in der Rassenmischung eine Möglichkeit der Höherzüchtung sahen. Dieser Gedanke scheint mir gut zu den biologistischen Ideologie zu passen, die sich heute rund um die neuen gentechnischen Möglichkeiten entwickeln.


[1] Frieder Otto Wolf ist Philosoph, Honorarprofessor an der FU Berlin, war Europa-Abgeordneter der Grünen und ist Präsident des Humanistischen Verbandes Deutschlands. Er hat sich nicht zuletzt als Herausgeber der Schriften Louis Althussers verdient gemacht.

[2] Tönnies, Ferdinand (1972): Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft (Erstausgabe: 1887).

[3] Vgl. Schnädelbach, Herbert (1983): Philosophie in Deutschland 1831-1933, Frankfurt am Main: Suhrkamp.

 

Blogartikel mit Bezug zum Thema: 1, 2, 3, 4, 5

Avatar-Foto

Veröffentlicht von

Ich habe von 1969-1973 an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der FU Berlin Biologie studiert. Von 1994 bis zu meiner Emeritierung im Jahre 2011 war ich Inhaber des Lehrstuhls für Landschaftsökologie der Technischen Universität München. Nach meinem Studium war ich zehn Jahre lang ausschließlich in der empirischen Forschung (Geobotanik, Vegetationsökologie) tätig, dann habe ich mich vor allem mit Theorie und Geschichte der Ökologie befaßt, aber auch – besonders im Zusammenhang mit der Ausbildung von Landschaftsplanern und Landschaftsarchitekten – mit der Idee der Landschaft. Ludwig Trepl

4 Kommentare

  1. @ jk

    „… dass die Nazis doch ein sehr intellektuell eingeschränktes Ende einer heterogenen Entwicklung des deutschen Rassismus waren.“
    Das ist sicher richtig, aber die Frage wäre doch, ob diese Einschränkung nicht von einer Art war, daß ein ausgesprochen konsistentes und (darum) hochwirksames System entstand, daß also eine Menge von inneren Widersprüchen und Reibflächen älterer Rassismen beseitigt waren. – Natürlich kann der Erfolg des NS auch ganz andere Ursachen haben, aber in meinem speziellen Arbeitsbereich (Landschaft, Ökologie) sieht es schon so aus, als ob seine Rassismus-Theorie von beträchtlicher Bedeutung war.

    „Um Juden, Roma und nationale Minderheiten zu diskreditieren, braucht man keinen Rassismus.“
    Das stimmt, mittels des Rassismus ist wohl keine einzige Gruppe neu diskriminiert worden, es war ja sogar so, daß es eine Diskussion unter den Nazis gab, ob die Zigeuner wegen ihrer indischen Abstammung nicht als Arier besonders hochwertig sind. Aber das waren Intellektuellenspiele, die sicher keine Auswirkung auf den allgemeinen Haß gehabt haben. Wichtig war die rassistische Umdeutung aber für die Politik doch, vor allem aus der Perspektive der Betroffenen: Es war kein Entkommen durch kulturelle Assimilation mehr möglich.

    „Ausnahme hier ist die nordische Bewegung vor und während der NS-Zeit, die einen Staat aus Norddeutschen, Niederländern und Skandinaviern wollte.“
    Eine ähnliche Kuriosität: Der „Reichslandschaftsanwalt“ Alwin Seifert hielt – als Bayer – nicht die nordische, sondern die alpine Rasse für die höchststehende und bekam deshalb Ärger mit der Partei.

    „All das sind in meinen Augen Hinweise dafür, dass es sich beim Rassimus empirisch (fast) immer um eine Sekundär-Ideologie gehandelt hat, die bestehende Strukturen in ihrer Begründung verbreitert hat, aber nicht Ausgangspunkt eigener Strukturen war.“
    Wenn ich das richtig verstehe, dann wäre ein Gegenbeispiel: die Verbindung von Natur- und Germanenkult usw. und Technikeuphorie, ebenso die Verbindung Heimatkult und Expansionismus konnte nur auf rassistischer Basis gelingen, in den konservativen Denkwelten, in denen Natur-, Germanen- Heimatkult und ähnliches im 19. Jahrhundert gewachsen waren, war da immer ein krasser, unüberbrückbarer Gegensatz. Hier: http://www.transcript-verlag.de/ts1943/ts1943.php, Kapitel 7, habe ich ausführlicher dazu geschrieben.

  2. Vielen Dank für Ihre weiteren Ausführungen, die natürlich richtig sind. Die gedachte Überlegenheit des Ariers/ des Germanen ist vor allen Dingen eine moralische Überlegenheit. Wobei das bei den NS-Ideologen schon weniger wichtig zu sein scheint, hier gilt dann doch wieder mehr das Recht des Stärkeren; nicht des berechtigeren (am deutschen Wesen sollte bei vielen Rassisten des Kaiserreiches ja noch die Welt genesen).

    Aber das ist unabhängig von meinem Hauptanliegen, das Sie deutlich benennen: Rassismus kommt ohne Hierarchie der Rassen aus. Mir scheint es aber so, dass in Deutschland der Rassismus in seiner amerikanischen und südafrikanischen Apartheitsform rezepiert und unpassenderweise auf den Rassismus der deutschen Rechten (und in Teilen auch Linken)übertragen wird. Ich denke, dass der völkermordene Rassismus der Nazis gerade aus der Ambiguität zwischen Überlegenheits- und gleichzeitigem Unterlegenheitskomplex her verstanden werden sollte. Schaut man sich die Dokumente der Einsatzgruppen und Reden Himmlers an, dann wird dies ganz deutlich.

    Das alles führt aber von Ihrem Thema ab.

    Mehr zu Ihrem Thema ist indes ein weiterer Hinweis, nämlich, dass die Nazis doch ein sehr intellektuell eingeschränktes Ende einer heterogenen Entwicklung des deutschen Rassismus waren. Die Reinheit des Volkes wird bei den Nazis ja überhaupt nicht mehr rassisch angegangen, sondern ethnographisch. Um Juden, Roma und nationale Minderheiten zu diskreditieren, braucht man keinen Rassismus. Die Einteilung des deutschen Volkes in Nordisch, Ostisch, Dinarisch etc. haben die Nazis aus gutem Grund abgelehnt. Keinesfalls wollte man sich seinen Volkskörper auseinanderdividieren lassen. Ausnahme hier ist die nordische Bewegung vor und während der NS-Zeit, die einen Staat aus Nordeutschen, Niederländern und Skandinaviern wollte. Allerdings blieb diese Strömung weitergehend unbeachtet.

    All das sind in meinen Augen Hinweise dafür, dass es sich beim Rassimus empirisch (fast) immer um eine Sekundär-Ideologie gehandelt hat, die bestehende Strukturen in ihrer Begründung verbreitert hat, aber nicht Ausgangspunkt eigener Strukturen war. Über Gegenbeispiele würde ich mich freuen!

  3. @ jk

    Danke für die Ergänzung. –
    Der Rassismus an sich erfordert, scheint mir, weder die Idee der Überlegenheit noch die der Unterlegenheit der eigenen Rasse. Um Rassist zu sein, muß man nur Rassen für „natürliche Entitäten“ halten und man muß Eigenschaften, die dem Menschen als Menschen ausmachen, für erblich halten: das sind primär moralische Eigenschaften, aber wenn einmal eine Herrenmoral sich etabliert hat, dann kann auch „Stärke“ eine solche Eigenschaft sein.

    Der NS-Rassismus geht in der Tat sowohl von einer besonderen Stärke der eigenen als auch einer besonderen Stärke der wichtigsten feindlichen Rassen aus (anders als wohl der typische Südstaaten-Rassismus: da gibt es allein die Überlegenheit der „Weißen“). Dennoch gibt es die eine „Herrenrasse“: Sie ist nicht nur die stärkste, sondern hat auch die Herrschaft verdient, denn sie ist auch moralisch überlegen.

    Die Überlegenheit der anderen Rassen, der Rassen der Steppe und der Wüste, ist bei Darré die von Räubern und Ausbeutern: die Rassen, aus dem Osten kommen, plündern und ziehen weiter, sie richten das Land zugrunde, statt es zu bebauen; dazu sind sie zu schwach und zu dumm, aber als Krieger sind sie stark und gefährlich. Ohne daß offen von „Rassen“ die Rede war: das war bis lange in die Nachkriegszeit hinein das Kernstück nicht nur der Nazi-, sondern auch der konservativen Propaganda (Sie kennen sicher das Wahlplakat der CDU mit dem unheimlichen Russen aus den 50er Jahren).

    Und die andere Nomadenrasse, die der Juden, tut eben dies in der modernen Gesellschaft: so wie das Wesen der nomadischen Plünderer wird auch das Wesen des Finanzkapitals beschrieben (oder umgekehrt). (Nebenbei: mich wundert, daß dem „Heuschrecken“-Schlagwort von Müntefering niemand die ideologische Herkunft angemerkt hat.) Sie haben darum auch die Stärken, die man braucht für eine solche Art des Lebens: Sie sind schlau, berechnend, anpassungsfähig (obwohl sie sich gleichzeitig nie anpassen – integrieren –, sondern immer eine gefährliche äußere Macht bleiben); da können ihnen die Arier nicht das Wasser reichen. All das ist ja im typischen, schon vor-nationalsozialistischen, christlichen Antisemitismus enthalten. Aber zugleich sind die Juden eben doch unterlegen – nämlich moralisch. Ihre Klugheit ist Verschlagenheit, ihr Wille zur Weltherrschaft ist verbunden mit einer kriecherischen Haltung in allen Lebenslagen. Es ist im NS-Rassismus wesentlich, daß die wichtigste feindliche Rasse auch stark ist, ja gefährlich stark, so stark, daß man nicht weiß, wie der Kampf ausgeht – schon deshalb nicht, weil die nordische Rasse es verabscheut, auf hinterlistige Art zu kämpfen: Sie besteht aus Helden. Aber die jüdische Rasse, so gefährlich überlegen sie ist, hat doch nicht wahre Stärke, d. h. diejenige Stärke, die es verdient , zu herrschen, weil sie etwas erschafft, was es wert ist, erschaffen zu werden (nämlich wahre “Kultur” und nicht nur äußerliche “Zivilisation”).

    Ich glaube, man sieht gerade an diesem Verhältnis von Über- und Unterlegenheitszuschreibungen gut, warum der NS-Rassismus in einer Hinsicht so stark war: Er ermöglichte es, das Schlimmste mit dem besten Gewissen zu tun. Das tat er, indem er alle Tugenden und Untugenden und alle erhabenen und niederen Gefühle, die das christliche Abendland hervorgebracht hat, in einer besonderen Weise sortierte und sie „Rassen“ zuschrieb, so daß gar nichts anderes übrigblieb, als sich auf die richtige Seite zu stellen (wenn man nicht biologisch verdammt war, der anderen zuzugehören) und den Feind bis zu völligen Vernichtung (oder der eigenen Vernichtung) zu bekämpfen.

  4. Ich möchte Ihren Artikel um einen Punkt ergänzen: Es gibt, gerade in Deutschland, doch ziemlich häufig eine Form von Rassismus, die sich mehr die vermeintliche Stärke der “anderen” Rasse bezieht als auf die eigene. Das zeigt sich vor allem im Antisemitismus. So sprachen viele antisemitische Rassisten den Juden eine ganze Reihe von Eigenschaften zu, die sie den “tumben”, langsamen Deutschen überlegeben machten: darunter Herrschaftswille, Intellekt, Finanzbegabung, Anpassungsfähigkeit – gerade Chamberlain singt das Hohelied des an Willen starken Juden, der das verkappte Gegenteil des metaphysischen Germanen ist.
    Deswegen muss der Jude aus Deutschland ausgeschlossen werden, war daraus die Konsequenz.
    Rassismus – um es kurz zu machen – kann also aus einem Gefühl der Überlegenheit, genauso wie aus einem Gefühl der Unterlegenheit heraus operieren.

    Ansonsten stimme ich Ihnen ganz zu.