Von Urhebern und Vampiren

BLOG: Con Text

Wörter brauchen Gesellschaft.
Con Text

[Dieser Blogpost startete als Kommentar zu Anatol Stefanowitschs Beitrag zur Lizenzdebatte.]

In den Kommentaren zu seinem Beitrag, wird Stefanowitsch von einem Beiträger vorgeworfen, sich der “Contentmafia” unterordnet zu haben, weil dieser jemand einen Urheberrechtshinweis zu Spektrum.de gefunden hat. Lustig. Und leider das Niveau, über das ausgerechnet die, die es etwas angeht – die Kollegen Kreativen -, nicht hinauskommen.

Ich weiß nicht, warum A.S. in seinem ‘Über das Blog’ keinen CC-Lizenz-Hinweis eingebunden hat, einige auf den Scilogs haben das [ich z.B.]. So wie viele andere, die dieses gar nicht mehr so ganz neue Konzept der Lizenzierung nutzen, möchte ICH bestimmen, was, wann, wo mit meinen Sachen geschieht. Oder etwas befehlshafter: Fragt mich halt.

Wer sich dafür entscheidet, seine Rechte en gros an Zwischenhändler abzugeben, soll das gerne tun, aber nicht rumheulen und noch mit dem nackten Finger auf die Kunden zeigen. Natürlich dürft ihr dafür streiten, dass noch eure Urururururenkel Tantiemen einstreichen – Shakespeares Erben wären erfreut und sehr viel reicher als er es je war.

Ihr dürft auch gerne euch nicht informieren, verdrehen, lügen, beleidigen und auskotzen. Aber bitte heult nicht, wenn ihr dabei erwischt werdet. Versucht doch erst einmal, herauszufinden, ob eure Freunde, die Lobbyisten der Vertriebsindustrie, die Wahrheit erzählen. Denkt einmal über das nach, was euch so gesagt wird, wo das hinführen kann, was eure Prioritäten sind. Und wer glaubt, gute Recherche sei nur mit Leistungsschutzrecht und verschärftem Urheberrecht möglich, soll verdammt noch eins seinen Mausfinger bewegen und recherchieren.

Screenshot aus F.W. Murnaus Nosferatu: Graf Orlock

Kennen Sie Nosferatu? Richtig, der Film von 1922, entstanden unter der Regie Friedrich Wilhelm Murnaus, mit einem Drehbuch von Henrik Galeen 1. Lassen wir einmal außen vor, wie schwierig es sein kann, für kollaborative Werke wie Filme die vollständige Rechtelage zu klären 2, mir geht es darum, dass Sie diesen Film überhaupt sehen können.

Eigentlich dürfte Nosferatu nicht mehr existieren. Plot und Figuren stammen zum größten Teil aus einem Roman von Bram Stoker, Dracula. Die Namen wurden geändert, die Intentionen, die Symbolik, Teile der Geschichte. Der erzählerische Stil ist natürlich völlig anders, die altmodische Epistelerzählung wich einer aktionsbetonten, direkten, die filmisch auch besser umzusetzen ist. Die Durchführung auf einem Grundthema ist also komplett anders.

Bram Stokers Witwe war das aber nicht genug, sie klagte wegen Verletzung des Urheberrechts, gewann und der Film musste zerstört werden. Vollständig. Das bedeutet, auch sämtliche Kopien waren zu vernichten.

Zum Glück hielten sich einige nicht daran. Es überlebten Kopien, bootlegs, die es schon lange vor der digitalen Revolution gab. Aus diesen wurde über die Jahrzehnte ein Meisterwerk wiederhergestellt, das wir heute genießen, analysieren, referenzieren und kopieren können. Filmemacher dürfen ihn als Grundlage für eigene Interpretationen des Vampirmythos nutzen, wie es Werner Herzog tat, wie es Elias Merhige tat. Tobe Hooper verwandte die ikonische Erscheinung Max Schrecks, Wayne Keeley remixte den Film mit neuer Musik.

Das alles ist nur möglich, weil sich eine Handvoll Kunstbegeisterter strafbar gemacht haben. Erst, indem sie überhaupt bootlegs herstellten, dann, indem sie sie nicht vernichteten. Interessante Frage: Haben sich nicht alle, die diese Kopien später nutzten, um den Film wiederherzustellen, strafbar gemacht? Sie alle verstoßen gegen ein gültiges Urteil zur Verletzung des Urheberrechts Bram Stokers.

Mag Nosferatus Schicksal ein Sonderfall sein – weil es einen Rechtstitel gibt, weil er trotzdem gerettet wurde –, so steht er doch nicht gänzlich alleine. Viele Kunstwerke diverser Genres, ganz besonders Fotografien, Texte, Werbe- und Insustriedesign, gelten als verwaiste Werke. Ihre Schöpfer bzw. deren Erben und mögliche Rechteinhaber sind nicht mehr zu ermitteln. Da dürfen wir jetzt aber nicht rangehen und sie der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Ich darf das nicht, Google darf das nicht. Sie sind dem Zugriff öffentlichen Denkens entzogen.

Zum Schluss möchte ich gerne wissen, ob alle Kreativen, die Elemente anderer für Referenzen und Neueinterpretationen nutzen, schön die Quellen angeben und die notwendigen Lizenzen einholen.3 Oder machen Sie es so, wie Frau Hegemann das vor einigen Jahren getan hat?

Notes:
1. Nie gehört, oder? Dabei ist so ein Drehbuch nicht ganz unwichtig bei einem Film.
2. Meines Wissens ist Nosferatu inzwischen Public Domain, genau wie George Romeros Night of the Living Dead, dessen Rechtelage durchaus interessant ist.
3. Einer meiner Lieblinge, James Joyce, tat das nicht. Ein anderer, den ich auch sehr gerne lese, Walter Kempowski, tat das auch nicht.

Nach dem Abitur habe ich an der Universität Hamburg Anglistik, Amerikanistik, Soziologie und Philosophie studiert. Den Magister Artium machte ich 1992/93, danach arbeitete ich an meiner Promotion, die ich aus verschiedenen Gründen aufsteckte. Ich beschäftige mich meist mit drei Aspekten der Literatur: - soziologisch [Was erzählt uns der Text über die Gesellschaft] - technisch [Wie funktioniert so ein Text eigentlich] - praktisch [Wie bringen wir Bedeutung zum Leser] Aber auch theoretische Themen liegen mir nicht fern, z.B. die Frage, inwieweit literarische Texte außerhalb von Literatur- und Kunstgeschichte verständlich sein müssen. Oder simpler: Für wen schreiben Autoren eigentlich?

11 Kommentare

  1. Urururururenkel

    Nur der Vollständigkeit halber: für unsere noch zu schreibenden Bücher werden unsere Urururururenkel sicher keine Tantiemen einstreichen können, denn das deutsche Urheberrecht erlischt 70 Jahre nach dem Tod des Autors.

    Zu der Vampir-Geschichte paßt vielleicht folgendes: “Grothendieck und das Urheberrecht”.

  2. Und leider wirft auch dieser Artikel wieder munter Urheberrecht und Nutzungsrechte durcheinander. Wäre ja nicht weiter schlimm, wenn der Autor nicht ausgerechnet anderen vorwerfen würde, sich nicht zu informieren.

  3. wg Urheberrecht

    Um das einmal zu klären:

    Urheberrecht = mein Werk ist mit meinem Werk verbunden

    Aus diesem persönlichen U-Recht leiten sich dann diverse Nutzungs- und Lizenzrechte ab.

    Ich werfe die nur deswegen hier zusammen, weil die Damen und Herren Kollegen Kreativschimpfer das zu gerne tun. Immerhin ist der Auslöser die weitgehend sachfragebfreite Kommentiererei bei Anatol Stefanowitsch.

    Aber, lieber Alex, wirf ruhig weiter Nebelgranaten. So wie diverse selbst ernannte Künstler es in den letzten Wochen schon tun; immer schön Popanze aufbauen und dann den anderen vorwerfen, sie benutzten ja die falsche Terminologie – wenn sie die Popanze einreißen.

  4. Kleine, aber wesentliche Irrtümer…

    … dieses Textes:

    1. Die Öffentlichkeit HAT sehr wohl Zugang zu allen geschaffenen und noch existierenden Werken. Man geht einfach in eine Bibliothek, die das Werk im Bestand hat. Selbst von einer irr argumentierenden Justiz verbotene Bücher kann man übrigens da lesen (wie etwas Maxim Billers “Esra”).
    Ein urheberrechtlich geschütztes Werk kostenlos im Netz zu verbreiten, ist und bleibt jedoch Diebstahl.

    2. Eigentum, das z. B. an einer Immobilie besteht, erlischt nie (fragen Sie mal die Familie zu Guttenberg). Das führt zu folgenden Fragen:
    Wieso soll das Eigentum an einer geistigen Schöpfung eigentlich überhaupt irgendwann erlöschen?
    Oder wollen wir einen Waldbesitzer auch 70 Jahre nach seinem Tod enteignen?
    Wieso haben die Erben eines Schriftsteller 70 Jahre nach seinem Tod nix mehr von Uropas Romanen, während ein vor 700 Jahren erwordener Wald sehr wohl den Urururur…enkeln schöne Erträge bringt?

  5. @tk

    Abgesehen davon, dass es sich bei diesem überlangen Nachkommen um eine Hyperbel handelt, ist die Schutzzeit fröhlich immer wieder verlängert worden und soll weiter verlängert werden.

    Wenn das prinzipielle Argument der hohen Schutzwürdigkeit aus sich selbst heraus für Kunstwerke stimmt, gibt es übrigens keinen Grund, nicht eine ewige Schutzfrist einzuführen. Warum soll Marlowe gegenüber Grass schlechter gestellt sein? Wieso dürfen Marlowe und seine Erben enteignet werden?

    PS: Konsequent erwarte ich, dass der Patentschutz angepasst wird.

  6. Nosferaru ist ein gutes Beispiel!

    Finde den Fall des Filmes “Waking Life” von Richard Linklater auch sehr interessant und irgendwie symptomatisch für das verschleppen von menschlichem Kulturgut durch die Verwerter. Denke da muss es auchnoch irgendwelche mir unbekannten Hintergründe geben.

    Der Film ist aus dem Jahre 2001 und hat in vielen Dinge Alleinstellungsmerkmale für die er berechtigter Weise Aufmerksamkeit verdient hat. Als da wäRen die fast einzigartige Animationsvariante und die Tatsache, dass sich dieser Film sehr ganzheitlich mit dem Thema LuzidTräumen wie auch Evolution, Gesellschaft und Wahrnehmung auseinandersetzt.

    Nun ist es so, dass dieser Film in einer deutschen Version lediglich zu 2 Terminen in den Öffentlich rechtlichen Medien lief, aber niemals in einer deutschen Sprachausgabe oder Untertitelung auf DVD erschienen ist.(zurm legalen Erwerb)
    ..und im Englischen Original ist die komplexität der Thematik wohl nur recht gebildeten Muttersprachlern zugänglich.

    Ohne von Fans inniziierte Verbreitung über Kopien der TV-Ausstrahlung, die dann zeitweise auf YouTube kursierten, unter Freunden weitergegeben wurde oder sogar kurzzeitig auf EBay angeboten, wäre dieses wichtige Kulturgut für den deutschen Konsumenten quasi im Nichts verschwunden.
    Ein sehr gutes Bespiel für den Lebenserhaltenden Impuls den das Netz für Kultur liefert.
    Jetzt erst nach 11jahren erscheint in ein paar Tagen endlich eine deutschsprachige DVD Version.

    Merkwürdige Zustände!

  7. @tk

    nicht ganz richtig. Die Schutzfrist des Urheberrechts wächst nun schneller als die verstrichene Zeit. Insofern ist es plausibel anzunehmen, dass auch die UrUrUrUrenkel davon profitieren würden. Das können Sie daran erkennen, dass die Rechtecke hier:
    http://en.wikipedia.org/…File:Copyright_term.svg
    mittlerweile hochkant stehen.
    Dass das alles nicht mit rechten Dingen zugeht, lässt sich an der Tatsache belegen, dass die Schutzfrist auch für bereits geschaffene Werke verlängert wird. Als ob die Beatles in den 60ern motivierter waren, weil sie wussten, dass die Schutzfrist 2011 verlängert wird. Völlig absurd….

    Und jaja, ich weiß, dass das kein deutscher Graph ist, aber Copyright macht nur internationalisiert Sinn. Zumindest in der heutigen Welt.

  8. @ Anton Maier

    Für uns als Autoren gälte ja nach wie vor das deutsche Urheberrechtsgesetz in der Fassung von 1965. D.h. wir könnten von den Werken unserer Großeltern und evtl. unserer Urgroßeltern profitieren (meine Urgroßeltern sind alle seit mehr als 65 Jahren tot, ein paar Jahre ginge es also noch), freilich nur falls diese ihre Rechte nicht an einen Verlag abgetreten hätten. Ich nehme an, letzteres ist bei Autoren oft der Fall?

    Die interessantere Frage, insbesondere mit Blick auf die inhaltsarme Polemik im Sprachlog, scheint mir aber zu sein, durch was das heutige Urheberrrecht denn eigentlich ersetzt werden soll. Wissenschaftler zum Beispiel haben ihren Lebensunterhalt ja ohnehin nie durch das Urheberrecht an ihren Veröffentlichungen finanziert. Die Frage wäre, inwieweit sich Modelle der Wissenschaftsfinanzierung auf Kunst und Literatur übertragen lassen. Das ist natürlich ein schwieriges Thema, weil es in Kunst und Literatur keine vernünftigen Maßstäbe für ‘Förderungswürdigkeit’ gibt und man mit einer staatlichen Kunstfinanzierung Korruption und Protektionismus Tür und Tor öffnen würde. Jedenfalls scheinen die Piraten auch noch keine Antwort auf diese Frage zu haben.

  9. Schöpfung

    Originäre Urhebung oder Entdeckung des Anderen ( s. z.b. Derrida ) was ist das überhaupt?

    Seit Entdeckung der Meme unter Berücksichtigung dispositiver ( s. z.B. Foucault )Geistesgrundlagen dürfte es schwer fallen, überhaupt so etwas wie EinenderNeuesschafft überhaupt auszumachen. Wesentlich vorgeprägt durch Familie, Gesellschaft ( Schule, Universität ), Umwelt dürfte der grösste Teil der sog. kreativen Schöpfung durch Vorbildung, die durch die Allgemeinheit ( z.B. Steuerzahler )finanziell unterstützt worden sein, die allein auf Grund dieser Tatsache einen Anspruch darauf hat, entsprechend beteiligt zu werden. Bei der Preisfestsetzung ( sog. Pricing )und der Verwertungsrechte dürfte deshalb wohl eher der Investitionsaufwand und die damit verbundenen Kosten relevant sein. Heureka ich hab es, ist eben mit einer vorherigen längeren Denkleistung verbunden. Die Umsetzung in Produkte bzw. Ware ist auch nicht ohne finanziellen Einsatz zu haben. Also ein Problem der kapitaleinsatzerfordernden Marktwirtschaft deren Funktionsfähigkeit wesentlich von diesen Faktoren abhängt. Wer mehr weiss, erfährt auch mehr ist in dem Sinne sicherlich nicht nur eine Floskel. Die Entwicklung von Gesellschaften lebt davon, dass aus der Vorzeit entwickelte Techniken weiterentwickelt werden. Unter Beachtung dieser Belange ( Kapitaleinsatz + Amortisation + Rendite und dem sog. öffentlichen Interesse )dürfte das Urheberrecht ein Ausläufer sein, der sukzessive reduziert wird. Die Globalisierung unseres Planeten wird beschleunigend dazu beitragen. Die aufregung wird sich legen. Neues braucht eben seine Zeit. ” I am the greatest ” bleibt allerdings Muhammad Ali vorbehalten werte Narzisten. Absoluter Kopierschutz.Sonst gibt es Saures.

    Mit freundlichen Grüssen
    ( Hans-Dieter Rüppel )

  10. “Ich weiß nicht, warum A.S. in seinem ‘Über das Blog’ keinen CC-Lizenz-Hinweis eingebunden hat, einige auf den Scilogs haben das”
    Was muß man denn da machen, wenn man das haben will?

  11. @Ludwig Trepl

    Ich weiß nicht, wie Leonie das gemacht hat, Ich habe mir die entsprechende CC-Lizenz bei Creativecommons.org ausgesucht [in meinem Fall eine internationale, es gibt aber auch sprachangepasste], den angebotenen Code kopiert – und dann wurde es kompliziert.

    Da das Eingabefeld für ‘Über das Blog’ HTMl-Code automatisch löscht, habe ich Christoph gebeten, mir zu helfen. Und er hat eine Lösung gefunden.