Selbstüberschätzung – Holt die Bänker aus den Türmen

BLOG: Bierologie

Weissbier & Wissenschaft
Bierologie

Wir Menschen haben ja eine recht fest verwurzelte Neigung dazu alle Dinge die mit Macht, Erfolg und Fähigkeiten zu tun haben auf einer vertikalen Skala einzusortieren. Glaubt ihr nicht? Wir wollen hoch hinaus, fallen tief, klettern die Karriereleiter rauf, schaffen es dabei vielleicht sogar in die Oberen 10.000 und verlieren die Bodenhaftung dabei. Wir sortieren unsere Musik in Charts, stellen unsere Athleten in absteigender Höhe nach ihrer Platzierung auf Podeste und auch wenn Untermenschen aus gutem Grund nicht mehr benutzt wird, über die Unterschicht wird sich in Teilen der Bevölkerung trotzdem gerne aufgeregt. Aber hat diese, kulturübergreifende, Ausrichtung unseres Denkens eigentlich auch Auswirkungen auf unser Verhalten? Wenn man einer Publikation aus China in PLoS ONE glauben darf, dann schon. Und zwar haben sie sich mit dem Thema Priming beschäftigt. Damit umschreibt man die Tatsache, dass unser Verhalten im Alltag nämlich nicht so sehr von uns selbst gesteuert wird, wie wir es vielleicht glauben wollen. Sondern auch von den Umweltfaktoren abhängen, die unser Verhalten dann völlig unbewusst beeinflussen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die Tatsache wie sich unsere Wahrnehmung von Menschen verändert, je nachdem welche Temperatur das Getränk, welches wir kurz zuvor noch in der Hand gehalten haben, hatte. In einem Experiment wurden die Versuchspersonen, vermeintlich zufällig, gebeten doch kurz für jemanden seinen Becher zu halten. Danach gab man ihnen Texte über Personen zu lesen und sie sollten die in den Texten beschriebenen Personen einschätzen. Jene Probanden, die den Eiskaffee hielten, schätzen die Person aus dem Text als kühler ein. Jene mit dem heissen Kaffee die Person aus dem Text als wärmer. Die Versuchspersonen reagierten also ganz unbewusst auf den Sinneseindruck der Temperatur, dem sie kurz vorher noch ausgesetzt waren. Drei ganz ähnliche Experimente hat man nun auch mit einem Priming auf Höhe an je nach Versuch zwischen 80 und 100 Studenten durchgeführt.

China Tibet Himalaya

In dem ersten Experiment hat man die Studenten zufällig in 2 Gruppen eingeteilt: Jene die einen Test im zweiten Stockwerk absolvieren sollten und jene, die ihren Test im achten Stockwerk absolvieren sollten. Die Studenten wurden dann auf die dem Stockwerk entsprechende Höhe geprimt, indem man ihnen sagte, dass sie doch vorher bitte für 3 Minuten aus dem Fenster schauen sollen, damit sie einen freien Kopf kriegen. Anschliessend bekamen die Versuchspersonen einen 10 Fragen umfassenden Test, dessen Fragen immer 2 Antwortoptionen enthielten, wovon eine korrekt war (Beispiel: Welches Land ist größer? A: Kongo B: Sambia, A ist korrekt). Anschliessend wurden die Versuchteilnehmer dann noch befragt, wie viele Antworten sie glauben korrekt beantwortet zu haben. Aus der Differenz zwischen der geschätzten Anzahl an korrekten Antworten und der tatsächlich korrekt beantworteten Fragen kann man dann ablesen wie stark sich die Probanden über- oder auch unterschätzen. Die Ergebnisse dazu sind spannend: In der Anzahl der tatsächlich korrekt beantworteten Fragen finden sich keine Unterschiede zwischen den beiden Stockwerken. Im Schnitt wurden 5,51 korrekte Antworten auf dem oberen Stockwerk und 5,71 auf dem unteren Stockwerk gegeben. Allerdings schätzen die Probanden auf dem oberen Stockwerk im Schnitt, dass sie 5,94 Fragen korrekt beantwortet hätten. Auf dem unteren Stockwerk lag der Schnitt der Schätzungen jedoch bei 4,88 Fragen. Man findet also einen signifikanten Unterschied in der eigenen Einschätzung zwischen den beiden Stockwerken.

Skyline Frankfurt

Dieser Unterschied wird auch deutlich, wenn man sich die einzelnen Gruppen genauer anschaut: Auf dem oberen Stockwerk überschätzt sich die Gruppe nicht nur insgesamt, sondern der Anteil der Versuchsteilnehmer, die sich überhaupt überschätzen, ist hier signifikant größer als auf dem unteren Stockwerk. Das spricht schon einmal dafür, dass ein solches Priming aufgrund der Höhe wirkliche einen Unterschied bei der Selbsteinschätzung macht. Aber muss man für diesen Effekt wirklich hoch hinaus? Oder reicht es, wenn man sich nur entsprechende Fotos anschaut? Oder könnte es einfach an der unterschiedlichen Aussicht zwischen den beiden Stockwerken liegen? Aus dem achten Stockwerk hat man ja eine breitere Übersicht, als auf dem zweiten Stockwerk. Diese beiden Dinge hat man in zweiten Experiment getestet. Dazu hat man aus den Fenstern heraus Fotos gemacht und diese zum Teil in Photoshop so bearbeitet, dass der Blick in die Ferne versperrt war und der Fokus stattdessen auf die Distanz zum Boden gerichtet war. Die Versuchspersonen hier wurden dann in 4 Gruppen eingeteilt (zweiter/achter Stock und unbearbeitetes/bearbeitetes Foto) und sollten als erstes die Bilder bewerten um so auf die entsprechende Höhe geprimt zu werden. Danach bekamen sie den gleichen Test, wie in dem ersten Experiment. Dabei fanden die Forscher keinen Unterschied zwischen den Gruppen, die zwar auf eine Höhe, aber mit bearbeiteten oder unbearbeiteten Fotos geprimt wurden. Damit ist es unwahrscheinlich, dass sich die Effekte (auch jene aus Experiment 1) durch die unterschiedlichen Sichtweiten ergeben. Aber auch hier findet man die Unterschiede bezüglich der Selbstüberschätzung zwischen den Stockwerken. Wer das Foto, welches aus größerer Höhe gemacht wurde, sieht, der überschätzt sich stärker als jene die das Foto aus dem unteren Stockwerk gesehen haben.

Frankfurt

Die beiden Experimente geben bislang aber keinen Hinweis darauf, wieso das Priming auf diesen Sinneseindruck von Höhe zu unterschiedlicher Selbsteinschätzung führt. Eine mögliche Erklärung, die von den Forschern vorgeschlagen wird ist, dass wir unsere Gedanken über Fähigkeiten auch in einem mentalen Raum auf der vertikalen Achse ausbreiten, wie man ja auch an den ganzen Sprichwörtern dazu sehen kann. Mit dem dritten Experiment hat man versucht genau dies zu überprüfen. Dazu hat man gezielt versucht das mentale Bild mit der Selbstbewertung die nach dem Test stattgefunden hat, zu stören. Die Versuchspersonen bekamen wieder die Bilder, aufgenommen aus den verschiedenen Stockwerken, zu sehen und machten danach den für uns schon bekannten Test mit. Und danach sollten die Probanden sich auch wieder selbst einschätzen. Diesmal aber auf einer vertikalen Skala die von 0 bis 100 % korrekte Antworten skaliert war. Der Trick: Einmal verlief die Skala von unten nach oben (0 % unten, 100 % oben), so wie die meisten von uns das intuitiv erwarten würden, und im zweiten Fall genau gegenläufig (100 % unten, 0 % oben). Die Forscher erwarteten, dass die gegenläufige Skala das Priming zerstören oder zumindest abschwächen würde, da es der geistigen Repräsentation von den Fähigkeiten entgegenläuft. Und genau diese Erwartungen trafen auch ein. Bei den Gruppen, die sich selbst mit der „natürlichen“ Skala einschätzen sollte traf das Bekannte ein: Die Teilnehmer, die das höhere Bild zu sehen bekamen, überschätzen sich mehr, als jene die das tiefere Bild zu sehen bekamen. Dieser Effekt verschwand aber für jene Teilnehmer, die sich auf der entgegenläufigen Skala bewerten sollten.

Der Dunning-Kruger-Effekt lässt sich also ganz einfach über Fotos induzieren. Was für Auswirkungen diese Forschung hat ist natürlich ganz klar, wenn man sich die Frankfurter Skyline mal anschaut. Oder was glaubt ihr, auf welchen Etagen die ganzen Manager sitzen, die für die Finanzkrise verantwortlich sind? Ob höheninduzierte Selbstüberschätzung wohl eine Teilschuld trägt? Falls ihr euch selbst vor Dunning-Kruger schützen wollt: Sucht euch eine Parterre-Wohnung, nehmt das Himalaya-Motivational-Poster von der Wand und bewertet alles immer über Kopf.

Disclaimer: Der Autor wohnt und arbeitet im Hoch-Parterre und leidet deshalb ganz schrecklich am Impostor syndrome.

Fotos:
China Tibet Himalaya by Bernhard Goldbach, CC BY 2.0
Frankfurt by ND Strupler, CC BY 2.0
Skyline Frankfurt by Matthias Schack, CC BY-ND 2.0

Sun, Y., Wang, F., & Li, S. (2011). Higher Height, Higher Ability: Judgment Confidence as a Function of Spatial Height Perception PLoS ONE, 6 (7) DOI: 10.1371/journal.pone.0022125

Veröffentlicht von

Bastian hat seinen Bachelor in Biologie in nur 8 statt 6 Semestern abgeschlossen. Nach einem kurzen Informatik-Studiums-Intermezzo an der TU Dortmund hat es ihn eigentlich nur für ein Stipendium nach Frankfurt am Main verschlagen. Dort gestrandet studiert er dort nun im Master-Programm Ökologie und Evolution. Zumindest wenn er nicht gerade in die Lebensweise der Hessen eingeführt wird. Neben seinen Studiengebieten bloggt er über die Themen, die gerade in Paperform hochgespült werden und spannend klingen.

3 Kommentare

  1. Wolkenkratzer

    Danke für diesen interessanten Artikel. Was hälst Du davon die Banker unterirdisch arbeiten zu lassen, wie bei der “Umbrella Corporation” aus dem Film “Resident Evil”. Statt Wolkenkratzer grüne Parkanlagen.

  2. Bevor man sie alle in Untergrund-Anlagen schickt sollte man vielleicht erstmal schauen, was für ein Priming man damit hervorruft, oder? Nicht, dass sie dann anfangen dort Superviren zu züchten 😉

  3. Treppensteiger

    Bastian Greshake schrieb (31. Juli 2011, 12:49):
    > Disclaimer: Der Autor wohnt und arbeitet im Hoch-Parterre und leidet deshalb ganz schrecklich am Impostor syndrome.

    Das ist wohl kaum Ausdruck der paradox-selbstzweifelnden Variante des Dunning-Kruger-Syndroms, bei dem Betroffene dazu neigen, ihre Betroffenheit zu über- und ihre Klischeeleistung zu unterschätzen …

Schreibe einen Kommentar