Unsterblichkeit und Nobelpreise

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Würziges aus den Biowissenschaften
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Wir haben uns alle aus einer kleinen Eizelle entwickelt. Durch viele Entwicklungstufen hindurch haben unsere Zellen den richtigen Platz in unserem Körper gefunden und sich dort ihren Aufgaben entsprechend spezialisiert. Knochen wurden gebildet, Nervenzellen verknüpft, das Immunsystem geprägt. Dieser Prozess der Entwicklung und Entfaltung ist unumkehrlich. Beim erwachsenen Menschen hat sich der Körper entfaltet und einen Weg zurück zum Embryo ist nicht vorzustellen. Doch was wäre wenn man den Lebensfaden wieder aufwickeln könnte? Die Entwicklung zurückdrehen? Es käme dem Traum der Unsterblichkeit sehr nahe.

Der diese Woche vergebene Nobelpreis für Medizin ging an zwei Forscher, die diese Vision bestimmt schon einmal hatten. John Gurdon und Shinya Yamanaka haben es beide geschafft, auf Zelleebene, die Entwicklunguhr zurück zu drehen. John Gurdon brachte es 1962 zustande, in dem er einen Kern in eine embryonale Zelle einschleuste. Daher war es nicht wirklich die Zelle, sondern nur der Kern, der neu programmiert wurde. So fand man aber herraus, dass innerhalb einer Embryonalzelle irgendwelche Stoffe zu finden sind, die alles Erlebte, was auf der DNA durch so genannte epigenetischen Mechanismen markiert werden kann, weglöscht: der große Enwicklungsradiergummi so zu sagen.

Shinya Yamanaka schaffte es 2006 Hautzellen, die viele Signale dazugebracht hatten, sich als Hautzellen zu entwickeln, wieder in embryoähnliche Zellen zu verwandeln, denen also alle Entwicklungsmöglichkeiten offenstehen. Das gelang ihm mit einem Molekülcocktail, das den selben Radiereeffekt hatte. Diese Moleküle gelangen durch genetisch modifizierte Viren in die Zelle. Was genau passiert, ist noch nicht wirklich klar, aber diese pluripotenten Stammzellen können jetzt hergestellt werden und finden in der Forschung große Anwendung. Vom Zurückdrehen der Uhr auf Ebene des Organismus sind wir noch weit entfernt.

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Reverse development in Cnidaria Piraino, S.; De Vito, D.; Schmich, J.; Bouillon, J.; Boero, F. (2004). Reverse development in Cnidaria Can. J. Zool. 82: 1748–17

Nun kommt für mich die Sensation: es gibt eine unglaubliche Qualle, die sich zurückentwickeln kann, wenn es zu ungemütlich wird. Sie bildet ihren ganzen Körper zurück zum Polypen, einer Embryonalform dieses Tieres! Sobald es zu alt oder in einer feindlichen Umgebung ist, verwandelt es sich zurück, immer wieder, und ist so, möglicherweise, unsterblich. Es kann immernoch gefressen werden, zerstört werden, aber es wird möglicherweise nie altersbedingt sterben. In dieser Xeniussendung über Quallen hörte ich das erste mal von Turritopsis nutricula ( siehe 22:53 min).

Dieses Video ist auch recht informativ.

Manche verwandte Nesseltiere wie Anemonen und Korallen, können zwar zwischen bestimmten Entwicklungstadien wechseln, aber nur Turritopsis nutzt den Prozess der Transdifferenzierung

“Transdifferentiation is defined as a change in commitment and gene expression of well-differentiated, non-cycling somatic cells to other cell types directly or through their reversion to undifferentiated cells”

heisst es in dem 2004 im Canadian Journal of Zoologie erschienene Review von Prof. Stefano Piraino aus Salento. Die Zellen werden also, wie die pluripotenten Stammzellen rück- und umprogrammiert und zwar im ganzen Organismus. Die Mechanismus ist noch nicht klar. Vielleicht der selbe Radiergummi wie bei den pluripotenten Stammzellen? Doch hier wird der Mechanismus durch Umweltsignal ausgelöst, es werden keine Viren benötigt. Herauszufinden, was genau bei der Rückentwicklung passiert, wäre meiner Meinung nach noch eine Nobelpreis wert und sicherlich ein großer Schritt für Krebs- und Stammzellforschung! Es wäre auch interressant sich die Mechanismen des Alterns bei diesen Tieren anzuschauen: sind sie wirklich alle reversibel? Keine Telomerverkürzung oder ähnliches? Es könnte uns aber auch viel über die Bedeutung und Funktion von Leben und Tod erkenne lassen.

http://www.biolbull.org/content/190/3/302.full.pdf+html
http://www.nrcresearchpress.com/doi/abs/10.1139/z04-174#.UHbMzIEyqjU

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Mit einem Diplom in Biologie in der Tasche, einer halben Doktorarbeit und viele Ideen will ich meinen Senf dazugeben. Meine irrsinnige Begeisterung für Lebewesen und des Lebens Wesen, möchte ich weitervermitteln. Und das an JEDEN. Jeder soll wissen, wie unglaublich Grottenolme sind und warum auch Gliazellen unserer Aufmerksamkeit bedürfen, dass Ratten nicht nur ekelig sind und die heimische Topfpflanze vielleicht bald schon die Nachttischlampe ersetzt. In Tübingen habe ich studiert, in Bern der Forschung den Rücken gekehrt. In Berlin bin ich nun auf der Suche nach Alternativen im Feld der Biologie und Kommunikation. Ganz besonders nach meinem Geschmack sind verrückte, unglaubliche oder einfach nur lustige Geschichten aus Ökologie, Evolution, Medizin und Technik. Schmeckt euch der Senf? Sonst mischt doch mal mit! Mathilde Bessert-Nettelbeck

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