Warum wir Alkohol trinken können

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Im Ablauf eines trinkseligen Abends kommen irgendwann die tiefgängigsten Fragen auf. Darunter folgende: Warum können Menschen das eigentlich giftige Ethanol überhaupt trinken, ohne tot umzufallen? Und wo kommt die Alkoholdehydrogenase (ADH), die für den Abbau des Ethanols zu Acetaldehyd veranwortlich ist, eigentlich her? Den Beginn einer Antwort darauf gibt es in folgender Veröffentlichung: Natural alcohol exposure: Is ethanol the main substrate for alcohol dehydrogenases in animals? (“Natürliche Alkoholbelastung: Ist Ethanol das Hauptsubstrat für Alkohldehydrogenasen in Tieren?”, leider nicht Open Access). Darin haben sich die Forscher um Aída Hernández-Tobías die Evolution der drei ADH-Klassen[1] angeschaut, mit der Frage: Wo tauchte das Enzym zuerst auf – Gleichzeitig mit Ethanol, oder schon vorher?

Ethanol entsteht normalerweise bei der Vergärung von Zuckern durch Hefe. Dies geschieht in der Natur in Früchten. In reifen Früchten ist der Ethanol-Gehalt zwischen 0.04 und 0.72% angesiedelt, deswegen kommen frugivore (Frucht-essende) Tiere nicht um die Einnahme von ein wenig Alkohol. Allerdings reicht die Dosis nicht, um die ADH notwendig zu machen – es kommt bei so wenig Alkohol zu keiner Vergiftung. Zum Vergleich: Bier hat 3-6%, Wein 8-12%.

Ein Bier! Wie schön!

Darum gehts hier. Quelle

Die Frage um die Entstehungszeit ist wichtig: Wäre die ADH zeitgleich mit der Entstehung von Früchten (und damit Ethanol) entstanden, so wären die Früchte ausschlaggebender Faktor für die Entstehung eines neuen Proteins in Tieren gewesen.

Wäre Ethanol schon vorher entstanden, so wäre die Möglichkeit des Ethanol-Abbaus reiner Zufall, Bacchus würde würfeln! Diese “Zufälligkeit” liegt an der Bindespezifität von Proteinen: Stellt euch das aktive Zentrum, der Ort an dem die durch das Protein katalysierten Reaktionen stattfinden, wie einen Handschuh vor. Manche dieser Orte sind hochspezifisch zum jeweiligen Reaktionspartner (also eher wie ein Chirurgenhandschuh) und manche Proteine können verschiedene Partner aufnehmen (also eher wie ein Baseballhandschuh). In diesem Fall wäre die ADH in Reaktion auf einen anderen Stoff als Ethanol entstanden. Zum Beispiel im Menschen: Dort wird durch die ADH Methanol zum giftigeren Methanal oxidiert.

Wie genau wurde die Entstehungszeit der ADH untersucht? Dazu haben sich die Forscher durch die drei Klassen und ihre bekannten, jeweiligen Unterteilungen angeschaut. Dazu haben die Forscher die Daten aus einer anderen Veröffentlichung und öffentlichen Datenbanken wie z.B. ensembl genommen und sie automatisiert in 8 Gruppen unterteilt. Die genaue Abfolge der Analyse ist, zumindest für mich momentan, nicht erreichbar, da wird es anscheinend eine weitere Veröffentlichung zu geben. Zu jeder dieser Gruppen (z.B. Fadenwürmer, oder Primaten) wurde eine genauere Analyse durchgeführt.

Die Genauigkeiten aufzulisten würde meine mickrige australische Internetverbindung sprengen. Deswegen kürze ich ab: Klasse 2 aus der Ordnung der Diptera (Zeiflügler, eine sehr große Gruppe mit u.a. Fliegen und allen möglichen Mücken) war die einzige Enzym-Familie, die zeitgleich mit Früchten enstand. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass manche Insekten dieser Ordnung ihre Eier in Früchte legen, und die (sehr kleinen) Nachkommen dann mit für sie potentiell tödlichen Ethanolkonzentrationen umgehen müssen. In diesem Fall wäre die ADH als Abwehrmaßnahme gegen eine feindliche Kinderstube enstanden.

Alle anderen untersuchten Klassen (also auch unsere!) enstanden entweder zeitlich vor Früchten (und damit Ethanol) oder ihre Genexpression wird durch Trinkalkohol nicht angestellt, im Genom sind sie also für andere Stoffe vorgesehen. All diese Daten lassen auf eins schließen: Die Enstehung der modernen Alkoholdehydrogenase ist (zumindest zum größten Teil) nicht in Reaktion auf die Entstehung von Ethanol geschehen. Der Umstand, dass wir uns heute fröhlich betrinken können, ist also eher dem Zufall als der “Vorsehung” geschuldet.

Offen bleibt die Frage, woher die Alkoholdehydrogenase denn nun genau kommt. Welcher Stoff machte die Evolution der ADH notwendig? Das lässt sich im Moment schwer sagen und ist schwer nachzuweisen – mir kommt zuerst die Idee, einfach nach dem Stoff zu suchen, für den das aktive Zentrum der ADH die höchste Bindungsaffinität hat. Allerdings könnte diese Affinität auch nur Zufall sein, um das Bild von oben fortzusetzen: Tennisbälle passen auch hervorragend in Baseballhandschuhe. Die Forscher schreiben in ihrem Fazit, dass die Quelle der ADH wahrscheinlich im Bereich der im Körper erzeugten Alkohole (also alle Stoffe mit einer OH-Gruppe) und Aldehyde (also alle Stoffe mit einem doppelt gebundenen Sauerstoff am Ende der Molekülkette) zu finden ist. Was würde passieren, wenn man im “normalen” Stoffwechsel (sagen wir, einer Maus) die ADH ausschaltet? Wäre interessant!

Also: Prost!

[1]: Die Klassen-Unterscheidung basiert u.a. auf der Klass des Zentralions: Klasse 1 hat Zink, Klasse 2 hat keins, Klasse 3 hat Eisen.

Hernández-Tobías, A., Julián-Sánchez, A., Piña, E., & Riveros-Rosas, H. (2011). Natural alcohol exposure: Is ethanol the main substrate for alcohol dehydrogenases in animals? Chemico-Biological Interactions DOI: 10.1016/j.cbi.2011.02.008

Veröffentlicht von

Philipp hat einen Bachelor in Biologie, ein Graduate Certificate in IT und studiert momentan für seinen Master in IT in einem übertrieben großen Land voller Spinnen und Schafe. Für die Bierologie schreibt er zumeist über Biologie, Evolution und allem was an den Rändern der Gebiete noch so angeschwemmt wird.

2 Kommentare

  1. @Karl Bednarik:
    Beides schöne Beispiele für eine zufällig höhere Affinität!
    Da beide Stoffe anscheinend kaum in der Natur vorkommen, kann die Alkoholdehydrogenase nicht zusammen mit ihnen enstanden sein.

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