Heimat und Identität: Auf der Suche

BLOG: Astronomers do it at Night

…und auch tagsüber
Astronomers do it at Night

Seit mehr als einem halben Jahr wohne ich nun in Heidelberg. Ein hübsches kleines Städtchen mit schmucker Altstadt, schön gelegen inmitten von Odenwald, Neckartal und Rheinebene. Ich kann guten Gewissens sagen: Es gefällt mir hier. Aber ist Heidelberg damit zu meiner Heimat geworden? Da muß ich dann sagen: Ich weiß es nicht. Noch nicht.

Ich bin im hohen Norden in der Marzipanstadt Lübeck geboren, der Stadt der sieben Türme, auch bekannt auch für das Holstentor. Als Lübeckerin habe ich mich allerdings nie gefühlt, denn meine Eltern wohnten in Groß Sarau, einem 500-Seelen-Dorf aus Einfamilienhäusern und Bauernhöfen etwa 15km südlich. Ich bin also ein echtes Landei, und als Kind war Lübeck für mich immer die Großstadt, in die man alle paar Wochen und Monate mal fuhr um neue Schuhe oder Kleidung zu kaufen.

Groß Sarau liegt idyllisch am Ufer des Ratzeburger Sees, einem der beiden größeren Seen im Naturpark Lauenburgische Seen im Osten Schleswig Holsteins, direkt an der Grenze zu Mecklenburg-Vorpommern. Wenn mich jemand fragt, woher ich komme, dann ist eben dies meine "Heimat". Etwas ganz ähnliches hätten meine Großeltern väterlicherseits über die Gegend in Pommern gesagt, aus der sie stammten und von wo sie nach dem zweiten Weltkrieg vertrieben wurden, obwohl sie danach viele Jahrzehnte – den Rest ihres Lebens – in der Kleinstadt Ratzeburg verbrachten.

Wenn man genau darüber nachdenkt, dann hat diese meine Heimat mit Sicherheit auch dazu beigetragen, daß ich jetzt hier bin. Der dörfliche Sternhimmel mit Blick auf die Milchstraße hat das seinige getan, um in mir die Faszination für die Astronomie zu wecken.

Kinder werden irgendwann erwachsen und ziehen dann häufig in die weite Welt hinaus. Ich habe es recht lange zuhause ausgehalten, in den ersten Jahren meines Physikstudiums in Hamburg nahm ich dafür jeweils eineinhalb Stunden Fahrt in eine Richtung zur Uni in Kauf. Irgendwann war dennoch der gewisse Punkt erreicht, an dem man weiß daß es nun an der Zeit ist sein eigenes Leben zu führen. Ich zog in das 50km entfernte Hamburg, genauergesagt nach Bergedorf. Das ist wichtig, denn die Bergedorfer – eingemeindet mit dem Groß-Hamburg-Gesetz 1938 – fühlen sich bis heute nicht als Hamburger. Sie fahren "nach Hamburg" wenn sie das Stadtzentrum meinen und Christoph Krupp, der Leiter des Bergedorfer Bezirksamts, ist ihr "Bürgermeister".

Die Kleinstadt Bergedorf wurde also meine neue "Heimat". Widerwillig, denn eigentlich wollte ich gar keine Hamburgerin werden. Ich wollte Schleswig-Holsteinerin bleiben, denn als solche fühlte ich mich und tue es auch noch heute irgendwie. Allerdings wurde ich auf dem Wohnungsmarkt in den angrenzenden Gemeinden Wentorf, Börnsen und Reinbek nicht fündig.

Schnell lernte ich die Vorteile zu schätzen, die man als Stadtbewohner hat. Im Umkreis von 500 Metern hatte ich zwei Supermärkte und keine Minute zu gehen bis zur Fußgängerzone mit ihren Geschäften. Mit der S-Bahn war man innerhalb von 20 Minuten im Zentrum, und das auch zu später Stunde. Dank gut ausgebautem öffentlichen Nahverkehr benötigt man im Hamburger Alltag kein Auto. Und selbst wenn man erst nach 23 Uhr aus dem Kino nach Hause kam, konnte man auf dem Heimweg noch schnell beim Kaufland den Wocheneinkauf machen.

 

Hamburg mit Hafen und Altstadtviertel

Ein Großstadtmensch wurde ich trotzdem nie, im Gegenteil. Im Stadtzentrum zu wohnen, wie es die meisten Studenten und auch viele Kollegen am Institut vorzogen, wäre nichts für mich gewesen. Ich genoß es, daß ich von Bergedorf aus nach nur zehn Minuten auf dem Fahrrad mitten in der freien Natur war und verbrachte viel Zeit in den Vier- und Marschlanden. Ich habe mich daher nie als Hamburgerin gesehen, sondern eher wie die Alteingesessenen als Bergedorferin. Eine Bergedorferin, deren Herz auch noch im meerumschlungenen Schleswig-Holstein schlug.

Immerhin, meine Welt wurde größer. Irgendwann ist auch für einen ehemaligen Dorfbewohner eine Millionenstadt wie Hamburg nichts besonderes mehr. Forschungsaufenthalte und Fachkonferenzen brachten mich wie selbstverständlich auf andere Kontinente. Noch bis weit in mein Studium hinein waren die Südtiroler Alpen die weiteste Urlaubsreise gewesen, die ich je unternommen hatte.

Geduldig habe ich der Verwandtschaft (aus der nur sehr wenige überhaupt studiert haben) immer wieder erklärt, daß ich nicht den Rest meines Lebens an der Hamburger Sternwarte werde verbringen können. Dennoch, die Vorstellung, daß man als Wissenschaftlerin überall auf der Welt arbeiten kann und muß, blieb gerade älteren Leuten wie meinen Großeltern mütterlicherseits fremd, deren Familien schon seit Generationen aus der Gegend der Lauenburgischen Seen stammten.

Ich hatte mich schon seit Beginn des Studiums an den Gedanken gewöhnt, in wenigen Jahren ganz woanders zu arbeiten. Was das aber wirklich bedeutet, merke ich erst jetzt, und das obwohl ich sogar innerhalb Deutschlands geblieben bin. Dennoch, einfach mal eben schnell bei den Eltern anrufen und sagen "ich komm heute Nachmittag vorbei", was von Hamburg aus kein Problem war, das geht von Heidelberg aus nicht mehr. Der Freundeskreis von früher ist plötzlich weit weg und man muß aufpassen, daß man den Kontakt nicht verliert.

Malerisches Städtchen Heidelberg

Aber ich habe ja nun eine neue "Heimat" – oder wie war das doch gleich? Genau hinschauen, oder bessergesagt hinhören lohnt sich. Daran merke ich nämlich, daß irgendetwas fremd ist. Man nehme zwei ältere Damen, die sich im Bus unterhalten. Der Dialekt mit dem sie sprechen, klingt in meinen Ohren noch immer ungewohnt, jede Menge sch-Laute, wo nach meinem Sprachgefühl keine hingehören. Hört man aber nochmal genauer hin, dann stellt man fest: Sie unterhalten sich über dieselben Dinge, über die sich auch zwei entsprechende Damen aus dem hohen Norden austauschen würden. So groß ist die Welt dann also doch wieder nicht.

Ich merke außerdem, wie meine Sprachgepflogenheiten anfangen, sich den Sprechern um mich herum anzupassen. Aufgefallen ist mir das insbesondere daran, daß ich mir anscheinend eine hier weit verbreitete Satzkonstruktion angewöhnt habe, nämlich auf das Wörtchen "weil" einen Hauptsatz folgen zu lassen. Und wer weiß, vielleicht kommt das mit den sch-Lauten auch noch.

Bin ich jetzt Heidelbergerin? Ich weiß noch nicht. Hamburgerin jedenfalls nicht mehr, auch Bergedorferin nicht. Großstädterin auch nicht mehr, das merkt man schnell. Zum einen daran, daß ich mir dringend ein Auto kaufen muß weil Bus und Bahn eben nicht mehr so häufig und überall dorthin fahren wie man das gern hätte, zum anderen aber auch weil man im Bürgeramt plötzlich keine Nummer mehr ziehen und keine einstündige Wartezeit einkalkulieren muß.

Die Heidelberger haben mich dann aber doch nicht anders aufgenommen als damals die Hamburger auch. Auch hier gibt es Nachbarn, die einen verdattert und sprachlos anschauen, wenn man im Treppenhaus grüßt – eine typische Erscheinung in einer anonymen Großstadt. Vermutlich liegt es daran, daß Heidelberg so international ist, meine Nachbarn Gegenüber zum Beispiel kommen aus Frankreich – und eine Studentenstadt noch dazu.

Eines jedenfalls genieße ich: Nämlich daß ich den Gipfeln der Alpen, die ich vor Jahren als "Küstenbewohner" im Urlaub kennen- und liebengelernt habe, ein ganzes Stück näher gerückt bin. Nord- und Ostsee dagegen, von denen man sagt, daß sie einen Schleswig-Holsteiner prägen, vermisse ich überhaupt nicht.

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Astronomin in vielerlei Hinsicht, so könnte man mich mit wenigen Worten beschreiben. Da ist zunächst einmal die Astrophysikerin, die an der Hamburger Sternwarte über die Aktivität von Sternen promoviert und dabei hauptsächlich mit den Röntgensatelliten Chandra und XMM-Newton gearbeitet hat, aber auch schon am Very Large Telescope in Chile beobachten durfte. Auslöser ihres beruflichen Werdegangs war ein engagierter Lehrer, dessen Astronomie-AG sie ab der 7. Klasse besuchte. Ungefähr zur selben Zeit erwachte auch die Hobbyastronomin, die anläßlich des Einschlags des Kometen Shoemaker-Levi 9 auf den Jupiter begann, mit einem russischen Feldstecher vom Flohmarkt den Tanz der Jupitermonde zu verfolgen. Heutzutage freut sie sich über jede Gelegenheit, mit ihrem 16-zölligen Dobson tief im Odenwald fernab der Lichter der Rheinebene auf die Jagd nach Deep-Sky-Objekten zu gehen. Und da Amateurastronomen gesellige Wesen sind, treffe ich mich gerne mit Gleichgesinnten, zum Beispiel zum gemeinsamen Beobachten. Auch nach meinem Umzug von der Großstadt Hamburg in das schöne Universitätsstädtchen Heidelberg halte ich engen Kontakt zu meinen Vereinskameraden von der Hamburger Gesellschaft für volkstümliche Astronomie und dem Astronomieverein meiner Jugend, dem Arbeitskreis Sternfreunde Lübeck. Seit einigen Jahren bin ich außerdem in dem Internetforum Astrotreff aktiv, wo ich Teil des Moderatorenteams bin. Um meine Faszination an der Astronomie an andere weitergeben zu können, besonders an Kinder und Jugendliche, habe ich mich seit Jahren in der Öffentlichkeitsarbeit engagiert, habe populärwissenschaftliche Vorträge gehalten und Schülergruppen betreut, die in Hamburg das Institut besucht haben. Diese Leidenschaft habe ich nun zu meinem Beruf gemacht. Hier in Heidelberg arbeite ich in einem kleinen aber feinen Team am Haus der Astronomie. Hiermit lade ich Sie ein, lieber Leser, an all diesen Facetten meines Astronomendaseins teilzuhaben. Mal witzig, mal spannend oder nachdenklich, manchmal auch persönlich oder mit Aha-Effekt. Carolin Liefke

6 Kommentare

  1. Ich weiß wo Dein Haus wohnt

    Hey Carolin
    Danke für die privaten Worte zu Deinem abwechslungsreichen Lebensweg. Klingt recht typisch für eine Astronomin/einen Astronomen.
    Als Hesse, der jahrelang in HD ebenfalls im Exil auf dem Königstuhl verbrachte und jetzt zum Bayern konvertierte, kann ich Dir sagen, dass eine eine Subjekt-Prädikat-Objekt-Konstruktion nach einem “weil” nicht typisch ist für BW/HD, sondern vielmehr schon vor einigen Jahren epidemische Verbereitung im Zuge des allgemeinen Sprachverfalls fand. Woher das kommt? Weil das ist halt so.

    Liebe Grüße aus der Alpennähe,
    Andreas

  2. Nord-Süd-Gefälle?

    @Andreas: Zumindest scheint diese sprechweise im Süden Deutschlands weiter verbreitet zu sein als im hohen Norden, weil sonst wäre es mir nicht so extrem aufgefallen 🙂

    @Stefan: Soweit ist es eindeutig noch nicht 🙂 Ich gewöhne mir gerade mühsam das “Moin” ab, das hierzulande dann doch zu Irritationen führt. Ich dagegen muß mich an sowas wie das allgegenwärtige “Ah jo” gewöhnen…

  3. Heidelberg

    … Heidelberg. Ein hübsches kleines Städtchen …

    Das stimmt nicht so ganz. Ab 100 000 Einwohnern spricht man von Großstadt und somit gehört Heidelberg mit über 140 000 zu einer von den 81 Großstädten in Deutschland und das schon seit 1946. Es gibt zwar noch die Unterteilung “kleinere Großstadt” und “große Großstadt” – die Grenze liegt bei 300 000 Einwohnern, aber damit ist Heidelberg immer noch Großstadt und nicht “kleines Städtchen”. Ich meine sogar, die ganzen Soldaten, wovon ab bis 2015 fast alle weg sind, werden nicht hinzugezählt. Real kommen da also noch ein paar Tausend drauf.

    Wobei ich Dein Empfinden teile. Heidelberg kommt einem kleiner vor, als es eigentlich ist. Es gibt auch einige, die vom berühmtesten Weltdorf sprechen. Allerdings mußt Du mal ins Umland fahren und dann nach Heidelberg rein und dann wird Dir Heidelberg auch groß vorkommen.

    Sei es drum. Ich fühle mich hier ebenfalls wohl. Je länger ich hier bin, desto mehr.

    Hast Du Dir immer noch kein Auto zugelegt?

  4. Kleine Städte, große Städte

    @Martin: Wie heißt es so schön, alles relativ. wenn man aus einer Millionenstadt wie Hamburg hierher zieht, dann kommt einem Heidelberg klein vor. Vergleichbar in seiner Art ist es aber sowohl mit Bergedorf selber (knapp über 40 000 Einwohner) als auch mit Lübeck (mehr als 200 000 Einwohner). Ganz anders sind dagegen Mannheim (310 000 Einwohner) oder Ludwigshafen (165 000 Einwohner), die für mich in etwa auf derselben Stufe wie Hamburg oder Frankfurt stehen.

    Bei der Gelegenheit kann man auch auf ein Städtchen verweisen, daß bei uneingeweihten bestenfalls als kleines Dorf durchgeht: Arnis in Nordschleswig, mit knapp 300 Einwohnern die kleinste Stadt in Deutschland: http://www.stadt-arnis.de/

    Überhaupt dürfte sich jeder Chinese wundern, was wir so alles als Stadt bezeichnen. Unterhalb von einer Million Einwohnern wird eine “Ansiedlung” dort gar nicht erst ernstgenommen.

    Und ja, ich habe immernoch kein Auto 🙂

  5. Dialekt

    Hey Carolin

    Von wegen sch-Laute, sei einfach froh, dass Du die Gespräche im Bus wenigstens verstehen und verfolgen kannst. In weiten Gegenden Schwabens oder Bayerns ist dies doch teilweise schwierig oder gar unmöglich. Beim Nachfragen durfte ich dann schonmal den netten Satz hören: “Gell, Sie sans net vun Deitschland, nette”. Und das als eingeborener Südhesse 🙂

    Um Missverständnissen vorzubeugen: War nur ne Feststellung, hab nix gegen Schwaben oder Bayern.

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