Weltraum is kein Ponyhof

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Von Steinen bis zu den Sternen
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Damit konnte nun wirklich niemand rechnen. Am 24. August startet ein Progressfrachter ins All, um die Raumstation zu versorgen. Völlige Routine. Aber die Rakete versagt – und stürzt ab. Der Progressfrachter geht verloren – das erste mal nach über hundert erfolgreichen Flügen. Die Raumstation verliert 2,7 Tonnen Nachschub, was sie gerade gut verkraften kann. Aber der Absturz behindert nun weitere Flüge bemannter Sojus-Kapseln, denn sie verwenden dieselbe Oberstufe wie Progress. Das ist problematisch, weil nach dem Ende der Shuttleflüge nur noch russische Sojus-Kapseln zur Station fliegen können. Konnten. Und die Besatzung muss die Station spätestens im November verlassen, ohne dass eine Ablösung starten könnte.

ISS nach dem Start des europäischen Columbus-Labors im März 2008 (NASA)

ISS nach dem Start des europäischen Columbus-Labors im März 2008 (NASA)


Für viele ist die Situation an Dramatik kaum zu überbieten – und wurde nur durch einen vergleichsweise kleinen Fehlschlag ausgelöst. Verwunderlich eigentlich, ist doch die Raumstation ein Gemeinschaftsprojekt von 16 Nationen. Eine vielleicht ab November unbesetzte Station klingt irgendwie nach worst case, nach Raumstation Mir kurz vor dem finalen Platscher in den Pazifik. Mit dem Unterschied, dass es hier um ein Hightech-Labor geht, dass gerade erst für gut hundert Milliarden Euro aufgebaut wurde.

Und jetzt: Platsch und weg?

Vorausgeschickt sei: Russland ist derzeit der einzige Akteur, der Menschen zur Station transportiert. Und natürlich ist es für die wohl teuerste internationale Großforschungseinrichtung dramatisch, alleine von der Infrastruktur eines Partnerstaats abhängig zu sein. Die russische Raumfahrt ist tatsächlich in einer wachsenden Krise, was Eugen Reichl alarmiert – doch sehr unterhaltsam – erläutert.

Dennoch waren viele Reaktionen hemmungslos überzogen. Am 24. August stürzte Progress irgendwo in der Region Altai ins Buschland. Noch am selben Abend verkündet Spiegel Online, der Sojus-Unfall stürze die Raumfahrt in die Krise. In dem Artikel wird sogar DLR-Chef Johann-Dietrich Wörner zitiert, der eine internationale Untersuchung fordert. – Man stelle sich vor, Russland hätte sich nach dem Absturz der Columbia aufgedrängt, beim Auswerten der Shuttletrümmer zu helfen.

Am Montag dann tritt ein besorgter Michael Suffredini vor die US-Presse, ISS-Manager bei der NASA. Er spricht sehr nüchtern über die Optionen. Die russische Untersuchungskommission gebe ihr Bestes. Aber man müsse sich darauf einstellen, dass die Station ab November für einige Zeit unbesetzt sei. Wenn die Russen die Fehlerursache nicht in den Griff bekommen. Wenn. Doch auf hartnäckiges Bohren einiger Journalisten hin, äußert sich Suffredini dann auch über Risiken einer völlig evakuierten Station.

“There is a greater risk of losing ISS if it were unmanned than if it were manned. […] The risk increase is not insignificant.”

Ich mag dem nüchtern und äußerst professionell agierenden Suffredini hier keinen Vorwurf machen. Er antwortete nur ehrlich auf hartnäckige Fragen – in so einer Situation wohl PR-strategisch die beste Reaktion. Aber Suffredini spricht von evacuation. Ein Begriff, den auch die deutschen Medien aufgreifen werden.

Denn Evakuierung klingt offenbar für viele wieder vertraut nach Raumstation Mir in ihren letzten Jahren – Alarm, Feuer, Katastrophen. In den USA gebe es „bereits Überlegungen, die Station völlig aufzugeben“, heißt es prompt in der Süddeutschen Zeitung. So, als ob Astro- und Kosmonauten sofort in ihre Rettungsboote springen und es noch nicht mal schaffen, die Fenster zuzumachen.

Nein, eine Evakuierung wird das nicht. Die Raumfahrer werden die Station schon eher sehr gründlich auf die Zeit ohne Besatzung vorbereiten. Sie werden zusätzliche Kühlsysteme installieren, die Schotten zwischen den Modulen schließen und die automatische Annäherung neuer Frachtschiffe vorbereiten. Und danach werden Techniker in den Kontrollräumen von Amerika, Russland, Japan oder Deutschland die ISS sehr genau im Auge behalten.

In diesem Zustand wäre die Station deutlich besser auf Unwägbarkeiten vorbereitet, als bei einer wirklichen Evakuierung, mit der die Raumfahrer rechnen, seit am 2. November 2001 die erste Langzeitbesatzung an Bord ging. Weltraumschrott, solare Strahlungsausbrüche oder klassische Fehlfunktionen kritischer Systeme können immer auftreten.

Die sofortige Evakuierung war daher immer eine Option bei diesem Unterfangen. Eine omnipräsente sogar.

So ist es und wird es auch bleiben. Doch der kriselnden russischen Raumfahrt zum Trotz ist Räumung der Station weiter nur eine Option. Die Fehlerursache des Sojus-Absturzes scheint bereits isoliert. Die Vorbereitungen für zwei unbemannte Testflüge laufen. Vielleicht kann im Oktober bereits die nächste Langzeitbesatzung starten.

Henning Krause vom DLR twitterte diese Woche: “Weltraum is kein Ponyhof.” Und das macht Raumfahrt doch auch erst so spannend.

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Karl Urban wäre gern zu den Sternen geflogen. Stattdessen gründete er 2001 das Weltraumportal Raumfahrer.net und fühlt sich im Netz seitdem sehr wohl. Er studierte Geowissenschaften und schreibt für Online-, Hörfunk- und Print-Publikationen. Nebenbei podcastet und bloggt er.

4 Kommentare

  1. Spruch-Credit

    Danke für die unaufgeregte Zusammenfassung, Karl. Den Credit für den Ponyhof-Spruch muss ich an Tim Pritlove weitergeben, der ihn in Folge 21 des Raumzeit-Podcasts (http://hnnng.de/rsprcD) an einer Stelle spontan gebracht hat, was während des Vorhörens der Episode meinen Twitterreflex auslöst. Ist halt kein Ponyhof.

  2. Naja, anscheinend sind ein paar Fussballstars (Eto-Anzsi, Carlos Eduardo Moskau) viel wichtiger, als unsere Allforschung. Es sind in den ehm. sowjetische Ländern so viele reiche Ölzaren, die locker die Forschung mit “Taschengeldmilliarden” unterstützen könnten. …hajajaj….

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