Wissenschaft, die Medien und ADHS

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Wer öfters Wissenschafts-Blogs liest, dem ist sicherlich schon aufgefallen, dass gerne über “traditionelle” Medien (also TV und Zeitungen) gemeckert wird. Oft werfen Blogger den “traditionellen” Journalisten vor, keine Ahnung von Wissenschaft zu haben und Ergebnisse aufzubauschen oder falsch zu berichten [1]. Aber stimmt das wirklich? Werden Ergebnisse aus der Wissenschaft wirklich falsch repräsentiert, und falls ja, woran liegt das? An den Wissenschaftlern selber, die in ihren Presseerklärungen marginale Ergebnisse überpräsentieren, oder an den Journalisten, die solche Ergebnisse falsch zusammenfassen?

Francois Gonon und Kollegen haben sich die Berichterstattung über ADHS angeschaut – dazu haben sie über 360 Paper aus der Forschung mit der jeweiligen Berichterstattung aus der Presse verglichen. ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) ist den meisten sicherlich bekannt; mit einer Verbreitung von 7-9% ist ADHS die am weitesten verbreitete neuropsychiatrische Krankheit bei Kindern. Da also viele Menschen von dieser Krankheit betroffen sind, wird gern und oft über Ergebnisse aus der Forschung berichtet.

Ob die ganze Krankheit denn Quatsch ist, oder ob Handystrahlen Schuld dran sind soll heute nicht diskutiert werden. Kommen wir lieber zur Studie an sich (“Misrepresentation of Neuroscience Data Might Give Rise to Misleading Conclusions in the Media: The Case of Attention Deficit Hyperactivity Disorder”): Zu Beginn haben die Forscher eher zufällig in zwei Papern Fehler gefunden, die dann auch gleich von den Medien übernommen wurden. In den besagten zwei Veröffentlichungen wurde im Diskussionsteil etwas behauptet, was in den Resultaten gar nicht vorkam! (Wer noch nie ein “richtiges” Paper gelesen hat, sollte bei [2] nachschauen) Die Medien (in diesem Fall z.B. Wall Street Journal und Washington Post) haben dann diese Behauptungen aus dem Diskussionsteil übernommen.

Eine der beiden “ertappten” Studien (hier zu finden) behauptete in ihrem Diskussionsteil, Kinder mit ADHS könnte durch Stimulanz-Medikation in der Schule geholfen werden, was dann auch in Zeitungen gedruckt wurde. Im Resultat-Teil gibt es jedoch keinen Unterschied zwischen der “Nimmt-Medikamente”- und der “Nimmt-keine-Medikamente”-Gruppe bei der Anzahl der Schulabbrecher, auch waren beide Gruppen beim Lesen gleichauf. In diesem Fall liegt die “Schuld” an der Falschdarstellung also eher bei den Forschern (und Reviewern). Edit: Wie von Balanus in den Kommentaren richtig erkannt, ist hier von mir ein wenig übertrieben worden – die zitierte Studie hat einige Ergebnisse, die den positiven Wert der Medikation zu unterstützen scheinen. Die Linie zwischen “übertrieben” und “angemessen” ist hier ein wenig schwammig.

Zur nächsten Art der Falschdarstellung: Dem Auslassen von Fakten. Dafür haben sich die Forscher speziell eine Variente des DRD4-Gens angeschaut, dass signifikant mit ADHS zusammenhängt. ADHS-Patienten haben ein Frequenz des Allels von 23%, und hier fängt’s schon an: Bei Menschen ohne ADHS liegt das Allel mit einer Frequenz von 17% vor, der Unterschied ist also nicht wirklich groß (trotzdem statistisch signifikant!). Das Risiko, mit dem Allel auch gleich ADHS zu entwickeln, ist also eher gering.

Schaut man sich die wissenschaftliche Literatur die das DRD4-Gen erwähnt an, so ist das Bild doch recht erschreckend: von den 117 Studien an Menschen, in denen DRD4 erwähnt wird, erwähnen 74 nicht, dass das ADHS-Risiko gering ist. Von den 43 Reviews (also einzelne Veröffentlichungen, die viele andere zusammenfassen und den aktuellen Stand der Forschung repräsentieren) erwähnen nur 6 das geringe ADHS-Risiko! Kein Wunder also, dass in den “traditionellen” Medien 82% der untersuchten Artikel das gerine Risiko nicht erwähnen.

Kommen wir zur letzten Art: dem Aufbauschen bzw. Extrapolieren von Ergebnissen. Beispiel: Eine Studie (hier) behauptet, dass Medikamente, die das Abschalten von Dopamin-Transportern ermöglichen, bei ADHS hilfreich sein können. Das Problem: Die Studie wurde mit nur 6 Patienten durchgeführt! Statistische Signifikanz bekommt man so nur mit Magie hin. Leider wurde der Rückschluss dann auch gleich von den Medien übernommen. Ich gebe zu, ich glaube, auch ich extrapoliere ab und zu sehr; will ich den Leuten doch zeigen, dass sehr grundlegende Ergebnisse trotzdem irgendwann zu einer Therapie führen können.

Die heute vorgestellte Studie verglich leider nur “traditionelle” Medien und wissenschaftliche Veröffentlichungen, “wir” Blogger wurden außen vorgelassen. Ich würde behaupten, Blogger sind genauer und kritischer, wenn’s um Paper geht; haben die meisten doch einen Abschluss in den Wissenschaften und arbeiten auch dort. Aber was denkt ihr? Sind die “neuen” Medien genauer oder kritischer? Haben Journalisten keine Ahnung? Oder sind doch die Wissenschaftler schuld, wenn sie ihn ihren Pressemitteilungen übertreiben?

Anmerkungen:
[1]: Was bei uns Bloggern ja nie passiert.
[2]: Die Struktur eines Papers ist meist so aufgebaut: Zuerst das “Abstract”, in dem das gesamte Paper kurz zusammengefasst wird, dann Einleitung, dort wird der aktuelle Stand der Forschung zusammengefasst und das Ziel der Studie wird aufgelistet. Als nächstes kommt (nicht immer) der Material & Methoden-Teil, der auch gerne mal im Anhang verschwindet; dann die Ergebnisse, in denen die Daten präsentiert werden, und zuletzt die Diskussion, in der versucht wird, einen Sinn aus den Daten zu ziehen und einen Ausblick auf künftige Forschung zu geben.

Gonon, F., Bezard, E., & Boraud, T. (2011). Misrepresentation of Neuroscience Data Might Give Rise to Misleading Conclusions in the Media: The Case of Attention Deficit Hyperactivity Disorder PLoS ONE, 6 (1) DOI: 10.1371/journal.pone.0014618

Veröffentlicht von

Philipp hat einen Bachelor in Biologie, ein Graduate Certificate in IT und studiert momentan für seinen Master in IT in einem übertrieben großen Land voller Spinnen und Schafe. Für die Bierologie schreibt er zumeist über Biologie, Evolution und allem was an den Rändern der Gebiete noch so angeschwemmt wird.

7 Kommentare

  1. Wissenschaft und die Medien

    Es gibt auch Fälle in den Medien, wo man beim besten Willen mit Unterstellung solcher harmlosen Sachen wie Misinterpretation, Weglassen von Fakten oder deren Aufbauschen nicht mehr weiter kommt. Da werden Dinge behauptet und von medienpräsenten Interessengruppen abgekupfert, die schlichtweg falsch sind. Und das i-Tüpfelchen dieser ethischen Verwerfung ist dann noch die konstruierte Verbindung mit menschlichen Schicksalen. Siehe hier:
    http://www.transgen.de/…wtopic.php?f=2&t=198

  2. Falschdarstellung

    Eine der beiden “ertappten” Studien (hier zu finden) behauptete in ihrem Diskussionsteil, Kinder mit ADHS könnte durch Stimulanz-Medikation in der Schule geholfen werden, was dann auch in Zeitungen gedruckt wurde. Im Resultat-Teil gibt es jedoch keinen Unterschied zwischen der “Nimmt-Medikamente”- und der “Nimmt-keine-Medikamente”-Gruppe bei der Anzahl der Schulabbrecher, auch waren beide Gruppen beim Lesen gleichauf. In diesem Fall liegt die “Schuld” an der Falschdarstellung also eher bei den Forschern (und Reviewern).

    Philipp, Hand aufs Herz, hast Du die Aussagen des Papers von Bogon et al. überprüft, indem Du Dir die “ertappten” Studien selbst angeschaut hast? So eindeutig und klar, wie Du das hier darstellst, scheint mir die Sache nämlich nicht zu sein.

  3. Balanus: Hand auf’s Herz, meine Uni hat da keinen Vollzugriff. Aber komisch ist es schon:
    Hier findet man das Zitat, dass auch ich benutzt habe – der Teil des Textes aus dem “original” zitierten Paper scheint sich da nicht zu decken. Eine Idee, warum das sein könnte?

  4. Blogger vs. Journalisten?

    Ich glaube erstmal nicht, dass Blogs per se irgendwie genauer, kritischer oder “besser” sind, als das traditionelle Medien sind. Das hängt doch, genauso wie bei den trad. Medien, vor allem von dem Autor ab.

    Unter den Blogs gibt es viele Autoren, die schreiben über ihr Fachgebiet oder haben eine gute, wissenschaftliche Ausbildung bekommen. Die sind oft recht genau und nehmen Veröffentlichungen kritisch auseinander.

    Aber genauso gibt es die Blogs, die entweder nur PR für Firmen machen oder von “Laien” geschrieben werden. Entweder in böswilliger Absicht, man denke nur an die Kreationisten, oder einfach weil das Fachwissen nicht da ist.

    Wenn wir hier anfangen würden über Astrophysik zu schreiben, dann wäre das vermutlich auch nicht qualitativ hochwertig oder kritisch. Wie denn auch?

    Genauso gibt es andersrum auch Journalisten in traditionellen Medien die wirklich gute Artikel schreiben, sogar bei Spiegel Online ist ja manchmal ein Lichtblick dabei. Auf der anderen Seite findet man da aber genauso oft schlecht geschriebene Artikel. Entweder weil der Autor keine Ahnung vom Thema hatte, oder weil einfach nur die Pressemitteilung der Forscher kopiert wurde.

    Und gerade im letzteren Fall muss man sich als Wissenschaftler auch an die eigene Nase fassen. Ich verstehe den Druck, dass man möglichst tolle Ergebnisse – am besten mit tollen Anwendungen in der Medizin & Co – publizieren will. Hängt davon doch auch die weitere Ausstattung mit Forschungsgeldern ab, und gerade bei der Werbung um Drittmittel ist es sicherlich hilfreich, wenn man bei SpOn & Co mit “XYZ wird Krebs heilen” auftaucht.

    Aber dabei geht nicht nur die Genauigkeit vor die Hunde, sondern man darf sich dann auch nicht beschweren, wenn die Leute a) keine Ahnung haben und Unsinn schreiben und b) weckt man damit völlig unrealistische Erwartungen an den wissenschaftlichen Fortschritt. Zum aktuellen Jahrestag denke man nur mal an die Fortschritte durch das Human Genome Project. 😉

    tl;dr: Weder Blogger noch Journalisten sind eindeutig besser, es kommt auf den Autor an. Außerdem: Wissenschaftler sollten in ihren Pressemitteilungen nicht so übertreiben.

  5. Original und “Fälschung”

    @Philipp Bayer: » …meine Uni hat da keinen Vollzugriff. «

    Das ist ein ernstes Problem an vielen deutschen Unis.

    » …der Teil des Textes aus dem “original” zitierten Paper scheint sich da nicht zu decken. Eine Idee, warum das sein könnte? «

    Die Studie hat mehrere Ergebnisse geliefert. Die Autoren beziehen sich eben primär auf die Resultate, die einen positiven Effekt der Medikation zu stützen scheinen. Und manchmal können schlichte Mittelwertvergleiche einen echten Effekt auch verdecken.

  6. Selektive Wahrnehmung

    Häufig beschäftigt sich ein Paper ja auch schon nur mit sehr sehr speziellen Sichtweisen, die nun nicht unbedingt der allgemeinen Überzeugung entsprechen müssen. Ich versuche beispielsweise gerade die Ergebnisse einer groß angelegten Studie zu Psychoanalyse und Depressionen zu finden, die angeblich neurobiologische Veränderungen durch Analyse nachweisen wollte. Merkwürdig nur, dass man dazu nichts mehr liest. Das Weglassen von Ergebnissen (möglicherweise also die Erkenntnis, dass es total egal ist, ob man Psychoanalyse bei Depressionen macht oder aber ins Eiscafe geht) wird dann anders gewertet als eben eine Miniveränderung bei 6 Probanden. Fazit : Glaube nur Studien, die du selbst fälscht.

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