Georg Northoff – Neurophilosophie

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Zu den “großen Fragen” gehören auch die nach Ich und Bewusstsein. Georg Northoff betrachtet beide als Neurowissenschaftler und Philosoph – und kommt auf sehr interessante Gedanken. Durchaus auch in Abgrenzung zum amerikanischen Reduktionsimus.

Am Deidesheim-Wochenende lässt uns Spektrum keine Zeit für große Produktionen. Daher hier ein Interview zur Neurophilosophie von dasGehirn.info. Dort finden sich noch Interviews mit Peter König und Olaf Breidbach

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www.nurindeinemkopf.de

Nach diversen Artikeln und zwei Büchern zwischen Geist und Gehirn hier der Podcast. Wichtigster Punkt: die Übersetzung der aktuellen Erkenntnisse in verständliche Sprache, praktischen Alltag und guten Humor.

3 Kommentare

  1. Wachkoma – Körperwahrnehmung

    Derzeit wird viel über “Wachkoma” bzw. “persistierender vegetativer Status” (PVS) sinniert. Grundsätzlicher Fehler: “Wachkoma” ist ein klinischer Begriff und die Diagnose wird klinisch gestellt. Wir wissen heute, dass es “das” Wachkoma nicht gibt – die für die Bewusstseinsstörung relevanten Hirnläsionen sind von Patient zu Patient zu unterschiedlich, um daraus grundsätzliche Schlüsse ziehen zu können. Aussagen wie: “Patienten im Wachkoma zeigen…” sind ohne Relevanz, da nicht verallgemeinerbar. Minimale Inselfunktionen können mit aufwendiger Diagnostik erkannt werden und können für die Prognose des Einzelfalles etwas aussagen – mehr nicht. Das “Wachkoma” zeigt eben eine große Spannweite – wie eben auch die Prognose, welche trotzdem in aller Regel infaust ist.
    Körperwahrnehmung ist nur sehr begrenzt bewusst (willentlich) möglich, zumal bzgl. innerer Organe! Man kann nicht seine “Leber” spüren, nicht die Bauchspeicheldrüse und nicht sein Knochenmark und nicht die Lunge. Nur auftretende Schmerzen lassen begrenzt auf das betroffene Organ schliessen – einen beginnenden Leberkrebs nimmt man nicht wahr. Schmerzen im rechten Oberbbauch können wir zudem nur mit “Leber” assoziieren, wenn wir vorher wissen, dass dort die Leber sitzt – es kann aber auch die Galle sein – oder die Schmerzen sind in der Schulter lokalisert …oder! Wir nehmen das Gehirn nicht wahr, weil es eben – wie alle parenchymatösen Organe – keine sensible Versorgung hat, lediglich die Hüllen (z.B. Hirnhaut) sind sensibel versorgt und werden entsprechend bei Läsionen wahrgenommen! Von der Bauchspeicheldrüse nehmen wir – weder im normalen noch im krankhaften Falle – etwas wahr – allenfalls aus den Folgen!
    Also: Die abendländische Philosophie hat eine 2500 jährige Tradition. Ein paar bunte Bildchen – die eh kaum jemand versteht (siehe fMRT des toten Lachses) – sagen allenfalls etwas über die notwendigen Bedingungen von Bewusstsein/Ich/Selbst aus, welche allerdings nicht hinreichend sind!

  2. Antwort von Georg Northoff

    Herr Stürmer erwähnt zentrale Punkte, die Unfähigkeit unserer eigenen physikalischen Prozesse direkt also solche wahrzunehmen. Das ist, was ich als physical autoepistemic limitation bezeichnet habe. Und das ist, wie er Stürmer auch schreibt, tatsächlich Philosophie, oder besser gesagt Epistemologie.

    Herr Stürmer hat auch Recht, wenn er sagt, dass das Gehirn nur die notwendigen Bedingungen von Selbst und Bewusstsein ermöglicht. Ich möchte hier spezifizieren: Die notwendigen Bedingungen des aktuellen Selbst und des Bewusstseins und die notwendigen Bedingungen der Möglichkeit von Selbst und Bewusstsein.

    Die Unterscheidung von aktuellem und möglichen Selbst und Bewusstsein ist eine traditionell philosophische Unterscheidung, die ich in den Kontext des Gehirns und somit der Neurophilosophie stelle.

    Schade, dass ein Philosoph wie Herr Stürmer in seiner Ablehnung eines reduktiven Ansatzes der Neurophilosophie – eines Gehirn-reduktiven Ansatzes –, die Möglichkeiten eines non-reduktiven und Gehirn-basierten Ansatzes nicht sieht. Denn ein solcher geht tief in die Philosophie und stellt deren Annahmen in einen neuen Kontext: den des Gehirns. Das ist nichts Neues; die Philosophie hat immer wieder neue Kontexte exploriert.

  3. Antwort von Georg Northoff

    Stürmer ist nicht Philosoph, sondern Neurologe!
    Die Neurobiologie hat hervorragende Ergebnisse erbracht bzgl. Erforschung neurologischer Erkrankungen, was letztendlich auf einem Gehirn-reduktiven Ansatz beruht, also der Identifikation definierter Fehlfunktionen. Die Ergebnisse bzgl. psychischer Erkrankungen sind mit diesem Ansatz rar, Ergebnisse bzgl. mentaler Prozesse m.E. gehen gegen Null – sieht man von den grundlegend notwendigen Prozessen wie Vigilanz (siehe “Wachkoma”) ab. Trotzdem befürworte ich weitere Forschung, wenngleich der Erwartungshorizont für die aktuell angestossenen Großvorhaben nicht zu hoch angesetzt werden sollte.

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