Turings Werk und Searles Beitrag (1)

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kognitiv inspiriert künstlich intelligent
Analogia

Nicht nur im Vereinigten Königreich, sondern an Informatikinstituten und Fakultäten weltweit sind zur Zeit ungewöhnlich viele Poster mit dem Portraitphoto eines Mannes im Stile der 1940er oder 1950er zu finden: Ankündigungen von Veranstaltungen im Zusammenhang mit dem Turing Jahr 2012, der Feier des 100. Geburtstags von Alan Turing. Doch Turing genießt Bekanntheit auch über die Welt der Informatik hinaus.

Nimmt man etwa die Trefferzahl einer Google-Suche nach dem Namen „Alan Turing“ als Index, so rangiert dieser ungefähr auf Augenhöhe mit „Bilbo Baggins“ (dem englischen Originalnamen von Tolkiens Bilbo Beutlin). Dies fußt nicht nur auf seiner Rolle als brillanter Grundlagentheoretiker, Vordenker und konzeptueller Wegbereiter der modernen Computerwissenschaften, sondern auch auf einem seiner bedeutendsten Beiträge zum Gebiet der Künstlichen Intelligenz: Dem Turing-Test.

Wobei es sich dabei nun eigentlich handelt, was Sinn und Zweck des Tests ist, und in welchem Zusammenhang dies alles mit chinesischer Sprachkompetenz steht, wird Thema dieser kurzen dreiteiligen Serie an Blog-Einträgen sein.

 

In seinem Paper “Computing Machinery and Intelligence” (CMaI) geht Turing unter anderem einer auf den ersten Blick simpel erscheinende, sich jedoch als hochkomplex herausstellenden Frage nach: Gesetzt der Fall, es würde gelingen, einen ernstzunehmenden Kandidaten für eine “intelligente Maschine” zu konstruieren, wie könnte nun eigentlich entschieden werden, ob das Grundproblem der KI-Forschung gelöst wurde, oder nicht? Oder anders formuliert: Was wäre ein valider Test, welchen ein System bestehen müsste, um als künstliche Intelligenz betrachtet zu werden?

Man sollte hierbei stets im Hinterkopf behalten, dass “Computing Machinery and Intelligence” auch der Aufsatz ist, in welchem Turing die Frage “Can machines think?” stellt. Lediglich getrennt von wenigen Zeilen Text formuliert er also eine herkulisch anmutende Aufgabe, und investiert direkt danach eine beträchtliche Menge an Aufwand und Energie darin, ein Entscheidungskriterium für das Bestehen eben dieser Herausforderung zu finden – Turing scheint sich der generellen Möglichkeit der Konstruktion einer künstlichen Intelligenz ziemlich sicher gewesen zu sein.

(Anmerkung: Turing beschäftigte sich wohl mindestens seit den frühen 1940ern mit Themen im Dunstkreis von “thinking machines”, CMaI stellt allerdings das erste Vorkommen der expliziten Frage nach der Möglichkeit maschineller Intelligenz in dieser Form und Formulierung dar.)

 

“I propose to consider the question, ‘Can machines think?'” – Turing erkennt bereits ganz zu Beginn seiner Überlegungen in CMaI, dass es ihm nicht gelingen wird, diese Frage in ihrer von ihm ursprünglich gewählten Formulierung zu beantworten, sind doch sowohl der verwendete Begriff “machines”, und noch viel mehr das Konzept “think”, in ihrer Allgemeinheit nur unklar umrissen und überaus schwierig präzise zu definieren. Daher entschließt er sich, stattdessen eine in seinen Augen eng verwandte (und wesentlich eindeutigere) Frage zu betrachten: “Are there imaginable digital computers which would do well in the imitation game?”. Aus allgemeinen Maschinen wurden somit digitale Computer, und an die Stelle des generellen Denkens tritt das vorgeblich klar messbare Abschneiden im sog. Imitationsspiel – womit bereits alle notwendigen Bestandteile des Turing Tests versammelt sind. Doch eins nach dem anderen.

 

Turing ist in diesem Gedankengang ganz Kind seiner Zeit, handelt es sich beim Imitationsspiel doch um ein (in den 1940ern angeblich populäres) Partyspiel. Die Regeln sind dabei wie folgt: Gegeben drei Spieler, einen Mann A, eine Frau B, und einen Schiedsrichter C (Mann oder Frau). Der Schiedsrichter C kennt  weder A, noch B, kann keinen von beiden direkt sehen, und auch lediglich vermittels geschriebener Botschaften mit ihnen kommunizieren (z.B. da sich alle drei in unterschiedlichen Räumen befinden, und nur Zettelchen unter den Verbindungstüren hindurch austauschen können). Die Aufgabe von C ist es nun, durch das Stellen geeigneter Fragen herauszufinden, welcher der beiden anderen der Mann oder die Frau ist. Die Rolle von Spieler A ist hierbei, C zu einer falschen Entscheidung zu verleiten (der Mann versucht also, C glauben zu machen, er sei die Frau), während Spieler B versucht, C im Finden der richtigen Antwort zu helfen (die Frau versucht also, C die tatsächliche  Verteilung mitzuteilen).

 

Dies dient nun als Grundlage für die folgende Modifikation, den sog. “Original Imitation Game Test”: Anstelle dessen, die Rolle von Spieler A durch einen Mann einnehmen zu lassen, soll ein Computer diesen Part übernehmen. Die Aufgabe der Maschine wäre also, ganz analog der originalen Situation, den Schiedsrichter C davon zu überzeugen, dass sie selbst, und nicht die tatsächlich weibliche Spielerin B, die Frau ist.

Als Erfolgskriterium schlägt Turing hierbei eine statistische Auswertung vor: Gegeben mehrere Wiederholungen des Spiels, falls der Schiedsrichter im Falle dessen, dass A durch einen Computer gespielt wird, nicht signifikant häufiger die richtige Entscheidung trifft (also B als Frau identifiziert), als dies der Fall wäre, wenn A durch einen Mann gespielt wird, so kann die Maschine wohl als intelligent bezeichnet werden.

 

Doch Turing führt, etwas später in CMaI, noch eine zweite Variante ein (heute als “Standard Turing Test” bezeichnet): Angenommen, die Rolle von A wird erneut von einem Computer eingenommen, was geschieht wenn B nun von einem Mann gespielt wird, und alle anderen Bedingungen gleich bleiben. Dies hat zur Folge, dass nun beide Spieler, A und B, versuchen, den Schiedsrichter C zu täuschen – A als Computer, welcher vorgibt, eine Frau zu sein, und B als Mann, welcher versucht, als weiblich wahrgenommen zu werden.

Die moderne Interpretation dieser Version des Tests modifiziert nun das Entscheidungskriterium noch dergestalt, dass die Evaluation geschlechterunabhängig wird, und C anstelle der ursprünglichen Frage stattdessen entscheiden muss, wer von beiden Spielern menschlich ist. Der Test wird also um eine Stufe einfacher, geht es doch aus Sicht der Maschine nicht mehr darum, spezifisch (im statistischen Vergleich mit einem Mann) eine Frau zu imitieren, sondern “lediglich” darum, menschliches Konversationsverhalten glaubhaft nachzuahmen.

 

Insofern kann also schon einmal festgehalten werden, dass es offenbar nicht nur einen, sondern mehrere Turing Tests gibt – je nach persönlicher Vorliebe und Interpretation der Vorschläge und Betrachtungen in Turings Aufsatz. Gemeinsam ist dabei vielen möglichen Auslegungen, dass sie “Ähnlichkeit zu menschlichem Verhalten” als Kriterium dafür verwenden, einer Maschine Intelligenz zuzuschreiben, oder eben nicht (was wiederum – meines Dafürhaltens: mit gutem Grund – Grundlage zahlreicher philosophischer Debatten und Auseinandersetzungen ist).
Dabei sind beide oben beschriebenen Tests wesentlich unterschiedlich:

Während der Standard Turing Test ganz klar in die Familie der eben erwähnten “Assimilationstests” gehört, ist dies für den Original Imitation Game Test nicht unbedingt der Fall, kann es doch auch passieren, dass ein Mann den Original Imitation Game Test nicht besteht. Zwar wird ein Vergleich zu menschlichem Verhalten als ein Kriterium für maschinelle Intelligenz verwendet, jedoch dürfte – anders als im Standard Turing Test – die Fähigkeit, menschliches Konversationsverhalten zu imitieren, alleine nicht ausreichen, um erfolgreich (im Wettbewerb mit einem Mann) als Frau wahrgenommen zu werden. Vielmehr werden hierbei andere höhere kognitive Fähigkeiten benötigt, wie etwa Kreativität, Rationalität, etc. – zusammenfassend also viele (wenn nicht sogar alle) Facetten dessen, was wir als Intelligenz bezeichnen.

 

Soviel für den Moment. Vor einem kurzen Ausblick auf die verbleibenden Teile der Eintrags-Serie hier noch einmal kurz zusammengefasst, was bisher geschehen ist: Wir hatten einen Blick auf die Ausgangssituation für die Entstehung des Turing-Tests, haben den Test formal eingeführt, zwei der populärsten Interpretationen (Original Imitation Game Test und Standard Turing Test) ausspezifiziert, und uns kurz mit dem grundlegenden Unterschied zwischen beiden Varianten auseinandergesetzt.

Der nächste, zweite Teil von “Turings Werk und Searles Beitrag” wird sich nun kritisch allgemein mit Stärken und Schwächen der eben vorgestellten Test-Konzeption beschäftigen, bevor im dritten Teil John Searles berühmtes “Chinese Room Argument” und dessen Bedeutung und Auswirkungen für den Turing Test (sowie generell für das Streben nach maschineller Intelligenz als solche) zur Sprache kommen sollen.

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Jack of all trades, (hopefully) master of some: - Diplommathematiker (FAU Erlangen-Nürnberg),... - ...Logic Year-Absolvent (ILLC, Universiteit van Amsterdam),... - ...PhD in Cognitive Science (IKW, Universität Osnabrück),... - ...Postdoc am KRDB der Freien Universität Bozen-Bolzano,... - ...und inzwischen am Digital Media Lab der Universität Bremen. Themen aus der (vor allem kognitiv-inspirierten) künstlichen Intelligenz, der künstlichen Kreativität, der Philosophie des Geistes, und dem Grenz- und Interaktionsbereich zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. ==================== Alle zum Ausdruck gebrachten Annahmen, Meinungen, Einschätzungen, und Stellungnahmen stellen ausschließlich meine private Position zu den jeweiligen Themen dar, und stehen (außer, wenn explizit anders ausgewiesen) in keinem inhaltlichen Zusammenhang mit Institutionen aus meinem beruflichen Umfeld.

1 Kommentar

  1. Turing-Test stellt Frage: Was ist der IQ

    Wenn ein Computer als Mensch durchgeht muss er Intelligenz besitzen – und noch vieles mehr.
    Doch muss man den Menschähnlichkeitstest bestehen um intelligent zu sein? Nicht unbedingt. Man kann sich sehr clevere Maschinen vorstellen, die Experten für ein bestimmtes Teilgebiet sind, jedoch keinerleie Menschenähnlichkeit zeigen.

    Sollen Maschinen allerdings dem Menschen in ähnlicher Art und Weise assistieren wie das ein Butler tut, dann ist Einfühlungsvermögen in den Menschen wohl unabdingbar.

    Die Frage Can machines think? erfordert also nur dann den Turing-Test, wenn man den Begriff Denken in seiner ursprünglichen engen Auslegung – als geistige Aktivität eines Menschen – interpretiert.

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